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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
9C_684/2011 {T 0/2} 
 
Urteil vom 31. Oktober 2011 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Glanzmann, 
Gerichtsschreiber Traub. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin 
Ursula Reger-Wyttenbach, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Lagerhausstrasse 19, 8400 Winterthur, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Sozial-versicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 18. Juli 2011. 
 
Sachverhalt: 
A.________ bezog seit November 2007 eine ganze Invalidenrente. Die IV-Stelle des Kantons Zürich hob diese Leistung auf Ende Mai 2011 hin auf (Verfügung vom 7. April 2011). Die Versicherte beantragte im Rahmen der hiergegen erhobenen kantonalen Beschwerde, es sei ihr die unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung und Verbeiständung) zu bewilligen. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies das Gesuch ab (Entscheid vom 18. Juli 2011). 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, die Verfügung vom 18. Juli 2011 sei aufzuheben und das kantonale Gericht zu verpflichten, ihr für das Beschwerdeverfahren betreffend Einstellung der Invalidenrente die unentgeltliche Prozessführung und die unentgeltliche Rechtsvertretung zu bewilligen. Die unentgeltliche Rechtspflege sei auch für das bundesgerichtliche Verfahren zu bewilligen. 
Das kantonale Gericht verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Strittig ist, ob die Vorinstanz die unentgeltliche Rechtspflege für das Beschwerdeverfahren betreffend die Verfügung der IV-Stelle vom 7. April 2011 zu Recht verweigert hat. 
 
2. 
2.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist zulässig gegen Entscheide, die das Verfahren abschliessen (Art. 90 BGG) sowie gegen selbstständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide über die Zuständigkeit und über Ausstandsbegehren (Art. 92 Abs. 1 BGG). Gegen andere Zwischenentscheide ist die Beschwerde unter anderem dann zulässig, wenn der Zwischenentscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Zwischenentscheide, gegen welche eine Beschwerde nicht zulässig war, können im Rahmen der Beschwerde gegen den Endentscheid angefochten werden, soweit sie sich auf dessen Inhalt auswirken (Art. 93 Abs. 3 BGG). 
2.2 
2.2.1 Beeinflusst eine Verweigerung der unentgeltlichen Prozessführung die weitere Abwicklung des Verfahrens nicht, so tritt in der Regel kein nicht wieder gutzumachender Nachteil rechtlicher Natur ein. Die Vorinstanz hat nach Eingang der Beschwerdeantwort über den Verfahrensantrag entschieden. Ein Kostenvorschuss wurde nicht einverlangt, womit die Ablehnung des Gesuchs hinsichtlich der Prozesskosten keine Folgen für den Fortgang des kantonalen Verfahrens zeitigte. Die Frage kann dem Bundesgericht im Rahmen einer Beschwerde gegen den Endentscheid zur Prüfung unterbreitet werden, wobei das letztinstanzliche Rechtsmittel gegebenenfalls auf die Kostenfrage beschränkt werden könnte. Insofern missverständlich ist die bisweilen verwendete Formulierung, ein nicht wieder gutzumachender Nachteil sei jedenfalls dann anzunehmen, wenn nicht nur die unentgeltliche Rechtspflege abgelehnt, sondern zugleich auch die Anhandnahme des Rechtsmittels von der Bezahlung eines Kostenvorschusses durch die gesuchstellende Partei abhängig gemacht wird (Urteile 8C_453/2011 vom 29. Juli 2011 E. 1; 2C_74/2011 vom 1. Juli 2011 E. 1.2; 2C_230/2009 vom 2. Juli 2009 E. 1.3; 9C_286/2009 vom 28. Mai 2009 E. 1; 8C_487/2008 vom 6. August 2008); tatsächlich gilt dies nur, wenn ein Kostenvorschuss erhoben wird, dessen Nichtbezahlung zu einem Nichteintreten führen würde (Urteile 9C_887/2008 vom 28. November 2008 E. 1.2; 2D_1/2007 vom 2. April 2007 E. 3.2 mit Hinweisen). 
2.2.2 Unter dem Aspekt der Verbeiständung indessen begründet die Ablehnung der unentgeltlichen Rechtspflege im kantonalen Verfahren jedenfalls dann einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil (SVR 2009 UV Nr. 12 S. 49, 8C_530/2008 E. 2.3 mit Hinweisen), wenn wie hier nicht auszuschliessen ist, dass das kantonale Verfahren in seinem weiteren Verlauf noch zusätzliche Schritte seitens der Rechtsvertreterin erfordert. 
 
2.3 Nach dem Gesagten handelt sich bei der angefochtenen Verfügung um einen Zwischenentscheid, der einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Gerügt wird eine Verletzung von Art. 61 lit. f ATSG und somit von Bundesrecht (Art. 95 lit. a BGG). Da auch die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind, ist die Beschwerde zulässig. 
 
3. 
3.1 Nach Art. 61 lit. f ATSG muss im Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht das Recht, sich verbeiständen zu lassen, gewährleistet sein. Wo die Verhältnisse es rechtfertigen, wird der Beschwerde führenden Person ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bewilligt. Nach der Rechtsprechung sind die Voraussetzungen für die Bewilligung der unentgeltlichen Verbeiständung im kantonalen Verfahren in Sozialversicherungsangelegenheiten erfüllt, wenn der Prozess nicht aussichtslos erscheint, die Partei bedürftig und die anwaltliche Verbeiständung notwendig oder doch geboten ist (SVR 2011 IV Nr. 22 S. 61, 9C_432/2010 E. 2 mit Hinweis). 
3.2 
3.2.1 Die Vorinstanz wies das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab, weil die Beschwerdeführerin nicht bedürftig sei. Dabei ging sie von monatlichen Einnahmen von Fr. 8'759.60, bestehend aus den Positionen "Einkommen Ehegatte" (Fr. 6'731.40) und "Versicherungsleistungen Ehegatte" (Fr. 2'028.20), aus. Ausgabenseitig veranschlagte das kantonale Gericht unter dem Titel der Steuerschuld einen Betrag von Fr. 7'531.- (Staats- und Gemeindesteuern) pro rata. Es sei nicht ersichtlich, weshalb sowohl ein Betrag von Fr. 4'112.65 für die Steuerperiode 2011 als auch ein solcher von Fr. 7'531.- für die Steuerperiode 2009 geltend gemacht werde. Insgesamt errechnete die Vorinstanz monatliche Familienausgaben von Fr. 5'836.-, welche sie Einnahmen von Fr. 8'759.60 gegenüberstellte. Nach Abzug der Freibeträge verbleibe ein Überschuss von monatlichen Fr. 2'325.-. Die unentgeltliche Prozessführung und Rechtsvertretung könne somit nicht eingeräumt werden. 
3.2.2 Die Beschwerdeführerin macht geltend, bei der Position "Versicherungsleistungen des Ehegatten" handle es sich, anders als im Formular zur Abklärung der prozessualen Bedürftigkeit im kantonalen Beschwerdeverfahren fälschlicherweise deklariert, tatsächlich um die der Beschwerdeführerin bis Ende Mai 2011 ausgerichtete Invalidenrente, deren Einstellung Gegenstand des kantonalen Prozesses ist. Der Umstand, dass im Formular der Vorinstanz neben dem Erwerbseinkommen des Ehegatten von Fr. 6'731.40 Versicherungsleistungen (des Ehegatten) von Fr. 2'028.20 angegeben werden, macht in der Tat stutzig. Es liegt nahe, dass es sich dabei um die bis Ende Mai 2011 ausgerichtete Invalidenrente der Beschwerdeführerin handelt. Verhält es sich so, beträgt das anrechenbare Einkommen nur Fr. 6'731.40. Die Akten beantworten die Frage aber nicht abschliessend; aus ihnen geht nur hervor, dass die monatlichen Rentenzahlungen ab Januar 2009 Fr. 1'970.- (Kinderrente: Fr. 788.-) betrugen (Verfügung vom 21. Januar 2009; vgl. auch den nachträglich eingereichten Kontoauszug für den Monat Mai 2011, auf dem eine Überweisung der Ausgleichskasse der M.________ von Fr. 2'806.- ausgewiesen ist). Recht verletzt die Beweiswürdigung des kantonalen Gerichts, welche aus einem zwei Bedeutungen zulassenden Dokument auf die eine schliesst, ohne Abklärungen zu treffen (SVR 2010 IV Nr. 49 S. 151, 9C_85/2009 E. 3.5). 
3.2.3 Im Weiteren trägt die die Beschwerdeführerin vor, das kantonale Gericht habe Rückstellungen für Kantons- und Gemeindesteuern zu Unrecht nicht im geltend gemachten Umfang angerechnet. Nach der Rechtsprechung sind Steuerrückstände, das heisst nach Betrag und Fälligkeitstermin feststehende Steuerschulden, bei der Beurteilung der Bedürftigkeit unter der Voraussetzung zu berücksichtigen, dass sie tatsächlich bezahlt werden. Die Behörde, die über das Gesuch befinden muss, ist daher befugt, von der gesuchstellenden Person Nachweise darüber einzufordern, dass die verfügbaren Mittel zur Bezahlung fälliger Steuerschulden eingesetzt werden (BGE 135 I 221 E. 5.2.1 S. 227 und E. 5.2.2 S. 228). In Frage steht eine Staats- und Gemeindesteuerrechnung für die Steuerperiode 2011 über Fr. 4'112.65 sowie eine solche für die Steuerperiode 2009 über Fr. 7'531.90. Das kantonale Gericht führte dazu aus, es sei nicht ersichtlich, weshalb beide Beträge abzuziehen seien; ermessensweise sei der höhere Betrag zu berücksichtigen. Dabei übersah es, dass bei Einreichung des Formulars am 8. Juli 2011 nicht allein die am 16. Mai 2011 (mit einer Zahlungsfrist von 30 Tagen) in Rechnung gestellte Steuerforderung für die Steuerperiode 2009 offen war. Am 4. März 2011 stellte das Steueramt überdies eine Rechnung für die Steuerperiode 2011 aus mit den Vermerken "Gesamtsteuerbetrag zur Zahlung empfohlen bis 30.09.2011" resp. (auf dem Einzahlungsschein) "Gesamtbetrag zahlbar bis 30.09.2011". Die Fälligkeit im Sinne der oberwähnten Rechtsprechung ergibt sich aus dem kantonalen Recht. Nach § 174 Abs. 1 lit. b des Steuergesetzes vom 8. Juni 1997 werden in der - nach Vornahme der Einschätzung - zugestellten Schlussrechnung in der Regel Zinsen zu Lasten des Steuerpflichtigen ab einem Verfalltag in der Steuerperiode berechnet. Als Verfalltag gilt, soweit hier interessierend, der 30. September in der Steuerperiode (§ 49 Abs. 1 lit. a der Verordnung vom 1. April 1998 zum Steuergesetz); der Bezug des Betrags, wie er in der (noch während der Steuerperiode zugestellten) provisorischen Rechnung ausgewiesen wird, erfolgt in drei Raten per 30. Juni, 30. September und 31. Dezember (§ 50 Abs. 1 der Verordnung). 
Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage durfte die Vorinstanz nicht nur das höhere Betreffnis der ausstehenden und fälligen Steuerschulden bei der Berechnung des familiären Notbedarfs berücksichtigen. Allerdings ist dessen Einbezug an den Nachweis gebunden, dass die Steuerschulden tatsächlich abgetragen werden (vgl. BGE 135 I 221 S. 227 unten). 
 
3.3 Sollte sich bestätigen, dass das Familieneinkommen nur aus dem Gehalt des Ehemanns der Beschwerdeführerin besteht (oben E. 3.2.2) und dass die Steuerschulden für die Steuerperioden 2009 und 2011 zu berücksichtigen sind (E. 3.2.3), so ergäbe sich (nach Abzug der Freibeträge von Fr. 600.-) ein Negativsaldo von Fr. 47.-. Unter diesen Umständen durfte die Vorinstanz die prozessuale Bedürftigkeit nicht ohne Weiteres verneinen. Eine nähere Überprüfung der fraglichen Positionen steht im Ermessen des kantonalen Gerichts. Die Sache ist aus diesem Grund sowie allenfalls zur Prüfung der übrigen Anspruchsvoraussetzungen (vgl. oben E. 3.1) an dieses zurückzuweisen. 
 
4. 
Die unterliegende Vorinstanz resp. der Kanton Zürich hat keine Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 4 BGG), jedoch der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Deren Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das Verfahren vor dem Bundesgericht ist demzufolge gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die Verfügung des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 18. Juli 2011 wird aufgehoben. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie über den Anspruch der Beschwerdeführerin auf unentgeltliche Rechtspflege für das bei ihr hängige Verfahren betreffend eine Rente der Invalidenversicherung neu entscheide. 
 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3. 
Der Kanton Zürich hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der IV-Stelle des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 31. Oktober 2011 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Meyer 
 
Der Gerichtsschreiber: Traub