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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_233/2007 
 
Urteil vom 28. Juni 2007 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Lustenberger, Seiler, 
Gerichtsschreiber Traub. 
 
Parteien 
M.________, Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Albert Rüttimann, Friedhofstrasse 5, 5610 Wohlen, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau 
vom 27. März 2007. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die IV-Stelle des Kantons Aargau sprach M.________ mit Wirkung ab August 2002 eine ganze Invalidenrente zu (Verfügung vom 5. November 2004). Zudem hielt die Verwaltung fest, die Rente werde auf den 30. April 2004 befristet, weil der Invaliditätsgrad ab Mai 2004 weniger als 40 Prozent betrage. Gleichzeitig und in Widerspruch dazu stellte sie eine Nachzahlung von Rentenbetreffnissen bis Oktober 2004 und weitere periodische Leistungen in Aussicht. Im Zuge einer internen Revision erliess die IV-Stelle am 12. Oktober 2005 eine neue Verfügung, mit welcher sie ab Mai 2004 zu Unrecht bezogene Leistungen über Fr. 29'740.40 zurückforderte. Die hiergegen erhobene Einsprache wies die IV-Stelle ab (Entscheid vom 28. Dezember 2005). 
B. 
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies die dagegen erhobene Beschwerde ab (Entscheid vom 27. März 2007). 
C. 
M.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, Einsprache- und kantonaler Beschwerdeentscheid seien aufzuheben und "die Beschwerdegegnerin habe auf die Rückforderung geleisteter Invalidenrenten zu verzichten". 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf Vernehmlassung. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
Nach Art. 25 Abs. 1 ATSG sind unrechtmässig bezogene Leistungen zurückzuerstatten. Wer Leistungen in gutem Glauben empfangen hat, muss sie nicht zurückerstatten, wenn eine grosse Härte vorliegt. Über Rückforderung und - gegebenenfalls - Erlass derselben wird in der Regel in zwei Schritten verfügt (Art. 3 und 4 ATSV). Auf die Rückerstattung kann bereits im Rahmen der (ersten) Verfügung über die Rückforderung nur verzichtet werden, wenn offensichtlich ist, dass die Voraussetzungen für den Erlass gegeben sind (Art. 3 Abs. 3 ATSV). Der im Streit liegende Einspracheentscheid beschlägt nur die Frage der Rückforderung; in dessen Begründung heisst es, bei Eingang eines entsprechenden Gesuchs werde über den Erlass gesondert verfügt. Das kantonale Versicherungsgericht hat sich an den dadurch vorgegebenen Streitgegenstand gehalten und richtigerweise nichts zur Erlassfrage ausgeführt. Streitig und zu prüfen ist auch im letztinstanzlichen Verfahren allein die Frage der Rechtmässigkeit der Rückforderung an sich. 
2. 
2.1 Die vorinstanzliche Feststellung, die Beschwerdeführerin sei seit ihrem Austritt aus der Rehabilitationsklinik X.________ am 25. Februar 2004 in der Lage, einer angepassten leichten Tätigkeit vollumfänglich nachzugehen und damit ein rentenausschliessendes Einkommen zu erzielen, bindet das Bundesgericht grundsätzlich (Art. 97 Abs. 1 sowie Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG), zumal sie nicht bestritten wird. Danach hatte die Versicherte ab Mai 2004 keinen Anspruch mehr auf eine Invalidenrente. 
2.2 Die Verwaltung ging im Einspracheentscheid davon aus, mit Verfügung vom 5. November 2004 sei die Invalidenrente nur befristet zugesprochen worden. Folglich sei die Auszahlung der Leistung über April 2004 hinaus zu Unrecht erfolgt und das entsprechende Betreffnis zurückzufordern. Die Beschwerdeführerin macht - wie bereits in der kantonalen Beschwerdeschrift, so auch letztinstanzlich - geltend, im Dispositiv der Verfügung vom 5. November 2004 sei keine Befristung der Leistung angeordnet und somit rechtskräftig eine unbefristete Invalidenrente zugesprochen worden. Das kantonale Gericht nimmt einen ambivalenten Standpunkt ein: Einerseits erklärte es die Befristung zum Bestandteil des Dispositivs (E. 3.2), anderseits die Verwaltung für berechtigt, wiedererwägungsweise auf die Verfügung zurückzukommen (E. 3.2 und 3.3.). Die Frage einer Wiedererwägung stellt sich nur, wenn eine Befristung erst nachträglich in gültiger Weise angeordnet wurde. Eine Rückabwicklung des Anspruchsverhältnisses zufolge Verletzung der Meldepflicht (Art. 31 Abs. 1 ATSG und Art. 77 IVV; E. 3.4 der vorinstanzlichen Entscheidbegründung) wiederum ist im Kontext mit der Leistungsrevision zu sehen (Art. 85 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV), was eine nach der ursprünglichen Verfügung eingetretene Änderung in den anspruchserheblichen tatsächlichen Verhältnissen voraussetzte. 
2.3 
2.3.1 Die Verfügung vom 5. November 2004 enthält auf den ersten beiden Seiten tabellarische Darstellungen des periodischen Leistungsanspruchs respektive der nachzuzahlenden Betreffnisse sowie eine Aufstellung der Verfügungsadressaten. Erst auf der dritten Seite folgt eine Begründung der Anordnung unter den Zwischentiteln "Gesetzliche Grundlagen", "Abklärungsergebnis" und "Wir verfügen deshalb:". Auf der vierten und letzten Seite finden sich ein Hinweis zur Meldepflicht und die Rechtsmittelbelehrung. Jede Verfügung bedarf einer angemessenen Begründung. Schon aus diesem Grund kann es sich bei der - hier interessierenden - dritten Seite nicht bloss um ein einfaches Beiblatt ohne Verfügungsqualität handeln. Dass die Befristung im eigentlichen Dispositiv der Verfügung enthalten ist, ergibt sich formal daraus, dass dem betreffenden Abschnitt die Wendung "Wir verfügen deshalb" vorangestellt wurde. Auf der ersten Seite des Verwaltungsaktes ist denn auch dessen Gesamtumfang von vier Seiten ausdrücklich vermerkt. Bei dieser Ausgangslage nicht einschlägig ist das Urteil I 353/01 vom 25. Februar 2003 (E. 4.1.1), wonach die Eröffnung verfügungsbedürftiger Elemente, zu welchen eine Rentenbefristung gehöre, lediglich auf einem Beiblatt "schon im Hinblick auf die Gefahr späterer Beweisschwierigkeiten nicht ohne weiteres als genügend erachtet werden" könne. Auf dem Abrechnungsblatt - zweite Seite der Verfügung - sind zwar eine Nachzahlung bis Oktober 2004 sowie die laufende Leistung per November 2004 aufgeführt; dabei handelt es sich aber um eine offensichtlich irrtümliche, vom Verfügungsdispositiv abweichende Angabe über die Abwicklung des Leistungsanspruchs. 
2.3.2 Gilt die Befristung als formell rechtskräftig verfügt und steht damit das Schicksal verfügungswidriger Rentenzahlungen zur Beurteilung an, so liegt der Rückforderung nicht die Wiedererwägung einer formell rechtskräftigen Rentenzusprache (wegen zweifelloser Unrichtigkeit und erheblicher Bedeutung der Berichtigung: Art. 53 Abs. 2 ATSG; vgl. Urteile I 353/01 vom 25. Februar 2003, E. 4.1.3 und 4.2, sowie I 222/02 vom 19. Dezember 2002, E. 6) zugrunde; anders verhielt es sich im Fall I 308/03 (Urteil vom 22. September 2003) insofern, als dort eine befristet zu verfügende Rente versehentlich effektiv unbefristet verfügt wurde und eine Rückforderung daher nur unter dem Titel der Wiedererwägung erfolgen konnte. Nach Art. 25 Abs. 1 ATSG sind auch verfügungswidrig ausgerichtete als unrechtmässig bezogene Leistungen zurückzuerstatten, ohne dass in diesen Fällen die Pflicht zur Rückzahlung - wie bei der Wiedererwägung fehlerhafter formell rechtskräftiger Verwaltungsakte - einschränkenden Voraussetzungen unterworfen wäre. 
2.4 An dieser Stelle ist nicht zu entscheiden, ob die Beschwerdeführerin aufgrund der Ausgestaltung der Verfügung vom 5. November 2004, insbesondere der darin enthaltenen Abrechnung bis Ende Oktober 2004 und darüber hinaus, in guten Treuen davon ausgehen durfte, sie habe auch ab Mai 2004 noch einen Rentenanspruch. Dies betrifft nicht die Frage der Zulässigkeit einer Rückforderung, sondern diejenige des guten Glaubens, welche erst im allenfalls nachfolgenden Erlassverfahren zu prüfen sein wird (Art. 25 Abs. 1 Satz 2 ATSG; vgl. vorne E. 1). 
3. 
Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 65 f. BGG). Parteientschädigung ist keine auszurichten (Art. 68 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, der Ausgleichskasse EXFOUR, Basel, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt. 
Luzern, 28. Juni 2007 
 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: