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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_915/2020  
 
 
Urteil vom 27. Juli 2021  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, als präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Muschietti, 
Bundesrichterin Koch, 
Gerichtsschreiberin Lustenberger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Andres Büsser, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis, 
Postfach, 8953 Dietikon, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Revision eines Strafbefehls, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 8. Juni 2020 (SR200005-O/U/jv). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ wurde mit Strafbefehl vom 30. Januar 2020 wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln (Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn) zu einer unbedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je Fr. 50.-- verurteilt. 
 
B.  
Mit Revisionsgesuch vom 27. April 2020 gelangte A.________ an das Obergericht des Kantons Zürich und beantragte die Aufhebung des Strafbefehls und die Rückweisung an die Staatsanwaltschaft zur Neubehandlung und -beurteilung. Im Eventualstandpunkt verlangte er die Aufhebung des Strafbefehls und eine Verurteilung wegen einfacher Verkehrsregelverletzung. 
 
C.  
Das Obergericht des Kantons Zürich trat auf das Revisionsgesuch mit Beschluss vom 8. Juni 2020 nicht ein. 
 
D.  
Dagegen erhebt A.________ Beschwerde in Strafsachen vor Bundesgericht. Er beantragt, der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 8. Juni 2020 sei aufzuheben und die Sache zu neuer Revisionsentscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Es wurden die vorinstanzlichen Akten, jedoch keine Vernehmlassungen eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Als revisionsrechtlich relevante neue Beweismittel bzw. neue Tatsache hat der Beschwerdeführer vor der Vorinstanz vorgebracht, zwei von ihm nach Rechtskraft des Strafbefehls in Auftrag gegebene Tachomessungen des B.________ und der C.________ AG hätten ergeben, dass der Tacho seine Geschwindigkeit zu tief anzeige. Er rügt, die Vorinstanz sei zu Unrecht nicht auf das Revisionsgesuch eingetreten. Dieses sei nicht rechtsmissbräuchlich erfolgt. Er macht sinngemäss geltend, entgegen der Vorinstanz handle es sich beim Umstand, dass der Tacho eine zu tiefe Geschwindigkeit anzeige, um eine neue Tatsache im Sinne von Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO, die revisionsrechtlich relevant sei. Aus seinen Aussagen anlässlich der polizeilichen Einvernahme, wonach er schon früher Schwierigkeiten mit der Tachonadel gehabt habe und diese ihm nicht die genaue gefahrene Geschwindigkeit anzeige, hätte die Vorinstanz nicht auf sein Wissen in Bezug auf die zu tiefe Geschwindigkeit schliessen dürfen. Er habe aufgrund der kurz vor der Geschwindigkeitsüberschreitung erfolgten Fahrzeugprüfung davon ausgehen dürfen, dass die Anzeige noch knapp genügend, also zu hoch sei, wie in Art. 55 der Verordnung vom 19. Juni 1995 über die technischen Anforderungen an Strassenfahrzeuge (VTS; SR 741.41) vorgesehen. Ferner habe das Administrativverfahren erst nach Erlass des Strafbefehls stattgefunden, weshalb die Vorinstanz nicht auf seine dortigen Vorbringen, wonach die Tachoanzeige bei der letzten Fahrzeugkontrolle noch knapp genügend gewesen sei, hätte abstellen dürfen.  
 
1.2. Die Vorinstanz erwägt zusammengefasst, der Beschwerdeführer habe mehrfach ausgesagt, nicht gross auf den Tacho geschaut zu haben. Seine Behauptung, er habe in der Einvernahme lediglich eine Mutmassung geäussert, wonach seine Geschwindigkeitsanzeige möglicherweise nicht korrekt sei, sei zudem aktenwidrig. Er habe diese Tatsache schon gekannt und hätte sie daher in einem ordentlichen Verfahren vorbringen müssen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb der Beschwerdeführer darauf verzichtet habe, denn er habe den Strafbefehl erhalten und gewusst, dass er dagegen innert zehn Tagen Einsprache erheben könne resp. müsse. Er habe auch keinerlei Gründe für diese Unterlassung genannt. Unter diesen Umständen erscheine das Revisionsgesuch als Mittel, um den ordentlichen Rechtsweg zu umgehen.  
 
1.3.  
 
1.3.1. Wer durch einen Strafbefehl beschwert ist, kann nach Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO die Revision verlangen, wenn neue, vor dem Entscheid eingetretene Tatsachen oder neue Beweismittel vorliegen, die geeignet sind, einen Freispruch oder eine wesentlich mildere Bestrafung herbeizuführen.  
Revisionsrechtlich sind Tatsachen oder Beweismittel neu, wenn sie dem früher urteilenden Gericht nicht vorgelegen haben, auch nicht als Hypothesen (Urteil 6F_8/2018 vom 22. Mai 2018 E. 3.1 mit Hinweisen), das heisst ihm überhaupt nicht in irgendeiner Form zur Beurteilung vorlagen (BGE 137 IV 59 E. 5.1.2; vgl. Urteil 6B_1451/2019 vom 11. Juni 2020 E. 2.3). Sie sind erheblich, wenn sie geeignet sind, die tatsächlichen Feststellungen, auf die sich die Verurteilung stützt, zu erschüttern, und wenn die so veränderten Tatsachen einen deutlich günstigeren Entscheid zugunsten des Verurteilten ermöglichen. Hingegen sind Verfahrensverstösse grundsätzlich mittels Revision nicht korrigierbar, sondern müssen im ordentlichen Rechtsmittelverfahren geltend gemacht werden. Die Revision dient nicht dazu, rechtskräftige Entscheide jederzeit infrage zu stellen oder frühere prozessuale Versäumnisse zu beheben (BGE 145 IV 197 E. 1.1 mit Hinweisen). Ob eine Tatsache oder ein Beweismittel neu und gegebenenfalls geeignet ist, die tatsächlichen Grundlagen des zu revidierenden Urteils zu erschüttern, stellt eine Tatfrage dar, welche das Bundesgericht nur auf Willkür überprüft. Rechtsfrage ist demgegenüber, ob die allfällige Veränderung der tatsächlichen Grundlagen rechtlich relevant ist, das heisst zu einem im Schuld- oder Strafpunkt für die verurteilte Person günstigeren Urteil führen kann (BGE 130 IV 72 E. 1; Urteil 6B_1175/2020 vom 26. April 2021 E. 3.2; je mit Hinweisen). 
Ein Gesuch um Revision eines Strafbefehls muss als missbräuchlich qualifiziert werden, wenn es sich auf Tatsachen stützt, die der verurteilten Person von Anfang an bekannt waren, die sie ohne schützenswerten Grund verschwieg und die sie in einem ordentlichen Verfahren hätte geltend machen können, welches auf Einsprache hin eingeleitet worden wäre. Demgegenüber kann die Revision eines Strafbefehls in Betracht kommen wegen wichtiger Tatsachen oder Beweismittel, die die verurteilte Person im Zeitpunkt, als der Strafbefehl erging, nicht kannte oder die schon damals geltend zu machen für sie unmöglich waren oder keine Veranlassung bestand. Rechtsmissbrauch ist nur mit Zurückhaltung anzunehmen. Es ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob unter den gegebenen Umständen das Revisionsgesuch dazu dient, den ordentlichen Rechtsweg zu umgehen (BGE 145 IV 197 E. 1.1 mit Hinweisen). 
 
1.3.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2 mit Hinweisen). Zum Begriff der Willkür und zu den Begründungsanforderungen kann auf die einschlägigen Gesetzesbestimmungen und die bisherige Rechtsprechung verwiesen werden (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 88 E. 1.3.1; 143 IV 241 E. 2.3.1; je mit Hinweisen).  
 
1.4.  
 
1.4.1. Die Frage, wann und inwieweit der Beschwerdeführer Kenntnis von der fehlerhaften Tachoanzeige erlangt hat, ist eine Tatfrage, die das Bundesgericht nur auf Willkür überprüft. Der Beschwerdeführer rügt zunächst zutreffend, dass sich die Vorinstanz bei ihrer Beurteilung nicht auf Aussagen stützen darf, die er erst nach Erlass des Strafbefehls getätigt hatte. Unabhängig davon hat die Vorinstanz jedoch sein Wissen um die allgemeinen Probleme mit dem Tacho willkürfrei festgestellt. Er hatte in der polizeilichen Einvernahme auf die Frage, wie er sich die hohe Geschwindigkeit erkläre, geantwortet, das Fahrzeug sei schon sehr alt und er habe früher bereits Schwierigkeiten mit der Tachonadel gehabt, weil sie nicht mehr die genaue, gefahrene Geschwindigkeit anzeige (angefochtenes Urteil S. 5 f. und 7). Im Zusammenhang mit der gestellten Frage, die auf die zu hohe gefahrene Geschwindigkeit abzielt, lässt dies nur den logischen Schluss zu, dass der Beschwerdeführer damit auf eine zu tiefe Tachoanzeige hinweisen wollte. Seine Aussagen dahingehend zu würdigen, dass er Kenntnis der zu tief angezeigten Geschwindigkeit hatte, ist folglich weder aktenwidrig noch willkürlich. Aufgrund dieses Wissens hätte der Beschwerdeführer Einsprache erheben und weitere Abklärungen im ordentlichen Verfahren veranlassen müssen. Er bringt selbst vor, das Vorgehen sei prozesstaktisch nachlässig gewesen. Das Institut der Revision dient jedoch gerade nicht dazu, prozessuale Versäumnisse auszugleichen. Dass die Tachoanzeige bei der letzten Prüfung noch knapp den gesetzlichen Anforderungen an eine Geschwindigkeitsanzeige (Art. 55 VTS) genügte, ändert daran nichts.  
 
1.4.2. Die Vorinstanz durfte das Revisiongesuch darüber hinaus als rechtsmissbräuchlich einstufen, obwohl der Beschwerdeführer sein Wissen in Bezug auf die fehlerhafte Geschwindigkeitsanzeige bei der polizeilichen Einvernahme offengelegt hatte und die Behörden ungeachtet dessen keine weiteren Abklärungen vornahmen, weil sie ihm nicht glaubten. Entscheidend ist vorliegend, dass ihm dieses Wissen die Möglichkeit eröffnete, mittels Einsprache weitere Untersuchungen zu veranlassen, was er indessen ohne ersichtlichen Grund unterliess. Der Beschwerdeführer kann nicht nach rechtskräftiger Verurteilung beliebig und auf eigene Faust "weiterermitteln", bis er ein passendes neues Beweismittel findet, das ihn potentiell entlasten könnte. Vor diesem Hintergrund gelangte die Vorinstanz berechtigterweise zum Schluss, das Vorgehen des Beschwerdeführers erwecke den Anschein, dass er mit dem Revisionsgesuch den ordentlichen Rechtsweg habe umgehen wollen.  
 
1.4.3. Der Beschwerdeführer kann ferner aus seinen Vorbringen zur anfänglich fehlenden anwaltlichen Vertretung sowie seinen allgemeinen Ausführungen zum Strafbefehlsverfahren nichts zu seinen Gunsten ableiten. Der Strafbefehl enthält eine Rechtsmittelbelehrung, welche explizit erwähnt, dass der Strafbefehl ohne schriftliche Einsprache innert zehn Tagen zum rechtskräftigen Urteil wird. Die Formulierung betreffend die Einsprachefrist und die Konsequenzen eines Verzichts sind hinreichend verständlich. Auf alle Fälle kann auch von einer rechtsunkundigen Person erwartet werden, dass sie sich bei Bedarf über die Anfechtungsmöglichkeiten informiert (vgl. Urteil 6B_1095/2017 vom 2. März 2018 E. 3.5). Dies gilt unabhängig eines von der Staatsanwaltschaft beigelegten Zusatzblatts mit allgemeinen Erläuterungen zum Strafbefehlsverfahren. Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführer sich nicht innert Frist über seine Möglichkeiten resp. Obliegenheiten, sich gegen den Strafbefehl zu wehren, erkundigte und anschliessend entsprechend vorging.  
 
1.5. Im Übrigen ergingen die Gutachten des B.________ und der C.________ AG erst nach der Verurteilung. Sie belegen daher höchstens die Falschanzeige des Tachos im Zeitpunkt, in dem sie erarbeitet wurden. Zum Zustand der Geschwindigkeitsanzeige im Zeitpunkt der gemessenen Geschwindigkeitsüberschreitung sagen sie hingegen nichts aus. Insoweit ist es fraglich, ob mit Vorlage der Gutachten überhaupt eine neue, revisionsrechtlich bedeutsame Tatsache, die vor dem Erlass des Strafbefehls eingetreten ist, geltend gemacht wird. Die Frage, ob die Mängel am Tacho für die Strafverfolgungsbehörde neue Tatsachen i.S.v. Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO darstellen - was die Vorinstanz zu verneinen scheint - kann indes offengelassen werden. Wenn die Staatsanwaltschaft dem Hinweis des Beschwerdeführers auf seine defekte Geschwindigkeitsanzeige nicht weiter nachgeht, ist dies allenfalls ein prozessualer Fehler in Form einer Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes, welcher nicht Gegenstand eines Revisionsverfahrens sein kann, sondern auf dem ordentlichen Rechtsweg hätte geltend gemacht werden müssen (vgl. BGE 145 IV 197 E. 1.1 mit Hinweisen).  
 
2.  
Die Beschwerde ist abzuweisen. Die Gerichtskosten sind ausgangsgemäss dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 27. Juli 2021 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Denys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Lustenberger