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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6P.150/2004 
6S.408/2004 /pai 
 
Urteil vom 25. Januar 2005 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Karlen, 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Staubeggstrasse 8, 8510 Frauenfeld. 
 
Gegenstand 
6S.408/2004 
Strafzumessung (Art. 63, 64 StGB), 
 
6P.150/2004 
Art. 9 BV (Strafverfahren; willkürliche Beweiswürdigung), 
 
Nichtigkeitsbeschwerde (6S.408/2004) und staatsrechtliche Beschwerde (6P.150/2004) gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 8. Juni 2004. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Das Obergericht des Kantons Thurgau verurteilte X.________ am 8. Juni 2004 wegen vorsätzlicher Tötung, mehrfachen qualifizierten Raubs, gewerbs- und bandenmässigen Diebstahls, betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage, mehrfacher Sachbeschädigung und mehrfachen Hausfriedensbruchs zu einer Zuchthausstrafe von 11 Jahren und 11 Monaten als Zusatzstrafe zu Urteilen des Bezirksgerichts Lenzburg vom 26. Juni 1997 und des Obergerichts des Kantons Aargau vom 21. Oktober 1999. Der Verurteilung liegt ein Überfall auf die Poststelle M.________ TG zu Grunde, den X.________ zusammen mit A.________ am 3. Februar 1996 verübt hatte. B.________, die Ablösung des ferienabwesenden Posthalters, wurde beim Überfall umgebracht. 
B. 
X.________ erhebt staatsrechtliche Beschwerde und eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde beim Bundesgericht. Er beantragt mit beiden Rechtsmitteln die Aufhebung des Urteils des Obergerichts vom 8. Juni 2004 im Strafpunkt. Den Schuldspruch ficht er dagegen nicht an. 
 
Das Obergericht ersucht um Abweisung beider Beschwerden. Eine Vernehmlassung der Staatsanwaltschaft wurde nicht eingeholt. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Sämtliche für das Bundesgericht bestimmten Rechtsschriften sind zu unterschreiben (Art. 30 Abs. 1 OG). Fehlt eine Unterschrift, ist eine angemessene Frist zur Behebung des Mangels anzusetzen mit der Androhung, dass die Rechtsschrift sonst unbeachtet bleibe (Art. 30 Abs. 2 OG). 
 
Die bisherige Rechtsprechung verlangt freilich nicht, dass die Unterschrift auf der Rechtsschrift selber angebracht wird. Sie lässt es vielmehr genügen, dass sich die Unterschrift auf einem begleitenden Schriftstück oder sogar nur auf der Rückseite des Briefumschlags befindet (BGE 108 Ia 289 E. 2 S. 291; 106 IV 65 E. 1 S. 67; 102 IV 142 E. 2 S. 143). Diese Praxis ist vor der 1991 erfolgten Revision des Gesetzes über die Bundesrechtspflege entwickelt worden, als dem Rechtsuchenden nach Ablauf der Beschwerdefrist keine Nachfrist angesetzt werden konnte, um den Mangel der fehlenden Unterschrift nachträglich zu beheben (BGE 108 Ia 289 E. 2 S. 291; 102 IV 142 E. 3 S. 144). Seit jedoch die Möglichkeit zur Nachbesserung in Art. 30 Abs. 2 OG eingeführt worden ist (vgl. dazu die Botschaft des Bundesrates betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 28. Mai 1991, BBl 1991 II 513 f.), besteht kein Grund mehr, das Unterschriftserfordernis so weitherzig zu handhaben wie bisher. Im Interesse der Klarheit drängt es sich vielmehr auf, eine handschriftliche Unterschrift auf der Rechtsschrift selber, in der Regel am Schluss, zu verlangen, und bei deren Fehlen eine Nachfrist nach Art. 30 Abs. 2 OG anzusetzen. 
 
Die beiden vom Beschwerdeführer ursprünglich eingereichten Rechtsschriften sind nicht unterschrieben. Auf der Rückseite des Briefumschlags befindet sich zwar die handschriftliche Angabe des Absenders. Ob darin eine gültige Unterschrift im Sinne der bisherigen Rechtsprechung erblickt werden könnte, ist fraglich, vorliegend aber nicht relevant, da der Beschwerdeführer dem Gericht innert Frist gemäss Art. 30 Abs. 2 OG eine eigenhändig unterzeichnete Beschwerdeeingabe nachgereicht hat. Unter diesen Umständen ist auf die Beschwerden ohne weiteres einzutreten. 
2. 
Der Beschwerdeführer verlangt, dass für ihn ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bestellt und diesem die dreissigtägige Frist zur Ergreifung eines Rechtsmittels erstreckt werde. Da gesetzliche Rechtsmittelfristen nicht erstreckbar sind und die entsprechende Frist bereits abgelaufen ist, besteht im vorliegenden Verfahren kein Raum mehr für ein Tätigwerden eines Rechtsbeistands, zumal ein weiterer Schriftenwechsel nicht anzuordnen ist. Die vom Beschwerdeführer selber eingereichte Rechtsschrift belegt im Übrigen, dass er seine Kritik am angefochtenen Urteil auch ohne einen Rechtsanwalt vorzubringen vermag. Sein Begehren um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters ist daher abzuweisen. 
3. 
In der eingereichten Rechtsschrift werden zugleich eine staatsrechtliche Beschwerde und eine eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde erhoben. Das ist zulässig, soweit die vorgebrachten Rügen klar auseinander gehalten werden (BGE 118 IV 293 E. 2a S. 294 f.). Dieses Erfordernis ist erfüllt. Im Folgenden sind die behaupteten Verfassungsverletzungen im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde zu behandeln (vgl. E. 4), der geltend gemachte Verstoss gegen Art. 63 und 64 StGB bei der Strafzumessung dagegen in jenem der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde (vgl. E. 5). 
4. 
Nach Ansicht des Beschwerdeführers sind verschiedene Sachverhaltsfeststellungen, die das Obergericht im Zusammenhang mit der Strafzumessung trifft, willkürlich, und sie verletzten daher Art. 9 BV
4.1 Die Kritik des Beschwerdeführers richtet sich zunächst gegen die Feststellung des Grads seiner Traumatisierung bei der Tatverübung. Der angefochtene Entscheid nimmt gestützt darauf lediglich eine leicht verminderte Zurechnungsfähigkeit an. 
 
Das Obergericht beurteilt die Frage der Traumatisierung anhand von zwei Gutachten der psychiatrischen Universitätsklinik Zürich vom 19. Juni 1997 und der psychiatrischen Klinik Münsterlingen vom 23. Februar 2001. Daneben berücksichtigt es den Therapiebericht des im Strafvollzug durchgeführten sog. Ambulanten-Intensiv-Programms (AIP) und würdigt eingehend die näheren Tatumstände. Es gelangt zum Schluss, dass der Therapiebericht die Feststellungen der beiden Gutachten weder im Grundsätzlichen noch in einzelnen kritisierten Punkten zu erschüttern vermöge. Wie schon die erste Instanz geht das Obergericht zwar davon aus, dass der Beschwerdeführer bei der Schussabgabe vom traumatischen Erlebnis in seiner Kindheit - dem Selbstmord seines Vaters - beeinflusst gewesen sei, doch verneint es eine besonders ausgeprägte Traumatisierung, die eine erhebliche Verminderung der Zurechnungsfähigkeit zur Folge gehabt hätte. Denn aus dem Therapiebericht ergebe sich nicht, dass der Beschwerdeführer bei der Tatverübung unter einer starken Traumatisierung gestanden habe. Es bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass seine Schilderung zutreffe, wonach das bereits durch den Mittäter A.________ schwer verletzte Opfer bei seiner Schussabgabe denselben leidenden Blick gehabt habe wie sein sterbender Vater und er deshalb aus einer starken Traumatisierung heraus gehandelt habe. 
 
Die Einwände, die der Beschwerdeführer gegenüber der detaillierten Beweiswürdigung im angefochtenen Entscheid erhebt, betreffen Einzelpunkte, denen bei der gesamthaften Würdigung, die das Obergericht vornimmt, je für sich allein kein entscheidendes Gewicht zukommt. Es mag daher zwar zutreffen, dass die Nichterwähnung des Traumas gegenüber C.________ und in den ersten Befragungen gegenüber den Behörden allein noch keine zwingenden Schlüsse über dessen Bestehen erlaubt. Hingegen durfte das Obergericht diese Umstände ohne Willkür als Indizien gegen eine besondere Traumatisierung würdigen. Dasselbe gilt mit Bezug auf den Umstand, dass sich der Beschwerdeführer nach der Schussabgabe - ob auf eigene Initiative oder auf Zurufen hin - um ein Brecheisen gekümmert hat. In gleicher Weise kann ohne Willkür auch der Hergang des späteren Raubüberfalls in N.________ gewertet werden. Damals richtete der Beschwerdeführer eine Waffe gegen eine Person, obwohl gerade keine dem Trauma ähnliche Situation vorlag. Darin kann ein deutliches Indiz für seine Gewaltbereitschaft und damit für die Annahme gesehen werden, dass er seine Waffe auch ohne besondere Traumatisierung einzusetzen bereit war. 
 
Schliesslich geht auch die Rüge fehl, das Obergericht habe in unhaltbarer Weise den Therapiebericht als untauglich abgetan. Im angefochtenen Entscheid wird im Gegenteil die Beurteilung der Therapeuten durchaus gewürdigt, doch werden darin keine hinreichenden Anhaltspunkte gefunden, dass der Beschwerdeführer die ihm vorgeworfene Tat unter dem Einfluss einer besonderen Traumatisierung begangen hat. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, inwiefern diese Würdigung willkürlich sein sollte. Das Obergericht war daher nicht verpflichtet, eine Oberexpertise anzuordnen, und es erübrigt sich, auf den entsprechenden Antrag im bundesgerichtlichen Verfahren einzugehen. 
4.2 Der Beschwerdeführer rügt ebenfalls die obergerichtliche Würdigung seiner Stellung bei der Tatbegehung als willkürlich. 
 
Das Gericht hält fest, dass A.________ der Kopf der Bande war, der Beschwerdeführer nach den Aussagen von D.________ aber auch Anführer gewesen sei. Auf jeden Fall könne nicht davon ausgegangen werden, dass A.________ der deutlich überlegene Mittäter gewesen sei, der auf den Beschwerdeführer einen erheblichen Druck bei der Deliktsbegehung ausgeübt hätte. 
 
Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers stellt das Obergericht nicht in Frage, dass A.________ Anführer gewesen ist, bezeichnet es ihn doch als Kopf der Bande. Es kommt jedoch zum Schluss, dass auch der Einfluss des Beschwerdeführers gross und insgesamt nicht viel kleiner als jener von A.________ gewesen sei. Dabei stützt es sich auf die Aussage von D.________, daneben offensichtlich aber auch auf die gesamten Umstände der begangenen Taten. Von einer willkürlichen Beweiswürdigung kann nicht gesprochen werden. 
4.3 Die erhobenen Willkürrügen erweisen sich alle als unbegründet. Die staatsrechtliche Beschwerde ist demzufolge abzuweisen. 
5. 
Die Strafzumessung im angefochtenen Entscheid gewichtet nach Auffassung des Beschwerdeführers einzelne Umstände unzutreffend, vor allem im Vergleich zum Urteil, das gegenüber A.________ gefällt wurde. Der Beschwerdeführer beanstandet weiter, dass die Strafe nicht gemäss Art. 64 al. 7 StGB wegen aufrichtiger Reue gemildert worden sei. 
 
Mit den vorgebrachten Einwänden gegen die Strafzumessung setzt sich der angefochtene Entscheid eingehend auseinander. Es kann auf diese zutreffenden Erwägungen verwiesen werden. 
 
Der Strafmilderungsgrund der Betätigung aufrichtiger Reue nach Art. 64 al. 7 StGB setzt eine besondere Anstrengung des Täters voraus, die er freiwillig, nicht nur vorübergehend und nicht nur unter dem Druck des drohenden oder hängigen Strafverfahrens erbringen muss (BGE 107 IV 98 E. 1 S. 99). Blosse Äusserungen des Bedauerns rechtfertigen keine Strafmilderung (Jörg Rehberg, Strafrecht II, 7. Aufl. Zürich 2001, S. 58). Der Beschwerdeführer legt nicht dar, irgendeine besondere Anstrengung unternommen zu haben, die im Sinne dieser Rechtsprechung als aufrichtige Reue gelten könnte. Jedenfalls kommt der von ihm genannten emotionalen Auseinandersetzung mit der Tat diese Qualifikation nicht zu. 
 
Die gegen die Strafzumessung gerichteten Rügen sind demnach unbegründet. Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist daher ebenfalls abzuweisen. 
6. 
Der Beschwerdeführer ersucht um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Dem Begehren ist nicht zu entsprechen, da seine Rechtsmittel als aussichtslos zu bezeichnen sind (Art. 152 Abs. 1 OG). Entsprechend dem Verfahrensausgang sind ihm daher die bundesgerichtlichen Kosten aufzuerlegen (Art. 278 Abs. 1 BStP; Art. 156 Abs. 1 OG). Dabei ist seinen finanziellen Verhältnissen Rechnung zu tragen (Art. 153a Abs. 1 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde und die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde werden abgewiesen. 
2. 
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung wird abgewiesen. 
3. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'600.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 25. Januar 2005 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: