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[AZA] 
H 191/99 
H 192/99 Hm 
 
IV. Kammer  
 
Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger; 
Gerichtsschreiber Hadorn 
 
Urteil vom 26. Januar 2000  
 
in Sachen 
 
1. G.________, 
2. R.________, 
 
Beschwerdeführer, beide vertreten durch Rechtsanwalt 
K.________, 
 
gegen 
 
Ausgleichskasse Zug, Baarerstrasse 11, Zug, Beschwerde- 
gegnerin, 
und 
 
Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Zug 
 
    A.- Mit Verfügung vom 13. Juni 1996 verpflichtete die 
Ausgleichskasse Zug G.________ und R.________, Verwaltungs- 
ratsmitglieder der in Konkurs gefallenen Firma X.________, 
in solidarischer Haftbarkeit Schadenersatz im Ausmass von 
Fr. 84'252.45 für nicht entrichtete Sozialversicherungsbei- 
träge zuzüglich Verzugszinsen und Mahngebühren zu leisten. 
 
    B.- Auf Einspruch beider Belangten hin klagte die Kas- 
se auf Bezahlung des erwähnten Betrages. Mit zwei Entschei- 
den vom 15. April 1999 hiess das Verwaltungsgericht des 
Kantons Zug die Klagen im Umfang von je Fr. 80'481.95 gut. 
 
    C.- G.________ und R.________ lassen je Verwaltungs- 
gerichtsbeschwerde einreichen und beantragen, die kantona- 
len Entscheide seien aufzuheben und die Klagen der Kasse 
seien abzuweisen. Sodann werden folgende Eventualbegehren 
gestellt: 
 
   a) es sei für 1991 maximal von AHV-Löhnen von 
      Fr. 672'031.- auszugehen, 
   b) es sei für 1992 maximal von AHV-Löhnen von 
      Fr. 313'742.- auszugehen, 
   c) es sei festzustellen, dass R.________ frühestens 
      ab 18. Mai 1988 für AHV-Ausstände verantwortlich 
      sein könne, 
   d) es sei die Schadenersatzforderung im Sinne von 
      Art. 44 OR zu reduzieren, 
   e) subeventuell sei die Sache an die Ausgleichskasse 
      zurückzuweisen, damit sie mit F.________ die Löhne 
      1991 und 1992 abkläre. 
 
    Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug und die Aus- 
gleichskasse Zug schliessen auf Abweisung der Verwaltungs- 
gerichtsbeschwerden, während das Bundesamt für Sozialver- 
sicherung sich nicht vernehmen lässt. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:  
 
    1.- Da den beiden Verwaltungsgerichtsbeschwerden der- 
selbe Sachverhalt zu Grunde liegt, sich die gleichen 
Rechtsfragen stellen und die Rechtsmittel den nämlichen 
vorinstanzlichen Entscheid betreffen, rechtfertigt es sich, 
die beiden Verfahren zu vereinigen und in einem einzigen 
Urteil zu erledigen (BGE 123 V 215 Erw. 1, 120 V 466 Erw. 1 
mit Hinweisen;  Poudret, Commentaire de la loi fédérale  
d'organisation judiciaire, Bd. 1, S. 343 unten f.). 
 
    2.- Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerden kann nur so 
weit eingetreten werden, als Sozialversicherungsbeiträge 
kraft Bundesrechts streitig sind. Im vorliegenden Verfahren 
ist daher nicht zu prüfen, wie es sich bezüglich der Bei- 
tragsschuld gegenüber der Ausgleichskasse für kantonale 
Familienzulagen verhält (BGE 124 V 146 Erw. 1 mit Hinweis). 
 
    3.- a) Da es sich bei der angefochtenen Verfügung 
nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versiche- 
rungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versiche- 
rungsgericht nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Richter 
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung 
oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche 
Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder 
unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen fest- 
gestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 
lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
 
    b) Im Rahmen von Art. 105 Abs. 2 OG ist die Möglich- 
keit, im Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungs- 
gericht neue tatsächliche Behauptungen aufzustellen oder 
neue Beweismittel geltend zu machen, weitgehend einge- 
schränkt. Nach der Rechtsprechung sind nur jene neuen Be- 
weismittel zulässig, welche die Vorinstanz von Amtes wegen 
hätte erheben müssen und deren Nichterheben eine Verletzung 
wesentlicher Verfahrensvorschriften darstellt (BGE 121 II 
99 Erw. 1c, 120 V 485 Erw. 1b, je mit Hinweisen). Zwar ist 
der Verwaltungsprozess vom Untersuchungsgrundsatz be- 
herrscht, wonach Verwaltung und Richter von sich aus für 
die richtige und vollständige Abklärung des Sachverhalts zu 
sorgen haben; doch entbindet das den Rechtsuchenden nicht 
davon, selber die Beanstandungen vorzubringen, die er anzu- 
bringen hat (Rügepflicht), und seinerseits zur Feststellung 
des Sachverhalts beizutragen (Mitwirkungspflicht). Unzuläs- 
sig und mit der weit gehenden Bindung des Eidgenössischen 
Versicherungsgerichts an die vorinstanzliche Sachverhalts- 
feststellung gemäss Art. 105 Abs. 2 OG unvereinbar ist es 
darum, neue tatsächliche Behauptungen und neue Beweismittel 
erst im letztinstanzlichen Verfahren vorzubringen, obwohl 
sie schon im kantonalen Beschwerdeverfahren hätten geltend 
gemacht werden können und - in Beachtung der Mitwirkungs- 
pflicht - hätten geltend gemacht werden müssen. Solche 
(verspätete) Vorbringen sind nicht geeignet, die tatsäch- 
lichen Feststellungen der Vorinstanz als mangelhaft im 
Sinne von Art. 105 Abs. 2 OG erscheinen zu lassen (BGE 
121 II 100 Erw. 1c, AHI 1994 S. 211 Erw. 2b mit Hinweisen). 
 
    c) Die Beschwerdeführer haben mehrere Dokumente als 
Beweismittel eingereicht, darunter namentlich verschiedene 
Korrespondenzen mit der Firma B.________. Alle diese Unter- 
lagen hätten sie bereits im kantonalen Verfahren einreichen 
können und im Rahmen der ihnen obliegenden Mitwirkungs- 
pflichten auch vorlegen müssen. Daher handelt es sich bei 
diesen Beweismitteln um unzulässige Noven im Sinne der oben 
zitierten Praxis, welche vorliegend nicht berücksichtigt 
werden können. 
 
    4.- Das kantonale Verwaltungsgericht hat unter Hinweis 
auf Gesetz (Art. 52 AHVG) und Rechtsprechung (vgl. statt 
vieler BGE 123 V 15 Erw. 5b) die Voraussetzungen zutreffend 
dargelegt, unter welchen Organe juristischer Personen den 
der Ausgleichskasse wegen Verletzung der Vorschriften über 
die Beitragsabrechnung und -zahlung (Art. 14 Abs. 1 AHVG
Art. 34 ff. AHVV) schuldhaft verursachten Schaden zu erset- 
zen haben. Darauf kann verwiesen werden. 
 
    5.- Die Beschwerdeführer beanstanden das Ausmass des 
Schadens. 
    Die Vorinstanz hat den Umfang der beitragspflichtigen 
Löhne, auf welchen die Forderung der Kasse beruht, weder 
unvollständig noch offensichtlich unrichtig oder unter Ver- 
letzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen im Sinne von 
Art. 105 Abs. 2 OG festgestellt. Daher ist das Eidgenössi- 
sche Versicherungsgericht an die Feststellungen des kanto- 
nalen Gerichts gebunden (Erw. 3a hievor). Die nachzuzahlen- 
den Beiträge der Jahre 1987-1990 wurden mit einer Nachfor- 
derungsverfügung vom 27. August 1992, die Ausstände von 
1992 mit einer Veranlagungsverfügung vom 14. Juli 1992 
sowie die Beiträge einzelner Monate 1992 mit separaten Ver- 
fügungen, Mahnungen und Betreibungen vom 17. März bis 
4. September 1992 einverlangt, somit ausnahmslos vor Eröff- 
nung des Konkurses vom 6. Oktober 1992. Gegen alle diese 
Verfügungen hätte die Firma bereits damals Beschwerde füh- 
ren müssen, wenn sie die Forderungen der Kasse masslich 
hätte bestreiten wollen. Da sie dies unterlassen hat, beru- 
hen die hier streitigen Ausstände auf vor der Konkurseröff- 
nung rechtskräftig gewordenen Verfügungen, welche das Eid- 
genössische Versicherungsgericht praxisgemäss nicht mehr 
überprüfen kann, wenn - wie vorliegend - keine Anhaltspunk- 
te für eine zweifellose Unrichtigkeit der Beiträge bestehen 
(ZAK 1991 S. 126 Erw. II/1b). 
 
    6.- Der Beschwerdeführer R.________ macht geltend, 
erst 1988 in den Verwaltungsrat der in Konkurs gefallenen 
Firma eingetreten zu sein, weshalb er für die früher ent- 
standenen Beitragsschulden nicht haftbar sei. Dieser Ein- 
wand verfängt aus zwei Gründen nicht. Einerseits wurden die 
anschliessend an eine Arbeitgeberkontrolle nachgeforderten 
Beiträge für die Jahre 1987-1990 erst mit der Nachforde- 
rungsverfügung vom 27. August 1992 einverlangt, somit in 
einem Zeitpunkt, als R.________ Verwaltungsratsmitglied 
war. Anderseits haftet ein Verwaltungsrat gemäss konstanter 
Rechtsprechung (ZAK 1992 S. 254 Erw. 7b) nach Antritt des 
Mandates sowohl für die laufenden als auch für die verfal- 
lenen, von der Firma in früheren Jahren schuldig gebliebe- 
nen Beiträge. 
    7.- a) Aus den Akten ergibt sich, dass die Firma 
X.________ die Beitragspflicht über längere Zeit hindurch 
nicht korrekt erfüllt hat. Sie wurde zahlreiche Male ge- 
mahnt und betrieben. Als Mitglieder des Verwaltungsrats 
mussten die Beschwerdeführer von diesem Zustand Kenntnis 
haben. Sie weisen keine Massnahmen nach, mit welchen sie 
versucht hätten, die Ausstände rasch zu begleichen. Statt- 
dessen führten sie die Firma weiter und liessen die Schul- 
den anwachsen. Aussicht auf eine baldige Sanierung des 
Betriebs mit vollständiger Bezahlung der fehlenden Beiträge 
bestand realistischerweise keine. Damit ist das Verhalten 
der Beschwerdeführer als grobfahrlässig im Sinne von Art. 
52 AHVG zu werten. 
 
    b) Unbehelflich ist der Einwand, die 1991 angeblich 
nicht erfassten Löhne seien Zahlungen an Unterakkordanten 
gewesen, die in guten Treuen als Selbständigerwerbende hät- 
ten betrachtet werden dürfen. Nachdem die Arbeitgeberin 
selbst diese Entgelte als "nicht mit EDV erfasste Löhne 
1991" deklariert hat, kann keine Rede davon sein, infolge 
unterschiedlicher, aber vertretbarer Ansichten über das 
Beitragsstatut entfalle das Verschulden der Beschwerdefüh- 
rer. Vielmehr ist aufgrund der Angaben der Firma selbst 
belegt, dass diese die erwähnten Zahlungsempfänger als 
Unselbständigerwerbende betrachtete. 
 
    8.- Schliesslich werfen die Beschwerdeführer der Aus- 
gleichskasse Selbstverschulden vor, da sie die Ausstände 
nicht rasch genug gemahnt habe. Bei rechtzeitigen Vorkehren 
der Kasse hätten die fehlenden Beiträge noch bezahlt werden 
können. 
    Auch diese Einwendung geht fehl. Am 15. November 1991 
und am 18. Mai 1992 hat die Kasse Arbeitgeberkontrollen 
durchgeführt. Im Jahr 1992 hat sie die Firma nahezu jeden 
Monat gemahnt und betrieben. Überdies hat sie mehrfach 
Pfändungen und Verwertungsbegehren erlassen. Damit kann ihr 
keine Versäumnis vorgehalten werden. 
    9.- Da es vorliegend nicht um die Bewilligung oder 
Verweigerung von Versicherungsleistungen geht, ist das Ver- 
fahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Die 
unterliegenden Beschwerdeführer haben die Gerichtskosten zu 
gleichen Teilen zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:  
 
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerden werden abgewiesen,  
    soweit darauf einzutreten ist. 
 
II. Die Gerichtskosten von total Fr. 4'000.- werden den  
    Beschwerdeführern auferlegt. Sie sind durch die ge- 
    leisteten Kostenvorschüsse von insgesamt Fr. 8'000.- 
    gedeckt; der Differenzbetrag von Fr. 4'000.- wird den 
    Beschwerdeführern je hälftig zurückerstattet. 
 
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsge-  
    richt des Kantons Zug und dem Bundesamt für Sozial- 
    versicherung zugestellt. 
 
 
Luzern, 26. Januar 2000 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der IV. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: