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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_224/2021  
 
 
Urteil vom 29. November 2021  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Stadelmann, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin Moser-Szeless, 
nebenamtlicher Bundesrichter Kradolfer, 
Gerichtsschreiberin Nünlist. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Margot Benz, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 19. Februar 2021 (IV 2019/48). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Verfügung vom 1. Februar 2013 wies die IV-Stelle des Kantons St. Gallen den Anspruch des 1966 geborenen A.________ auf eine Invalidenrente ab (bestätigt durch den Entscheid des Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen vom 5. März 2015). Medizinische Grundlage hierfür bildete ein Gutachten der MEDAS Ostschweiz vom 29. Februar 2012, unter anderem in der Fachdisziplin Psychiatrie. 
Am 10. August 2016 meldete sich der Versicherte erneut bei der Eidgenössischen Invalidenversicherung (IV) zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle tätigte daraufhin neuerliche Abklärungen, insbesondere liess sie A.________ durch Prof. Dr. med. habil. C.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Neurologie, psychiatrisch begutachten (Expertise vom 24. Februar 2018). Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren wies sie den Anspruch auf eine Invalidenrente mit Verfügung vom 24. Januar 2019 wiederholt ab. 
 
B.  
Die hiergegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 19. Februar 2021 ab. 
 
C.  
Der Versicherte lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen, es sei ihm unter Aufhebung des angefochtenen Entscheids ab 1. August 2017 eine ganze Invalidenrente auszurichten. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. 
Mit Verfügung vom 13. Juli 2021 wies das Bundesgericht das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege mangels Bedürftigkeit ab und forderte den Beschwerdeführer auf, innert 14 Tagen seit Empfang der Verfügung einen Kostenvorschuss von Fr. 800.- einzuzahlen. Dieser wurde am 9. August 2021 geleistet. Mit Schreiben vom 16. August 2021 zeigte der Beschwerdeführer eine per Ende August 2021 in Aussicht stehende Veränderung der familiären Verhältnisse (Auszug der Tochter aus dem gemeinsamen Haushalt) an und bat das Bundesgericht, allenfalls auf den Entscheid betreffend unentgeltliche Rechtspflege zurückzukommen. 
In ihrer Beschwerdeantwort vom 8. September 2021 beantragt die Beschwerdegegnerin die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).  
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 130 III 136 E. 1.4). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1). 
 
1.2. Das vom Beschwerdeführer neu eingereichte Schreiben des Dr. med. D.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 8. März 2021 ist als echtes Novum von vornherein unzulässig (vgl. Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 143 V 19 E. 1.2 mit Hinweisen).  
 
2.  
 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob Bundesrecht verletzt wurde, indem die Vorinstanz den Rentenanspruch des Beschwerdeführers verneint hat.  
 
2.2.  
 
2.2.1. Die für die Beurteilung der Streitsache massgeblichen rechtlichen Grundlagen wurden im angefochtenen Entscheid zutreffend dargelegt. Es betrifft dies insbesondere die Bestimmungen und Grundsätze zur Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG, Art. 7 ATSG; vgl. auch Art. 6 ATSG zur Arbeitsunfähigkeit) sowie zur Beweiskraft medizinischer Grundlagen (BGE 125 V 351 E. 3a und 3b; 125 V 256 E. 4; je mit Hinweisen; Urteil 9C_463/2013 vom 13. Januar 2014 E. 2.2 mit Hinweis). Gleiches gilt hinsichtlich der im Zusammenhang mit einer Neuanmeldung geltenden Grundsätze (Art. 17 Abs. 1 ATSG, vgl. auch Art. 86ter -88 bis IVV; BGE 141 V 9 E. 2.3 und 6.1; 133 V 108; 130 V 71 E. 3.2.3). Darauf wird verwiesen.  
 
2.2.2. Zu ergänzen ist, dass eine allfällige Arbeitsunfähigkeit bei psychischen Leiden (BGE 143 V 409 E. 4.2.1; 143 V 418; 141 V 281) mittels eines strukturierten Beweisverfahrens zu beurteilen ist. Dessen Wesen besteht darin, das tatsächlich erreichbare Leistungsvermögen anhand eines Kataloges von (Standard-) Indikatoren, unterteilt in die Kategorien "funktioneller Schweregrad" (mit den Komplexen Gesundheitsschädigung [Ausprägung der diagnoserelevanten Befunde, Behandlungs- und Eingliederungserfolg oder -resistenz, Komorbiditäten], Persönlichkeit und sozialer Kontext) und "Konsistenz" (gleichmässige Einschränkung des Aktivitätenniveaus in allen vergleichbaren Lebensbereichen, behandlungs- und eingliederungsanamnestisch ausgewiesener Leidensdruck; BGE 141 V 281 E. 4.1.3) einzuschätzen, dies unter Berücksichtigung sowohl leistungshindernder äusserer Belastungsfaktoren als auch von Kompensationspotentialen (Ressourcen; BGE 141 V 281 E. 3.6).  
Bei ihrer Einschätzung des Leistungsvermögens haben sich sowohl die medizinischen Sachverständigen als auch die Organe der Rechtsanwendung an den normativen Vorgaben zu orientieren; die Gutachter im Idealfall gemäss der entsprechend formulierten Fragestellung. Die Rechtsanwender prüfen die medizinischen Angaben frei insbesondere daraufhin, ob die Ärzte sich an die massgebenden normativen Rahmenbedingungen gehalten haben und ob und in welchem Umfang die ärztlichen Feststellungen anhand der rechtserheblichen Indikatoren auf Arbeitsunfähigkeit schliessen lassen. Im Rahmen der Beweiswürdigung obliegt es den Rechtsanwendern zu überprüfen, ob in concreto ausschliesslich funktionelle Ausfälle bei der medizinischen Einschätzung berücksichtigt wurden und ob die Zumutbarkeitsbeurteilung auf einer objektivierten Grundlage erfolgte. Es soll keine losgelöste juristische Parallelüberprüfung nach Massgabe des strukturierten Beweisverfahrens stattfinden, sondern im Rahmen der Beweiswürdigung überprüft werden, ob die funktionellen Auswirkungen medizinisch anhand der Indikatoren schlüssig und widerspruchsfrei festgestellt wurden und somit den normativen Vorgaben Rechnung tragen. Entscheidend bleibt letztlich immer die Frage der funktionellen Auswirkungen einer Störung, welche im Rahmen des Sozialversicherungsrechts abschliessend nur aus juristischer Sicht beantwortet werden kann. Nach BGE 141 V 281 kann somit der Beweis für eine lang andauernde und erhebliche gesundheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nur dann als geleistet betrachtet werden, wenn die Prüfung der massgeblichen Beweisthemen im Rahmen einer umfassenden Betrachtung ein stimmiges Gesamtbild einer Einschränkung in allen Lebensbereichen (Konsistenz) für die Bejahung einer Arbeitsunfähigkeit zeigt. Fehlt es daran, ist der Beweis nicht geleistet und nicht zu erbringen, was sich nach den Regeln über die (materielle) Beweislast zuungunsten der rentenansprechenden Person auswirkt (BGE 144 V 50 E. 4.3 mit Hinweisen). 
 
2.2.3. Im Hinblick auf die Beurteilung, ob ein psychisches Leiden invalidisierend wirkt, zählen als Tatsachenfeststellungen alle Feststellungen der Vorinstanz, die auf der Würdigung von ärztlichen Angaben und Schlussfolgerungen betreffend Diagnose und Folgenabschätzung beruhen. Als Rechtsfrage frei überprüfbar ist hingegen, ob und in welchem Umfang die ärztlichen Feststellungen anhand der rechtserheblichen Indikatoren auf Arbeitsunfähigkeit schliessen lassen (vgl. BGE 141 V 281 E. 7).  
 
3.  
 
3.1. Das kantonale Gericht hat dem Gutachten von Prof. Dr. med. habil. C.________ vom 24. Februar 2018 in diagnostischer Hinsicht Beweiskraft zuerkannt. Unter anderem nach Bezugnahme auf die Indikatoren (BGE 141 V 281, vgl. E. 2.2.2 hiervor) ist es betreffend Arbeitsfähigkeitsschätzung von der Expertise (80%ige Arbeitsunfähigkeit) abgewichen und hat im Ergebnis die rentenabweisende Verfügung vom 24. Januar 2019 bestätigt.  
 
3.2. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt hält nicht stand.  
 
3.2.1. Die vorinstanzlichen Feststellungen zu den Indikatoren (BGE 141 V 281, vgl. E. 2.2.2 hiervor) betreffend die vom Gutachter festgestellte Diagnostik bleiben unbestritten. Dies gilt vorab für die Feststellung, wonach in Würdigung der psychosozialen Belastungsfaktoren von einem leichten funktionellen Schweregrad der (mittel- bis zunehmend schwergradigen) Depression auszugehen sei. Inwiefern diese offensichtlich unrichtig sein soll, ist nicht ersichtlich: So ist insbesondere im Rahmen der Beurteilung der Ausprägung der diagnoserelevanten Befunde den gemäss Experte C.________ multiplen psychosozialen Belastungsfaktoren "mit erheblichem Einfluss auf das Krankheitsgeschehen" (Expertise S. 84) Rechnung zu tragen. Zu Behandlungserfolg respektive -resistenz kann infolge nicht optimaler Compliance (Störung durch Sedativa und Hypnotika; schädlicher Gebrauch [von Benzodiazepinen], Expertise S. 83 und 87) keine Aussage gemacht werden. Sodann bestehen keine Komorbiditäten (Expertise S. 87). Hinsichtlich der Persönlichkeit liegen zwar mit den soziokulturellen Wertevorstellungen gewisse Auffälligkeiten vor, diese sind jedoch gemäss Einschätzung des Experten nicht krankheitswertig (Schwierigkeiten bei der kulturellen Eingewöhnung [Sprachschwierigkeiten, überdauernde südosteuropäisch geprägte Wertevorstellungen], Expertise S. 87). Hinweise für einen Verlust der sozialen Integration bestehen schliesslich gemäss Prof. Dr. med. habil. C.________ nicht (Expertise S. 79).  
Weiter hat das kantonale Gericht im Zusammenhang mit der Kategorie "Konsistenz" festgestellt, es liege gemäss Gutachter kein stimmiges Gesamtbild der gleichmässigen Einschränkung in allen Lebensbereichen vor. Der Gutachter selbst hielt dazu fest, das private Aktivitätsniveau sei nur leicht bis mässiggradig eingeschränkt. Gesamthaft ergäben sich bei der Plausibilitätsprüfung deutliche Auffälligkeiten (Expertise S. 79). 
 
3.2.2. Mit Blick auf die soeben dargelegten, für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen des kantonalen Gerichts zu den Indikatoren (vgl. E. 1 und 2.2.2 f. hiervor) kann der vom Gutachter diagnostizierten chronifizierten, rezidivierenden depressiven Störung, im Verlauf mittelgradig bis zunehmend schwer (Expertise S. 87), in Nachachtung von BGE 141 V 281 aus juristischer Sicht keine Einschränkung auf die Arbeitsfähigkeit zugeschrieben werden. Das Abweichen von der ärztlichen Arbeitsfähigkeitsschätzung (80%ige Arbeitsunfähigkeit) stellt vorliegend entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers keine unzulässige juristische Parallelüberprüfung (BGE 145 V 361) dar. Weiterungen erübrigen sich.  
 
3.3. Im Ergebnis hat die Vorinstanz somit kein Bundesrecht verletzt, indem sie die rentenabweisende Verfügung vom 24. Januar 2019 bestätigt hat. Die Beschwerde ist unbegründet.  
 
4.  
Die Gerichtskosten hat der Beschwerdeführer als unterliegende Partei zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Diesbezüglich hat er mit Eingabe vom 16. August 2021 unter Verweis auf den bevorstehenden Auszug seiner Tochter aus der elterlichen Wohnung per Ende August 2021 ein neues Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt. Die Voraussetzung der Bedürftigkeit gemäss Art. 64 Abs. 1 BGG ist vorliegend jedoch nicht erfüllt: Vom Zeitpunkt der Einreichung des ersten Gesuchs am 16. April 2021 bis zum angekündigten Auszug der Tochter des Beschwerdeführers vergingen rund 4.5 Monate. In dieser Zeit erzielte der Beschwerdeführer den gemäss Verfügung vom 13. Juli 2021 ermittelten Überschuss in der Höhe von monatlich Fr. 1217.65, mithin total rund Fr. 5479.40. Es ist dem Beschwerdeführer daher ohne Weiteres möglich, die anfallenden Prozesskosten (Gerichts- und Anwaltskosten) aus diesem Betrag zu begleichen. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 29. November 2021 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Stadelmann 
 
Die Gerichtsschreiberin: Nünlist