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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_576/2022  
 
 
Urteil vom 30. November 2022  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichterin Jametti, Bundesrichter Müller, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Fürsprecher Adrian Blättler, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft See/Oberland, 
Büro B-8, Postfach, 8610 Uster. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Sicherheitshaft, 
 
Beschwerde gegen die Präsidialverfügung des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, 
vom 27. Oktober 2022 (SB220518-O/Z3/bs). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Bezirksgericht Uster verurteilte am 20. Mai 2022 A.________ wegen gewerbsmässigen Diebstahls, mehrfacher Sachbeschädigung, mehrfachen Hausfriedensbruchs und weiterer Delikte zu einer Freiheitsstrafe von 63 Monaten und verwies ihn für die Dauer von 15 Jahren des Landes. Dagegen erhob A.________ Berufung und die Staatsanwaltschaft See/Oberland des Kantons Zürich Anschlussberufung. 
A.________ war am 17. Dezember 2019 verhaftet worden und befindet sich seither in Untersuchungs- und Sicherheitshaft. Mit Präsidialverfügung vom 27. Oktober 2022 verlängerte das Obergericht des Kantons Zürich die Sicherheitshaft bis zum Endentscheid der Berufungsinstanz. 
 
B.  
Mit Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht vom 9. November 2022 beantragt A.________, die Präsidialverfügung vom 27. Oktober 2022 sei aufzuheben und er selbst sei aus der Sicherheitshaft zu entlassen. Zudem sei eine wiederholte Verletzung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen festzustellen. 
Das Obergericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet. Die Staatsanwaltschaft beantragt, das Gesuch um Entlassung aus der Sicherheitshaft sei abzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Sachurteilsvoraussetzungen sind grundsätzlich erfüllt (vgl. das ebenfalls den Beschwerdeführer betreffende Urteil 1B_129/2022 vom 29. März 2022 E. 1.1). Auf die Beschwerde ist unter Vorbehalt einer hinreichenden Begründung (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG) einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, dass ihm das Urteil des Bezirksgerichts Uster vom 20. Mai 2022 erst am 27. September 2022 zugestellt worden sei. Damit sei die Frist von Art. 84 Abs. 4 StPO klar überschritten worden. Dies sei nicht die erste Verletzung des Beschleunigungsgebots. Zudem habe das Obergericht die Sicherheitshaft nicht einmal klar befristet, sondern bis zum Endentscheid der Berufungsinstanz verlängert. Aufgrund der Schwere der Rechtsverletzung sei er aus der Haft zu entlassen.  
 
2.2. Eine strafprozessuale Haft überschreitet die bundesrechtskonforme Dauer, wenn das Strafverfahren nicht genügend vorangetrieben wird (vgl. Art. 31 Abs. 3-4 BV und Art. 5 Abs. 2 StPO). Eine Haftentlassung kommt allerdings nur bei besonders schwer wiegenden bzw. häufigen Versäumnissen in Frage, die erkennen lassen, dass die verantwortlichen Strafbehörden nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen Rechnung zu tragen. Die Frage, ob eine Haftdauer als übermässig bezeichnet werden muss, ist aufgrund der konkreten Verhältnisse des einzelnen Falles zu beurteilen. Eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes ist im Dispositiv des Urteils festzustellen. Auch ist ihr bei der Auferlegung von Verfahrenskosten angemessen Rechnung zu tragen. Das Haftgericht kann nötigenfalls prozessuale Anordnungen erlassen bzw. Fristen für ausstehende Verfahrenshandlungen ansetzen. Im Übrigen ist die Prüfung der Folgen einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes dem Sachgericht vorzubehalten, das sie unter der gebotenen Gesamtwürdigung beurteilen und auch darüber befinden kann, in welcher Weise - z.B. durch eine Strafreduktion - eine allfällige Verletzung des Beschleunigungsgebotes wieder gut zu machen ist (zum Ganzen: BGE 140 IV 74 E. 3.2; Urteil 1B_496/2022 vom 2. November 2022 E. 7.2; je mit Hinweisen).  
 
2.3. Muss das Gericht das Urteil begründen, so stellt es gemäss Art. 84 Abs. 4 StPO innert 60 Tagen, ausnahmsweise 90 Tagen, der beschuldigten Person und der Staatsanwaltschaft das vollständige begründete Urteil zu. Nach der Rechtsprechung handelt es sich dabei um eine Ordnungsvorschrift. Die Überschreitung der in Art. 84 Abs. 4 StPO genannten Fristen führt nicht ohne Weiteres zur Annahme einer Verletzung des Beschleunigungsgebots, kann dafür aber ein Indiz darstellen (Urteil 1B_82/2021 vom 9. September 2021 E. 2.2 mit Hinweis). Zu berücksichtigen ist insofern insbesondere der Umfang und die Komplexität der Sache (s. die Übersicht über die Rechtsprechung im Urteil 1B_443/2021 vom 6. Oktober 2021 E. 3.3).  
 
2.4. Das Obergericht erwog, es handle sich angesichts der grossen Anzahl von 58 Anklagedossiers und der umfangreichen Anklageschrift von 73 Seiten um einen aussergewöhnlich grossen und aufwändigen Fall, weshalb die Überschreitung der gesetzlichen Maximalfrist um etwas mehr als einen Monat nicht zu beanstanden sei. Der Beschwerdeführer bestreitet die Feststellungen betreffend den Umfang des Falls und den damit einhergehenden Aufwand nicht (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) und geht auf die betreffenden Ausführungen des Obergerichts auch nicht in anderer Weise ein. Seine Rüge erweist sich vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen (E. 2.3 hiervor) damit als unbegründet, soweit sie überhaupt hinreichend substanziiert ist (Art. 42 Abs. 2 BGG). Dass das Bundesgericht in einem früheren, den Beschwerdeführer betreffenden Verfahren eine Verletzung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen feststellte (Urteil 1B_129/2022 vom 29. März 2022 E. 4), ändert daran nichts. Unbegründet ist auch die Kritik an der fehlenden klaren Befristung der Sicherheitshaft durch das Obergericht. Art. 227 Abs. 7 StPO, wonach die Verlängerung der Untersuchungshaft jeweils für längstens drei Monate, in Ausnahmefällen für längstens sechs Monate bewilligt wird, ist mangels Verweises in den Art. 231 f. StPO nicht mehr anwendbar, sobald das Berufungsgericht mit der Sache befasst ist. Dieses kann Sicherheitshaft bis zum Berufungsurteil anordnen, wobei die inhaftierte Person gestützt auf Art. 233 StPO jederzeit ein Haftentlassungsgesuch stellen kann (BGE 139 IV 186 E. 2.2.3; Urteil 1B_96/2021 vom 25. März 2021 E. 5.2; je mit Hinweisen).  
 
3.  
Die Beschwerde ist aus diesen Gründen abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. 
Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (Art. 64 BGG). Da sich das Obergericht in sämtlichen vom Beschwerdeführer vorgetragenen Kritikpunkten in zutreffender Weise auf die bestehende bundesgerichtliche Rechtsprechung stützte und sich der Beschwerdeführer mit den Ausführungen im angefochtenen Entscheid zu Umfang und Komplexität der Sache nicht auseinandersetzt, ist die Beschwerde jedoch als aussichtslos anzusehen. Das Gesuch ist deshalb abzuweisen und die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (Art. 68 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft See/Oberland und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 30. November 2022 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Der Gerichtsschreiber: Dold