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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_765/2012 
 
Urteil vom 8. März 2013 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Frésard, Maillard, 
Gerichtsschreiberin Polla. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich, 
Brunngasse 6, 8400 Winterthur, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
H.________, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Arbeitslosenversicherung (Einstellung in der Anspruchsberechtigung; Arbeitslosenentschädigung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 21. August 2012. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Der 1954 geborene H.________ war seit 1. August 2009 als Zahnarzt und Praxisleiter bei der Praxisgemeinschaft X.________ AG tätig. Diese kündigte das Arbeitsverhältnis am 21. Februar 2011 auf den 28. Februar 2011, da H.________ seit 8. November 2010 arbeitsunfähig war. Am 1. Februar 2011 meldete sich H.________ zur Arbeitsvermittlung und am 18. März 2011 zum Leistungsbezug bei der Arbeitslosenversicherung an. Die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich verneinte einen Anspruch auf Taggelder der Arbeitslosenversicherung ab 1. März 2011 mit der Begründung, er erleide keinen Verdienstausfall, da er bis auf Weiteres Krankentaggelder erhalte (Verfügung vom 5. April 2010 [recte: 2011] und rechtskräftiger Einspracheentscheid vom 6. Juli 2011). 
Am 27. Juli 2011 beantragte H.________ Arbeitslosenentschädigung ab 1. August 2011, nachdem er bis 14. Juli 2011 Krankentaggelder bezogen hatte. Die Arbeitslosenkasse stellte H.________ verfügungsweise am 10. August 2011, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 1. Dezember 2011, ab Anspruchserhebung für die Dauer von 11 Tagen in der Anspruchsberechtigung ein, da er der Arbeitgeberin vorgeschlagen habe, das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist von sechs Monaten aufzulösen, womit er die Arbeitslosigkeit auf den 1. März 2011 selbst verschuldet habe. Mit Verfügung vom 19. September 2011 ermittelte die Arbeitslosenkasse sodann eine Beitragszeit von 19 Monaten in der dafür festgesetzten Rahmenfrist vom 1. August 2009 bis 31. Juli 2011, was einen Höchstanspruch von 400 Taggeldern innerhalb der vom 1. August 2011 bis 31. Juli 2013 dauernden Leistungsrahmenfrist begründe. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 1. Dezember 2011). 
 
B. 
Die gegen die beiden Einspracheentscheide vom 1. Dezember 2011 geführten Beschwerden hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich nach Vereinigung der Verfahren mit Entscheid vom 21. August 2012 gut. Es stellte in Aufhebung der Einspracheentscheide fest, dass H.________ Anspruch auf höchstens 520 Taggelder der Arbeitslosenversicherung habe. 
 
C. 
Die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich führt hiegegen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids. 
H.________ schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während Vorinstanz und Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) auf eine Vernehmlassung verzichten. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Zu den Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 lit. a BGG gehören unter anderem die unvollständige (gerichtliche) Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen (BGE 135 V 23 E. 2 S. 25 mit Hinweisen) sowie die Pflicht zu inhaltsbezogener, umfassender, sorgfältiger und objektiver Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c ATSG; BGE 132 V 393 E. 4.1 S. 400). 
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen, und es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132 II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann als Ausnahme von der Bindung an den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt auch selbst eine Sachverhaltsfeststellung ergänzen (Art. 105 Abs. 2 BGG), dies namentlich dann, wenn die Vorinstanz einen Sachverhalt mangels Relevanz gar nicht zu beurteilen hatte, dieser aber infolge einer anderen rechtlichen Betrachtung des Bundesgerichts rechtserheblich wird (BGE 136 V 362 E. 4.1 S. 366 mit Hinweisen). 
 
2. 
Streitig ist zunächst, ob der Beschwerdegegner zu Recht wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit für die Dauer von 11 Tagen ab 1. August 2011 in der Anspruchsberechtigung eingestellt wurde, wovon die Arbeitslosenkasse ausgeht. 
 
2.1 Nach Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG in Verbindung mit Art. 44 Abs. 1 lit. b AVIV ist in der Anspruchsberechtigung einzustellen, wer ohne Zusicherung einer anderen Stelle von sich aus das Arbeitsverhältnis aufgelöst hat. Die Einstellung in der Anspruchsberechtigung bezweckt als versicherungsrechtliche Sanktion (BGE 126 V 130 E. 1 mit Hinweis) die angemessene Mitbeteiligung der Versicherten am Schaden, den diese durch ihr Verhalten der Arbeitslosenversicherung in schuldhafter Weise natürlich und adäquat kausal verursacht haben (BGE 126 V 530 E. 4 S. 523, 124 V 225 E. 2b S. 228, je mit Hinweisen). Der Tatbestand der selbst verschuldeten Arbeitslosigkeit nach Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG erfasst Verhaltensweisen der versicherten Person, die kausal (BGE 122 V 34 E. 3a S. 38) für den Eintritt der ganzen oder teilweisen Arbeitslosigkeit sind und eine Verletzung der Pflicht, Arbeitslosigkeit zu vermeiden, bedeuten (NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 2427 Rz. 830). 
 
2.2 Die Vorinstanz erwog, es stehe fest, dass die Praxisgemeinschaft X.________ AG dem Versicherten ohne Einhaltung der vertraglich vereinbarten sechsmonatigen Kündigungsfrist am 21. Februar 2011 auf Ende Februar 2011 gekündigt habe. Mit Schreiben vom 1. Mai 2011 habe der Versicherte die Kündigung aber nicht akzeptiert und - da die von ihm vorgeschlagene gesetzliche Kündigungsfrist von zwei Monaten nicht eingehalten worden sei - diese als unzulässig bezeichnet sowie eine "gesetzeskonforme" Kündigung verlangt. Auch aus seinem Schreiben vom 14. November 2010, worauf das Kündigungsschreiben der Arbeitgeberin Bezug nehme, gehe in keiner Weise hervor, dass sich der Versicherte mit einer Kündigungsfrist von lediglich sieben Tagen einverstanden erklärt habe. Dass er sich einzig mit Schreiben vom 1. Mai 2011 gegen die Kündigung gewehrt habe, sei in Berücksichtigung seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit bis Mitte Juli 2011 als ausreichend anzusehen. 
 
2.3 Die Beschwerdeführerin vertritt demgegenüber die Ansicht, es könne nicht genügen, wenn der Arbeitnehmer zwar zum Ausdruck bringe, dass er mit der fristlosen oder nicht fristgerechten Kündigung nicht einverstanden sei, er aber in der Folge untätig bleibe und seine Ansprüche nicht mehr weiterverfolge, wenn der Arbeitgeber darauf nicht reagiere. Damit bringe er zum Ausdruck, dass ihm an der Weiterführung des Arbeitsverhältnisses nichts mehr liege, was zu sanktionieren sei. 
 
2.4 Die vorinstanzliche Feststellung, der Versicherte habe die arbeitgeberseitig ausgesprochene Kündigung mit Schreiben vom 1. Mai 2011 nicht akzeptiert, er sei in keiner Weise mit der siebentägigen Kündigungsfrist einverstanden gewesen, auch wenn er Hand geboten habe, eine gesetzliche Frist von zwei Monaten anstelle der arbeitsvertraglich festgehaltenen sechsmonatigen Kündigungsfrist gelten zu lassen, ist für das Bundesgericht verbindlich. Die Einwendungen der Kasse lassen diese nicht als offensichtlich unrichtig erscheinen. Liegt jedoch keine einvernehmliche vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses vor, verbleibt für die Anwendung von Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG (in Verbindung mit Art. 44 lit. b AVIV) kein Raum (BGE 112 V 323; ARV 1990 Nr. 16 S. 92 E. 4b, C 40/90; NUSSBAUMER, a.a.O., Rz. 832 und 836; siehe auch ARV 1997 Nr. 21 S. 113, C 136/96), weshalb die Vorinstanz zu Recht zum Schluss gelangte, dass der Tatbestand der selbstverschuldeten Arbeitslosigkeit nicht erfüllt ist. Ob mit dem Verhalten des Versicherten allenfalls der Einstellungstatbestand des Verzichts auf Lohn- und Entschädigungsansprüche gegenüber der Praxisgemeinschaft X.________ AG zu Lasten der Arbeitslosenversicherung erfüllt wäre (Art. 30 Abs. 1 lit. b AVIG) kann offen gelassen werden, da diese Frage nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet. 
 
3. 
Ferner steht im Streit, ob dem Versicherten höchstens 400 oder 520 Taggelder der Arbeitslosenversicherung zustehen. 
 
3.1 In der auf den 1. April 2011 in Kraft getretenen Fassung von Art. 27 Abs. 2 AVIG beläuft sich die Höchstzahl der Taggelder bei einer nachgewiesenen Beitragszeit von insgesamt 12 Monaten auf 260 (lit. a) und bei einer Beitragszeit von insgesamt 18 Monaten auf 400 Taggelder (lit. b); Anspruch auf 520 Taggelder haben versicherte Personen, die eine Beitragszeit von mindestens 24 Monaten nachweisen können (lit. c) und das 55. Altersjahr zurückgelegt haben (Ziff. 1) oder eine Invalidenrente beziehen, die einem Invaliditätsgrad von mindestens 40 Prozent entspricht (Ziff. 2). 
 
3.2 Haben sich Arbeitgeberin und Beschwerdegegner über die Geltung einer kürzeren als der arbeitsvertraglich vereinbarten Kündigungsfrist von sechs Monaten nicht im Sinne eines Aufhebungsvertrages geeinigt (E. 3.3), konnte sich der Beschwerdegegner auf die sechsmonatige Kündigungsfrist gemäss Arbeitsvertrag vom 4. Juni 2009 berufen, womit das Arbeitsverhältnis mit dem Kündigungsschreiben vom 21. Februar 2011 ordentlicherweise auf den 31. August 2011 beendet worden wäre. Damit hat der Versicherte bis zu diesem Datum grundsätzlich einen Salär- bzw. Entschädigungsanspruch. Tage, an denen der Arbeitnehmer zwar nicht gearbeitet hat, die aber vom Arbeitgeber im Falle der ungerechtfertigten Entlassung bis zum Ablauf der massgebenden Kündigungsfrist noch zu entlöhnen bzw. zu entschädigen waren, gelten als Beitragszeit im Sinne von Art. 13 AVIG (BGE 119 V 494 E. 3c S. 496; ARV 1977 Nr. 25 S. 135, C 165/76). 
 
3.3 Entgegen den Darlegungen in der Beschwerde ist es nicht widersprüchlich, wenn aus dem nicht fristgerecht beendeten Arbeitsverhältnis auch für den Monat August 2011, ab welchem die Kasse die Leistungsrahmenfrist eröffnet hat, ein Entschädigungsanspruch gegenüber der Arbeitgeberin besteht. Nach Art. 11 Abs. 3 AVIG ist derjenige Arbeitsausfall nicht anrechenbar, für welchen der arbeitslosen Person Lohnansprüche oder wegen vorzeitiger Auflösung des Arbeitsverhältnisses Entschädigungsansprüche zustehen. Ein ungerechtfertigt Entlassener hat somit keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, solange Lohn- oder Entschädigungsansprüche bestehen. Beginnt die Rahmenfrist für den Leistungsbezug mit dem ersten Tag, für den sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind (Art. 9 Abs. 2 AVIG), und hat der Versicherte im Monat August 2011 keinen anrechenbaren Arbeitsausfall erlitten (Art. 8 Abs. 1 lit. b AVIG), würde vorliegend die Leistungsrahmenfrist grundsätzlich vom 1. September 2011 bis 31. August 2013 dauern. Dieser Grundsatz gilt jedoch dann nicht, wenn die Kasse nach der Sonderregelung von Art. 29 Abs. 1 AVIG Zweifel darüber hat, ob der Versicherte für die Zeit des Arbeitsausfalls gegenüber seiner bisherigen Arbeitgeberin Lohn- oder Entschädigungsansprüche im Sinne von Art. 11 Abs. 3 AVIG hat oder ob sie erfüllt werden. Die Arbeitslosenkasse ist in diesem Fall zur Taggeldauszahlung verpflichtet, da das Anspruchsmerkmal des anrechenbaren Arbeitsausfalls im Sinne einer unwiderlegbaren gesetzlichen Vermutung als gegeben angenommen wird (BGE 137 V 362 S. 366 E. 4.1 und 4.2). Die Ansprüche der versicherten Person gegenüber der Arbeitgeberin gehen im Umfang der ausgerichteten Taggeldentschädigung auf die Kasse über (Art. 29 Abs. 2 AVIG). Die Kasse kann sich von der Prüfung der Frage, ob Zweifel vorliegen, nicht mit dem Hinweis entbinden, es sei Sache des Versicherten, die Ansprüche in einem arbeitsgerichtlichen- oder Zwangsvollstreckungsverfahren klären zu lassen (NUSSBAUMER, a.a.O., Rz. 177; SVR 2006 AlV Nr. 28 S. 95 E. 1.4.3, C 118/04, mit Hinweisen). Die hier mit Beginn der Taggelderbringung ab 1. August 2011 eröffnete zweijährige Rahmenfrist bleibt somit bestehen (BGE 127 V 475 E. 2b/bb S. 477 f.; 126 V 368 E. 3 S. 371 ff.). 
 
3.4 Nach dem Gesagten ist die vorinstanzliche Betrachtungsweise zu bestätigen, wonach der Beschwerdegegner die geforderte Dauer von 24 Beitragsmonaten erfüllt, um einen Taggeldhöchstanspruch von 520 Tagen zu begründen. 
 
4. 
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG) von der Arbeitslosenkasse als unterliegender Partei zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG; vgl. auch BGE 133 V 637). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 8. März 2013 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Ursprung 
 
Die Gerichtsschreiberin: Polla