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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_601/2022  
 
 
Urteil vom 31. Januar 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Haag, Müller, 
Gerichtsschreiber Schurtenberger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Leuch, 
 
gegen  
 
Dorothea Speich, c/o Staats- und Jugendanwaltschaft, Postgasse 29, 8750 Glarus, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Ausstand, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Glarus vom 4. November 2022 (OG.2022.00067). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Glarus führt unter der Verfahrensleitung von Staatsanwältin Dorothea Speich eine Strafuntersuchung gegen A.________ wegen des Verdachts der Gehilfenschaft zu qualifizierter Sachbeschädigung, der Gehilfenschaft zur Drohung sowie des Fahrens in angetrunkenem Zustand. Ihm wird zusammengefasst vorgeworfen, B.________ dabei gefilmt und damit unterstützt zu haben, als jener am 18. Dezember 2018 auf dem Parkplatz der Gemeindeverwaltung Glarus Süd das Fahrzeug des damaligen Gemeindeschreibers zertrümmert und ein bedrohliches "Manifest" betreffend den "Glarner Behördenfilz und Mobbing" verlesen habe, in welchem vier Personen, darunter Staatsanwältin Dorothea Speich, namentlich genannt wurden. 
 
B.  
A.________ wurde am 27. September 2022 von Staatsanwältin Dorothea Speich einvernommen, gegen welche er noch am selben Tag ein Ausstandsgesuch wegen Befangenheit stellte. Auf dieses Ausstandsgesuch ist das Obergericht des Kantons Glarus mit Beschluss vom 4. November 2022 wegen Verspätung nicht eingetreten. 
 
C.  
Dagegen erhebt A.________ mit Eingabe vom 25. November 2022 beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, den Beschluss des Obergerichts des Kantons Glarus vom 4. November 2022 aufzuheben und festzustellen, dass die Beschwerdegegnerin im gegen ihn geführten Strafverfahren in den Ausstand zu treten habe. 
Die Vorinstanz hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Staatsanwältin Dorothea Speich hat mit Stellungnahme vom 5. Januar 2023 die Abweisung der Beschwerde beantragt. Der Beschwerdeführer hat sich nicht mehr zur Sache geäussert. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein selbstständig eröffneter Zwischenentscheid über ein Ausstandsbegehren im Rahmen eines Strafverfahrens. Dagegen steht die (direkte) Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht nach Art. 78 ff. BGG grundsätzlich offen (Art. 78 Abs. 1 BGG; Art. 59 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 80 BGG; Art. 92 Abs. 1 BGG). Die weiteren Eintretensvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten. 
 
2.  
Die Vorinstanz ist auf das Ausstandsgesuch des Beschwerdeführers wegen Verspätung nicht eingetreten. Dieser sei zum Tatzeitpunkt, als B.________ sein "Manifest" verlesen habe, vor Ort gewesen und habe damit seit dem 18. Dezember 2018 gewusst, dass in diesem "Manifest" auch Staatsanwältin Dorothea Speich namentlich genannt werde. Den Parteien sei sodann grundsätzlich seit August 2019 bekannt, dass Staatsanwältin Dorothea Speich die Strafuntersuchung gegen den Beschwerdeführer leite, spätestens aber seit Zustellung der schriftlichen Vorladung vom 4. April 2022, in welcher sie explizit aufgeführt worden sei. Das erst am 27. September 2022 und damit mehrere Monate später gestellte Ausstandsgesuch sei daher zweifelsfrei verspätet. 
Der Beschwerdeführer rügt zum einen die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz bezüglich seiner Kenntnis des Ausstandsgrunds als willkürlich. Er habe sein Ausstandsgesuch unmittelbar nach seiner tatsächlichen Kenntnis des Ausstandsgrunds gestellt, weshalb die Vorinstanz auf sein Gesuch hätte eintreten müssen. Zum anderen bringt er vor, dass Ausstandsgründe zumindest dann, wenn sie wie vorliegend offensichtlich gegeben seien, zwingend und von Amtes wegen beachtet werden müssten. 
 
3.  
Dem Beschwerdeführer ist darin zuzustimmen, dass nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung das verspätete Vorbringen von Ausstandsgründen dann unbeachtlich ist, wenn der Ausstandsgrund geradezu offensichtlich gegeben ist (BGE 134 I 20 E. 4.3.2; zuletzt Urteil 1B_254/2022 vom 14. Dezember 2022 E. 5.5). Er beanstandet aus diesem Grund den angefochtenen Entscheid ausdrücklich als bundesrechtswidrig. 
 
3.1. Streitgegenstand des bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahrens kann vorliegend zwar nur die Frage sein, ob die Vorinstanz zu Recht auf das Ausstandsgesuch des Beschwerdeführers nicht eingetreten ist. Die vom Beschwerdeführer ersuchte materielle Beurteilung der geltend gemachten Ausstandsgründe ist damit grundsätzlich ausgeschlossen (BGE 144 II 184 E. 1.1; 139 II 233 E. 3.2; 135 II 38 E. 1.2).  
Die materiellrechtlichen Vorbringen des Beschwerdeführers zur (offensichtlichen) Begründetheit seines Ausstandsgesuchs sind nach dem Gesagten indessen sowohl für die formelle Zulässigkeit des Ausstandsgesuchs im vorinstanzlichen Verfahren als auch für dessen materielle Begründetheit von Bedeutung (vgl. BGE 147 IV 188 E. 1.4, zum Begriff der sog. "doppelrelevanten Tatsachen"). Sie sind daher, ungeachtet des vorinstanzlichen Nichteintretensentscheids, im bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren notwendigerweise zu prüfen, wenn sie schlüssig behauptet werden bzw. mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorliegen (vgl. BGE 147 IV 188 E. 1.4 mit Hinweisen). 
 
3.2. Nach Art. 56 StPO tritt eine in einer Strafbehörde tätige Person (wozu nach Art. 12 lit. b StPO auch Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zählen) unter anderem dann in den Ausstand, wenn sie in der Sache ein persönliches Interesse hat (lit. a) oder aus anderen Gründen befangen sein könnte (lit. f).  
Aus Art. 56 lit. a StPO folgt, dass die in einer Strafbehörde tätige Person weder in eigener Sache ermitteln noch entscheiden darf. Erfasst werden sämtliche direkten und indirekten Interessen, seien sie tatsächlicher, etwa finanzieller, oder ideeller Natur. Soweit nur eine indirekte bzw. mittelbare Betroffenheit vorliegt, muss die Person jedenfalls so intensiv tangiert sein, dass eine ernsthafte Gefahr der Unsachlichkeit besteht. Erforderlich ist eine spürbare persönliche Beziehungsnähe zum Streitgegenstand (vgl. BGE 140 III 221 E. 4.2; Urteil 1B_593/2021 vom 11. April 2022 E. 4.2). 
 
3.3. Eine solch spürbare persönliche Beziehungsnähe ist vorliegend offensichtlich gegeben. Dem Beschwerdeführer wird neben weiteren Delikten auch Gehilfenschaft zur Drohung vorgeworfen, die sich gemäss den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz gegen vier namentlich genannte Personen, darunter die fallführende Staatsanwältin Dorothea Speich, richten soll. Die fallführende Staatsanwältin ist damit zugleich geschädigte Person (vgl. Art. 115 StPO) des von ihr selbst untersuchten Delikts, was aufgrund der offensichtlichen Interessenkollision von vornherein unzulässig ist (anders im Urteil 6B_1036/2021 vom 1. November 2021 E. 2.3, wo es um ein Strafverfahren wegen Verstössen gegen das Gewässerschutzgesetz [GschG; SR 814.20] ging; vgl. MARKUS BOOG, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 14 zu Art. 58 StPO; ANDREAS J. KELLER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 3. Aufl. 2020, N. 11 zu Art. 56 StPO).  
 
3.4. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die fallführende Staatsanwältin offenbar als einzige der mutmasslich bedrohten Personen keinen Strafantrag gestellt hat und damit nicht (auch noch) als Privatklägerin am Verfahren beteiligt ist.  
Zwar reicht es nach konstanter Rechtsprechung für die Bejahung des Ausstandsgrunds nach Art. 56 lit. f StPO nicht aus, wenn die Partei eines (kein Mitglied der Strafbehörde betreffenden) Strafverfahrens Delikte gegen eine Person begeht, die bei der damit befassten Strafbehörde tätig ist. Vielmehr ist hierfür erforderlich, dass das fragliche Mitglied der Strafbehörde aufgrund dieses Verhaltens seinerseits mit einer Strafanzeige oder der Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche reagiert. Andernfalls hätten die Parteien es in der Hand, missliebige Mitglieder einer Strafbehörde allein durch ihr eigenes Verhalten (z.B. durch das Einreichen ungerechtfertigter Strafanzeigen oder auch das Ausstossen von Drohungen oder Beleidigungen) aus dem Verfahren zu drängen (BGE 134 I 20 E. 4.3.2; statt vieler Urteile 1B_671/2021 vom 31. März 2022 E. 3.1; 1B_13/2015 vom 1. Mai 2015 E. 3.1). 
Vorliegend wird aber gerade kein solcher Ausstandsgrund nach Art. 56 lit. f StPO geltend gemacht. Vielmehr beanstandet der Beschwerdeführer zu Recht, dass die von ihm abgelehnte Staatsanwältin persönlich ein Strafverfahren führt, in welchem mutmasslich vom Beschwerdeführer gegen sie und weitere Personen begangene Delikte untersucht werden, und somit ein Ausstandsgrund nach Art. 56 lit. a StPO vorliegt. 
 
3.5. Zusammenfassend ist die Beschwerde insoweit begründet, als vorliegend ein derart offensichtlicher Ausstandsgrund nach Art. 56 lit. a StPO gegeben ist, dass die Vorinstanz - ungeachtet einer allenfalls verspäteten Geltendmachung - auf das Ausstandsgesuch des Beschwerdeführers hätte eintreten und dieses auch hätte gutheissen müssen. Damit erübrigt sich eine Prüfung der Rügen des Beschwerdeführers hinsichtlich der vorinstanzlichen Annahme, er habe sein Ausstandsgesuch nicht "ohne Verzug" (Art. 58 Abs. 1 StPO) eingereicht.  
 
4.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen. Der angefochtene Beschluss des Obergerichts des Kantons Glarus ist aufzuheben und die Streitsache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese auf das Ausstandsgesuch eintritt und die Beschwerdegegnerin in den Ausstand versetzt. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Glarus hat dem obsiegenden Beschwerdeführer eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Beschluss des Obergerichts des Kantons Glarus vom 4. November 2022 wird aufgehoben und Sache zum neuen Entscheid im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Glarus hat dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- zu bezahlen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Glarus schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 31. Januar 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Der Gerichtsschreiber: Schurtenberger