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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_1337/2017  
 
 
Urteil vom 29. Mai 2018  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Bundesrichter Oberholzer, 
Gerichtsschreiber Faga. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Fricker, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
2. A.________, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Angriff, versuchte schwere Körperverletzung, mehrfache Beschimpfung; Beweiswürdigung, Grundsatz in dubio pro reo etc. 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, vom 21. September 2017 (SST.2016.380). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 12. Oktober 2014 fand auf dem Festgelände der "B.________" in C.________ eine tätliche Auseinandersetzung statt. X.________ und Y.________ gingen auf A.________ los, wobei Y.________ A.________ mit einem heftigen Faustschlag zu Boden brachte. X.________ und Y.________ wird vorgeworfen, in der Folge während fünf bis zehn Sekunden mehrfach und mit einer gewissen Heftigkeit gegen den am Boden liegenden A.________ getreten zu haben. Beide hätten auch gegen den Kopf getreten und erst von A.________ abgelassen, als Dritte eingegriffen hätten. A.________ erlitt ein leichtes Schädelhirntrauma, zwei Riss-Quetsch-Wunden an der Ober- und Unterlippe sowie einen ossären Ausriss des 11er-Schneidezahns. 
 
B.  
Das Obergericht des Kantons Aargau sprach X.________ am 21. September 2017 im Berufungsverfahren gegen ein Urteil des Bezirksgerichts Muri vom 7. September 2016 zweitinstanzlich des Angriffs, der versuchten schweren Körperverletzung und der mehrfachen Beschimpfung schuldig. Weiter stellte es die Rechtskraft des erstinstanzlichen Freispruchs vom Vorwurf der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte fest. Das Obergericht verurteilte X.________ zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 21 Monaten unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft von 23 Tagen. Den zu vollziehenden Teil der Freiheitsstrafe legte es auf zehn Monate und die Probezeit auf vier Jahre fest. Weiter auferlegte es X.________ eine unbedingte Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 30.--. Nebst dem in Rechtskraft erwachsenen Schadenersatz von Fr. 371.60 wurde X.________ verpflichtet, A.________ eine Genugtuung von Fr. 3'000.-- zu leisten. 
 
C.  
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt zusammengefasst, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei er vom Vorwurf der versuchten schweren Körperverletzung und der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte freizusprechen. Er sei wegen Angriffs und mehrfacher Beschimpfung zu verurteilen und mit einer bedingten Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu Fr. 30.-- bei einer Probezeit von vier Jahren zu bestrafen. Zudem ersucht X.________ um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz eine willkürliche Beweiswürdigung sowie die Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" als Beweiswürdigungs- und Beweislastregel vor (Beschwerde S. 3 ff.). 
 
1.1. Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 143 IV 241 E. 2.3.1 S. 244; 143 I 310 E. 2.2 S. 313; je mit Hinweis; vgl. zum Begriff der Willkür BGE 143 IV 241 E. 2.3.1 S. 244; 141 III 564 E. 4.1 S. 566; je mit Hinweisen).  
Inwiefern das Sachgericht den Grundsatz "in dubio pro reo" als Beweiswürdigungsregel verletzt hat, prüft das Bundesgericht ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der Willkür. Ob dieser Grundsatz als Beweislastregel verletzt ist, prüft es hingegen mit freier Kognition. Diese aus der Unschuldsvermutung abgeleiteten Maximen wurden wiederholt dargelegt, worauf zu verweisen ist (BGE 127 I 38 E. 2a S. 40 f. mit Hinweisen). 
Die Rüge der Verletzung von Grundrechten (einschliesslich Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung) muss in der Beschwerde anhand des angefochtenen Entscheids präzise vorgebracht und substanziiert begründet werden, anderenfalls darauf nicht eingetreten wird (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 142 III 364 E. 2.4 S. 368; 142 II 206 E. 2.5 S. 210; 142 I 135 E. 1.5 S. 144; je mit Hinweisen). 
 
1.2. Die Vorinstanz gelangt zur Überzeugung, dass der Beschwerdeführer und Y.________ während rund fünf bis zehn Sekunden mehrfach und mit einer gewissen Heftigkeit auf den am Boden liegenden A.________ (Beschwerdegegner 2) eintraten, nachdem dieser von Y.________ mit einem heftigen Faustschlag ins Gesicht zu Boden gebracht worden war.  
Nach den vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen führten beide Aggressoren die Fusstritte unter anderem gegen den Kopf des Opfers aus. Die Vorinstanz würdigt zu dieser letzten Phase der Auseinandersetzung die Aussagen des Opfers sowie die Zeugenaussagen zweier Frauen, in deren Begleitung der Beschwerdeführer und Y.________ waren (Entscheid S. 11 ff.). 
 
1.3. Der Beschwerdeführer stellt sich zusammengefasst auf den Standpunkt, keine der befragten Personen habe bestätigen können, dass er dem Beschwerdegegner 2 Fusstritte gegen den Kopf verpasst habe. Die Vorinstanz stelle den Sachverhalt aktenwidrig und damit offensichtlich unrichtig fest (Beschwerde S. 6 ff.).  
Was der Beschwerdeführer im Einzelnen vorbringt, vermag keine Willkür und keine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" als Beweiswürdigungsregel darzutun. Er unterstreicht, D.________, Y.________ und der Beschwerdegegner 2 hätten nicht bestätigt respektive aus deren Aussagen ergebe sich nicht, dass er es gewesen sei, der gegen den Kopf des Beschwerdegegners 2 getreten habe. Diese Argumentation dringt nicht durch. Dass in den genannten Aussagen der Beschwerdeführer nicht als Urheber von Tritten gegen den Kopf des Opfers bezeichnet wird, trifft zu, verkennt die Vorinstanz aber nicht. Der Beschwerdeführer erhebt die Rüge der Aktenwidrigkeit deshalb ohne Grund. 
In Bezug auf die Zeugenaussagen von E.________ führt der Beschwerdeführer aus, die Zeugin habe ihre Aussagen gegenüber der Kantonspolizei vom 28. Oktober 2014 anlässlich der Berufungsverhandlung relativiert und korrigiert. So habe laut Zeugin nicht (wie bei der Kantonspolizei ausgeführt) er, sondern Y.________ dem Beschwerdegegner 2 den ersten Faustschlag verpasst. Auf Vorhalt ihrer früheren Aussagen, wonach er (der Beschwerdeführer) gegen das Gesicht des Opfers und Y.________ gegen den Rücken- und Halsbereich getreten hätten, habe die Zeugin zu Protokoll gegeben, einer habe vorne und einer hinten gestanden. Wer vorne und wer hinten gestanden habe, wisse sie nicht mehr. Die Zeugin habe weiter festgehalten, möglicherweise bei der ersten Einvernahme am 28. Oktober 2014 die Namen der Angreifer vertauscht zu haben. Deshalb hätte die Vorinstanz zum Schluss gelangen müssen, dass er dem Beschwerdegegner 2 keine Fusstritte gegen den Kopf verpasst habe. 
Diese Argumentation vermag die vorinstanzliche Beweiswürdigung, wonach (auch) der Beschwerdeführer gegen den Kopf des am Boden liegenden Opfers trat, nicht zu erschüttern. Richtig ist, dass die Zeugin in der Berufungsverhandlung neu Y.________ und nicht den Beschwerdeführer als Urheber des ersten Faustschlags bezeichnete. Auf Frage, ob sie denke, dass die Namen vertauscht worden seien, hielt die Zeugin fest, dies könne sein, sie wisse es nicht (vorinstanzliche Akten pag. 122 ff.). Diese Relativierung betrifft theoretisch auch die weiteren gegenüber der Kantonspolizei geschilderten Beobachtungen. Denkbar ist mithin, dass die Zeugin den Namen des ersten Aggressors vertauschte und derselbe Fehler darüber hinaus auch die Schilderung der Tritte gegen das am Boden liegende Opfer beschlägt. Möglich ist also, dass die Zeugin bei der Kantonspolizei im Zusammenhang mit dem ersten Schlag zwar den Namen des Beschwerdeführers nannte aber Y.________ meinte und zudem mit ihren Aussagen, der Beschwerdeführer habe gegen das Gesicht respektive in Richtung Kopf und Y.________ gegen den Rücken-/Halsbereich respektive in den Hinterkopf des Opfers getreten (vgl. Akten der Staatsanwaltschaft pag. 115 f.), in Wahrheit festhalten wollte, Y.________ habe gegen das Gesicht respektive in Richtung Kopf und der Beschwerdeführer gegen den Rücken-/Halsbereich respektive in den Hinterkopf des Opfers getreten. Dieser Umstand vermag zwar die Glaubhaftigkeit der Aussagen bei der Kantonspolizei theoretisch in Zweifel zu ziehen. Der Beschwerdeführer legt hingegen nicht dar, dass das vorinstanzliche Beweisergebnis schlechterdings nicht mehr vertretbar sein sollte. 
Es muss nicht näher beleuchtet werden, ob die Zeugin die Namen der Aggressoren tatsächlich vertauschte, wobei zumindest die von ihr zu Protokoll gegebenen Signalemente eher gegen eine Verwechslung sprechen (vgl. die Akten der Staatsanwaltschaft pag. 114, 116 und 191). Selbst wenn die Vorinstanz dem Beschwerdeführer Tritte gegen das Gesicht des Opfers, wie von der Zeugin E.________ gegenüber der Kantonspolizei geschildert, zurechnete, könnte dies nicht als unhaltbar und damit als willkürlich bezeichnet werden. Hingegen wirft die Vorinstanz dem Beschwerdeführer vor, gegen den Kopf des Opfers getreten zu haben. Diese Feststellung stimmt mit den Aussagen gegenüber der Kantonspolizei überein. Sie lässt sich aber auch ohne Weiteres mit den Aussagen von E.________ anlässlich der Berufungsverhandlung in Übereinstimmung bringen. Die Zeugin hielt zwar fest, nicht mehr zu wissen, wer wo gestanden habe. Jedoch hätten beide Täter "in den Kopf, den Körper, überall" getreten (vorinstanzliche Akten pag. 123). Irrelevant ist letztlich, wer von vorne und wer von hinten gegen den Kopfbereich des Opfers trat. 
Ebenso wenig verletzt die Vorinstanz entgegen der Rüge des Beschwerdeführers die aus der Unschuldsvermutung abgeleitete Beweislastregel. Die Vorinstanz stützt den Schuldspruch auf verschiedene Zeugenaussagen und würdigt das Aussageverhalten des Beschwerdeführers und von Y.________. Sie stützt den Schuldspruch nicht auf den Vorwurf, der Beschwerdeführer habe seine Unschuld nicht nachgewiesen. Auch geht sie nicht davon aus, der Beschwerdeführer habe seine Unschuld zu beweisen. Mithin überbindet sie ihm offenkundig nicht die Beweislast. 
Insgesamt zeigt der Beschwerdeführer nicht auf, dass und inwiefern das vorinstanzliche Beweisergebnis schlechterdings nicht mehr vertretbar sein sollte, und eine Verletzung der Unschuldsvermutung ist nicht ersichtlich. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet, soweit sie den Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG zu genügen vermag. 
 
1.4. Die Vorinstanz hat in ihren Erwägungen in Bezug auf die kantonspolizeiliche Zeugeneinvernahme einen Protokollierungsfehler respektive eine Verwechslung der Namen thematisiert. Sie legt entgegen dem Dafürhalten des Beschwerdeführers rechtsgenügend dar, weshalb sie die Aussagen der Zeugin E.________ dennoch als glaubhaft einschätzt und auf diese abstellt. Damit konnte sich der Beschwerdeführer über die Tragweite des vorinstanzlichen Entscheids Rechenschaft geben. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor (vgl. betreffend die Anforderungen an die Entscheidmotivation BGE 143 III 65 E. 5.2 S. 70 f. mit Hinweisen).  
 
2.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Der Beschwerdeführer wird ausgangsgemäss kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist abzuweisen, da die Beschwerde von vornherein aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 BGG e contrario). Seinen angespannten finanziellen Verhältnissen ist mit reduzierten Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). Dem Beschwerdegegner 2 ist keine Entschädigung zuzusprechen, da ihm im bundesgerichtlichen Verfahren keine Umtriebe entstanden sind. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 29. Mai 2018 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Faga