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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1B_186/2007 
1B_238/2007 /fun 
 
Urteil vom 31. Oktober 2007 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Féraud, Präsident, 
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz, 
Gerichtsschreiber Steinmann. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Beda Meyer, 
 
gegen 
 
Obergericht des Kantons Zürich, Präsidentin der Anklagekammer, Hirschengraben 15, Postfach 2401, 8021 Zürich, 
Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, 
Hirschengraben 13, Postfach 2401, 8021 Zürich. 
 
Gegenstand 
Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters, 
 
Beschwerde in Strafsachen gegen die Verfügung 
des Obergerichts des Kantons Zürich, Stellvertreter 
der Präsidentin der Anklagekammer, vom 31. Juli 2007 und den Beschluss des Obergerichts, II. Zivilkammer, vom 13. September 2007. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich führt eine Strafuntersuchung gegen A.________, B.________ und C.________. Aufgrund eines Polizeirapportes ergibt sich folgender Sachverhalt: 
 
Die Angeschuldigten sollen X.________ am 17. Mai 2007 in seiner Wohnung in Zürich-Schwamendingen heimgesucht, entführt und in einer Wohnung eines der Angeschuldigten in Zürich gefangen gehalten haben. X.________ soll es gelungen sein, in der Nacht vom 18./19. Mai 2007 zu fliehen und sich darauf bei einem Bekannten in Meilen zu verstecken. Am 20. Mai 2007 sollen zwei der Angeschuldigten in Meilen erschienen sein und X.________ bedroht haben. Auf entsprechende Alarmierung durch den Bekannten hin konnte die Polizei rechtzeitig eingreifen. 
B. 
Mit Eingabe vom 29. Juni 2007 stellte Rechtsanwalt Beda Meyer gestützt auf § 10 Abs. 5 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich (StPO) für X.________ ein Gesuch um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes. Er führte aus, der Geschädigte schwebe aufgrund seiner Aussagen gegen eine international organisierte somalische Drogenbande in Lebensgefahr, sei mittlerweile untergetaucht, leide noch immer stark unter den Nachwirkungen der gegen ihn verübten Straftaten und sei deshalb nicht in der Lage, seine Interessen im Strafverfahren gegen die Angeschuldigten alleine wahrzunehmen. 
 
Der Stellvertreter der Präsidentin der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Zürich wies das Gesuch mit Verfügung vom 31. Juli 2007 ab. Er ging davon aus, dass grundsätzlich jeder Geschädigte seine Rechte im Strafverfahren ohne staatliche Hilfe wahrnehmen könne und wahrnehmen müsse. Unter Beachtung der im Strafverfahren geltenden Offizialmaxime bestünden für den Geschädigten normalerweise keine Schwierigkeiten, seine Rechte auszuüben und seinen Zivilansprüchen zum Durchbruch zu verhelfen, sofern er die nötige Sorgfalt darauf verwende. Bei einem Schuldspruch stehe die Schadenersatzpflicht regelmässig fest. Die Höhe der Schadenersatzforderung könne durch Rechnungen leicht belegt werden. Auch Genugtuungsansprüche könnten vom Geschädigten selbst eingebracht werden. In Bezug auf die konkreten Umstände gelte es zu beachten, dass die psychische Belastung durch einen Rechtsvertreter nur unmerklich reduziert würde. Dem Geschädigten müsse zur Wahrung der Verfahrensrechte der Angeschuldigten ohnehin zugemutet werden, über das Geschehene Bericht zu erstatten und sich den Ergänzungsfragen zu stellen. Zudem könnten die Untersuchungsbehörden angemessene Schutzmassnahmen zugunsten des Geschädigten anordnen. Die gebotene psychische Unterstützung könne eine sozial ausgebildete Person besser und kostengünstiger gewähren als ein Rechtsvertreter. Die Bedrohungslage des Gesuchstellers werde durch die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes nicht erleichtert und hindere ihn an der Wahrnehmung seiner Interessen nicht. 
C. 
Diese Verfügung focht X.________ am 17. August 2007 mit Rekurs beim Obergericht des Kantons Zürich an. Mit Beschluss vom 13. September 2007 trat die II. Zivilkammer des Obergerichts darauf nicht ein. 
D. 
Gegen das Nichteintreten der II. Zivilkammer vom 13. September 2007 hat X.________ beim Bundesgericht am 18. Oktober 2007 Beschwerde erhoben (Verfahren 1B_238/2007). 
 
Schon zuvor hat X.________ beim Bundesgericht am 3. September 2007 gegen die Verfügung des Stellvertreters der Präsidentin der Anklagekammer vom 31. Juli 2007 Beschwerde in Strafsachen erhoben und um rückwirkende Gewährung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes per 7. Juni 2007 ersucht (Verfahren 1B_186/2007). 
 
In beiden Verfahren stellt der Beschwerdeführer das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung. 
 
Die Präsidentin der Anklagekammer hat im Verfahren 1B_186/2007 auf Stellungnahme verzichtet. Im Verfahren 1B_238/2007 sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff. BGG ist sowohl gegen den Entscheid der II. Zivilkammer wie gegen die Verfügung des Stellvertreters der Präsidentin der Anklagekammer grundsätzlich zulässig. Das Nichteintreten der II. Zivilkammer kann wegen formeller Rechtsverweigerung angefochten werden. Soweit dieser Entscheid vor der Verfassung standhält, stellt die Verfügung des Stellvertreters der Präsidentin der Anklagekammer einen kantonal letztinstanzlichen Entscheid im Sinne von Art. 80 Abs. 1 BGG dar. Die Verweigerung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes ist ein Zwischenentscheid, der einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken (vgl. BGE 129 I 129 E. 1.1 S. 131, 129 I 281 E. 1.1 S. 283) und demnach gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG angefochten werden kann. 
 
Auf die Beschwerden ist demnach einzutreten. 
2. 
Die II. Zivilkammer des Obergerichts ist auf den Rekurs des Beschwerdeführers nicht eingetreten. Sie führte aus, nach § 402 Ziff. 8 StPO unterlägen zwar Beschlüsse der Anklagekammer dem Rekurs, nicht hingegen Präsidialverfügungen. Mit Rekurs anfechtbar seien gestützt auf § 402 Ziff. 6 StPO prozessleitende Verfügungen der Bezirksgerichtspräsidenten betreffend Verweigerung der amtlichen Verteidigung oder der unentgeltlichen Prozessführung; entsprechende Verfügungen der Präsidentin der Anklagekammer könnten indes nicht angefochten werden (vgl. Donatsch/Schmid, Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, N 19 zu § 13). 
 
Der Beschwerdeführer räumt ein, dass nach dem Strafprozessrecht des Kantons Zürich heute keine Rekursmöglichkeit besteht. Er macht indes geltend, Art. 80 Abs. 2 BGG verlange ein kantonales Rechtsmittel. Wie es sich damit verhalte, sei offen und vom Bundesgericht bisher nicht beurteilt worden. 
 
Der Beschwerdeführer übersieht, dass Art. 130 Abs. 1 BGG den Kantonen Frist bis zum Inkrafttreten einer schweizerischen Strafprozessordnung einräumt, um Ausführungsbestimmungen über die Zuständigkeit, die Organisation und das Verfahren der Vorinstanzen in Strafsachen im Sinne von Art. 80 Abs. 2 BGG zu erlassen. Damit steht die heutige Verfahrensordnung mit dem Bundesrecht nicht in Widerspruch. 
 
Bei dieser Sachlage erweist sich die gegen das Nichteintreten der II. Zivilkammer gerichtete Beschwerde als offensichtlich unbegründet. Unbegründet ist die Beschwerde auch insoweit, als die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege wegen Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV angefochten wird. Vor dem Hintergrund der angeführten Bestimmungen der Strafprozessordnung und des Bundesgerichtsgesetzes ist der Rekurs als aussichtslos zu bezeichnen. Daran ändert der Umstand nichts, dass die Verfügung des Stellvertreters der Präsidentin der Anklagekammer keine Rechtsmittelbelehrung enthielt. Der Rechtsvertreter ist darauf aufmerksam gemacht worden, dass die Präsidialverfügung nicht rekursfähig ist (act. 6/8). 
 
Demnach ist die Beschwerde im Verfahren 1B_ 238/2007 abzuweisen. Damit ist die Verfügung des Stellvertreters der Präsidentin der Anklagekammer kantonal letztinstanzlich. 
3. 
Der Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand wird in erster Linie durch das kantonale Verfahrensrecht umschrieben. Dessen Anwendung wird im Verfahren vor Bundesgericht lediglich unter dem Gesichtswinkel der Willkür überprüft. Darüber hinaus gewährt Art. 29 Abs. 3 BV jeder Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, einen Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand. Dabei handelt es sich um eine Minimalgarantie von Verfassung wegen, die im bundesgerichtlichen Verfahren frei überprüft wird (Art. 95 lit. a BGG). 
Nach § 10 Abs. 5 StPO wird einem Geschädigten auf Verlangen ein unentgeltlicher Rechtsbeistand beigegeben, wenn es dessen Interessen und persönliche Verhältnisse erfordern. Der Wortlaut bringt zum Ausdruck, dass die Verbeiständung für die Interessenwahrung erforderlich sein muss (vgl. Max Hauri, Die Bestellung des unentgeltlichen Rechtsbeistandes für Geschädigte im Zürcher Strafprozess, Zürich 2002, S. 133 ff.). 
 
Der Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung nach Art. 29 Abs. 3 BV besteht, soweit eine solche für die Wahrung der Rechte notwendig ist (und im Übrigen der Betroffene bedürftig ist und das Verfahren nicht als aussichtslos erscheint). Notwendigkeit bedeutet, dass der Betroffene, auf sich selbst gestellt, seine Sache nicht sachgerecht und hinreichend wirksam vertreten kann. Sie beurteilt sich aufgrund der Gesamtheit der konkreten Umstände; dazu zählen namentlich die Schwere der Betroffenheit, die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten sowie die Fähigkeit, sich im Verfahren zurechtzufinden (vgl. BGE 128 I 225 E. 2.5.2 S. 232). 
 
Der Beschwerdeführer bezieht sich nicht auf das kantonale Verfahrensrecht und rügt nicht, § 10 Abs. 5 StPO sei willkürlich angewendet worden. Er macht ausschliesslich eine Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV geltend. Insoweit ist vor dem Hintergrund der gesamten Umstände zu prüfen, ob der Beschwerdeführer von Verfassung wegen für die Wahrung seiner Interessen als Geschädigter im Verfahren gegen die Angeschuldigten auf eine Verbeiständung angewiesen ist. Die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers ist ausgewiesen. 
4. 
Im Allgemeinen kann dem Geschädigten zugemutet werden, seine Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung im Strafverfahren ohne anwaltliche Vertretung geltend zu machen (vgl. BGE 116 Ia 459; Max Hauri, Die Bestellung des unentgeltlichen Rechtsbeistandes für Geschädigte im Zürcher Strafprozess, Zürich 2002, S. 136 ff.). Der unmittelbar eingetretene Schaden kann im Normalfall leicht belegt werden, sei es durch eine Schätzung oder aber durch Vorlage von Rechnungen für die Wiedergutmachung. Auch im Hinblick auf eine Genugtuung kann die erlittene Unbill vom Betroffenen üblicherweise ohne weitere Hilfe zum Ausdruck gebracht werden (vgl. Urteil 1B_153/2007 vom 25. September 2007). 
 
Aufgrund der konkreten Umstände kann dies im vorliegenden Fall nicht ohne weiteres angenommen werden. In tatsächlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer untergetaucht ist und aus Angst seinen Aufenthaltsort ständig wechselt. Dieser Umstand erschwert einerseits eine mit der nötigen Sorgfalt vorzunehmende Interessenwahrnehmung und andererseits die Zustellung von Vorladungen. Die unbestrittenermassen andauernde Bedrohungssituation erfordert Sicherheitsmassnahmen, die einzufordern dem Beschwerdeführer nicht zugemutet werden können. Der Beschwerdeführer ist Ausländer und verfügt lediglich über mangelhafte Deutschkenntnisse. Die den Angeschuldigten vorgeworfenen Handlungen stellen für den Beschwerdeführer eine schwere Belastung dar, die sich längerfristig auf sein Erwerbseinkommen auswirken kann. Schadenersatzforderungen gehen deshalb über das einfache Beibringen von Rechnungen hinaus und können zu schwierigen Rechtsfragen führen. Zudem lässt sich ein allfälliger Therapiebedarf nicht leicht abschätzen. Gleichermassen dürften auch Genugtuungsforderungen nicht leicht geltend zu machen und zu beziffern sein. 
 
Bei dieser Sachlage kann nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer, auf sich selbst gestellt, seine Schadenersatz- und Genugtuungsforderungen sachgerecht und hinreichend wirksam vertreten kann. Eine Rechtsvertretung des Beschwerdeführers im Strafverfahren gegen die Angeschuldigten erweist sich daher unter dem Gesichtswinkel von Art. 29 Abs. 3 BV als erforderlich. Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, dass eine unentgeltliche Rechtsvertretung die Bedrohungssituation und die psychologische Belastung für sich genommen nicht zu beseitigen vermag. Schliesslich erscheint in dieser Situation die richterliche Fürsorgepflicht nach § 19 Abs. 2 StPO, wonach die Behörden und Gerichte gehalten sind, die Persönlichkeitsrechte der Geschädigten in allen Abschnitten zu wahren und diese über ihre Rechte zu informieren, für eine sachgerechte und wirksame Interessenwahrung nicht ausreichend. 
 
Die Beschwerde erweist sich daher als begründet. 
5. 
Demnach ist die gegen den Entscheid der II. Zivilkammer gerichtete Beschwerde (Verfahren 1B_238/2007) abzuweisen. 
 
Die Beschwerde in Bezug auf die unentgeltliche Vertretung des Beschwerdeführers im Strafverfahren (Verfahren 1B_186/2007) ist gutzuheissen und die angefochtene Verfügung des Stellvertreters der Präsidentin der Anklagekammer aufzuheben. Die Sache ist der Präsidentin der Anklagekammer zur Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung für die Wahrung der Interessen des Beschwerdeführers im Strafverfahren gegen die Angeschuldigten zurückzuweisen. Dabei sind auch die Aufwendungen für das Ersuchen vom 29. Juni 2007 einzubeziehen. 
 
In Bezug auf das Verfahren 1B_238/2007 wird das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit abgewiesen; es rechtfertigt sich indes, keine Kosten zu erheben. 
 
Beim Ausgang des Verfahrens 1B_186/2007 sind keine Kosten zu erheben und hat der Kanton Zürich den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 66 Abs. 4 und Art. 68 Abs. 1 BGG). Insoweit wird das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Beschwerde im Verfahren 1B_238/2007 wird abgewiesen. 
2. 
Die Beschwerde im Verfahren 1B_186/2007 wird gutgeheissen, die Verfügung des Stellvertreters der Präsidentin der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 31. Juli 2007 aufgehoben und die Sache zur Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung an die Präsidentin der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Zürich zurückgewiesen. 
3. 
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird, soweit es nicht gegenstandslos geworden ist, abgewiesen. 
4. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
5. 
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen. 
6. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Obergericht des Kantons Zürich, Präsidentin der Anklagekammer, sowie der II. Zivilabteilung, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 31. Oktober 2007 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: