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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_360/2021  
 
 
Urteil vom 27. Oktober 2021  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin Jametti, 
Bundesrichter Merz, 
Gerichtsschreiber König. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Raphael Zingg, 
 
gegen  
 
Kantonsgericht Luzern, 1. Abteilung, Einzelrichter, 
Hirschengraben 16, 6003 Luzern. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; unentgeltliche Rechtspflege, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Kantonsgerichts Luzern, 1. Abteilung, Einzelrichter, vom 18. Mai 2021 
(2U 21 25). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.________ wurde am 30. Mai 2020 wegen Verdachts auf Hinderung einer Amtshandlung sowie Gewalt und Drohung gegen Beamte auf dem Bahnhofplatz Luzern vorläufig festgenommen und über die Nacht auf den 31. Mai 2020 inhaftiert. Sie ist Beschuldigte im Strafverfahren der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern SA1 20 5185 14.  
Mit einer als "Beschwerde" bezeichneten Eingabe vom 8. Juni 2020 beantragte A.________ bei der Staatsanwaltschaft, es seien verschiedene, anlässlich des Vorfalles vom 30./31. Mai 2020 zu ihrem Nachteil begangene Verletzungen der EMRK (insbesondere in Form eines widerrechtlichen Freiheitsentzuges) durch die Luzerner Polizei festzustellen. Zugleich verlangte sie, die Luzerner Polizei sei zur Bezahlung einer angemessenen Entschädigung für diese Verletzungen zu verpflichten. Ferner stellte sie einen Strafantrag gegen die am Vorfall beteiligten Polizeibeamten. Sodann ersuchte sie um unentgeltliche Rechtspflege. 
 
A.b. Aufgrund der von A.________ erhobenen Vorwürfe (Gefährdung des Lebens, Freiheitsberaubung, Amtsmissbrauch, falsche Anschuldigung, Tätlichkeiten und Beschimpfung) wurden gegen sechs Beamte der Luzerner Polizei Strafverfahren durchgeführt. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern stellte diese Verfahren mit Verfügungen vom 18. Dezember 2020 ein. Gegen drei der Einstellungsverfügungen erhob A.________ in der Folge Beschwerde beim Kantonsgericht Luzern.  
 
A.c. Das erwähnte Schreiben von A.________ vom 8. Juni 2020 wurde von der Staatsanwaltschaft auch als Beschwerde im Sinne von Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO entgegengenommen und insoweit an das Kantonsgericht weitergeleitet.  
Beim Kantonsgericht wurde das entsprechende Verfahren als Beschwerdeverfahren 2N 20 108 rubriziert. Mit Verfügung vom 18. Mai 2021 wies das Kantonsgericht (Einzelrichter) in diesem Verfahren das Gesuch von A.________ um unentgeltliche Rechtspflege ab. 
 
B.  
Mit Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht vom 24. Juni 2021 beantragt A.________, die Verfügung vom 18. Mai 2021 sei aufzuheben. Ferner verlangt sie, im kantonsgerichtlichen Beschwerdeverfahren 2N 20 108 sei ihr die amtliche Verteidigung mit Rechtsanwalt Raphael Zingg als amtlichen Verteidiger und eventualiter die unentgeltliche Prozessführung sowie Rechtsverbeiständung (durch diesen Anwalt) zu gewähren. Ferner stellt sie für das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. 
Mit Eingabe vom 19. Juli 2021 reichte die Beschwerdeführerin Unterlagen zu ihrer finanziellen Situation ein. 
Das Kantonsgericht beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Anfechtungsobjekt im vorliegenden Verfahren bildet die Verfügung vom 18. Mai 2021 betreffend die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege im kantonsgerichtlichen Beschwerdeverfahren. Es handelt sich um einen Zwischenentscheid, der das kantonale Beschwerdeverfahren KG 2N 20 108 nicht abschliesst. 
Der angefochtene Entscheid ist geeignet, einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil zu bewirken (BGE 140 IV 202 E. 2.2). Gegen ihn steht grundsätzlich die Beschwerde in Strafsachen offen (vgl. Art. 78 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1 sowie Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Die Beschwerdeführerin ist zur Rüge, es sei ihr im kantonalen Verfahren zu Unrecht die unentgeltliche Rechtspflege verweigert worden, nach Art. 81 Abs. 1 BGG unabhängig von ihrer Legitimation in der Sache befugt (vgl. BGE 136 IV 29 E. 1.9; Urteile 1B_140/2019 vom 13. Juni 2019 E. 1; 1B_446/2018 vom 14. November 2018 E. 1.1 mit weiteren Hinweisen). Die übrigen Prozessvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist somit einzutreten. 
 
2.  
Gemäss Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG müssen Entscheide, die der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen, die massgebenden Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art, insbesondere die Angabe der angewendeten Gesetzesbestimmungen, enthalten. Aus dem Entscheid muss klar hervorgehen, von welchem festgestellten Sachverhalt die Vorinstanz ausgegangen ist und welche rechtlichen Überlegungen sie angestellt hat (BGE 141 IV 244 E. 1.2.1; 138 IV 81 E. 2.2; 135 II 145 E. 8.2). Die Begründung ist insbesondere mangelhaft, wenn der angefochtene Entscheid jene tatsächlichen Feststellungen nicht trifft, die zur Überprüfung des eidgenössischen Rechts notwendig sind oder wenn die rechtliche Begründung des angefochtenen Entscheids so lückenhaft oder unvollständig ist, dass nicht geprüft werden kann, wie das eidgenössische Recht angewendet wurde. Die Begründung ist ferner mangelhaft, wenn einzelne Tatbestandsmerkmale, die für die Subsumtion unter eine gesetzliche Norm von Bedeutung sind, von der Vorinstanz nicht oder nicht genügend abgeklärt wurden (vgl. BGE 135 II 145 E. 8.2; 119 IV 284 E. 5b; Urteil 6B_1101/2017 vom 30. Mai 2018 E. 5.4.4; je mit Hinweisen). Genügt ein Entscheid den Anforderungen gemäss Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG nicht, so kann das Bundesgericht ihn in Anwendung von Art. 112 Abs. 3 BGG an die kantonale Behörde zur Verbesserung zurückweisen oder aufheben. Hingegen steht es ihm nicht zu, sich an die Stelle der Vorinstanz zu setzen, die ihrer Aufgabe nicht nachgekommen ist (BGE 141 IV 244 E. 1.2.1; vgl. zum Ganzen auch Urteil 1B_274/2021 vom 24. August 2021 E. 1). 
 
3.  
Das Kantonsgericht prüfte das Gesuch der Beschwerdeführerin unter den Voraussetzungen von Art. 136 StPO. Diese Bestimmung betrifft die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für die Privatklägerschaft im Strafprozess (vgl. Urteil 1B_140/2019 vom 13. Juni 2019 E. 2.2 mit Hinweis). Aus dem angefochtenen Entscheid geht allerdings nicht hervor, für welches Strafverfahren das Kantonsgericht die Tatbestandsmerkmale von Art. 136 StPO prüfte. Die Strafverfahren gegen die Polizeibeamten wurden erstinstanzlich bereits vor dem angefochtenen Entscheid des Kantonsgerichts eingestellt. Im gegen die Beschwerdeführerin geführten Strafverfahren kann sie selbst sodann nicht gleichzeitig Privatklägerin sein. Zwar war ihr offenbar selbst nicht klar, in welchem bzw. für welches Verfahren sie ihre (seinerzeit ohne anwaltliche Unterstützung bzw. Rechtsvertretung erstellte) Eingabe vom 8. Juni 2020 einreichte. Dies entband das Kantonsgericht aber nicht von der Pflicht, insofern einen nachvollziehbaren Entscheid zu treffen. Zu Recht bringt die Beschwerdeführerin vor diesem Hintergrund vor, das Kantonsgericht habe nicht begründet, weshalb es prüfte, ob sie als Privatklägerin Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege habe. 
Das Kantonsgericht thematisierte in der angefochtenen Verfügung ferner die Frage, ob gestützt auf Art. 2 und/oder Art. 3 EMRK die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege in Betracht kommt. Auch diesbezüglich bleibt jedoch im Dunkeln, auf welches Strafverfahren sich die vorinstanzlichen Ausführungen beziehen. 
Ohne Angaben zur Frage, welchem Strafverfahren das vom Kantonsgericht behandelte Gesuch zuzuordnen ist, lässt sich seine rechtliche Schlussfolgerung vom Bundesgericht nicht auf Vereinbarkeit mit Bundesrecht hin überprüfen. Die angefochtene Verfügung genügt damit den Anforderungen von Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG nicht. Sie ist deshalb aufzuheben (Art. 112 Abs. 3 BGG) und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese einen den Anforderungen von Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG genügenden Entscheid trifft. 
 
4.  
Nach dem Ausgeführten ist die Beschwerde gutzuheissen, die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen. Vor diesem Hintergrund erübrigt es sich, auf die weiteren Rügen der Beschwerdeführerin einzugehen. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Luzern ist zu verpflichten, dem Vertreter der Beschwerdeführerin eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Damit erweist sich deren Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege als gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen, die Verfügung des Kantonsgerichts Luzern vom 18. Mai 2021 aufgehoben und die Sache an dieses zurückgewiesen zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Luzern hat dem Vertreter der Beschwerdeführerin, Rechtsanwalt Raphael Zingg, für das Verfahren vor Bundesgericht eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- zu bezahlen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und dem Kantonsgericht Luzern, 1. Abteilung, Einzelrichter, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 27. Oktober 2021 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Chaix 
 
Der Gerichtsschreiber: König