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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_149/2022  
 
 
Urteil vom 29. November 2022  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jametti, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Chaix, Haag, 
Gerichtsschreiber Hahn. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Johann Behrens, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft Bischofszell, 
Poststrasse 5b, 9220 Bischofszell. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Entsiegelung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Thurgau, Einzelrichter, vom 14. Februar 2022 (W5.2021.2). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft Bischofszell führt gegen A.________ eine Strafuntersuchung wegen des Verdachts des mehrfachen Betrugs. Am 22. Februar 2021 liess sie am Wohnort von A.________ eine Hausdurchsuchung durchführen. Dabei wurden elektronische Datenträger (zwei Mobiltelefone, ein Computer, eine externe Festplatte) sowie physische Dokumente sichergestellt. A.________ verlangte gleichentags deren Siegelung. 
 
B.  
Die Staatsanwaltschaft beantragte am 24. Februar 2021 die Entsiegelung und Durchsuchung der sichergestellten Gegenstände. Mit Entscheid vom 14. Februar 2022 hiess das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Thurgau (ZMG) das Entsiegelungsgesuch teilweise gut. Es entsiegelte den Grossteil der Asservate und ermächtigte die Staatsanwaltschaft, diese zu durchsuchen (Dispositivziffer 2). Bei einem Teil der sichergestellten physischen Asservate wies es das Gesuch ab, weil diese Unterlagen ausserhalb des von der Staatsanwaltschaft eingegrenzten Deliktszeitraums liegen und sie teilweise einen durch das ärztliche Berufsgeheimnis geschützten Inhalt aufweisen (Dispositivziffer 3). 
 
C.  
Gegen den Entscheid des ZMG vom 14. Februar 2022 gelangte A.________ mit Beschwerde in Strafsachen vom 17. März 2022 an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des Entscheids und die vollumfängliche Abweisung des Entsiegelungsgesuchs der Staatsanwaltschaft. Eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Die Staatsanwaltschaft und das ZMG beantragen die Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer hält mit Replik vom 25. April 2022 an seinen Anträgen fest. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entsiegelungsentscheid (Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BGG i.V.m. Art. 248 Abs. 3 StPO). Fraglich ist, ob die gesetzlichen Sachurteilsvoraussetzungen der Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff. BGG erfüllt sind. Das Bundesgericht beurteilt dies von Amtes wegen (Art. 29 Abs. 1 BGG) und mit freier Kognition (BGE 146 II 276 E. 1; 145 I 239 E. 2).  
 
1.2. Der angefochtene Entscheid schliesst das gegen den Beschwerdeführer geführte Strafverfahren nicht ab und betrifft weder die Zuständigkeit noch ein Ausstandsbegehren im Sinne von Art. 92 BGG. Es handelt sich somit um einen anderen selbstständig eröffneten Vor- und Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG. Als solcher ist er mit Beschwerde an das Bundesgericht nur unmittelbar anfechtbar, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG).  
 
1.3. Die Gutheissung der vorliegenden Beschwerde würde nicht sofort einen Endentscheid herbeiführen. Damit fällt die Variante gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG ausser Betracht. Zu prüfen ist deshalb, ob der angefochtene Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirkt. Ein solcher wird nach der Rechtsprechung im Zusammenhang mit Beschwerden gegen Entsiegelungsentscheide der Zwangsmassnahmengerichte insbesondere dann bejaht, wenn der betroffenen Partei aufgrund der Entsiegelung von Asservaten ein Eingriff in ihre gesetzlich geschützten Geheimnisinteressen droht (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG i.V.m. Art. 248 Abs. 1 StPO; BGE 143 I 241 E. 1; nicht amtl. publ. E. 1 von BGE 144 IV 74; E. 2.1 von BGE 143 IV 270; Urteil 1B_28/2021 vom 4. November 2021 E. 1.3; je mit Hinweisen). Diese Sachurteilsvoraussetzungen sind in der Beschwerdeschrift ausreichend zu substanziieren, soweit sie nicht offensichtlich erfüllt erscheinen (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 141 IV 1 E. 1.1; 284 E. 2.3; 289 E. 1.3; je mit Hinweisen).  
 
1.4. Zusammengefasst erwog die Vorinstanz, mit Ausnahme eines Teils der sichergestellten physischen Dokumente (dem Arztgeheimnis unterliegende Unterlagen) sei der Beschwerdeführer seiner prozessualen Obliegenheit, die angeblich tangierten Geheimhaltungsinteressen hinreichend zu substanziieren, nicht nachgekommen. Demgegenüber macht der Beschwerdeführer geltend, trotz gewährter Akteneinsicht und Zustellung der sichergestellten und gespiegelten elektronischen Daten sei es ihm angesichts der grossen Datenmenge (545'695 Dateien) nicht möglich gewesen, innert der vom ZMG angesetzten Frist für jede Datei seine Geheimnisrechte mittels sog. "Tags" zu bezeichnen. Dies insbesondere deshalb, weil ein Teil der gespiegelten elektronischen Dateien beschädigt gewesen sei. Der Beschwerdeführer rügt in diesem Zusammenhang eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV). Den nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG sieht er darin, dass die Staatsanwaltschaft durch den angefochtenen Entsiegelungsentscheid Einblick in 545'695 elektronische Dateien erhalte, obwohl er zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit gehabt habe, die gesiegelten Daten abschliessend zu sichten um allfällige betroffene Geheimnisrechte substanziieren zu können.  
 
1.5. Nach der bundesgerichtlichen Praxis trifft den Inhaber von zu Durchsuchungszwecken sichergestellten Aufzeichnungen und Gegenständen, der ein Siegelungsbegehren gestellt hat, spätestens im Entsiegelungsverfahren vor dem ZMG die prozessuale Obliegenheit, die von ihm angerufenen Geheimhaltungsinteressen (im Sinne von Art. 248 Abs. 1 StPO) ausreichend zu substanziieren. Dies gilt besonders bei grossen Datenmengen. Kommt die betroffene Person ihrer Mitwirkungs- und Substanziierungsobliegenheit im Entsiegelungsverfahren nicht nach, ist das ZMG nicht gehalten, von Amtes wegen nach allfälligen materiellen Durchsuchungshindernissen zu forschen. Tangierte Geheimnisinteressen sind wenigstens kurz zu umschreiben und glaubhaft zu machen. Auch sind diejenigen Aufzeichnungen und Dateien zu benennen, die dem Geheimnisschutz unterliegen. Dabei ist die betroffene Person nicht gehalten, die angerufenen Geheimnisrechte bereits inhaltlich offenzulegen (BGE 142 IV 207 E. 7.1.5, E. 11; 141 IV 77 E. 4.3, E. 5.5.3, E. 5.6; je mit Hinweisen; Urteil 1B_28/2021 vom 4. November 2021 E. 1.3).  
Nach dieser Rechtsprechung hat der Inhaber von gesiegelten Aufzeichnungen und Gegenständen spätestens im Entsiegelungsverfahren vor dem ZMG seine angeblichen schutzwürdigen Geheimnisinteressen hinreichend zu substanziieren. Dieser Pflicht kam der Beschwerdeführer einzig in Bezug auf Teile der sichergestellten physischen Dokumente nach, die einen vom Arztgeheimnis erfassten Inhalt aufweisen. Insoweit wurde das Entsiegelungsgesuch der Staatsanwaltschaft vom ZMG auch abgewiesen und droht folglich kein irreparabler Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG. Abgesehen davon kam der Beschwerdeführer seinen Substanziierungsobliegenheiten in seinen fünf Stellungnahmen an das ZMG nicht nach. Vielmehr unterliess er es, allfällige weitere Geheimnisrechte auch nur in den Grundzügen zu benennen, obwohl ihm das ZMG Akteinsicht gewährte und ihm der Inhalt der gesiegelten Datenträger in gespiegelter Form zur Verfügung gestellt wurde. Die einzigen Hinweise auf mögliche tangierte Geheimnisinteressen finden sich in den Stellungnahmen des Beschwerdeführers an das ZMG vom 18. März 2021 sowie 2. Dezember 2021, in welchen er darauf hinweist, dass sich in den sichergestellten physischen Unterlagen Geschäftsinterna der von ihm geführten B.________ AG sowie der C.________ GmbH befänden. In Bezug auf die elektronischen Daten fehlen konkrete Hinweise auf allfällig tangierte Geheimnisinteressen gänzlich. Wie die Vorinstanz zu Recht festhielt, genügen derart pauschale und vage Vorbringen der dargelegten bundesgerichtlichen Praxis im Zusammenhang mit der Mitwirkungs- und Substanziierungsobliegenheit im Entsiegelungsverfahren nicht; gerade nicht bei relativ umfangreichen elektronischen Aufzeichnungen und Dateien. 
 
1.6. Entgegen der Kritik des Beschwerdeführers ändert daran auch der Umstand nichts, dass die sichergestellten Datenträger eine grosse Menge an gespeicherten Daten aufweisen und die ihm vom ZMG zur Verfügung gestellten gespiegelten Dateien anscheinend zum Teil beschädigt waren. Es mag insoweit zwar zutreffen, dass es dem Beschwerdeführer aufgrund des teilweise nicht möglichen Zugriffs auf gewisse Dateien erschwert wurde, sich einen Überblick über sämtliche gespeicherte Inhalte zu verschaffen. Allerdings ist nicht ersichtlich und auch nicht ansatzweise dargetan, weshalb es dem Beschwerdeführer, nachdem ihm das ZMG vollumfängliche Einsicht in die Siegelungsakten gewährte und er nach eigenen Angaben zumindest einen Teil des Inhalts der gespiegelten Daten sichten konnte, nicht möglich gewesen sein soll, allfällige geschützte Geheimnisrechte wenigstens mit Anfangshinweisen (z.B. Anwalts- oder zusätzliche Arztkorrespondenz oder Dateien mit höchstpersönlichem Inhalt) zu benennen. Der Beschwerdeführer hatte bei dieser Ausgangslage hinreichend Zeit und erhielt mehrmals die Gelegenheit, zum Entsiegelungsgesuch Stellung zu nehmen um aufzuzeigen, welche schützenswerte Geheimnisinteressen durch eine Entsiegelung verletzt würden. Er hat diese Gelegenheiten nicht genutzt. Der von ihm vor Bundesgericht sodann vertretene Standpunkt, aufgrund der grossen Datenmenge und den teilweise beschädigten Dateien sei es ihm unmöglich gewesen, sich innert nützlicher Frist wieder in Erinnerung zu rufen, welche Inhalte sich auf den ihm gehörenden Datenträgern befänden, überzeugt auch nicht. Als Inhaber müsste er spätestens nach erfolgter Akteneinsicht und Durchsicht des intakten Teils der gespiegelten Daten wieder in den Grundzügen wissen, was auf den Geräten abgespeichert ist (vgl. Urteil 1B_656/2021 vom 4. August 2022 E. 7.1). Überzeugende Argumente, warum es sich vorliegend anders verhalten sollte, legt der Beschwerdeführer nicht dar.  
Unbegründet ist weiter auch die Kritik des Beschwerdeführers, die Mitwirkungs- und Substanziierungsobliegenheiten der beschuldigten Person im Rahmen des Entsiegelungsverfahrens verstosse gegen das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung. Es ist nicht ersichtlich und wird vom Beschwerdeführer auch nicht dargetan, inwiefern er sich durch den Beschrieb der Art von allfälligen schützenswerten Geheimnisrechten selber belasten sollte. Vielmehr dienen diese Angaben ja gerade dem Ziel, dass solche Daten im Rahmen des Entsiegelungsverfahrens aus den Akten ausgesondert werden, damit die Strafverfolgungsbehörden keine Kenntnis vom Inhalt erlangen können. Nichts zu seinen Gunsten ableiten kann der Beschwerdeführer schliesslich aus seinem Einwand, auf den sichergestellten Datenträgern befänden sich nicht nur seine eigenen, sondern auch Daten von seinen Söhnen, deren Inhalt er nicht kenne. Der Beschwerdeführer ist im Entsiegelungsverfahren nicht legitimiert, im eigenen Namen die privaten Interessen von angeblich mitbetroffenen Drittpersonen zu wahren (Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG i.V.m. Art. 105 Abs. 1 lit. f und Abs. 2 StPO; Urteile 1B_70/2021 vom 9. November 2021 E. 1.5; 1B_553/2021 vom 14. Januar 2021 E. 1.3; 1B_243/2020 vom 26. Februar 2021 E. 2.4). Etwaige Geheimnisrechte seiner Söhne, die durch die Entsiegelung verletzt würden, legt der Beschwerdeführer vor Bundesgericht ohnehin nicht dar. 
 
1.7. Zusammengefasst hält es nach dem Dargelegten vor Bundesrecht stand, wenn die Vorinstanz mangels genügender Substanziierung von schutzwürdigen Geheimnisrechten ein Entsiegelungshindernis verneinte und die fraglichen Geräte und einen Teil der physischen Unterlagen zur Durchsuchung freigab. Es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern das vom ZMG gewählte Vorgehen den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) oder sein Recht auf eine wirksame Verteidigung (Art. 32 Abs. 2 Satz 2 BV) verletzt haben soll, erhielt er doch einerseits vollumfängliche Akteneinsicht, obwohl eine solche im Entsiegelungsverfahren nur zurückhaltend zu gewähren ist und grundsätzlich eine glaubhafte Plausibilisierung von möglicherweise tangierten Geheimnisinteressen voraussetzen würde (vgl. Urteile 1B_656/2021 vom 4. August 2022 E. 7.1; 1B_28/2021 vom 4. November 2021 E. 1.6). Andererseits konnte er sich vor dem ZMG mehrmals in schriftlicher Form zum Entsiegelungsgesuch äussern, um allfällige Geheimnisrechte zu substanziieren. Der vom Beschwerdeführer insoweit geltend gemachte nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG ist daher zu verneinen.  
 
1.8. Auch in der Beschwerdeschrift an das Bundesgericht werden keine durch die vorinstanzlich bewilligte Teilentsiegelung betroffenen gesetzlich geschützten Geheimnisrechte genannt. Ein im Vorverfahren durchzusetzendes Durchsuchungs- und Verwertungsverbot ist ebenfalls nicht dargetan und ergibt sich auch nicht aus den Akten (vgl. BGE 141 IV 284 E. 2.2-2.3; 289 E. 1.1-1.3). Mangels Darlegung eines nicht wieder gutzumachenden Rechtsnachteils im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG ist daher auf die Beschwerde in Strafsachen nicht einzutreten (vgl. vorne E. 1.3; Urteile 1B_70/2021 vom 9. November 2021 E. 1.2; 1B_28/2021 vom 4. November 2021 E. 1.9).  
 
2.  
Auf die Beschwerde ist nach dem Gesagten nicht einzutreten. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Bischofszell und dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons Thurgau, Einzelrichter, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 29. November 2022 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Jametti 
 
Der Gerichtsschreiber: Hahn