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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5P.407/2005 /blb 
 
Urteil vom 31. Januar 2006 
II. Zivilabteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Raselli, Präsident, 
Bundesrichterin Nordmann, Bundesrichter Meyer, 
Gerichtsschreiber Zbinden. 
 
Parteien 
1. X.________, 
2. Y.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
1. V.________, 
2. W.________, 
Beschwerdegegner, dieser vertreten durch Rechtsanwalt Werner Rechsteiner, 
Kantonsgericht St. Gallen, Einzelrichter im Familienrecht, Klosterhof 1, 9001 St. Gallen. 
 
Gegenstand 
Art. 9 BV etc. (Anfechtung der Wahl einer Prozessbeiständin), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Einzelrichter im Familienrecht, vom 18. Oktober 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
X.________, geboren 1993, und Y.________, geboren 1995, sind die Kinder von V.________ und W.________. Die Eltern wurden Ende 2001 in Deutschland geschieden. Seither führen sie mit grossem Aufwand und äusserster Erbitterung einen Prozess um sämtliche Scheidungsfolgen vor dem Kreisgericht St. Gallen. Daneben waren oder sind sie im In- und Ausland in zahlreiche andere Verfahren gegeneinander verwickelt. Im Herbst 2002 stellte die Massnahmerichterin die Kinder für die Dauer des Scheidungsprozesses in die Obhut der Mutter und regelte ihren persönlichen Umgang mit dem Vater. Bis heute sind alle Versuche, einen regelmässigen Kontakt zum Vater anzuknüpfen oder - mit den Worten der Mutter - eine "Zwangsbeziehung" zu ihm herzustellen, gescheitert. Den Kindern wurden nacheinander drei Erziehungsbeistände mit besonderen Befugnissen zur Überwachung des persönlichen Verkehrs bestellt. Die erste Beiständin wurde einem Wunsch der Mutter folgend ausgewechselt. Die zweite Beiständin trat von ihrem Amt zurück, nachdem die Mutter sie der Parteinahme und des Vertrauensbruchs beschuldigt hatte. Der dritte Beistand wurde hingegen in seinem Amt bestätigt, obwohl die Mutter seine Absetzung verlangte und obschon der Beistand selber seine Aufgabe für unerfüllbar hielt. 
Die Vormundschaftsbehörde empfahl dem Kreisgericht St. Gallen zudem, den Kindern für das Verfahren betreffend Ergänzung des Scheidungsurteils (unter anderem Zuteilung der elterlichen Sorge und Besuchsrecht) einen unabhängigen und neutralen Prozessbeistand beizugeben. Darauf ordnete der Kreisgerichtspräsident am 2. März 2005 eine Kindesvertretung im Sinne von Art. 146 ZGB an. Diese Verfügung wurde von keiner Seite angefochten und erwuchs in Rechtskraft. 
B. 
Am 1. April 2005 wählte die Vormundschaftsbehörde St. Gallen Rechtsanwältin R.________ als Kindesvertreterin, weil diese nicht nur über reiche Erfahrung in der Vertretung von Kindern verfüge, sondern auch persönlich geeignet sei, einzig die Interessen der Kinder zu vertreten. Die Mutter focht diesen Entscheid allein und in eigenem Namen an. Das Justiz- und Polizeidepartement des Kantons St. Gallen wies die Wahlanfechtung der Mutter am 11. August 2005 ab und auferlegte ihr die Kosten. 
C. 
Am 18. August 2005 und damit innert der zehntägigen Beschwerdefrist wurde beim Kantonsgericht eine von den Kindern unterzeichnete und von ihnen adressierte Rekursschrift eingereicht mit dem Antrag, den angefochtenen Entscheid aufzuheben. Am 18. Oktober 2005 trat das Kantonsgericht St. Gallen, Einzelrichter in Familiensachen, auf den Rekurs nicht ein und auferlegte die Verfahrenskosten der Mutter. 
D. 
Gegen diesen Entscheid haben die beiden Kinder X.________ und Y.________ am 8. November 2005 staatsrechtliche Beschwerde und Nichtigkeitsbeschwerde erhoben mit den Anträgen, den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Einzelrichter im Familienrecht, vom 18. Oktober 2005, insbesondere die Kostenauflage an die nicht rekurrierende Kindsmutter aufzuheben; es sei den minderjährigen Beschwerdeführern unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu erteilen. Die Verfahrensbeteiligten erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Präsident der II. Zivilabteilung erkannte der staatsrechtlichen Beschwerde aufschiebende Wirkung zu. Auf die Nichtigkeitsbeschwerde trat das Bundesgericht am 15. November 2005 nicht ein (5C.278/2005). 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Streitgegenstand ist die Wahl eines Vertretungsbeistands. Es handelt sich dabei um eine nicht vermögensrechtliche Zivilsache, in der die eidgenössische Berufung in den in Art. 44 OG aufgezählten Fällen zulässig ist. Die Berufung ist gemäss Art. 44 lit. d OG im Fall der Anordnung einer Beistandschaft zulässig. Im vorliegenden Fall ordnete der Kreisgerichtspräsident die Vertretungsbeistandschaft am 2. März 2005 an. Dieser Entscheid blieb unangefochten und erwuchs in Rechtskraft. Die anschliessende Wahl des Beistands durch die Vormundschaftsbehörde ist demgegenüber nicht berufungsfähig. Daher verbleibt auf Bundesebene betreffend die Wahl des Beistands nur die subsidiäre staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte (Art. 84 Abs. 2 und 86 OG). 
1.2 Gemäss Art. 86 Abs. 1 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde nur gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide zulässig. Dies bedeutet, dass der kantonale Instanzenzug ausgeschöpft werden muss, bevor staatsrechtliche Beschwerde erhoben werden kann. Die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs bildet eine Sachurteilsvoraussetzung, welche das Bundesgericht frei und von Amtes wegen prüft (BGE 130 II 302 E. 3 S. 303). Die Beschwerdeführer müssen den Instanzenzug persönlich ausschöpfen. Dies gilt nur dann nicht, wenn erst der letztinstanzliche Entscheid die Beschwerdeführer belastet und sie vorher keine Möglichkeit oder Veranlassung hatten, sich am kantonalen Verfahren zu beteiligen. Der kantonale Instanzenzug ist insbesondere nicht ausgeschöpft, wenn die Beschwerdeführer selber auf die Ergreifung eines zulässigen kantonalen Rechtsbehelfs verzichtet haben und erst gegen den von einer anderen Partei veranlassten oberinstanzlichen Entscheid Beschwerde erheben wollen, ohne durch diesen zusätzlich belastet zu sein (BGE 85 I 211 E. 1 S. 214/215; vgl. auch BGE 116 Ia 78 E. 1b S. 79 f.). So verhält es sich im vorliegenden Fall. 
1.3 Gegen den erstinstanzlichen Beschluss der Vormundschaftsbehörde vom 1. April 2005 hat einzig die Mutter, V.________, in eigenem Namen fristgerecht Beschwerde beim Justiz- und Polizeidepartement erhoben. Diese hatte ein Interesse an der Anfechtung des Wahlbeschlusses, weil es Zweck der Prozessbeistandschaft ist, den Kindern im Scheidungsverfahren eine unabhängige Person zur Seite zu stellen, welche deren Interessen wenn nötig auch gegen den Willen eines Elternteils durchzusetzen hilft. Deshalb hat sie sich vehement auf den "verfassungsrechtlichen Schutz der Privatheit" ihrer Beziehung zu den Kindern berufen. Das Justiz- und Polizeidepartement hat die Beschwerde der Mutter entgegengenommen, ihre Einwände geprüft und die Beschwerde abgewiesen sowie die Wahl von R.________ als Prozessbeiständin der beiden Kinder bestätigt. Gegen den Entscheid des Justiz- und Polizeidepartements hat nicht die Mutter, sondern haben einzig die beiden Kinder X.________ und Y.________ Rekurs beim Kantonsgericht St. Gallen eingereicht und sich dort auf ihre eigene Prozessfähigkeit berufen. Die Beschwerdeführer haben indes nicht bereits gegen den Beschluss der Vormundschaftsbehörde vom 1. April 2005 beim Justiz und Polizeidepartements Beschwerde geführt und behaupten nicht, dazu nicht in der Lage gewesen zu sein. Insbesondere machen sie nicht substanziiert geltend, von diesem Beschluss keine Kenntnis gehabt zu haben. Der besagte Beschluss ist jedenfalls beiden Eltern zugestellt worden. Daher bleibt den Kindern verwehrt, beim Bundesgericht gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Einzelrichter im Familienrecht, vom 18. Oktober 2005 Beschwerde zu führen. Sie haben den kantonalen Instanzenzug nicht ausgeschöpft, so dass auf ihre staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten werden kann. 
2. 
Im Übrigen verstösst der Nichteintretensentscheid des Kantonsgerichts gegen kein verfassungsmässiges Recht der Kinder. 
2.1 Das Gebot, nach Treu und Glauben zu handeln, gehört zu den Grundlagen der schweizerischen Rechtsordnung. Es gilt auch im Prozessrecht (BGE 105 II 149 E. 3 S. 155; 102 II 12 E. 2b S. 16; 101 Ia 39 E. 3 S. 44). Bezieht sich das Verbot des Rechtsmissbrauchs wie vorliegend auf das vom kantonalen Recht beherrschte Verfahrensrecht, dann handelt es sich um einen kantonalrechtlichen Grundsatz, der im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde überprüft werden kann (BGE 111 II 62 E. 3 S. 66). Den Sachverhalt und die Beweiswürdigung überprüft das Bundesgericht auf Willkür hin (BGE 119 Ia 3 E. 3a S. 366 mit Hinweisen). 
2.2 Die Feststellung des Kantonsgerichts, es sei offensichtlich, dass nicht die Kinder, sondern die Mutter den Rekurs an seine Instanz verfasst hat, ist nicht willkürlich. Es bedurfte dazu keines weiteren Beweisverfahrens. Das Kantonsgericht hat mit Grund auf Stil und Inhalt der "Kinderbriefe" hingewiesen, die in einer eigentlichen Kanzleisprache gehalten und mit zahlreichen Gesetzeszitaten, Literaturhinweisen sowie lateinischen Wendungen versetzt sind. Die Meinung des Kantonsgerichts, es sei schlicht undenkbar, dass Kinder im Alter von 11 ½ und 10 Jahren diese Texte selber verfasst oder auch nur richtig verstanden haben können, ist vor dem Willkürverbot haltbar. Das Bundesgericht hat zwar schon anerkannt, dass ein 12-jähriges Kind selber oder durch einen gewillkürten Vertreter gegen die zwangsweise Durchsetzung des Besuchsrechts Beschwerde führen kann (BGE 120 Ia 369 S. 371). Hier geht es indessen nicht um die Prozessfähigkeit der Kinder. Vielmehr hat die Mutter den Rekurs aufgrund der nicht willkürlichen Feststellungen des Kantonsgerichts allein aufgesetzt und anschliessend den beiden Kindern zur Signatur vorgelegt, ja förmlich unterschoben. Das Kantonsgericht hat mit Grund ausgeführt, sie betreibe einen Etikettenschwindel, habe die Kinder als willenlose Werkzeuge benutzt und sie zu ihrem eigenen Sprachrohr gemacht. Aufgrund dieser willkürfreien Feststellungen hat die Mutter durch ihre Manipulation gegen den Grundsatz von Treu und Glauben im Verfahren verstossen. 
2.3 Der gleiche Mangel haftet im Übrigen auch der staatsrechtlichen Beschwerde an, welche ganz offensichtlich von der Mutter verfasst worden ist. Diese versteckt sich hinter ihren Kindern und hat eine Eingabe verfasst, die nicht im wohlverstandenen Interesse der Kinder liegt, geht es doch - wie ausgeführt - um das Bestellen einer Prozessvertreterin, welche die Interessen der Kinder wenn nötig auch gegen den Willen der Mutter durchzusetzen hat. Indem die Mutter zur Beschwerdeführung die Kinder vorschiebt, handelt sie treuwidrig, so dass auf die staatsrechtliche Beschwerde auch aus diesem Grund nicht eingetreten werden kann. 
3. 
Die Beschwerdeführer beanstanden auch die Kostenauflage an ihre Mutter. Durch diese Kostenauflage sind sie indessen selber nicht beschwert, so dass darauf nicht eingetreten werden kann (Art. 88 OG). 
4. 
Es rechtfertigt sich, den beschwerdeführenden Kindern keine Verfahrenskosten aufzuerlegen (Art. 154 OG), so dass das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos ist. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, Einzelrichter im Familienrecht, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 31. Januar 2006 
Im Namen der II. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: