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[AZA] 
P 47/99 Hm 
 
IV. Kammer  
 
Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger; 
Gerichtsschreiber Signorell 
 
Urteil vom 23. Februar 2000  
 
in Sachen 
 
Ausgleichskasse des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, Zuch- 
wil, Beschwerdeführerin, 
gegen 
 
E.________, 1931, Beschwerdegegnerin, vertreten durch 
R.________ und O.________, 
und 
 
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn 
 
    A.- Die Ausgleichskasse des Kantons Solothurn (nach- 
folgend: AK) wies ein Gesuch der 1931 geborenen E.________ 
zum Bezug von Ergänzungsleistungen der AHV mit Wirkung ab 
1. November 1998 ab (Verfügung vom 15. Dezember 1998). 
    B.- Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn 
hiess eine dagegen erhobene Beschwerde in dem Sinne gut, 
dass es die angefochtene Verfügung aufhob und die Sache zur 
Aktenergänzung im Sinne der Erwägungen und neuen Entschei- 
dung an die Verwaltung zurückwies (Entscheid vom 23. Juni 
1999). 
 
    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die AK 
die Aufhebung des kantonalen Entscheides. 
    Während das kantonale Gericht auf Abweisung der Ver- 
waltungsgerichtsbeschwerde schliesst, haben sich E.________ 
und das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) nicht ver- 
nehmen lassen. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:  
 
    1.- Die Vorinstanz hat die massgeblichen gesetzlichen 
Vorschriften über den Anspruch auf Ergänzungsleistungen und 
die Bestimmungen über das anrechenbare Einkommen sowie den 
Vermögensverzicht und die diesbezügliche Rechtsprechung 
zutreffend dargestellt. Darauf wird verwiesen. 
 
    2.- a) Die 1952 geschlossene Ehe der Beschwerdegegne- 
rin wurde mit Urteil des Amtsgerichtes X.________ vom 
14. November 1974 geschieden. Der geschiedene Ehemann wurde 
zur Bezahlung eines Unterhaltsbeitrages u.a. an seine Ehe- 
frau von Fr. 1200.- pro Monat (unter Indexklausel) ver- 
pflichtet, welcher sich 1998 indexbereinigt auf Fr. 2829.50 
pro Monat (entsprechend Fr. 33 954.-/Jahr) erhöhte. 
 
    b) Die Berechnung der Ergänzungsleistung ergab für den 
November 1998 anrechenbare Ausgaben von Fr. 27 920.- und 
Einkünfte von Fr. 54 373.-. Letztere setzten sich zusammen 
aus einem Anteil Vermögensverzehr von Fr. 1963.-, der AHV- 
Altersrente von Fr. 17 532.-, dem Vermögensertrag von 
Fr. 924.- sowie einem familienrechtlichen Unterhaltsbeitrag 
von Fr. 33 954.-. Zufolge des ausgewiesenen Einnahmenüber- 
schusses wurde das Begehren um Ergänzungsleistungen mit 
Wirkung ab 1. November 1998 abgewiesen (Verfügung vom 
15. Dezember 1998). 
 
    3.- Streitig ist, ob der familienrechtliche Unter- 
haltsbeitrag zu Recht angerechnet wurde. 
 
    a) Die Vorinstanz erwog, dass die Verwaltung richti- 
gerweise davon ausgegangen sei, der Beweis einer Abänderung 
des rechtskräftigen Scheidungsurteils sei nicht erstellt. 
Indessen habe die Gesuchstellerin glaubwürdig dargelegt, 
dass ihr seitens des geschiedenen Ehemannes keine familien- 
rechtlichen Unterhaltsbeiträge mehr zugeflossen seien. Dies 
ergebe sich namentlich aus den Steuererklärungen der Ehe- 
leute. Bei dieser Sachlage könnten grundsätzlich geschulde- 
te Unterhaltsbeiträge zufolge Einkommensverzichts angerech- 
net werden, es sei denn, die Forderung sei offensichtlich 
uneinbringbar. Für diesen Ausnahmefall lägen in den Steuer- 
erklärungen des Ehemannes Indizien vor. Die AK habe es 
unterlassen, die Frage der Einbringlichkeit näher abzuklä- 
ren. Um dies nachzuholen, werde die Sache an die Verwaltung 
zurückgewiesen. 
    Die AK vertritt demgegenüber die Auffassung, dass die 
Vorinstanz den Untersuchungsgrundsatz überdehne, wenn sie 
verlange, dass die Verwaltung auch zu prüfen habe, ob 
allenfalls ein Ausnahmefall gegeben sein könnte. Der Unter- 
suchungsgrundsatz werde jedenfalls durch die Mitwirkungs- 
pflicht der Partei begrenzt. Hinzu komme, dass der zah- 
lungspflichtige geschiedene Ehemann am vorliegenden Verfah- 
ren nicht beteiligt sei, weshalb ihn kaum eine Mitwirkungs- 
pflicht treffen könne. 
 
    b) Der Sozialversicherungsprozess ist vom Untersu- 
chungsgrundsatz beherrscht. Dieser schliesst die Beweislast 
im Sinne einer Beweisführungslast begriffsnotwendig aus. Im 
Sozialversicherungsprozess tragen mithin die Parteien in 
der Regel eine Beweislast nur insofern, als im Falle der 
Beweislosigkeit der Entscheid zu Ungunsten jener Partei 
ausfällt, die aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt 
Rechte ableiten wollte. Diese Beweisregel greift allerdings 
erst Platz, wenn es sich als unmöglich erweist, im Rahmen 
des Untersuchungsgrundsatzes auf Grund einer Beweiswürdi- 
gung einen Sachverhalt zu ermitteln, der zumindest die 
Wahrscheinlichkeit für sich hat, der Wirklichkeit zu ent- 
sprechen (BGE 117 V 264 Erw. 3b mit Hinweisen). 
    Hat der Zivilrichter die Unterhaltspflicht rechtskräf- 
tig beurteilt, sind die Organe der Ergänzungsleistung an 
seinen Entscheid gebunden und nicht mehr befugt, über die 
rechtskräftig entschiedene Frage selbständig zu befinden 
(BGE 120 V 444 Erw. 3b). Der Verwaltung ist es daher grund- 
sätzlich verwehrt, bei der Berechnung der Ergänzungsleis- 
tungen vom richterlich festgesetzten Unterhaltsbeitrag 
abzuweichen (BGE 109 V 244 Erw. 2b). Soweit die Beschwerde- 
gegnerin sich darauf beruft, der Unterhaltsanspruch gemäss 
Scheidungsurteil sei zu einem späteren Zeitpunkt aufgehoben 
worden, und dies nicht nachweisen kann, hat sie die Folgen 
der Beweislosigkeit zu tragen. Es ist deshalb davon auszu- 
gehen, dass der Beschwerdegegnerin gegenüber ihrem Ehemann 
nach wie vor ein Unterhaltsanspruch zusteht. 
    Uneinbringlichkeit der geschuldeten Unterhaltsbeiträge 
kann in der Regel erst angenommen werden, wenn sämtliche 
rechtlichen Möglichkeiten zu deren Erhältlichmachung er- 
schöpft sind. Von dieser Regel kann abgewichen und Unein- 
bringlichkeit der Unterhaltsbeiträge auch bei Fehlen recht- 
licher Schritte angenommen werden, wenn klar ausgewiesen 
ist, dass der Unterhaltspflichtige nicht in der Lage ist, 
seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Es ist Sache 
des Ansprechers auf Ergänzungsleistungen, die objektive 
Uneinbringlichkeit der gerichtlich festgelegten Unterhalts- 
beiträge darzulegen (BGE 120 V 444 Erw. 3b). Die Beschwer- 
degegnerin legte keine einschlägige Beweismittel vor und es 
ist nach dem Gesagten auch nicht Aufgabe der Verwaltung, im 
Abklärungsverfahren dieser Frage nachzugehen. 
    c) Zusammenfassend ergibt sich, dass das kantonale 
Gericht die Sache mit einer nicht zutreffenden Begründung 
an die AK zurückgewiesen hat. 
 
    4.- a) Die Beschwerdegegnerin machte vor der Vorin- 
stanz namentlich geltend, der Unterhaltsanspruch gegenüber 
dem geschiedenen Ehemann sei nicht mehr durchsetzbar, was 
durch dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse gemäss 
den neu aufgelegten Steuererklärungen belegt sei. Damit 
stellt sich die Frage der Beweiswürdigung. 
 
    b) Das Bundesrecht schreibt nicht vor, wie die einzel- 
nen Beweismittel zu würdigen sind. Für das gesamte Verwal- 
tungs- und Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren gilt der 
Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 40 BZP in Ver- 
bindung mit Art. 19 VwVG; Art. 95 Abs. 2 OG in Verbindung 
mit Art. 113 und 132 OG). Danach haben Versicherungsträger 
und Sozialversicherungsgericht die Beweise frei, d.h. ohne 
Bindung an förmliche Beweisregeln, sowie umfassend und 
pflichtgemäss zu würdigen (Gygi, Bundesverwaltungsrechts- 
pflege, 2. Aufl., S. 278). Für das Beschwerdeverfahren 
bedeutet dies, dass das Sozialversicherungsgericht alle 
Beweismittel, unabhängig davon, von wem sie stammen, objek- 
tiv zu prüfen und danach zu entscheiden hat, ob die verfüg- 
baren Unterlagen eine zuverlässige Beurteilung des streiti- 
gen Rechtsanspruches gestatten. Ausschlaggebend für den 
Beweiswert ist grundsätzlich somit dessen Inhalt (in BGE 
123 V 175 nicht publizierte Erw. 3c). Der Beweis ist ge- 
leistet, wenn das Gericht gestützt auf die Beweiswürdigung 
zur Überzeugung gelangt ist, dass sich der rechtserhebliche 
Sachumstand verwirklicht hat. Dafür kann die von der Le- 
benserfahrung und praktischen Vernunft getragene, mit Grün- 
den gestützte Überzeugung genügen (Gygi, a.a.O., S. 79 [mit 
Hinweisen auf die Rechtsprechung]). 
    c) Der 1925 geborene Unterhaltspflichtige erreichte im 
Juni 1990 das gesetzliche Rentenalter. Aus den vorgelegten 
Steuererklärungen ergibt sich einmal, dass W.________ seit 
November 1994 erneut getrennt lebt und die damalige Ehe im 
Jahre 1996 geschieden wurde. Im Weiteren zeigen die Angaben 
der Selbstdeklarationen, dass sein Einkommen mindestens 
seit 1994 im wesentlichen nur noch aus der Altersrente der 
AHV besteht (1998: Fr. 21 396.-/Jahr bzw. Fr. 1783.-/Mo- 
nat). Diesen Einnahmen steht eine aufgerechnete Unterhalts- 
verpflichtung von Fr. 33 954.-/Jahr bzw. Fr. 2829.50/Monat 
gegenüber. 
    Das kantonale Gericht, an das die Sache zurückzuweisen 
ist, wird prüfen, ob bei dieser Aktenlage die zu beurtei- 
lende Rechtsfrage der Anrechenbarkeit des Unterhaltsanspru- 
ches beantwortet werden kann oder ob es allenfalls noch 
eine amtliche Bescheinigung der zuständigen Behörde über 
die Einkommens- und Vermögensverhältnisse einholen will 
bzw. ob im Rahmen der antizipierten Beweiswürdigung auf 
eine diesbezügliche Aktenergänzung verzichtet werden kann. 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:  
 
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne  
    gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungs- 
    gerichts des Kantons Solothurn vom 23. Juni 1999 auf- 
    gehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen 
    wird, damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre und 
    über die Beschwerde gegen die Verfügung der Aus- 
    gleichskasse des Kantons Solothurn vom 15. Dezember 
    1998 neu entscheide. 
 
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.  
 
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungs-  
    gericht des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für 
    Sozialversicherung zugestellt. 
 
 
Luzern, 23. Februar 2000 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der IV. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: