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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5P.30/2005 /bnm 
 
Urteil vom 28. Februar 2005 
II. Zivilabteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Raselli, Präsident, 
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer, Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Parteien 
X.________ (Ehefrau), 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Patrick Héritier, 
 
gegen 
 
Y.________ (Ehemann), 
Beschwerdegegner, 
vertreten durch Fürsprecher Bruno Wägli, 
Obergericht des Kantons Bern, Appellationshof, 2. Zivilkammer, Postfach 7475, 3001 Bern. 
 
Gegenstand 
Art. 9 und 29 BV (Eheschutzmassnahmen), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Appellationshofes des Kantons Bern, 2. Zivilkammer, vom 23. Dezember 2004. 
 
Sachverhalt: 
A. 
X.________ (Ehefrau) und Y.________ (Ehemann) sind die Eltern der am 19. November 2002 geborenen Tochter Z.________. Am 1. April 2004 lösten sie den gemeinsamen Haushalt auf. 
B. 
Am 3. Mai 2004 stellte Y.________ ein Eheschutzgesuch. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ordnete der Gerichtspräsident 1 des Gerichtskreises XII Frutigen-Niedersimmental mit "Zwischenentscheid betreffend Eheschutz" vom 23. November 2004 ein Kinderzuteilungsgutachten an und verfügte u.a., dass die Tochter Z.________ für die Dauer des Eheschutzverfahrens unter die Obhut der Mutter gestellt werde und während dieser Zeit nicht ins Ausland verbracht werden dürfe. Zudem errichtete er über Z.________ eine Beistandschaft und räumte dem Vater ein wöchentliches Besuchsrecht von vier Stunden ein. 
 
Gegen diesen "Zwischenentscheid" erhob X.________ mit Bezug auf die Kinderbelange, insbesondere das Ausreiseverbot, sowie die Kostenregelung eine Appellation, auf die der Appellationshof des Kantons Bern mit Entscheid vom 23. Dezember 2004 nicht eintrat. 
C. 
Gegen diesen Nichteintretensentscheid hat X.________ am 24. Januar 2005 eine staatsrechtliche Beschwerde eingereicht mit den Begehren um dessen Aufhebung und Anweisung des Appellationshofes, auf die Appellation vom 6. Dezember 2004 einzutreten. Zudem hat sie ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung gestellt. Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Der Appellationshof hat ausgeführt, die Anordnung des Gutachtens stelle eine gewöhnliche prozessleitende Verfügung dar, die nicht appellabel sei. Gleiches gelte für die während des Eheschutzverfahrens gültigen Anordnungen, die nach konstanter Praxis prozessual als vorläufige Massnahmen gemäss Art. 308a ZPO/BE zu behandeln seien. Ebenso wenig stehe gegen sie die Nichtigkeitsklage offen. Entgegen den Vorbringen der Beschwerdeführerin liege weder ein Endentscheid noch ein anfechtbarer selbständiger Zwischenentscheid vor. Entsprechend enthalte der erstinstanzliche Entscheid mit Bezug auf die nur für die Dauer des Eheschutzverfahrens gültigen Anordnungen denn auch keine Rechtsmittelbelehrung. 
2. 
Die Beschwerdegegnerin macht geltend, in Wahrheit liege nicht ein Zwischenentscheid, sondern ein Endentscheid vor, da der erstinstanzliche Richter mit seinem "Zwischenentscheid" bereits sämtliche Punkte, die im Eheschutzverfahren zu regeln seien, entschieden habe. Im Übrigen seien Zwischenentscheide im Summarverfahren gar nicht zulässig. Sodann habe der Appellationshof nicht weiter begründet, weshalb die Anordnungen, insbesondere das Ausreiseverbot, prozessual als vorläufige Massnahmen behandelt würden. Dass die angefochtenen Massnahmen nur für die Dauer des Verfahrens getroffen worden seien, entspreche dem Wesen des Summariums und dem Eheschutzverfahren. Indem sich der Appellationshof nicht im Einzelnen mit der ausführlichen Darlegung der Appellabilität in der Appellationsschrift auseinandergesetzt habe, seien das Willkürverbot und das rechtliche Gehör verletzt. 
3. 
Willkür in der Rechtsanwendung liegt vor, wenn ein Entscheid auf einem offensichtlichen Versehen beruht, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 127 I 54 E. 2b S. 56; 128 II 259 E. 5 S. 280 f.; 129 I 49 E. 4 S. 58). 
3.1 Soweit die Beschwerdeführerin behauptet, Regelungen im Rahmen eines Summarverfahrens wirkten per definitionem nur für die Prozessdauer, verkennt sie, dass das Eheschutzverfahren - im Unterschied zu den vorsorglichen Massnahmen gemäss Art. 137 ZGB - keine Anordnungen für die Dauer eines Hauptprozesses trifft; vielmehr ist es ein selbständiges Verfahren, in welchem die Folgen des Getrenntlebens für eine unbestimmte Zeit geregelt werden und welches auch insofern instanzabschliessend ist, als ihm kein Hauptprozess nachfolgt. Im "Zwischenentscheid" vom 23. November 2004 wird mit Bezug auf die angefochtenen Punkte offensichtlich keine Regelung auf unbestimmte Zeit, sondern eine solche für die Dauer des Verfahrens selbst getroffen, weshalb nicht von einem appellablen "Endentscheid" gesprochen werden kann. 
3.2 Mit der Erwägung, es liege kein selbständiger und damit anfechtbarer Zwischenentscheid vor, weil die Voraussetzungen von Art. 196 Abs. 2 ZPO/BE nicht erfüllt seien, setzt sich die Beschwerdeführerin nicht in der erforderlichen Weise auseinander. Mit der blossen Behauptung des Gegenteils ist jedenfalls keine Willkür darzutun (vgl. BGE 117 Ia 10 E. 4b S. 11 f.). Ohnehin wäre nicht ersichtlich, inwiefern der Appellationshof mit einer abweichenden Beurteilung das Eheschutzverfahren beenden könnte. 
3.3 Ob im Summarverfahren gar keine Zwischenentscheide - auch keine unselbständigen - zulässig wären, wie dies die Beschwerdeführerin behauptet, kann offen gelassen werden. Würde die Behauptung zutreffen, wäre kein appellables Anfechtungsobjekt gegeben, was bei einer dennoch erhobenen Appellation zu einem Nichteintretensentscheid führen müsste. Insofern kann das Willkürverbot im Ergebnis nicht verletzt sein, wenn der Appellationshof einen Nichteintretensentscheid gefällt hat (zum Erfordernis, dass ein Entscheid auch im Ergebnis willkürlich sein muss: BGE 127 I 54 E. 2b S. 56; 128 II 259 E. 5 S. 281; 129 I 49 E. 4 S. 58). 
3.4 Gemäss Art. 308a Abs. 1 ZPO/BE kann der Richter in Fällen dringender Gefahr schon auf die Einreichung des Gesuches hin die vorläufigen Verfügungen treffen, die er für notwenig erachtet, um die Ansprüche des Gesuchstellers bis zum Entscheid sicherzustellen. Die bernische Zivilprozessordnung gibt dem Richter damit die Möglichkeit, bereits vorgängig zur Anhörung der Gegenpartei superprovisorisch Massnahmen zu treffen (vgl. auch Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 5. Aufl., Bern 2000, N. 1a ff. zu Art. 308a). 
 
Angesichts seiner Formulierung, Zwischenentscheide im Summarverfahren seien prozessual als Massnahmen gemäss Art. 308a ZPO/BE zu behandeln, scheint der Appellationshof nicht davon ausgegangen zu sein, dass tatsächlich eine solche Massnahme zur Diskussion stehe, sondern dass es sich mit dem (unselbständigen) Zwischenentscheid in Bezug auf die Appellabilität nicht anders verhalte als bei superprovisorischen Verfügungen. Die Beschwerdeführerin rügt denn auch nicht, der Appellationshof sei fälschlicherweise von einer eigentlichen superprovisorischen Massnahme im Sinn von Art. 308a ZPO/BE ausgegangen; sie macht vielmehr geltend, der Appellationshof sei in diesem Zusammenhang nicht näher auf ihre Ausführungen in der Appellationsschrift eingegangen. 
 
Dieses Vorbringen stellt in seiner allgemeinen Art appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil dar, auf die im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde nicht eingetreten werden kann (BGE 107 Ia 186; 125 I 492 E. 1b S. 495; 130 I 258 E. 1.3 S. 262). Ebenso wenig ist in diesem Verfahren der schlichte Verweis auf kantonale Akten zulässig (BGE 114 Ia 317 E. 2b S. 318). Die Beschwerdeführerin müsste in der staatsrechtlichen Beschwerde aufzeigen und im Einzelnen darlegen, inwiefern das kantonale Gericht willkürlich entschieden haben soll und der angefochtene Entscheid deshalb an einem qualifizierten und offensichtlichen Mangel leidet (BGE 117 Ia 10 E. 4b S. 11 f.; 125 I 71 E. 1c S. 76; 129 I 185 E. 1.6 S. 189). 
3.5 Insgesamt vermag die Beschwerdeführerin nicht darzulegen, welche Norm des kantonalen Zivilprozessrechts der Appellationshof willkürlich angewandt hätte. Nicht zu folgen ist insbesondere auch ihrem Argument, es sei stossend, ohne Überprüfungsmöglichkeit während Monaten mit einem Ausreiseverbot belastet zu sein. Zwar trifft es zu, dass das Ausreiseverbot für die Tochter Z.________ die faktische Bewegungsfreiheit der Beschwerdeführerin einschränkt. Indes rügt sie keine formelle Rechtsverweigerung dahingehend, dass der Appellationshof ihre Eingabe als Beschwerde gemäss Art. 374 ZPO, die in vielen Fällen als subsidiäres Notrechtsmittel zur Verfügung steht (vgl. Leuch/ Marbach/Kellerhals/Sterchi, a.a.O., N. 2a und 2d Bem. vor Art. 374), hätte entgegennehmen müssen. 
4. 
Die Beschwerdeführerin rügt im Weiteren eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. In Verletzung des sich aus Art. 90 Abs. 1 lit. b OG ergebenden Rügeprinzips legt sie jedoch nicht im Einzelnen dar, inwiefern sich der Appellationshof zu wenig mit ihren Argumenten auseinandergesetzt haben soll. Mangels genügender Substanziierung ist auf die betreffende Rüge nicht einzutreten (BGE 125 I 492 E. 1b S. 495; 130 I 258 E. 1.3 S. 262), umso weniger als auch nicht ersichtlich ist, inwiefern die Beschwerdeführerin aufgrund der Urteilsbegründung nicht in der Lage gewesen wäre, den Entscheid des Appellationshofes sachgerecht anzufechten (vgl. zu diesem Erfordernis BGE 125 II 369 E. 2c S. 372; 126 I 97 E. 2b S. 102; 129 I 232 E. 3.2 S. 236). 
5. 
Zusammenfassend ergibt sich, dass die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen ist, soweit auf sie eingetreten werden kann. Die Gerichtsgebühr ist somit der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Im Übrigen wird ihr die unentgeltliche Rechtspflege erteilt und Patrick Héritier als unentgeltlicher Rechtsanwalt beigeordnet (Art. 152 Abs. 1 und 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Der Beschwerdeführerin wird das Recht auf unentgeltliche Rechtspflege erteilt, und es wird ihr Patrick Héritier als unentgeltlicher Rechtsanwalt beigeordnet. 
3. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt, jedoch einstweilig auf die Gerichtskasse genommen. 
4. 
Rechtsanwalt Patrick Héritier wird aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationshof des Kantons Bern, 2. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 28. Februar 2005 
Im Namen der II. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: