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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_309/2011 
 
Urteil vom 31. Mai 2011 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Niquille, 
Gerichtsschreiberin Polla. 
 
Verfahrensbeteiligte 
O.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Walter Keller, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Lagerhausstrasse 19, 8400 Winterthur, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (vorinstanzliches Verfahren; unentgeltlicher Rechtsbeistand), 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 11. März 2011. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Mit Einspracheentscheid vom 21. September 2010 bestätigte die Branchen Versicherung Schweiz ihre verfügungsweise am 17. März 2010 vorgenommene 50%ige Kürzung der O.________ (geboren 1989) zugesprochenen Integritätsentschädigung. Dies mit der Begründung, der am 29. August 2009 erlittene Badeunfall, bei welchem sich der Versicherte eine Halswirbelfraktur mit anschliessender Tetraplegie zugezogen hatte, würde auf ein Wagnis zurückgehen. Mit Verfügung vom 19. Oktober 2010 teilte ihm die Branchen Versicherung Schweiz mit, es stünde ihm - unter Berücksichtigung der Kürzung um 50 % - eine Integritätsentschädigung im Umfang von Fr. 63'000.- zu. 
 
B. 
O.________ erhob gegen den Einspracheentscheid vom 21. September 2010 Beschwerde beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und beantragte die Zusprechung der vollen gesetzlichen Leistungen der Unfallversicherung. Zudem ersuchte er um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtsvertretung. 
Mit einzelrichterlicher Verfügung vom 11. März 2011 wies das kantonale Sozialversicherungsgericht das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung mangels Bedürftigkeit ab, da die zugesprochene Integritätsentschädigung in der Höhe von Fr. 63'000.- als Vermögen anzurechnen sei. 
 
C. 
O.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, die Verfügung vom 11. März 2011 sei aufzuheben. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Eine selbstständig eröffnete Verfügung, mit der im kantonalen Verfahren ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung (im Sinne der unentgeltlichen Verbeiständung) abgewiesen wird, stellt praxisgemäss einen Zwischenentscheid dar, welcher geeignet ist, einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zu verursachen (SVR 2009 UV Nr. 12 S. 49, 8C_530/2008 E. 2). Auf die Beschwerde ist daher grundsätzlich einzutreten. 
 
1.2 Die Beschwerde ist nicht kassatorischer, sondern reformatorischer Natur. Daher darf sich der Beschwerdeführer grundsätzlich nicht darauf beschränken, die Aufhebung des angefochtenen Entscheids zu beantragen, sondern es ist in der Beschwerdeschrift ein präziser Antrag zur Sache zu stellen (BGE 133 III 489) E. 3.1; Urteil 9C_104/2007 vom 20. August 2007, E. 10.2). Das Begehren umschreibt den Umfang des Rechtsstreits und sollte so formuliert werden, dass es bei Gutheissung zum Urteil erhoben werden kann. Ein blosser Aufhebungsantrag genügt nach dem Gesagten (von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen) nicht. Bei der Beurteilung, ob ein genügender Antrag vorliegt, stellt das Gericht nicht nur auf die förmlich gestellten Anträge ab, das Begehren kann sich auch aus der Begründung ergeben. Ein Verweis auf die im vorinstanzlichen Verfahren gestellten Anträge ist jedoch nicht hinreichend (vgl. Urteil des Bundesgerichtes 8C_253/2007 vom 23. Januar 2008, E. 1, mit Hinweis auf Niggli/ Uebersax/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz [BGG], Basel 2008, N. 14 ff. und 18 zu Art. 42). 
 
1.3 Aus der Beschwerdebegründung geht hervor, dass sinngemäss ein Antrag auf Gewährung der unentgeltlichen Rechtsvertretung im kantonalen Verfahren gestellt wird, weshalb auf die Beschwerde eingetreten werden kann. 
 
2. 
2.1 Jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, hat Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand (Art. 29 Abs. 3 BV). Die unentgeltliche Rechtspflege bezweckt, auch der bedürftigen Partei den Zugang zum Gericht und die Wahrung ihrer Parteirechte zu ermöglichen. Sie soll sicherstellen, dass jedermann unabhängig von seinen finanziellen Verhältnissen nicht aussichtslose Streitsachen zur gerichtlichen Entscheidung bringen und sich überdies im Prozess, sofern es sachlich geboten ist, durch einen Anwalt vertreten lassen kann (BGE 135 I 1 E. 7.1 S. 2). Für das - in der Regel kostenlose (Art. 61 lit. a ATSG [SR 830.1]) - sozialversicherungsrechtliche Beschwerdeverfahren findet der Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand in Art. 61 lit. f ATSG eine gesetzliche Grundlage. 
 
2.2 Eine Person ist bedürftig, wenn sie nicht in der Lage ist, für die Prozesskosten aufzukommen, ohne dass sie Mittel beanspruchen müsste, die zur Deckung des Grundbedarfs für sie und ihre Familie notwendig sind. Die prozessuale Bedürftigkeit beurteilt sich nach der gesamten wirtschaftlichen Situation des Rechtsuchenden im Zeitpunkt der Entscheidung über das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Dazu gehören einerseits sämtliche finanziellen Verpflichtungen zur Deckung des Grundbedarfs, anderseits die Einkommens- und Vermögensverhältnisse (SVR 2010 IV Nr. 10 S. 31, 9C_13/2009 E. 8.2; 2009 UV Nr. 12 S. 49, 8C_530/2008 E. 4.1, je mit Hinweisen; Urteil 8C_679/2009 vom 22. Februar 2010 E. 4). 
 
3. 
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf unentgeltliche Rechtsvertretung im kantonalen Verfahren. 
 
3.1 Das kantonale Gericht hat die prozessuale Bedürftigkeit des Beschwerdeführers - als eine der Voraussetzungen für die Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung - verneint. Es erwog, aufgrund der am 19. Oktober 2010 zugesprochenen Integritätsentschädigungssumme sei die prozessuale Bedürftigkeit nicht gegeben, da es hinsichtlich der Frage der Bedürftigkeit unerheblich sei, woher der Vermögenswert stamme, weshalb auch die Integritätsentschädigung dem beschwerdeführerischen Vermögen hinzuzurechnen sei. 
 
3.2 Der Beschwerdeführer wenden dagegen ein, die Integritätsentschädigung nach UVG dürfe als Abgeltung immateriellen Schadens in Form von körperlichem oder seelischem Leid nicht angerechnet werden. Dies ergäbe sich unter anderem auch dadurch, dass in der zivilrechtlichen Praxis bei der Beurteilung der prozessualen Bedürftigkeit Genugtuungs- und Integritätsentschädigungen nicht berücksichtigt werden dürften. Aufgrund der gebotenen Einheitlichkeit in der Verwendung dieses Begriffs müsse dieser Grundsatz auch im Bereich des Sozialversicherungsrechts gelten. 
3.3 
3.3.1 Das Bundesgericht hat sich zur Frage, ob Vermögen aus einer Integritätsentschädigung anrechenbares Vermögen darstellt, zuletzt im Urteil 8C_679/2009 vom 22. Februar 2010 E. 4.3 (SZS 2010 S. 379) geäussert und festgehalten, in den Urteilen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (heute: I. und II. sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts) I 302/96 vom 23. Dezember 1997 E. 7c (veröffentlicht in: SVR 1998 IV Nr. 13 S. 45) und I 228/97 vom 17. Juni 1997 sei die Anrechenbarkeit derartigen Vermögens mit der Begründung bejaht worden, es komme bei der Bedürftigkeitsprüfung nicht auf den Rechtsgrund der Vermögensbildung an. Kritisch dazu geäussert habe sich etwa ALFRED BÜHLER (Die Prozessarmut, in: Gerichtskosten, Parteikosten, Prozesskaution, unentgeltliche Prozessführung, 2001, S. 131 ff., 140 f.; DERS., Kommentar zur Aargauischen Zivilprozessordnung, 1998, S. 307 f. N. 18; vgl. auch VOLKER PRIBNOW, Die Voraussetzungen für die unentgeltliche Rechtspflege im Haftpflichtprozess, in: AJP 1997 S. 1205 ff., 1208; REBECCA HIRT, Die Regelung der Kosten nach st. gallischem Verwaltungsrechtspflegegesetz, Diss. St. Gallen 2004, S. 235 Anm. 25). Das Bundesgericht musste jedoch im zu beurteilenden Fall hierauf nicht näher eingehen. Auf eine abschliessende Beurteilung dieser Frage kann auch vorliegend verzichtet werden, wie sich aus den nachstehenden Erwägungen ergibt. 
3.3.2 Das kantonale Gericht hat sich für die Beurteilung der Bedürftigkeit auf die Prüfung der Vermögenssituation beschränkt und es unterlassen, im Sinne einer Gesamtbetrachtung auch die Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers zu prüfen. Dementsprechend hat es keine Feststellungen zu den finanziellen Verpflichtungen zur Deckung des Grundbedarfs und den Einkommen getroffen. Die Akten erlauben es jedoch, dass das Bundesgericht selber solche trifft (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
3.3.3 Bei der Berücksichtigung der gesamten wirtschaftlichen Situation des Versicherten und in Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben ist gemäss Eingabe des Rechtsvertreters vom 23. Februar 2011 von einem Einkommen von Fr. 2'942.- auszugehen, welches dem durchschnittlichen monatlichen Taggeld der Invalidenversicherung entspricht. Praxisgemäss ist eine bezogene Hilflosenentschädigung nicht als Einkommen anzurechnen, da ihr schadenersatzähnlicher Charakter zukommt und sie nicht zur Fristung des allgemeinen Lebensunterhalts dient (Urteil I 615/06 vom 23. Juli 2007, E. 5.4.). 
Die Ausgaben betragen bei einem Grundbetrag für Alleinstehende von Fr. 1'200.- (vgl. die Richtlinien des Obergerichts des Kantons Zürich für die Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums vom 16. September 2009 Ziff. II/1.1) zuzüglich eines prozessualen Bedürftigkeitszuschlages von 25 % (SVR 2010 IV Nr. 10 S. 31 E. 8.3), den angegebenen Krankenkassenprämien von Fr. 200.-, den Krankenkassen-Selbstkosten von Fr. 50.-, den Steuern und Wehrpflichtersatz in der Höhe von Fr. 325.-, insgesamt Fr. 2'125.-. Die geltend gemachten Prämien für Hausrat/Haftpflichtversicherung sind ebenso im Grundbetrag enthalten wie die Telekommunikationskosten. Die aufgeführten Mobilitätskosten (insbesondere Taxikosten) sind durch die zugesprochene Hilflosenentschädigung abgedeckt, die den gesetzlichen Zweck verfolgt, die mit der Hilflosigkeit verbundenen präsumierten Kosten zu ersetzen, worunter auch die geltend gemachten Mobilitätskosten im Sinne von behinderungsbedingt anfallenden Mehrkosten zu subsumieren sind. Damit resultiert ein monatlicher Einnahmenüberschuss von Fr. 817.-. Da die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung über das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege massgebend sind (BGE 108 V 265 E. 4 S. 269; vgl. Art. 64 Abs. 4 BGG) und der Versicherte dannzumal von Montag bis Freitag im Rahmen einer von der Invalidenversicherung unterstützten Umschulungsmassnahme in der Eingliederungswerkstätte X.________ weilte und die Wochenenden bei seinen Eltern verbrachte, sind die aufgeführten fiktiven Mietzinskosten einer Wohnung ausser Acht zu lassen. Der errechnete Überschuss reicht aus, um die anfallenden Anwaltskosten der ersten Instanz innert nützlicher Frist zu begleichen, weshalb die Vorinstanz im Ergebnis die Bedürftigkeit zu Recht verneint hat. 
 
4. 
Die Gerichtskosten sind dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bundesamt für Gesundheit und der Branchen Versicherung Schweiz schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 31. Mai 2011 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Ursprung Polla