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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6S.292/2005 /gnd 
 
Urteil vom 31. Oktober 2005 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Kolly, Zünd, 
Gerichtsschreiber Willisegger. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Raphael Mullis, 
 
gegen 
 
Z.________, 
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwältin 
lic. iur. Esther Küng, 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8090 Zürich. 
 
Gegenstand 
Vergewaltigung, 
 
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, 
vom 14. April 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Am Abend des 6. Dezembers 2002 besuchten X.________ (18-jährig) und Z.________ (16-jährig) den Klub "Lava" in Winterthur. Nach Mitternacht machten sie sich auf den Heimweg und kehrten in die elterliche Wohnung von X.________ zurück. Sie hatten bereits vor dem gemeinsamen Ausgang abgemacht, dass Z.________ bei ihm übernachten könne. Zu Hause angekommen erklärte sie, sie sei müde und wolle sich schlafen legen. Sie zog sich bis auf die Unterwäsche aus (Trägerleibchen, Büstenhalter und Tangaslip), stieg ins Bett und drehte sich gegen die Wand. X.________ legte sich zu ihr und begann sie zu streicheln und zu küssen. Sie sagte, sie wolle nichts Sexuelles, und wehrte sich gegen seine Annäherungen mit den Händen. Trotzdem wurde er weiter zudringlich und machte sich an ihrer Unterwäsche zu schaffen. Immer wieder versuchte Z.________ sich von ihm abzuwenden und sich zur Seite zu drehen, hielt sich die Arme schützend vor den Oberkörper und zog die Decke über sich. Mit fortschreitender Verweigerung wurde X.________ aggressiver. Irgendwann sagte er, er wolle lediglich einen Kuss, danach werde er aufhören. Sie küsste ihn auf den Mund in der Hoffnung, er werde sie dann in Ruhe lassen, stiess ihn mit den Händen weg und wandte sich ab. In der Folge drehte X.________ sie mit Kraft auf den Rücken und zog ihr den Tangaslip aus, was sie durch Anwinkeln der Beine zu verhindern versuchte. Sie sagte "Nein", worauf er ihr entgegnete, es werde nur geschehen, was sie denke. Er legte sich auf sie, spreizte ihre zusammengepressten Beine mit Gewalt und vollzog den Beischlaf an ihr. Als er von ihr liess, drehte sie sich zur Seite und begann zu weinen. 
B. 
Mit zweitinstanzlichem Urteil vom 14. April 2005 sprach das Obergericht des Kantons Zürich X.________ der Vergewaltigung im Sinne von Art. 190 Abs. 1 StGB schuldig und bestrafte ihn mit 18 Monaten Gefängnis unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges. 
C. 
X.________ erhebt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes aufzuheben und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
D. 
Das Obergericht verzichtet auf Gegenbemerkungen zur Beschwerde. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das Bundesgericht ist im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde an die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Behörden gebunden (Art. 277bis Abs. 1 Satz 2 BStP). Ausführungen, die sich dagegen richten, sind unzulässig (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP). Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, die Beschwerdegegnerin habe ihn nicht weggestossen (Beschwerde S. 5 Ziff. 12), und er hätte früher von ihr gelassen, wenn für ihn erkennbar gewesen wäre, dass sie nicht "weitergehen wolle" (Beschwerde, S. 5 Ziff. 11), richtet er sich gegen die Beweiswürdigung und die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz (angefochtenes Urteil, S. 32 mit Hinweis auf das erstinstanzliche Urteil des Bezirksgerichtes, S. 40 in Verbindung mit S. 9 ff.). Gleiches gilt, soweit er geltend macht, er habe eine "klare Penetration" nicht eingestanden und auch die Beschwerdegegnerin habe ihm dies nicht zur Last gelegt (Beschwerde, S. 5 Ziff. 10). Darauf ist nicht einzutreten. 
2. 
Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung von Art. 190 Abs. 1 StGB geltend. Er bringt vor, die Vorinstanz habe das Nötigungsmittel der Gewalt zu Unrecht bejaht. Die Beschwerdegegnerin habe im relevanten Zeitpunkt keinen Widerstand geleistet oder jedenfalls nicht im erforderlichen Umfang. Sie hätte jederzeit aus dem Bett steigen oder um Hilfe rufen können (Beschwerde, S. 4 f. Ziff. 9-11). Die Vorinstanz verkenne, dass die Anwendung von Gewalt nicht genüge, sondern die Gewalt den Beischlaf ermöglichen müsse. Nachdem er die Beschwerdegegnerin gewaltsam auf den Rücken gedreht habe, habe sie Zeit und Ruhe gefunden, sich die Unterwäsche wieder anzuziehen. Es bestehe kein Zusammenhang zwischen dem nachfolgenden Auseinanderpressen der Beine und der Penetration. Unter Jugendlichen komme es häufig erst nach längerem Insistieren zu sexuellen Handlungen. Die jungen Frauen würden zunächst verbal abwehren, dann "etwas" mitmachen und schliesslich einwilligen oder die Handlung über sich ergehen lassen. Wäre ein solches Verhalten als tatbestandsmässig zu werten, hätte sich mindestens die Hälfte der jungen Männer wegen Vergewaltigung einmal strafbar gemacht (Beschwerde, S. 7 ff. Ziff. 14-16). Schliesslich macht der Beschwerdeführer geltend, es fehle auch am subjektiven Tatbestand, da für ihn der Widerstand nicht erkennbar gewesen sei (Beschwerde, S. 9 ff. Ziff. 17). 
2.1 Nach Art. 190 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer eine Person weiblichen Geschlechts zur Duldung des Beischlafs nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht. 
2.1.1 Die Verübung von Gewalt im Sinne von Art. 190 Abs. 1 StGB erfordert eine physische Einwirkung auf das Opfer, die darauf gerichtet ist, dessen geleisteten oder erwarteten Widerstand zu brechen (BGE 122 IV 97 E. 2b S. 100; Guido Jenny, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, 4. Band: Delikte gegen die sexuelle Integrität und gegen die Familie, Bern 1997, Art. 189 N 16). Je nach den Umständen kann bereits ein verhältnismässig geringer Kraftaufwand ausreichen. Eine nur geringfügige Kraftanstrengung genügt allerdings nicht, wenn dem Opfer nach Lage der Dinge Widerstand möglich und zumutbar ist. Umgekehrt kann es auf sie nicht ankommen, wenn der Täter auf andere Weise eine Zwangslage geschaffen hat, in der das Nachgeben des Opfers als verständlich erscheint, das Opfer dem Täter etwa an einem abgelegenen Ort hilflos ausgeliefert ist (BGE 122 IV 97 E. 2b S. 101; Urteil 6S.200/2004 vom 14. Dezember 2004; Jenny, a.a.O., Art. 189 N 17, mit weiteren Hinweisen). Bereits unter früherem Recht war eine Vergewaltigung anzunehmen, wenn die Frau unter dem Druck des ausgeübten Zwanges zum Voraus auf Widerstand verzichtet oder nach anfänglicher Abwehr aufgibt (vgl. nur BGE 118 IV 52 E. 2b; 115 IV 215 E. 2a; 89 IV 85 E. 3a, je mit Hinweisen). Das geltende Recht stellt keine strengeren Anforderungen (BGE 126 IV 124 E. 3c in fine). 
2.1.2 Die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes setzt voraus, dass das Opfer durch die Nötigung des Täters zur Duldung des Beischlafes gezwungen wird. Am kausalen Zusammenhang zwischen der nötigenden Einwirkung des Täters und dem Vollzug des Geschlechtsverkehrs fehlt es, wenn die anfängliche Ablehnung des Opfers weicht und an deren Stelle ein nicht mehr vom Zwang beeinflusstes, (tatbestandsausschliessendes) Einverständnis tritt, oder wenn der Täter das Nötigungsmittel nicht dazu einsetzte, den Beischlaf zu erzwingen (Jenny, a.a.O., Art. 190 N. 5; Maier, a.a.O., Art. 189 N 34 f.; Rehberg/Schmid/Donatsch, Strafrecht III, Zürich 2003, S. 425 und 427; Stratenwerth/Jenny, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, Straftaten gegen Individualinteresse, 6. Aufl., Bern 2003, § 8 N 12). 
2.1.3 In subjektiver Hinsicht ist Vorsatz erforderlich. Der Täter muss wissen oder zumindest damit rechnen, dass die betroffene Frau mit dem Geschlechtsverkehr nicht einverstanden ist, und er muss sie zur Duldung des Beischlafs nötigen wollen (BGE 122 IV 97 2b S. 100; 87 IV 66 E. 3). 
2.2 
2.2.1 Gestützt auf die für das Bundesgericht verbindlichen Tatsachenfeststellungen gelangt die Vorinstanz zur Auffassung, der Tatbestand der Vergewaltigung sei in objektiver und subjektiver Hinsicht erfüllt. Das Vorliegen des Nötigungsmittels der Gewalt begründet sie damit, dass der Beschwerdeführer die Geschädigte mit Kraft auf den Rücken drehte und ihr vor dem vollzogenen Beischlaf die zusammengepressten Beine auseinander drückte. Unerheblich sei, dass die Geschädigte dem Beschwerdeführer einen Zungenkuss gab, und den Übergriff, nachdem ihr Widerstand bereits gebrochen war, ohne grosse Gegenwehr über sich ergehen liess. Aufgrund der klaren Äusserung der Geschädigten, sie wolle keine sexuellen Handlungen mit ihm, habe der Beschwerdeführer gewusst, dass sie den Geschlechtsverkehr nicht wollte. Indem er dennoch den Beischlaf an ihr vollzog, habe er vorsätzlich gehandelt (angefochtenes Urteil, S. 32 mit Hinweis auf das Urteil des Bezirksgerichtes, S. 40 f.). Diese Auffassung verletzt aus nachfolgenden Gründen kein Bundesrecht. 
2.2.2 Wie die Vorinstanz zunächst zu Recht erkennt, braucht es einen erheblichen Einsatz an körperlicher Kraft, um das Opfer auf den Rücken zu drehen und ihm die Beine gewaltsam auseinander zu pressen. Auch das Ausziehen des Tangaslips war nur gegen den Widerstand der angewinkelten Beine möglich und stellt eine erhebliche Einwirkung dar. Der Beschwerdeführer musste somit mehr als nur geringfügige Kraft aufwenden, um den Beischlaf zu vollziehen. Die eigentliche Penetration liess die Beschwerdegegnerin allerdings ohne grosse Gegenwehr über sich ergehen. 
 
Nachdem die Beschwerdegegnerin immer wieder vergeblich versucht hatte, den Zudringlichkeiten des Beschwerdeführers zu entkommen, sich erfolglos mit den Händen gewehrt und ihn weggestossen hatte und auch das Anwinkeln der Beine ihn nicht davon abhalten konnte, weiter auf sie einzuwirken, musste sie annehmen, dass sie nicht stark genug war, sich der Zwangssituation zu entziehen. Daran ändert nichts, dass er angeblich von schmächtiger Statur ist, was im angefochtenen Entscheid nicht verbindlich festgestellt wird. Denn angesichts des vergebens geleisteten Widerstandes und der Tatsache, dass der Beschwerdeführer seit geraumer Zeit das Krafttraining aufsuchte (Urteil des Bezirksgerichtes, S. 12 und 17), musste der Eindruck seiner körperlichen Überlegenheit entstehen. Zudem wurde er mit fortschreitender Verweigerung aggressiver. Wenn er sich in der Folge über ihr klares "Nein" hinwegsetzte und lediglich erwiderte, dass "nichts passiere" und nur "das geschehe, was sie denke", ist es nachvollziehbar, dass das Opfer die Zwangssituation als aussichtslos empfand. Es musste befürchten, er werde den Akt auf jeden Fall vollziehen und eine weitere Gegenwehr nötigenfalls gewaltsam brechen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beschwerdegegnerin im Tatzeitpunkt erst 16 Jahre alt war und nicht über die gleichen Abwehrfähigkeiten verfügte wie eine gefestigte Persönlichkeit im Erwachsenenalter. Ihre Hilflosigkeit kommt unter anderem darin zum Ausdruck, dass sie am ganzen Körper zitternd dalag, als er ihr die Beine spreizte, um in sie einzudringen (Urteil des Bezirksgerichtes, S. 12). Dass sie sich nicht weiter zur Wehr setzte, kann dem Beschwerdeführer unter diesen Umständen nicht zum Vorteil gereichen. Die Beschwerdegegnerin verweigerte sich - abgesehen vom Zungenkuss, den sie in der irrigen Hoffnung gab, er werde alsdann von ihr ablassen - von Anbeginn an, widersetzte sich sowohl verbal als auch körperlich und gab erst auf, als er über sie kam. Eine weitergehende Gegenwehr war ihr nicht zumutbar. Da der Widerstand der Beschwerdegegnerin nach dem Gesagten bereits gebrochen war, als er sie penetrierte, ergibt sich auch ohne Weiteres, dass die verübte Gewalt beim Vollzug des Geschlechtsverkehrs fortwirkte. Der kausale Zusammenhang zwischen Gewaltausübung und Duldung des Beischlafs ist gegeben. Damit ist der objektive Tatbestand der Vergewaltigung erfüllt. 
Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, ist unbeachtlich. Unbegründet ist sein Einwand, die Beschwerdegegnerin hätte lauter um Hilfe schreien oder das Bett verlassen müssen, um seine Eltern zu wecken. Die Beschwerdegegnerin wusste nämlich nicht, in welchem Zimmer die Eltern schliefen, und musste befürchten, sie würden ihr keinen Glauben schenken und sie mitten in der Nacht aus dem Haus werfen (Urteil des Bezirksgerichtes, S. 14 und 18). Abgesehen davon hätte der Beschwerdegegner ein Schreien sofort gewaltsam unterbinden können, weshalb sie sich keineswegs sicher sein konnte, dass sie den Beischlaf durch Hilferufe hätte verhindern können. Ohne Belang ist, dass die Beschwerdegegnerin ihre Unterwäsche vorübergehend wieder anziehen konnte. Denn der Beschwerdeführer machte sich danach erneut über sie her, presste ihre Beine mit Gewalt auseinander und legte sich auf sie, um an ihr den Beischlaf zu vollziehen. Gänzlich unbeachtlich ist, was der Beschwerdeführer zur sozialen Verbreitung von Vergewaltigungen unter Jugendlichen vorbringt. Die allgemein gehaltenen Ausführungen zum jugendlichen Sexualverhalten sind für die Beurteilung des konkreten Falles nicht von Bedeutung. Der Beschwerdeführer vermag daraus nichts zu seinen Gunsten abzuleiten. 
2.2.3 Auch der subjektive Tatbestand ist erfüllt. Aufgrund der wiederholten Äusserung der Beschwerdegegnerin, sie wolle keine sexuelle Handlung mit ihm, und angesichts der von ihr geübten Abwehr bleibt kein Zweifel, dass es der Beschwerdeführer mindestens für möglich hielt und damit rechnete, dass sie sich ihm nicht hingeben wollte. Wer den Beischlaf vollziehen will trotz eines klaren verbalen Widerspruchs ("Nein") und obgleich die Frau sich immer wieder abwendet, sich zur Seite dreht, die Arme verschränkt und schützend vor die Brust hält, die Beine zusammenpresst und mit den Händen abwehrt, kann nicht allen Ernstes behaupten, er habe den Widerstand nicht erkennen können oder diesen nicht für ernst gehalten. 
3. 
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und ist abzuweisen, soweit auf sie eingetreten werden kann. Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Da sein Begehren von vornherein aussichtslos war, ist das Gesuch abzuweisen (Art. 152 Abs. 1 OG). Dementsprechend hat er die Kosten des Verfahrens zu tragen (Art. 278 Abs. 1 BStP). Seinen finanziellen Verhältnissen wird bei der Festsetzung der Gerichtsgebühr Rechnung getragen. Der Beschwerdegegnerin wird mangels Umtrieben keine Entschädigung zugesprochen. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
3. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 800.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 31. Oktober 2005 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: