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[AZA 7] 
I 495/01 Bl 
 
III. Kammer 
 
Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; 
Gerichtsschreiber Schmutz 
 
Urteil vom 28. Juni 2002 
 
in Sachen 
D.________, 1966, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dr. Daniel Riner, Steinentorstrasse 13, 4051 Basel, 
 
gegen 
IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel, Beschwerdegegnerin, 
 
und 
Kantonale Rekurskommission für die Ausgleichskassen und die IV-Stellen, Basel 
 
A.- Mit Verfügung vom 15. November 1999 lehnte die IVStelle Basel-Stadt das Gesuch des 1966 geborenen D.________ um Zusprechung einer Invalidenrente ab, weil zwar körperlich schwere Arbeiten nicht mehr zumutbar seien, aber unter Berücksichtigung einer 25-prozentigen Einschränkung aus psychiatrischer Sicht noch eine Arbeitsfähigkeit von 75 % für leichte und mittelschwere Tätigkeiten bestehe und sich dabei eine nicht rentenbegründende Erwerbseinbusse von 5 % ergeben würde. 
B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde wies die Kantonale Rekurskommission für die Ausgleichskassen und die IVStellen, Basel (heute: Sozialversicherungsgericht BaselStadt), mit Entscheid vom 6. April 2001 ab. Sie stellte dabei auf die Gutachten der Rheumatologischen Universitätsklinik des Spitals X.________ vom 22. März 1999 und der Psychiatrischen Universitätspoliklinik des Kantonsspitals Z.________ vom 28. September 1999 ab. Zu dem im Verlaufe des Verfahrens eingereichten Gutachten von Dr. med. 
C.________, Spezialarzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 20. April 2000, in welchem der Arzt einen psychischen Gesundheitsschaden mit Krankheitswert diagnostiziert und die Verminderung der Arbeitsfähigkeit "auf Grund im Vordergrund zerebral-psychischer und im Hintergrund psychischer Ursache" auf 100 % geschätzt hatte, stellte die kantonale Rekursinstanz fest, es vermöge die Schlussfolgerungen im Gutachten der Psychiatrischen Universitätspoliklinik zur Arbeitsfähigkeit des Versicherten nicht in Frage zu stellen. Anders als die IV-Stelle gewährte sie dem Versicherten bei der Bestimmung des Invalideneinkommens einen leidensbedingten Abzug vom Tabellenlohn (15 %) und ermittelte so einen Invaliditätsgrad von 17 %. 
 
C.- D.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und es sei ihm eine ganze Invalidenrente zuzusprechen; eventualiter sei die Sache zwecks Einholung eines (psychiatrischen) (Ober-)Gutachtens an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Streitig ist, ob der Beschwerdeführer Anspruch auf eine Invalidenrente hat, wobei zunächst zu prüfen ist, ob die Sache zwecks Einholung eines weiteren medizinischen Gutachtens an die Vorinstanz zurückzuweisen ist. 
 
2.- Als Invalidität gilt nach Art. 4 Abs. 1 IVG die durch einen körperlichen oder geistigen Gesundheitsschaden als Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall verursachte, voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit. Das kantonale Gericht hat die hier massgebenden Bestimmungen und Grundsätze über den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG), die Bemessung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten (Einkommensvergleichsmethode [Art. 28 Abs. 2 IVG; BGE 113 V 28 Erw. 4a; siehe auch BGE 104 V 136 Erw. 2a und b]) und zur Aufgabe des Arztes im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 114 V 314, 105 V 158 Erw. 1; siehe auch BGE 115 V 134 Erw. 2) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
3.- Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 95 Abs. 2 OG in Verbindung mit Art. 113 und 132 OG) hat das Gericht die Beweise frei, d.h. ohne Bindung an förmliche Beweisregeln, sowie umfassend und pflichtgemäss zu würdigen. Für das vorliegende Verfahren bedeutet dies, dass das Gericht alle Beweismittel, unabhängig davon, von wem sie stammen, objektiv zu prüfen und danach zu entscheiden hat, ob die verfügbaren Unterlagen eine zuverlässige Beurteilung des streitigen Rechtsanspruches gestatten. Insbesondere darf es bei einander widersprechenden medizinischen Berichten den Prozess nicht erledigen, ohne das gesamte Beweismaterial zu würdigen und die Gründe anzugeben, warum es auf die eine und nicht auf die andere medizinische These abstellt. Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes ist entscheidend, ob der Bericht für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge und der medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen des Experten begründet sind. Ausschlaggebend für den Beweiswert ist grundsätzlich somit weder die Herkunft eines Beweismittels noch die Bezeichnung der eingereichten oder in Auftrag gegebenen Stellungnahme als Bericht oder Gutachten. 
Dennoch hat es die Rechtsprechung mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung als vereinbar erachtet, in Bezug auf bestimmte Formen medizinischer Berichte und Gutachten Richtlinien für die Beweiswürdigung aufzustellen (BGE 125 V 352 f. Erw. 3, 122 V 160 f. Erw. 1c, je mit Hinweisen). 
 
4.- a) In medizinischer Hinsicht ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer nicht mehr in der Lage ist, körperlich schwere Arbeiten auszuführen. Hingegen besteht nach der Einschätzung der Gutachter der Rheumatologischen Universitätsklinik des Spitals X.________ unter gewissen Voraussetzungen (Vermeiden von Überkopfarbeiten, Stellungswechsel bei der Arbeit, kein dauerndes Heben von Lasten über 15 Kilo) für leichte bis mittelschwere Arbeiten keine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit (Bericht vom 22. März 1999). Umstritten ist, inwieweit der Beschwerdeführer aus psychischen Gründen in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt ist. 
 
b) Die Ärzte der Psychiatrischen Universitätspoliklinik des Kantonsspitals Z.________, Dres. med. Y.________ und H.________, haben im Kurzgutachten zuhanden der IVStelle vom 28. September 1999 eine depressive Entwicklung bei thorakovertebralem und lumbospondylogenem Syndrom linksbetont diagnostiziert. Sie befanden, der Patient sei bewusstseinsklar und allseits orientiert, er wirke im Affekt leicht bedrückt und gespannt, sei im Denken inhaltlich auf die Schmerzen fixiert und leide unter Konzentrations- und Einschlafstörungen, Schwindel sowie Müdigkeit tagsüber; Wahrnehmungsstörungen oder Sinnestäuschungen seien keine feststellbar. Sie erachteten den Beschwerdeführer aus psychiatrischer Sicht zu 25 % arbeitsunfähig, begründeten diese Einschätzung aber nicht näher. Am 1. September 2000 beantworteten sie die ihnen von der IV-Stelle auf Grund des Privatgutachtens von Dr. med. C.________ und des Arztzeugnisses von Frau K.________ vom 13. Dezember 1999 gestellten Zusatzfragen. Nach einer erneuten Untersuchung des Beschwerdeführers gaben sie an, aus psychiatrischer Sicht hätten sie keine klinisch relevante organische Persönlichkeitsstörung im Sinne von ICD-10 F07. 0 und keine posttraumatische Belastungsstörung festgestellt. Dabei könne nicht ausgeschlossen werden, dass vom Autounfall vom Juni 1998 (Frontalkollision) oder einer Rauferei im Oktober 1995 her "depressive Symptome die somatische Folge" sein könnten. 
Sie bezeichneten den Untersuchten aus psychiatrischer Sicht als nach wie vor zu 25 % arbeitsunfähig. 
 
c) Der Psychiater Dr. med. C.________ stellte in einem Privatgutachten vom 20. April 2000 beim Beschwerdeführer die Diagnose "Organische Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F07. 0) nach Whiplash. V.a. vorbestehende asthenische Persönlichkeitsstörung. 
Somatisierungsstörung (ICD-10 F45. 0) (Bauch). Begrenzte Intelligenz. + Somatische Diagnosen". Er kam zum Schluss, der Untersuchte sei voll arbeitsunfähig und auf Grund fehlender Konzentration, allgemeiner Apathie und Desinteresse sicher nicht in der Lage, einer regelmässigen Arbeit nachzugehen. Der aktuelle Gesundheitszustand werde zur Hauptsache durch die zerebralen Folgen des im Juni 1998 erlittenen Verkehrsunfalls beeinflusst. Als weitere Ursachen der Arbeitsunfähigkeit führte er vorab auch etliche Faktoren aus dem soziokulturellen und psychosozialen Bereich an. Die praktische Ärztin Frau K.________ gab im Zeugnis vom 13. Dezember 1999 an, die persistierenden starken Schmerzen stünden im Zusammenhang mit einem unverarbeiteten psychischen Trauma vom November 1995. Der Beschwerdeführer habe eine reale Chance, wieder arbeitsfähig zu werden, wenn seine Schmerzen anerkannt würden und er eine psychotherapeutische Traumabehandlung bekomme. 
 
5.- a) Dem im Rahmen des Verwaltungsverfahrens eingeholten Gutachten der Fachärzte der Psychiatrischen Universitätspoliklinik Z.________ und ihrem Zusatzbericht kommt zwar ein gewisser Beweiswert zu und es sprechen an sich keine konkreten Indizien gegen die Unabhängigkeit der Experten und die Zuverlässigkeit der Expertise. Der gegen die Begutachtung durch Dr. med. H.________ vorgebrachte Einwand, dieser sei türkischstämmig und der Beschwerdeführer selber Kurde, womit zumindest nicht ausgeschlossen werden könne, dass die zwischen den beiden Volksgruppen bestehenden Spannungen bei der Berichterstattung nicht auch mitschwingen würden, ist unbegründet. Abgesehen davon, dass der Einwand nicht substanziiert ist, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht bereits wiederholt festgehalten, dass der Umstand allein, dass ein Gutachter einer andern Ethnie aus demselben geografischen Raum angehört als der Versicherte, nicht für eine Befangenheit ausreicht (AHI 2001 S. 116). Die hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes von der Rechtsprechung als entscheidend eingestuften Kriterien erfüllen das Kurzgutachten und der Zusatzbericht jedoch in dem Sinne nicht befriedigend, dass sie in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge und der medizinischen Situation etwas summarisch gehalten sind und die Schlussfolgerung (Arbeitsunfähigkeit von 25 % aus psychiatrischer Sicht) jeweils nicht begründet wird. 
Beim Parteigutachten von Dr. med. C.________ sind ebenfalls keine grundsätzlichen Zweifel am Beweiswert gerechtfertigt. 
Der Arzt hat sich in seiner Expertise auf Grund persönlicher Untersuchungen des Versicherten und in Kenntnis der medizinischen Vorakten zumindest ebenso umfassend, nachvollziehbar und folgerichtig wie die Gutachter der IV-Stelle zur Frage geäussert, ob beim Beschwerdeführer eine psychische Störung mit Krankheitswert vorliegt. Allerdings mangelt es ebenfalls an einer Begründung des geschätzten Grades der Arbeitsunfähigkeit (100 %). 
 
b) Es ist somit im Prinzip von einer Gleichwertigkeit der einander in den Schlussfolgerungen widersprechenden Gutachten auszugehen. Zur Beweiskraft beider Expertisen ist einschränkend zusätzlich anzumerken, dass die Sachverständigen bei ihrer Einschätzung auch Begründungselemente miteinbezogen haben, die in den von ihnen zu beurteilenden medizinischen Zusammenhängen voneinander abzugrenzen gewesen wären (psychosoziale und soziokulturelle Aspekte, fehlende Schulbildung und mangelnde Sprachkenntnisse) und für die Annahme einer (rentenbegründenden) Invalidität mit Zurückhaltung zu würdigen sind (BGE 127 V 294). 
Bei dieser Aktenlage drängt sich die Einholung eines weiteren Gutachtens auf, welches sich mit den Widersprüchen zwischen den verfügbaren Berichten befassen und Stellung nehmen wird, inwiefern sich ein beim Beschwerdeführer vorliegender psychischer Gesundheitsschaden mit Krankheitswert auf dessen Arbeitsfähigkeit auswirkt. Dabei sind auch die verschiedentlich genannten möglichen Ursachen näher zu beleuchten. 
Dazu ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, welche unter Gewährung des rechtlichen Gehörs das Obergutachten veranlassen und hernach erneut über den Leistungsanspruch des Beschwerdeführers befinden wird. Es wird dabei auch in Betracht zu ziehen sein, dass das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE 127 V 299 Erw. 5 unter Hinweis auf die Rechtsprechung präzisierend festgehalten hat, dass Art. 4 Abs. 1 IVG zu Erwerbsunfähigkeit führende Gesundheitsschäden versichert, worunter soziokulturelle Umstände nicht zu begreifen sind. Es braucht in jedem Fall zur Annahme einer Invalidität ein medizinisches Substrat, das (fach)ärztlicherseits schlüssig festgestellt wird und nachgewiesenermassen die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit wesentlich beeinträchtigt. Je stärker psychosoziale oder soziokulturelle Faktoren im Einzelfall in den Vordergrund treten und das Beschwerdebild mitbestimmen, desto ausgeprägter muss eine fachärztlich festgestellte psychische Störung von Krankheitswert vorhanden sein. Das bedeutet, dass das klinische Beschwerdebild nicht einzig in Beeinträchtigungen, welche von den belastenden soziokulturellen Faktoren herrühren, bestehen darf, sondern davon psychiatrisch zu unterscheidende Befunde zu umfassen hat, zum Beispiel eine von depressiven Verstimmungszuständen klar unterscheidbare andauernde Depression im fachmedizinischen Sinne oder einen damit vergleichbaren psychischen Leidenszustand. 
Solche von der soziokulturellen Belastungssituation zu unterscheidende und in diesem Sinne verselbstständigte psychische Störungen mit Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit sind unabdingbar, damit überhaupt von Invalidität gesprochen werden kann. Wo der Gutachter dagegen im Wesentlichen nur Befunde erhebt, welche in den psychosozialen und soziokulturellen Umständen ihre hinreichende Erklärung finden, gleichsam in ihnen aufgehen, ist kein invalidisierender psychischer Gesundheitsschaden gegeben (vgl. AHI 2000 S. 153 Erw. 3). Ist anderseits eine psychische Störung von Krankheitswert schlüssig erstellt, kommt der Frage zentrale Bedeutung zu, ob und inwiefern, allenfalls bei geeigneter therapeutischer Behandlung, von der versicherten Person trotz des Leidens willensmässig erwartet werden kann zu arbeiten (eventuell in einem geschützten Rahmen; vgl. Praxis 1997 Nr. 49 S. 255 Erw. 4b) und einem Erwerb nachzugehen (vgl. Hans-Jakob Mosimann, Somatoforme Störungen: Gerichte und [psychiatrische] Gutachten, in: SZS 1999 S. 1 ff. und 105 ff., insbes. S. 15 ff. 
mit zahlreichen Hinweisen auf die neuere medizinische Lehre; ferner Jacques Meine, L'expertise médicale en Suisse: 
satisfait-elle auf éxigences de qualité actuelles? in: SVZ 1999 S. 37 ff.). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I.In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde 
wird der Entscheid der Kantonalen Rekurskommission 
für die Ausgleichskassen und die IVStellen, 
Basel, vom 6. April 2001 aufgehoben und die 
Sache an das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt 
zurückgewiesen, damit es, nach Aktenergänzungen im 
Sinne der Erwägungen, über die Beschwerde gegen die 
Ablehnungsverfügung vom 15. November 1999 neu entscheide. 
 
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
III. Die IV-Stelle Basel-Stadt hat dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von Fr. 2000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
 
 
 
IV.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, der Ausgleichskasse BaselStadt und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
 
 
Luzern, 28. Juni 2002 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der III. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: