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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
I 879/06 
 
Urteil vom 30. März 2007 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Lustenberger und Seiler, 
Gerichtsschreiber Fessler. 
 
Parteien 
B.________, 1979, Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Urs Burkhardt, Bahnhofstrasse 1, 8304 Wallisellen, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 11. September 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1979 geborene B.________ ersuchte im Oktober 2002 die Invalidenversicherung u.a. um eine Rente. Nach Abklärungen sprach ihr die IV-Stelle des Kantons St. Gallen mit Verfügung vom 15. Mai 2003 mit Wirkung ab 1. Mai 2002 auf Grund eines Invaliditätsgrades von 50 % ein halbe Rente zu. 
 
Am 2. Juni 2004 gebar B.________ einen Sohn. In der Folge gab sie die seit 11. März 2002 bei einem Arbeitspensum von 50 % ausgeübte Tätigkeit als Sachbearbeiterin bei der Abteilung Y.________ des Kantons X.________ auf. Die IV-Stelle, welche im Januar 2004 ein Revisionsverfahren zur Überprüfung des Rentenanspruchs eingeleitet hatte, führte am 4. November 2004 eine Haushaltabklärung durch (Bericht vom 3. Januar 2005). Mit Verfügung vom 18. Februar 2005 hob sie die halbe Rente auf Ende des der Zustellung des Entscheides folgenden Monats auf. Sie qualifizierte die Versicherte neu als im Umfang von 60 % teilerwerbstätige Hausfrau. Die Invaliditätsbemessung nach der gemischten Methode ergab keinen anspruchsbegründenden Invaliditätsgrad. Mit Einspracheentscheid vom 25. August 2005 bestätigte die IV-Stelle die Rentenaufhebung. 
B. 
Die Beschwerde der B.________ wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 11. September 2006 ab. 
C. 
B.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem hauptsächlichen Rechtsbegehren, Gerichtsentscheid und Einspracheentscheid seien aufzuheben und es sei ihr eine ganze Invalidenrente samt Zusatzrente für den Ehemann und zwei Kinderrenten zuzusprechen. 
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
D. 
Mit Verfügung vom 2. November 2006 hat der Präsident der III. Kammer des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (seit 1. Januar 2007: I. und II. sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts) das Gesuch, der Verwaltungsgerichtsbeschwerde aufschiebende Wirkung zu erteilen, abgewiesen. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Der angefochten Entscheid ist am 11. September 2006 ergangen. Das Verfahren richtet sich somit nach dem Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG). Das am 1. Januar 2007 in Kraft getretene Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG [AS 2006 1205 ff., 1243]) ist insoweit nicht anwendbar (Art. 132 Abs. 1 BGG). 
1.2 Da die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach dem 1. Juli 2006 anhängig gemacht worden ist, bestimmt sich die Kognition im vorliegenden Streit um die revisionsweise Aufhebung der halben Rente der Invalidenversicherung nach Art. 132 OG, in der seit 1. Juli 2006 geltenden Fassung (BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395). Es ist daher nur zu prüfen, ob der angefochtene Entscheid Bundesrecht verletzt, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens (Art. 104 lit. a OG), oder ob das kantonale Gericht den Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt hat (Art. 104 lit. b OG und Art. 105 Abs. 2 OG). 
2. 
In tatsächlicher Hinsicht steht fest, dass die Beschwerdeführerin seit 11. März 2002 als Sachbearbeiterin im öffentlichen Dienst gearbeitet hatte. Das Arbeitspensum betrug aus gesundheitlichen Gründen lediglich 50 %. Ohne gesundheitliche Beeinträchtigung hätte sie ein volles Pensum versehen. Dementsprechend ermittelte die IV-Stelle den Invaliditätsgrad (von 50 %) ab 1. Mai 2002 in Anwendung der Einkommensvergleichsmethode (Art. 16 ATSG und BGE 128 V 29 E.1 S. 30 in Verbindung mit BGE 130 V 343). Nach der Geburt ihres (ersten) Sohnes am 2. Juni 2004 gab die Versicherte die Erwerbstätigkeit auf. Gemäss ihren Angaben anlässlich der Abklärung vor Ort vom 4. November 2004 hätte sie ohne gesundheitliche Beeinträchtigung das Pensum auf 60 % reduziert und die dadurch frei werdende Zeit für die Haushaltarbeit und Kinderbetreuung verwendet (vgl. BGE 131 V 51 E. 5.2 S. 54). Diese Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen und die daran knüpfende Ermittlung des Invaliditätsgrades nach der gemischten Methode (Art. 28 Abs. 2ter IVG; BGE 125 V 146 E. 2a-c S. 148 ff. und SVR 2006 IV Nr. 42 S. 151 [I 156/04] sowie BGE 130 V 393) stellen einen Revisionsgrund im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG dar (BGE 130 V 343 E. 3.5 S. 349, 117 V 198 E. 3b S. 199). 
3. 
Nach ständiger Rechtsprechung bildet der Zeitpunkt des Einspracheentscheids die zeitliche Grenze der richterlichen Überprüfungsbefugnis (BGE 121 V 362 E. 1b S. 366, 129 V 1 E. 1.2 S. 4), hier somit der 25. August 2005. Soweit die Beschwerdeführerin spätere Umstände anführt, namentlich die Geburt des 2. Kindes, ist darauf von vornherein nicht einzugehen. 
4. 
Die Anwendung der gemischten Methode nach der geltenden Gerichts- und Verwaltungspraxis ergibt unbestrittenermassen einen nicht anspruchsbegründenden Invaliditätsgrad von 22 % (0,6 x 17 % + 0,4 x 30 %; zum Runden BGE 130 V 121; Art. 28 Abs. 1 IVG). 
4.1 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird vorgebracht, gemäss dem behandelnden Neurologen Dr. med. H.________ sei die auf 50 % zu beziffernde Arbeitsfähigkeit im Beruf unter Berücksichtigung der Kinderbetreuung für die nächsten fünf Jahre nicht zumutbar. Der Invaliditätsgrad betrage somit 72 % (0,6 x 100 % + 0,4 x 30 %). 
 
Dieses Vorbringen ist nicht stichhaltig. Selbst wenn die Beschäftigung im Haushalt die Versicherte derart beanspruchte, dass jegliche Teilerwerbstätigkeit daneben ausser Betracht fiele, könnte gestützt darauf jedenfalls nicht der erwerbliche Invaliditätsgrad auf 100 % festgesetzt werden. Die gegenteilige Auffassung widerspricht der gesetzlichen Konzeption der gemischten Methode der Invaliditätsbemessung, indem dem Aufgabenbereich Haushalt gegenüber dem erwerblichen Bereich ein grösseres Gewicht beigemessen wird. Mit ebenso gutem Grund liesse sich fragen, inwieweit bei voller Ausschöpfung der verbliebenen Arbeitsfähigkeit im erwerblichen Bereich Haushaltarbeit noch zumutbar ist (vgl. auch BGE 125 V 146 E. 5a S. 153 ff.; Urteil I 580/06 vom 14. November 2006 E. 3.1). Eine andere Frage ist, inwiefern eine allfällige verminderte Leistungsfähigkeit im erwerblichen Bereich oder im Aufgabenbereich Haushalt infolge der Beanspruchung im jeweils anderen Tätigkeitsfeld zu berücksichtigen ist (vgl. SVR 2006 IV Nr. 42 S. 154 E. 6.2 [I 156/04]). Zu dieser Frage äussert sich Dr. med. H.________ in seinem Bericht vom 20. April 2005 an den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin nicht. Abklärungen zu diesem Punkt erübrigen sich indessen. Es ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin bei der nach der Geburt ihres ersten Sohnes aufgegebenen Erwerbstätigkeit am Arbeitsplatz optimal eingegliedert war. Ebenso ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte in den Akten anzunehmen, dass der Ehemann gesundheitlich in der Lage ist, im Rahmen seiner ehelichen Unterhaltspflicht sich im Haushalt aktiv zu betätigen. Unter diesen Umständen ist möglichen Wechselwirkungen im Sinne einer allfällig verminderten Leistungsfähigkeit im erwerblichen Bereich oder im Haushalt infolge der Beanspruchung im jeweils anderen Tätigkeitsfeld hinreichend Rechnung getragen, wenn von einer um 15 % reduzierten Arbeitsfähigkeit am Arbeitsplatz und einem um 15 % tieferen Rendement im Haushalt ausgegangen wird. Unter Berücksichtigung dieser zusätzlichen Einschränkungen resultieren je gerundet eine erwerbliche Teilinvalidität von 41,67 % ([[60 % - 35 %]/60 %] x 100 %]) sowie eine Behinderung im Haushalt von 34,5 % (30 % x 1,15). Daraus ergibt sich ein Invaliditätsgrad von weniger als 36 % (0,6 x 41,67 % + 0,3 x 34,5 %), was für den Anspruch auf eine Rente nicht genügt (Art. 28 Abs. 1 IVG). 
4.2 Subeventualiter wird geltend gemacht, die Invalidität entspreche dem Mittel aus der Arbeitsunfähigkeit im Beruf bezogen auf ein 100%-Pensum und im Haushalt. Daraus ergebe sich ein Invaliditätsgrad von 40 % ([50 % + 30 %]/2). Diese modifizierte Anwendung der gemischten Methode der Invaliditätsbemessung widerspricht offensichtlich der geltenden Praxis, ohne dass hiefür überzeugende Gründe angeführt werden. Darauf ist daher nicht weiter einzugehen. 
4.3 Schliesslich wird vorgebracht, die Anwendung der gemischten Bemessungsmethode nach der geltenden Praxis diskriminiere invalide Frauen und Mütter sowie deren Familie. Ohne Kinder würde die Beschwerdeführerin eine halbe Invalidenrente samt Zusatzrente für den Ehemann beziehen. Wegen der Geburt ihres Sohnes solle sie nun keine Rente mehr erhalten, als ob dadurch die Bedürfnisse der Familie geringer geworden wären. Auch das kantonale Gericht halte fest, dass die fragliche Praxis wegen willkürlich unterschiedlichen Ergebnissen unverständlich erscheine und eine grobe Ungleichbehandlung der Versicherten bewirke. Ebenfalls würden zahlreiche Grundrechte, u.a. das Recht auf soziale Sicherheit und Hilfe in Notlagen sowie das Recht auf Eheschliessung und Gründung einer Familie mit Kindern verletzt. 
 
Das Bundesgericht (bis 31. Dezember 2006: Eidgenössisches Versicherungsgericht) hat wiederholt, insbesondere in BGE 125 V 146, die Gesetzmässigkeit der gerügten Praxis festgestellt, zuletzt im Urteil I 156/04 vom 13. Dezember 2005 (SVR 2006 IV Nr. 42 S. 151). In diesem Entscheid hat es insbesondere eine Verletzung der verfassungs- und konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbote (Art. 8 Abs. 2 BV, Art. 14 EMRK) sowie des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) verneint. Dabei hat das Gericht die Auffassung abgelehnt, den Anspruch auf eine Invalidenrente auf jeden Fall - im Sinne einer Art Mindestgarantie - als gegeben zu erachten, sofern ein solcher im für die versicherte Person hypothetischen Fall der Ausübung einer vollen Erwerbstätigkeit bei sonst gleichen persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Gegebenheiten bestünde (SVR a.a.O. S. 153 E. 5.2). Die Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geben nicht Anlass zu einer erneuten vertieften Auseinandersetzung mit der geltenden Praxis zur Anwendung der gemischten Methode der Invaliditätsbemessung oder sogar zu deren Änderung (vgl. zu den Voraussetzungen BGE 132 V 257 E. 4.2 S. 262), zumal nicht ersichtlich ist und auch nicht substantiiert dargelegt wird, inwiefern Grundrechte in ihrem Kerngehalt verletzt sind. 
 
Der angefochtene Entscheid ist somit rechtens. 
5. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 zweiter Satz OG, in Kraft seit 1. Juli 2006). Dem Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG in Verbindung mit Art. 135 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss in dieser Höhe verrechnet. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, der Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt. 
Luzern, 30. März 2007 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: