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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5C.304/2005 /blb 
 
Urteil vom 28. März 2006 
II. Zivilabteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Raselli, Präsident, 
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Marazzi, 
Gerichtsschreiberin Scholl. 
 
Parteien 
X.________, 
Beklagter und Berufungskläger, 
vertreten durch Rechtsanwältin Eva Siegrist, 
 
gegen 
 
Y.________, 
Klägerin und Berufungsbeklagte, 
handelnd durch Beiständin B.________. 
 
Gegenstand 
Kindesunterhalt, 
 
Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Zivilgericht, 2. Kammer, vom 20. Oktober 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Y.________, geb. 2003, ist die Tochter der unverheirateten Eltern Z.________ und X.________. 
Am 2. März 2004 erhob Y.________, vertreten durch ihre Beiständin, gegen X.________ beim Bezirksgericht Lenzburg Klage und verlangte, dieser habe ihr Unterhaltsbeiträge zu leisten. Mit Urteil vom 10. März 2005 hiess das Bezirksgericht die Klage im Wesentlichen gut und verurteilte X.________ zur Leistung folgender Kinderunterhaltsbeiträge: Vom 13. Mai 2003 bis zum vollendeten 12. Altersjahr von Y.________ hat er ihr monatlich Fr. 500.-- zu bezahlen, danach bis zur Mündigkeit bzw. bis zum Abschluss der ordentlichen Ausbildung Fr. 600.--. 
Dagegen erhob X.________ Appellation beim Obergericht des Kantons Aargau. Dieses legte mit Urteil vom 20. Oktober 2005 die Unterhaltspflicht von X.________ neu wie folgt fest: Vom 13. Mai 2003 bis Ende Dezember 2005 hat er monatlich Fr. 250.-- zu leisten, ab Januar 2006 bis zum vollendeten 6. Altersjahr von Y.________ Fr. 600.--, ab dem 7. bis zum vollendeten 16. Altersjahr Fr. 660.-- und danach bis zur Mündigkeit bzw. zum Abschluss der ordentlichen Ausbildung Fr. 750.--. 
B. 
X.________ gelangt mit eidgenössischer Berufung an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie die Herabsetzung seiner Unterhaltspflicht. Zudem stellt er für das bundesgerichtliche Verfahren ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege einschliesslich Verbeiständung. 
Y.________ beantragt die Abweisung der Berufung. Zudem stellt sie ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für die Verfahrenskosten. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Auseinandersetzungen über Unterhaltsbeiträge für Kinder sind vermögensrechtliche Streitigkeiten im Sinne von Art. 46 OG (BGE 116 II 493 E. 2b S. 495), wobei im vorliegenden Fall der erforderliche Streitwert gegeben ist. Die Berufung ist rechtzeitig erhoben worden und richtet sich gegen einen Endentscheid eines oberen kantonalen Gerichts, der nicht mehr durch ein ordentliches kantonales Rechtsmittel angefochten werden kann (Art. 54 Abs. 1 und Art. 48 Abs. 1 OG). 
Im Berufungsverfahren hat das Bundesgericht seiner Entscheidung die Feststellungen der letzten kantonalen Instanz über tatsächliche Verhältnisse zu Grunde zu legen, es sei denn, diese beruhten auf einem offensichtlichen Versehen, seien unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zu Stande gekommen oder bedürften der Ergänzung (Art. 63 und 64 OG; BGE 115 II 484 E. 2a S. 485 f.; 127 III 248 E. 2c S. 252). Soweit der Beklagte vom vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt abweicht oder diesen ergänzt, ohne eine der obigen Ausnahmen darzutun, kann auf die Berufung nicht eingetreten werden. 
2. 
Strittig ist in erster Linie die Höhe des (hypothetischen) Einkommens des Beklagten. 
2.1 Das Obergericht hat dem Beklagten ab Januar 2006 ein hypothetisches (Netto-)Einkommen von Fr. 4'000.-- pro Monat angerechnet. Es hat ausgeführt, soviel könne der Beklagte nach eigenen Angaben verdienen, wenn sein Geschäft - der Beklagte ist Angestellter einer GmbH, deren Stammanteile er mehrheitlich besitzt - gut laufen würde. Das Obergericht hielt zudem dafür, dass dies auch der Lohn sei, welchen der Beklagte in der Privatwirtschaft erzielen könne. 
2.2 Ein hypothetisches Einkommen kann angerechnet werden, wenn die Erzielung eines solchen tatsächlich möglich und zumutbar ist. Soweit es um die "Zumutbarkeit" geht, liegt eine Rechtsfrage vor, die im Berufungsverfahren überprüft werden kann. Was die "Möglichkeit" betrifft, ist zu unterscheiden, ob die obergerichtlichen Annahmen auf konkreten Anhaltspunkten oder auf allgemeiner Lebenserfahrung beruhen; während Schlussfolgerungen aus allgemeiner Lebenserfahrung auf Berufung hin geprüft werden können, bilden solche aus Indizien Ergebnis der Beweiswürdigung, welche der staatsrechtlichen Beschwerde vorbehalten sind (BGE 126 III 10 E. 2b S. 12 f.; 128 III 4 E. 4c/bb S. 7 f.). 
2.2.1 Der Beklagte macht zunächst geltend, es sei ihm nicht möglich, ein Einkommen in der vom Obergericht angenommenen Höhe zu erzielen. Er bringt vor, es beruhe auf einem offensichtliches Versehen nach Art. 63 Abs. 2 OG, wenn das Obergericht festgehalten habe, es sei unbestritten, dass er in der Privatwirtschaft ein höheres Einkommen, d.h. Fr. 4'000.-- netto, erzielen könne. Er habe vor Bezirksgericht ausgesagt, er rechne bei gutem Geschäftsgang mit einem Einkommen von Fr. 4'000.--. Dabei habe er indes nicht von einem Nettoeinkommen gesprochen, wie das Obergericht angenommen habe, sondern von einem Bruttoeinkommen. 
An der ersten vom Beklagten kritisierten Stelle hat das Obergericht einzig festgehalten, es sei unbestritten, dass es dem Beklagten möglich wäre, in der Privatwirtschaft ein höheres Einkommen zu erzielen. Dass die Höhe von Fr. 4'000.-- unbestritten sei, hat es dagegen nicht angenommen. 
Bezüglich der Aussage des Beklagten über seinen möglichen Verdienst ergibt sich aus dem Verhandlungsprotokoll des Bezirksgerichts, dass er dort angegeben hatte, er rechne damit Fr. 4'000.-- zu verdienen, falls es gut laufe. Aus der Aktenstelle lässt sich keine Präzisierung entnehmen, ob er mit dieser Summe einen Netto- oder Bruttoverdienst gemeint hat. Die Annahme des Obergerichts liegt folglich nicht im klaren Widerspruch zu einer Aktenstelle, so dass kein offensichtliches Versehen im Sinne von Art. 63 Abs. 2 OG vorliegt. Damit kann offen bleiben, ob es sich bei der vorliegenden Rüge nicht ohnehin um ein unzulässiges Novum handelt (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Denn bereits das Bezirksgericht ist davon ausgegangen, dass es sich bei dieser Einkommensangabe um einen Nettoverdienst handelt und der Beklagte weist nicht nach, dass er diese Annahme bereits im obergerichtlichen Verfahren gerügt hat. 
Im Übrigen kritisiert der Beklagte in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung des Obergerichts. Im Gegensatz zu seiner Ansicht beruht die Annahme der Vorinstanz über die Höhe eines möglichen Einkommens nicht auf einem Erfahrungssatz, welchen das Bundesgericht im Berufungsverfahren überprüfen könnte. Vielmehr hat es in erster Linie auf die eigenen Aussagen des Beklagten abgestellt. Auf die Ausführungen in diesem Punkt kann folglich nicht eingetreten werden (vgl. E. 2.2). 
2.2.2 Weiter bringt der Beklagte vor, es sei ihm nicht zumutbar, sein Geschäft aufzugeben und sich auf höchst ungewisse Stellensuche zu begeben. 
Er macht in diesem Punkt ausführliche Erläuterungen zu seinem schwierigen Lebensweg, seiner mangelhaften Ausbildung und zum Zukunftspotential seiner Firma. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Ausführungen tatsächlicher Natur, die im angefochtenen Entscheid keine Stütze finden. Eine Ergänzung des Sachverhaltes ist im vorliegenden Verfahren nicht zulässig (Art. 63 Abs. 2 OG; vgl. E. 1). Dementsprechend kann auf diese Vorbringen nicht eingetreten werden. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass es das Obergericht grundsätzlich als möglich erachtet hat, dass der Beklagte das angerechnete Einkommen mit seinem Geschäft erzielen kann, also nicht zwingend eine neue Stelle suchen muss. Soweit der Beklagte zudem in Zusammenhang mit der Zumutbarkeit erneut vorbringt, es sei ihm nicht möglich, ein Einkommen in der vom Obergericht angenommen Höhe zu erzielen, kann auf die vorangehende Erwägung verwiesen werden (E. 2.2.1). 
3. 
Der Beklagte wendet sich zudem gegen die Berechnung seines Bedarfs. 
Er macht geltend, da er im Kanton Zürich wohne, hätte sich das Obergericht bei der Bedarfsbemessung nicht auf das Kreisschreiben der aargauischen Schuldbetreibungs- und Konkurskommission stützen sollen, sondern auf die Richtlinien des Obergerichts des Kantons Zürich. Letztere würden vorsehen, dass bei der Bedarfsberechnung sowohl die Heizungskosten wie auch die Prämien für Hausrat- und Haftpflichtversicherung angerechnet würden. 
Die Kritik betreffend Heizungskosten stösst ins Leere, denn das Obergericht hat diese berücksichtigt, indem es ausdrücklich festgehalten hat, dass sie im Mietzins von Fr. 1'000.-- enthalten seien. Die Höhe der Heizungskosten stellt eine im Berufungsverfahren nicht überprüfbare Tatfrage dar (Art. 63 Abs. 2 OG). 
Unbegründet ist die Rüge auch in Bezug auf die Versicherungsbeiträge. Wie das Obergericht zutreffend ausgeführt hat, ist bei bescheidenen finanziellen Mitteln dem Rentenschuldner nur das betreibungsrechtliche Existenzminimum zu garantieren (BGE 126 III 353 E. 1a/aa S. 356; 127 III 68 E. 2c S. 70). Es verstösst damit nicht gegen Bundesrecht, wenn das Obergericht die Ausgaben für Hausrat- und Haftpflichtversicherung nicht eingerechnet hat. 
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass selbst bei Berücksichtigung der strittigen Posten, welche zusammen Fr. 60.-- ausmachen, die Höhe der Unterhaltsbeiträge nicht reduziert würde: Das Obergericht hat beim Beklagten ab Januar 2006 einen monatlichen Überschuss von Fr. 1'429.-- berechnet. Angesichts des vom Beklagten zu deckenden Barbedarfs der Klägerin hätte eine solch geringe Erhöhung seines Notbedarfs keine Auswirkungen auf die geschuldeten Unterhaltsbeiträge, welche nur rund die Hälfte seines Überschusses in Anspruch nehmen. 
4. 
Schliesslich kritisiert der Beklagte sowohl die Berechnung des Bedarfs wie auch des Einkommens der Mutter der Klägerin. 
4.1 Auf der Bedarfsseite macht er geltend, dem Obergericht sei ein offensichtliches Versehen im Sinne von Art. 63 Abs. 2 OG unterlaufen, als es die Krankenkassenprämie auf Fr. 300.-- geschätzt habe. Gemäss Auszug aus dem Protokoll des Gemeinderats G.________ vom 2. November 2003 (Berechnung Sozialhilfe) betrage die Prämie der Mutter der Klägerin nur Fr. 280.30. 
Das angegebene Protokoll stammt aus dem Jahr 2003. Bereits der Umstand, dass die darin enthaltenen Angaben im Zeitpunkt des angefochtenen Urteils zwei Jahre alt waren, schliesst ein offensichtliches Versehen im Sinne von Art. 63 Abs. 2 OG aus, wenn das Obergericht die (aktuelle) Prämie auf Fr. 300.-- geschätzt hat. Die Berufung erweist sich insoweit als unbegründet. 
4.2 Weiter wirft der Beklagte dem Obergericht vor, das Einkommen der Mutter der Klägerin auf Fr. 3'250.-- festgelegt zu haben, ohne zu prüfen, ob die Behauptung, dass sie keine IV-Rente erhalte, zutreffe. Dieses Vorgehen verletze den Untersuchungsgrundsatz. Die Mutter der Klägerin erhalte eine IV-Rente für sich und die Klägerin von Fr. 3'500.-- netto. 
Diese Rüge geht insoweit an der Begründung des angefochtenen Entscheids vorbei, als das Obergericht nicht für entscheidwesentlich gehalten hat, ob die Mutter der Klägerin (noch) eine IV-Rente erhält. Es hat nämlich ausgeführt, es sei nicht von Belang, ob sie weiterhin eine IV-Rente beziehe. Ein Einkommen mindestens in derselben Höhe - durchschnittlich Fr. 3'250.-- pro Monat - erscheine zumutbar und sei ihr daher anzurechnen. 
Die Höhe des tatsächlichen Einkommens der Mutter der Klägerin stellt im Übrigen eine Tatfrage dar, welche im vorliegenden Verfahren nicht überprüft werden kann (Art. 63 Abs. 2 OG). Auf die - ohnehin nicht belegte - Behauptung, die Mutter der Klägerin erziele ein höheres tatsächliches Einkommen als vom Obergericht angenommen, kann damit nicht eingetreten werden. 
5. 
Damit ist die Berufung abzuweisen, soweit überhaupt darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beklagte grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Er schuldet der Klägerin, welche im vorliegenden Verfahren durch ihre Beiständin vertreten wurde, indes keine Parteientschädigung. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege der Klägerin wird damit gegenstandslos. 
6. 
Der Beklagte hat für das bundesgerichtliche Verfahren ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt. Diese ist einer Partei zu bewilligen, die bedürftig und deren Sache nicht aussichtslos ist (Art. 152 Abs. 1 OG). Als aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde (BGE 125 II 265 E. 4b S. 275; 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 f.). 
Im vorliegenden Fall konnte in weiten Teilen nicht auf das Rechtsmittel eingetreten werden, da im Berufungsverfahren nicht zulässige Rügen erhoben wurden. Auch soweit die Vorbringen materiell behandelt werden konnten, haben die Verlustgefahren von vornherein überwogen. Damit ist das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege des Beklagten wird abgewiesen. 
3. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beklagten auferlegt. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Zivilgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 28. März 2006 
Im Namen der II. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: