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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
4P.56/2003 /lma 
 
Sitzung vom 28. Oktober 2003 
I. Zivilabteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Corboz, Präsident, 
Bundesrichter Walter, Bundesrichterinnen Klett, Rottenberg Liatowitsch, Bundesrichter Favre, 
Gerichtsschreiberin Schoder. 
 
Parteien 
A.________, 
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Hans Suppiger, Seidenhofstrasse 12, 6003 Luzern, 
 
gegen 
 
B.________ AG, 
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans Beeli, Buchenstrasse 5, Postfach, 6210 Sursee, 
Obergericht des Kantons Luzern, I. Kammer als Appellationsinstanz. 
 
Gegenstand 
Art. 9 und 29 Abs. 2 BV (Zivilprozess; Beweiswürdigung; rechtliches Gehör), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern, I. Kammer als Appellationsinstanz, vom 11. Februar 2003. 
 
Sachverhalt: 
A. 
A.________ (nachfolgend: die Beschwerdeführerin) war seit dem 1. Februar 1995 bei der B.________ AG (nachfolgend: die Beschwerdegegnerin) tätig. Sie war teilzeitlich beschäftigt und konnte ihre Arbeitszeit flexibel einteilen. Die Beschwerdeführerin arbeitete zu einem Stundenlohn von Fr. 25.50, inklusive Ferien- und Freizeitentschädigung sowie Anteil am dreizehnten Monatslohn. Ab dem 1. Februar 2000 erschien sie nicht mehr zur Arbeit. Am 29. April 2000 gebar sie ein Kind. 
B. 
Mit Klage vom 30. Mai 2001 ersuchte die Beschwerdeführerin das Amtsgericht Sursee, die Beschwerdegegnerin zur Zahlung von Fr. 41'220.85 nebst Zins zu verurteilen. Die Forderung setzte sich zusammen aus einer Ferienentschädigung, Lohnzuschlägen zur Abgeltung der Feiertage und des dreizehnten Monatslohns sowie Forderungen aus der Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers wegen Schwangerschaft und wegen Krankheit. In einer Ergänzungseingabe vom 21. Januar 2002 behauptete die Beschwerdeführerin, dass die Beschwerdegegnerin die Mindestlohnvorschriften des Gesamtarbeitsvertrages Viscom - GDP/SGG/SLB (nachfolgend: GAV) verletzt hatte. Die eingeklagte Forderung bezifferte sie neu auf insgesamt Fr. 35'008.35 nebst Zins. 
 
Mit Urteil vom 17. April 2002 hiess das Amtsgericht Sursee die Klage bezüglich der Ferienentschädigung und des Anspruchs auf Lohnfortzahlung des Arbeitgebers wegen Schwangerschaft im Umfang von insgesamt Fr. 13'050.35 nebst 5% Zins seit dem 13. Oktober 2000 gut. Im darüber hinausgehenden Betrag wies das Amtsgericht die Forderung ab. Auf die Vorbringen in der Ergänzungseingabe trat es nicht ein. Die von der Beschwerdeführerin erhobene Appellation wies das Obergericht des Kantons Luzern mit Urteil vom 11. Februar 2003 ab. 
C. 
Die Beschwerdeführerin hat gegen das Urteil des Obergerichts sowohl staatsrechtliche Beschwerde als auch Berufung erhoben. Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragt sie, das Urteil des Obergerichts aufzuheben. Die Beschwerdegegnerin schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Obergericht beantragt ebenfalls, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Das Obergericht wies die Klage der Beschwerdeführerin auf Lohnfortzahlung infolge krankheitsbedingter Absenzen während sechs Wochen im Jahr 1999 und in der Zeit vom 31. Januar 2000 bis zum 17. April 2000 ab. Es lastet der Beschwerdeführerin eine Verletzung der Obliegenheit zur zeugnismässigen Belegung ihrer krankheitsbedingten Absenzen innert der von Art. 212 Abs. 2 GAV vorgeschriebenen Frist an. Die Beschwerdeführerin habe nicht einmal behauptet, dieser Pflicht nachgekommen zu sein, und sie habe die betreffende Unterlassung auch nicht begründet. 
1.2 Die Beschwerdeführerin bringt vor, sie habe in ihrer Appellationsbegründung vom 29. August 2002 dargelegt, der bei der Beschwerdegegnerin angestellten Buchhalterin C.________ anlässlich der ersten krankheitsbedingten Absenz ein ärztliches Zeugnis vorgelegt zu haben. Diese habe das Arztzeugnis aber in den Papierkorb geworfen und dazu bemerkt, die Abgabe eines Arztzeugnisses sei nicht notwendig, da von Seiten des Arbeitgebers im Krankheitsfall keine Leistungen erbracht werden. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung ihres Gehörsanspruchs (Art. 29 Abs. 2 BV). 
1.3 Soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, das Obergericht habe ihren Gehörsanspruch verletzt, indem es eine behauptete Tatsache als unbehauptet ausgebe, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Nach Art. 84 Abs. 2 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde nur zulässig, wenn die behauptete Rechtsverletzung beim Bundesgericht nicht sonstwie gerügt werden kann. Nach Art. 55 Abs. 1 lit. d und Art. 63 Abs. 2 OG kann mit Berufung geltend gemacht werden, eine tatsächliche Feststellung des kantonalen Gerichts beruhe auf einem offensichtlichen Versehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts enthalten diese beiden Bestimmungen eine Ausnahme vom Grundsatz, dass das Bundesgericht als Berufungsinstanz an die tatsächlichen Feststellungen der letzten kantonalen Instanz gebunden ist und nur die Rechtsanwendung zu überprüfen hat. Beim richtigen oder unrichtigen Wahrnehmen einer Aktenstelle, sei diese in einer Beweisurkunde oder, wie bei Behauptungen und Bestreitungen, in einer Rechtsschrift enthalten, handelt es sich um einen rein tatsächlichen Vorgang, der mit der Auslegung oder Anwendung des kantonalen Prozessrechts nichts zu tun hat (BGE 96 I 193 E. 3 S. 198). Folgerichtig müsste die Beschwerdeführerin die Rüge, das Obergericht habe eine rechtserhebliche Sachbehauptung nicht zur Kenntnis genommen, dem Bundesgericht mit der Versehensrüge im Berufungsverfahren (Art. 63 Abs. 2 OG) unterbreiten. 
 
Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, das Obergericht habe ihren Gehörsanspruch verletzt, indem es ihren Antrag auf Zeugenbefragung der Buchhalterin überging, ist sie ebenfalls nicht zu hören. Nach der Rechtsprechung umfasst der in Art. 29 Abs. 2 BV verankerte Gehörsanspruch für das entscheidende Gericht die Pflicht, die ihm rechtzeitig und formgültig angebotenen Beweismittel zu rechtserheblichen Tatsachen abzunehmen (BGE 127 I 54 E. 2b S. 56, mit Hinweisen), wobei gemäss Art. 90 Abs. 1 lit. b OG in der Beschwerdeschrift darzulegen ist, inwiefern das angefochtene Urteil den Gehörsanspruch verletzt. Das Bundesgericht prüft nur klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen (BGE 129 I 185 E. 1.6 S. 189). Die Beschwerdeführerin legt nicht rechtsgenüglich dar, inwiefern die behauptete Annahmeverweigerung eines angeblich persönlich übergebenen Arztzeugnisses rechtserheblich sei und eine rechtserhebliche Tatsache unbewiesen geblieben ist. Die Beschwerde genügt den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG somit nicht, weshalb auf die im Zusammenhang mit der rechtzeitigen Einreichung eines Arztzeugnisses erhobene Beschwerde nicht einzutreten ist. 
2. 
2.1 Das Obergericht schützt den Standpunkt des Amtsgerichts, dass die Beschwerdeführerin die gesundheitsbedingte Arbeitsverhinderung nicht habe beweisen können. Mit Bezug auf die ins Recht gelegten Arztzeugnisse, welche die Absenzen der Beschwerdeführerin belegen sollen, bemängelt das Obergericht, dass diese nicht datiert oder lange nach der bestätigten Abwesenheit ausgestellt worden seien. Unter diesen Umständen könne auf die beantragte Zeugeneinvernahme der Ärzte verzichtet werden. 
2.2 Die Beschwerdeführerin rügt einerseits eine Verletzung des Gehörsanspruchs (Art. 29 Abs. 2 BV), anderseits eine Verletzung des Willkürverbots (Art. 9 BV). 
2.3 Der verfassungsrechtliche Gehörsanspruch schliesst eine vorweggenommene Beweiswürdigung nicht aus. Das Gericht kann auf die Abnahme beantragter Beweise verzichten, wenn es aufgrund bereits abgenommener Beweise seine Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür in vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen kann, seine Überzeugung werde durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert (BGE 122 II 464 E. 4a S. 469, mit Hinweisen). Willkürlich ist eine vorweggenommene Beweiswürdigung nicht schon dann, wenn eine andere als die vom kantonalen Gericht gewählte Lösung ebenfalls vertretbar oder gar vorzuziehen wäre. Willkürlich ist ein Entscheid vielmehr erst, wenn er offensichtlich unhaltbar ist. Dem Sachgericht steht bei der Beweiswürdigung ein weiter Ermessensspielraum zu (BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9; 120 Ia 31 E. 4b S. 40). 
2.4 Das Amtsgericht, dessen Ausführungen gemäss Obergericht nicht zu beanstanden sind, geht davon aus, dass die aufgrund der fehlenden oder nachträglichen Datierung vorliegenden Zweifel an der beweismässigen Schlüssigkeit der Arztzeugnisse durch eine Zeugenbefragung der Chefärzte des Kantonsspitals Luzern, D.________ und E.________, nicht behoben werden könnten. 
 
Dieses Beweisergebnis mag diskutabel sein, ist aber nicht willkürlich. Die behaupteten Krankheitsfälle ereigneten sich in den Jahren 1999 und 2000. Die kantonalen Gerichte gehen deshalb davon aus, dass nach so langer Zeit nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bestätigt werden kann, ob und in welchem Ausmass die Beschwerdeführerin tatsächlich arbeitsunfähig war. Die beweismässige Schlussfolgerung der kantonalen Gerichte, dass die Ärzte nur aussagen könnten, was in den von ihnen ausgestellten Arztzeugnissen bereits steht, ist jedenfalls nicht unhaltbar. Das Obergericht berücksichtigt zur Untermauerung seiner Auffassung zudem, dass die Beschwerdeführerin in den Lohnabrechnungen nie darauf hingewiesen hatte, einen krankheitsbedingten Lohnfortzahlungsanspruch zu haben. Unter dem Blickwinkel der Willkür ist das angefochtene Urteil deshalb nicht zu beanstanden, und die Beschwerde ist insoweit abzuweisen. 
3. 
Bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten wird den Parteien nur dann keine Gerichtsgebühr auferlegt, wenn der Streitwert unter Fr. 30'000.-- liegt (Art. 343 Abs. 3 OR). Der Streitwert bemisst sich nach der eingeklagten Forderung (Art. 343 Abs. 2 OR), wobei darunter der vor erster Instanz gestellte Anspruch zu verstehen ist. Auch von den Rechtsmittelinstanzen ist die in Art. 343 Abs. 2 und 3 OR vorgesehene Ko- stenbefreiung nur dann einzuhalten, wenn die ursprünglich eingeklagte Forderung die Streitwertgrenze nicht übersteigt (BGE 115 II 30 E. 5b S. 4, mit Hinweisen). 
 
Da vorliegend der Streitwert ursprünglich Fr. 35'008.35 betrug, ist das Verfahren vor Bundesgericht nicht kostenlos. Ausgangsgemäss hat die Beschwerdeführerin die Gerichtsgebühr zu tragen und der Beschwerdegegnerin eine Parteientschädigung zu entrichten (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 1 und 2 OG). 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt. 
3. 
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, I. Kammer als Appellationsinstanz, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, den 28. Oktober 2003 
Im Namen der I. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: