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[AZA] 
H 261/99 Vr 
 
IV. Kammer  
 
Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger; 
Gerichtsschreiber Hadorn 
 
Urteil vom 26. Mai 2000  
 
in Sachen 
 
B.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt 
G.________, 
gegen 
 
Verbandsausgleichskasse Gärtner und Floristen, Forch- 
strasse 287, Zürich, Beschwerdegegnerin, 
 
und 
 
AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau, Weinfelden 
 
    A.- Mit Verfügung vom 24. Mai 1994 verpflichtete die 
Verbandsausgleichskasse Gärtner und Floristen B.________ 
als Organ der in Konkurs gefallenen Firma X.________ Gar- 
tenbau AG Fr. 71'539.- Schadenersatz für nicht entrichtete 
Sozialversicherungsbeiträge zuzüglich Verzugszinsen und 
Mahngebühren zu leisten. 
    B.- Nach Einspruch von B.________ klagte die Kasse auf 
Bezahlung dieses Betrages. Mit Entscheid vom 24. Februar 
1997 hiess die AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau 
die Klage im Umfang von Fr. 42'629.80 teilweise gut. 
 
    C.- Die dagegen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde 
hiess das Eidgenössische Versicherungsgericht mit Urteil 
vom 13. Januar 1998 insofern gut, als es die Sache zum wei- 
teren Vorgehen im Sinne der Erwägungen an die Rekurskommis- 
sion zurückwies. 
 
    D.- Die Rekurskommission hiess die Klage nach Befol- 
gung der entsprechenden Anweisungen mit Entscheid vom 
18. Mai 1999 erneut im Betrag von Fr. 42'629.80 gut. 
 
    E.- B.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde 
führen und sinngemäss beantragen, der kantonale Entscheid 
sei aufzuheben, und die Klage der Kasse sei abzuweisen; 
eventuell sei die Sache zu näheren Abklärungen an die Re- 
kurskommission zurückzuweisen. 
    Die Ausgleichskasse und der als Mitinteressierter bei- 
geladene M.________ schliessen auf Abweisung der Verwal- 
tungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozial- 
versicherung sich nicht vernehmen lässt. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:  
 
    1.- a) Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nur 
so weit eingetreten werden, als die Schadenersatzforderung 
kraft Bundesrechts streitig ist. Im vorliegenden Verfahren 
ist deshalb auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in dem 
Umfang nicht einzutreten, als sie sich gegen die Schaden- 
ersatzforderung für entgangene Beiträge an die kantonale 
Familienausgleichskasse richtet (vgl. BGE 119 V 80 Erw. 1b, 
118 V 69 Erw. 1b mit Hinweis). 
    b) Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um 
die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistun- 
gen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht 
nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht 
verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Miss- 
brauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachver- 
halt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter 
Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt 
worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und 
b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
 
    2.- Der Beschwerdeführer rügt eine mehrfache Verlet- 
zung des rechtlichen Gehörs. Dieser formelle Einwand ist 
vorab zu prüfen. 
 
    a) Bis Ende 1999 galt die alte Bundesverfassung vom 
26. März 1874 (aBV), unter welcher das rechtliche Gehör 
nach der zu Art. 4 aBV ergangenen Rechtsprechung beurteilt 
wurde (dazu etwa BGE 124 I 51 Erw. 3a, 124 V 181 Erw. 1a, 
375 Erw. 3b, je mit Hinweisen). Am 1. Januar 2000 trat die 
neue Bundesverfassung (BV) vom 18. April 1999 in Kraft, 
deren Art. 29 Abs. 2 den Parteien Anspruch auf rechtliches 
Gehör gewährt. Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht 
im nicht veröffentlichten Urteil. I. vom 9. Mai 2000 
(I 278/99) erkannt hat, bringt die neue Verfassung keine 
materiellen Änderungen, sondern lediglich eine Anpassung an 
die Verfassungswirklichkeit. Demnach kann vorliegend offen 
bleiben, ob die gerügten Verletzungen des rechtlichen Ge- 
hörs nach Art. 4 aBV oder nach der neuen Verfassung zu be- 
urteilen sind, weil sich in Bezug auf das Resultat keine 
Unterschiede ergeben. 
 
    b) Die Vorinstanz hat in für das Eidgenössische Ver- 
sicherungsgericht verbindlicher Weise (Erw. 1b hievor) 
festgestellt, dass dem Beschwerdeführer erneut die gesamten 
Akten einschliesslich der Parteiakten des Verfahrens Ver- 
bandsausgleichskasse Gärtner und Floristen gegen 
M.________ sowie der von der Vorinstanz beigezogenen Ge- 
richtsakten des Bezirksgerichts Y.________ in Sachen 
B.________ gegen X.________ Gartenbau AG betreffend An- 
fechtung eines Kollokationsplanes zur Einsichtnahme zu- 
gestellt wurden. Sodann hat die Vorinstanz richtig be- 
gründet, weshalb sie die Akten zum Prozessergebnis im 
Verfahren der Kasse gegen M.________ nicht beigezogen hat. 
Zutreffend sind auch die Erwägungen der kantonalen Rekurs- 
kommission über die Ablehnung verschiedener vom Beschwer- 
deführer gestellter Beweisanträge. Darauf wird verwiesen. 
Was hiegegen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorge- 
bracht wird, ist nicht geeignet, eine Verletzung des 
rechtlichen Gehörs zu belegen. 
 
    3.- Die Vorinstanz hat unter Hinweis auf Gesetz 
(Art. 52 AHVG) und Rechtsprechung (vgl. statt vieler BGE 
123 V 15 Erw. 5b) die Voraussetzungen zutreffend dargelegt, 
unter welchen Organe juristischer Personen den der Aus- 
gleichskasse wegen Missachtung der Vorschriften über die 
Beitragsabrechnung und -zahlung (Art. 14 Abs. 1 AHVG
Art. 34 ff. AHVV) schuldhaft verursachten Schaden zu er- 
setzen haben. Darauf kann verwiesen werden. Zu ergänzen 
ist, dass als Organe nicht nur Entscheidungsorgane gelten, 
die ausdrücklich als solche ernannt worden sind, sondern 
auch Personen, welche Organen vorbehaltene Entscheide tref- 
fen, die eigentliche Geschäftsführung besorgen und so die 
Willensbildung der Gesellschaft massgeblich mitbestimmen 
(faktische Organe; BGE 114 V 79 Erw. 3 und 214 ff. Erw. 3 
und 4). 
 
    4.- Die Vorinstanz hat für das Eidgenössische Versi- 
cherungsgericht verbindlich (Erw. 1b hievor) festgestellt, 
dass die massgebliche Geschäftsleitung einschliesslich der 
Entscheidungsbefugnis und des Auftretens gegenüber Dritten 
nach dem 8. März 1993 nur noch in den Händen des Beschwer- 
deführers lag, während die formellen Organe ihren Einfluss 
auf die Willensbildung der Firma verloren hatten. Somit er- 
wog die kantonale Rekurskommission zu Recht, dass der Be- 
schwerdeführer spätestens seit diesem Tag als faktisches 
Organ der in Konkurs gefallenen Firma zu betrachten ist und 
für den der Kasse ab diesem Tag verursachten Schaden der 
Organhaftung nach Art. 52 AHVG unterliegt. 
 
    5.- In Bezug auf den Kausalzusammenhang zwischen dem 
Verhalten des Beschwerdeführers und dem der Kasse erwachse- 
nen Schaden sowie hinsichtlich des Verschuldens des Be- 
schwerdeführers kann ebenfalls auf die zutreffenden Erwä- 
gungen der Vorinstanz verwiesen werden. Angesichts der 
desolaten Finanzlage, welche dem Beschwerdeführer bekannt 
sein musste, bestand realistischerweise keine Aussicht auf 
Rettung des Betriebes mittels vorläufiger "Einsparung" der 
Sozialversicherungsbeiträge. Dennoch führte der Versicherte 
die Firma bis August 1993 weiter, ohne für eine konsequente 
Begleichung der Ausstände bei der Kasse zu sorgen. Exkulpa- 
tionsgründe vermag er keine nachzuweisen. Dieses Verhalten 
ist angesichts der Umstände des Falles als grobfahrlässig 
im Sinne von Art. 52 AHVG zu werten. 
 
    6.- Zu Unrecht beruft sich der Beschwerdeführer erneut 
darauf, er könne die Schadenersatzforderung der Kasse mit 
seinen eigenen Forderungen gegenüber dem in Konkurs gefal- 
lenen Betrieb verrechnen. Hiezu hat die Vorinstanz richtig 
festgehalten, dass die Verrechnungseinrede bereits an der 
fehlenden Identität von Gläubiger und Schuldner scheitert. 
 
    7.- Zu prüfen bleibt, ob der dem Beschwerdeführer an- 
zulastende Schadenersatz richtig berechnet wurde. 
 
    a) Wie die Vorinstanz richtig erwogen hat, wird die 
verfügungs- und klageweise geltend gemachte Forderung im 
Schadenersatzprozess masslich nicht mehr überprüft, soweit 
sie auf einer Nachzahlungsverfügung beruht, welche unange- 
fochten in Rechtskraft erwachsen ist (AHI 1993 S. 172 
Erw. 3a). Durch die Möglichkeit, gegen eine Nachzahlungs- 
verfügung Beschwerde zu führen, ist genügend Gewähr dafür 
geboten, dass die Organe der zahlungsunfähig gewordenen 
Arbeitgeberin nicht mit ungerechtfertigten Schadenersatz- 
forderungen belastet werden. Vorbehalten bleiben jene Fäl- 
le, in denen sich aus den Akten Anhaltspunkte für eine 
zweifellose Unrichtigkeit der durch die Nachzahlungsver- 
fügung festgesetzten Beiträge ergeben. 
 
    b) Die Vorinstanz hat für das Eidgenössische Versiche- 
rungsgericht verbindlich festgestellt, dass vom 8. März 
1993 bis zum Konkurs vom 17. August 1993 weitere Beitrags- 
forderungen fällig geworden sind, wobei einzig die Nach- 
zahlungsverfügung 1992/1993 (Versand am 2. September 1993) 
und die Schlussabrechnung 1993 (Versand am 14. Oktober 
1993) erst nach Konkurseröffnung ergangen und damit noch 
masslich überprüfbar waren. Gerade gegen diese beiden Ver- 
fügungen jedoch hat der Beschwerdeführer keine substanzi- 
ierten Einwendungen erhoben. Während der streitigen Periode 
hat er zwar mehrmals Beitragszahlungen an die Kasse geleis- 
tet. Diese sind angesichts der Computerabrechnungen eindeu- 
tig auf frühere Beitragsschulden anzurechnen gewesen. Die 
Anrechnung auf ältere Schulden hätte im Übrigen nach 
Art. 86 Abs. 2 und Art. 87 OR selbst dann erfolgen müssen, 
wenn die jeweiligen Zahlungen sich nicht eindeutig hätten 
zuordnen lassen. 
    Was der Beschwerdeführer hiegegen einwendet, verfängt 
nicht. Namentlich war die Kasse nicht verpflichtet, die von 
ihm während seiner "Amtszeit" als Organ geleisteten Zahlun- 
gen von Fr. 19'422.10 auf die in dieser Periode neu ent- 
standenen Schulden anzurechnen. Ebenso ist kein stichhalti- 
ger Grund ersichtlich, weshalb die von ihm beanstandeten 
Verzugszinsen nicht geschuldet sein sollten. Bestehen dem- 
nach keine Anhaltspunkte für eine zweifellose Unrichtigkeit 
der festgesetzten Beiträge, muss es im Rahmen der dem Ge- 
richt vorliegend zustehenden Kognition (Erw. 1b hievor) bei 
der von der Vorinstanz ermittelten Schadenssumme sein Be- 
wenden haben. 
    8.- Da es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung 
von Versicherungsleistungen ging, ist das Verfahren kosten- 
pflichtig (Art. 134 OG e contrario). Der unterliegende Be- 
schwerdeführer hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 
Abs. 1 OG). Des Weiteren hat er dem als Mitinteressierter 
beigeladenen M.________ eine Parteientschädigung zu 
bezahlen (BGE 97 V 32 Erw. 5). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:  
 
I.Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, so- 
    weit darauf einzutreten ist. 
 
II.Die Gerichtskosten von total Fr. 3000.- werden dem 
    Beschwerdeführer auferlegt und mit dem geleisteten 
    Kostenvorschuss verrechnet. 
 
III.Der Beschwerdeführer hat M.________ für das Verfahren 
    vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Par- 
    teientschädigung von Fr. 500.- (einschliesslich Mehr- 
    wertsteuer) zu bezahlen. 
 
IV.Dieses Urteil wird den Parteien, AHV/IV-Rekurskommis- 
    sion des Kantons Thurgau, dem Bundesamt für Sozialver- 
    sicherung und M.________ zugestellt. 
 
 
Luzern, 26. Mai 2000 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der IV. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: