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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.36/2002 /bie 
 
Urteil vom 29. April 2002 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger, Präsident, 
Bundesrichter Nay, Féraud, 
Gerichtsschreiberin Leuthold. 
 
X.________, 4102 Binningen, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dr. Michael Kull, Gerbergasse 20, 4001 Basel, 
 
gegen 
 
Besonderes Untersuchungsrichteramt des Kantons 
Basel-Landschaft, Rheinstrasse 12, Postfach, 4410 Liestal, 
Obergericht des Kantons Basel-Landschaft, 
Bahnhofplatz 16, 4410 Liestal. 
 
Art. 9 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK 
(Kostenentscheid) 
 
(Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des 
Obergerichts des Kantons Basel-Landschaft 
vom 23. Oktober 2001) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft erhob am 15. Juni 2000 gegen A.________, X.________, B.________, C.________ und zwei weitere Personen Anklage wegen Vermögens- und Urkundendelikten. X.________ wurde Gehilfenschaft zum Betrug vorgeworfen. Es ging dabei um den in Ziff. 14 der Anklageschrift angeführten Fall des Betrugs zum Nachteil der Firma Z.________ AG. Diesem Anklagepunkt lag folgender Sachverhalt zugrunde: 
 
A.________, B.________ und C.________, welcher zu diesem Zeitpunkt bei der Bank Y.________ in Basel als Devisenhändler arbeitete, hätten im Frühling 1998 beschlossen, vom Konto der Firma Z.________ AG bei der Bank Y.________ eine Summe von drei Millionen US-Dollar auf ein Konto bei einer Bank in Österreich zu überweisen und anschliessend für sich abzuheben. Im Sommer 1998 habe A.________ seinen Kollegen X.________ gefragt, ob er als Kunde bei der Bank Y.________ anrufen könne, um eine derartige Transaktion zu veranlassen. Nachdem sich X.________ dazu bereit erklärt habe, sei der Text, den er am Telefon sagen sollte, gemeinsam geübt worden. Im Weiteren sei vereinbart worden, dass C.________ zuerst X.________ anrufe, um anzuzeigen, dass bei der Bank alles in Ordnung sei; daraufhin solle dieser den Anruf unter einer von C.________ bei der Bank Y.________ beschafften Kontrahentennummer, d.h. einer fest der Firma Z.________ AG zugeteilten Telefonnummer, vornehmen. X.________ habe diesen Anruf vereinbarungsgemäss getätigt und sich dabei als Herrn D.________ von der Firma Z.________ AG ausgegeben. Bei der Entgegennahme des Anrufs durch C.________ sei dessen Vorgesetzter E.________ zugegen gewesen. Dieser habe bemerkt, dass die Kennung der Kundin Z.________ AG auf dem Telefonapparat erschienen sei, und sei irrtümlicherweise davon ausgegangen, es handle sich um das bereits von Herrn D.________ angekündigte Geschäft, welches nun abgewickelt werden sollte. Der Betrag von drei Millionen US-Dollar sei gleichentags auf ein von B.________ organisiertes Konto bei einer Bank in Wien gutgeschrieben und dem Konto der Firma Z.________ AG belastet worden. Als sich herausgestellt habe, dass zum Zweck des Bezugs des Geldes ein Swift-Code benötigt werde, habe X.________ nochmals bei der Bank Y.________ unter dem Namen des Kundenvertreters und der Kontrahentennummer der Firma Z.________ AG angerufen, um diesen Code in Erfahrung zu bringen. Zur Auszahlung des Geldes sei es nicht gekommen, da die Bank in Wien Verdacht geschöpft habe, dass mit dieser Transaktion etwas nicht in Ordnung sei. 
 
Das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft gelangte in seinem Urteil vom 22. November 2000 zum Schluss, im Anklagepunkt 14 seien "alle Beteiligten mangels Arglist und damit mangels Erfüllung des objektiven Tatbestandes vom Vorwurf des Betrugs bzw. der Gehilfenschaft zum Betrug" freizusprechen. X.________, gegen den nur in diesem Punkt Anklage erhoben worden war, wurde vom Strafgericht vollumfänglich freigesprochen. Es auferlegte ihm jedoch einen Anteil von 5 % der Kosten (Fr. 1'800.--) und verweigerte ihm eine Parteientschädigung. 
 
X.________ appellierte gegen den Kostenentscheid des Strafgerichts. Das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft wies die Appellation mit Urteil vom 23. Oktober 2001 ab. 
B. 
Gegen diesen Entscheid reichte X.________ mit Eingabe vom 17. Januar 2002 beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde ein. Er beantragt, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache sei an die kantonale Instanz zurückzuweisen. Ausserdem stellte er das Gesuch, der Beschwerde sei aufschiebende Wirkung zu gewähren. 
C. 
Das Obergericht beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das Besondere Untersuchungsrichteramt des Kantons Basel-Landschaft ersucht sinngemäss um Abweisung der Beschwerde. 
D. 
Mit Präsidialverfügung vom 20. Februar 2002 wurde der staatsrechtlichen Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, das Obergericht habe das Willkürverbot (Art. 9 BV) und den Grundsatz der Unschuldsvermutung (Art. 6 Ziff. 2 EMRK) verletzt, indem es den Kostenentscheid des Strafgerichts bestätigt habe. 
1.1 Gemäss § 31 Abs. 2 der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Landschaft (StPO) trägt in der Regel der Staat die Verfahrenskosten, wenn der Angeschuldigte freigesprochen oder das Verfahren eingestellt wird. Die Kosten können jedoch ganz oder teilweise dem Angeschuldigten überbunden werden, wenn er die Untersuchung durch sein Verhalten verschuldet oder in unzulässiger Weise erschwert hat. Unter den gleichen Voraussetzungen kann dem Angeschuldigten bei Freispruch oder Einstellung des Verfahrens eine Entschädigung verweigert werden (§ 33 Abs. 3 StPO). 
 
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts verstösst eine Kostenauflage bei Freispruch oder Einstellung des Strafverfahrens gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung, wenn dem Angeschuldigten in der Begründung des Kostenentscheids direkt oder indirekt vorgeworfen wird, er habe sich strafbar gemacht bzw. es treffe ihn ein strafrechtliches Verschulden. Dagegen ist es mit Verfassung und Konvention vereinbar, einem nicht verurteilten Angeschuldigten die Kosten zu überbinden, wenn er in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise, d.h. im Sinne einer analogen Anwendung der sich aus Art. 41 OR ergebenden Grundsätze, gegen eine geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnorm klar verstossen und dadurch das Strafverfahren veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat (BGE 120 Ia 147 E. 3b S. 155; 119 Ia 332 E. 1b S. 334; 116 Ia 162 E. 2e S. 175). 
 
Wird eine Kostenauflage wegen Verletzung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten, so prüft das Bundesgericht frei, ob die Begründung des Kostenentscheids direkt oder indirekt den Vorwurf einer strafrechtlichen Schuld enthält. Nur auf Willkür hin untersucht es dagegen, ob der Angeschuldigte in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise gegen eine geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnorm klar verstossen und durch dieses Benehmen das Strafverfahren veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat. Es geht insoweit nicht mehr um den Schutzbereich von Art. 6 Ziff. 2 EMRK, welche Bestimmung den guten Ruf des Angeschuldigten gegen den direkten oder indirekten Vorwurf schützen will, ihn treffe trotz Freispruch oder Einstellung des Verfahrens eine strafrechtlich relevante Schuld. Die Voraussetzungen der Kostenauflage werden demgegenüber durch die kantonalen Strafprozessordnungen umschrieben, und in diesem Bereich greift ausschliesslich Art. 9 BV (unter der Geltung der früheren Bundesverfassung Art. 4 aBV) Platz, wonach die betreffenden Gesetzesbestimmungen nicht willkürlich angewendet werden dürfen (BGE 116 Ia 162 E. 2f S. 175 f. mit Hinweisen). 
1.2 Das Obergericht war der Ansicht, der Beschwerdeführer habe durch seine Telefonanrufe bei der Bank Y.________ in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise gegen die Verhaltensnorm von Art. 28 OR verstossen, welche die absichtliche Täuschung untersagt. Es führte aus, der Beschwerdeführer habe an der Täuschung der Bank Y.________ mitgewirkt, indem er unter dem Namen des Kundenvertreters und unter der Kontrahentennummer des Kunden Z.________ AG angerufen und dadurch die Bank Y.________ über die Identität des Anrufers getäuscht habe. Der Beschwerdeführer habe durch dieses Verhalten das gegen ihn und die Mitbeteiligten geführte Strafverfahren mitverursacht. 
 
Hinsichtlich des Umfangs der Kostenauflage hatte der Beschwerdeführer eingewendet, es dürften ihm höchstens die Kosten für das Untersuchungsverfahren auferlegt werden, nicht aber diejenigen für das Gerichtsverfahren, da das Besondere Untersuchungsrichteramt den Fall Nr. 14 zu Unrecht zur Anklage gebracht habe. Das Obergericht hielt diesen Einwand für unzutreffend. Es führte aus, das Tatbestandsmerkmal der Arglist sei dasjenige Merkmal des Betrugstatbestandes, welches am schwierigsten nachzuweisen sei. Obwohl das Bundesgericht die Definition der Arglist immer wieder verfeinert habe, sei die Beurteilung der Arglist meist mit grossen Unsicherheiten verbunden. Im vorliegenden Fall hätten durchaus Elemente vorgelegen, die für eine arglistige Täuschung hätten sprechen können, so z.B. die Art und Weise der Täuschung mittels eines Anrufs unter falscher Namensangabe mit der Kontrahentennummer des entsprechenden Kunden sowie mit dem zuvor einstudierten Text im Wissen um die Registrierung dieses Anrufes. Auch wenn im Nachhinein vielleicht nicht leicht verständlich sei, dass das Besondere Untersuchungsrichteramt E.________ nicht einlässlich befragt habe, könne der Strafverfolgungsbehörde weder Übereifer bei der Einleitung des Strafverfahrens noch eine vorschnelle Anklageerhebung aufgrund einer unrichtigen Beurteilung der Rechtslage vorgeworfen werden. Es habe hinreichender Anlass zur Anklageerhebung zumindest wegen Gehilfenschaft zum Betrug bestanden. Ferner sei darauf hinzuweisen, dass die Einstellung eines Strafverfahrens nur zulässig sei, wenn ein Freispruch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei. Daraus ergebe sich, dass im Zweifelsfall stets eine Überweisung an das Gericht zu erfolgen habe. Es bestehe daher kein Grund, die Kostentragungspflicht des Beschwerdeführers auf die Untersuchungskosten zu begrenzen. 
1.3 Der Beschwerdeführer erklärt ausdrücklich, er anerkenne die Ausführungen des Obergerichts bezüglich der zivilrechtlichen Vorwerfbarkeit seines Verhaltens und damit die Rechtmässigkeit der Auferlegung von Kosten für das Untersuchungsverfahren. Er beanstandet ausschliesslich die Überbindung von Kosten und die Verweigerung einer Parteientschädigung für das Gerichtsverfahren. 
1.3.1 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts darf die Haftung des Angeschuldigten nicht weiter gehen, als der Kausalzusammenhang zwischen dem ihm vorgeworfenen fehlerhaften Verhalten und den Kosten verursachenden behördlichen Handlungen reicht. Es ist unzulässig, dem Angeschuldigten im Falle eines Freispruchs die Kosten des Gerichtsverfahrens zu überbinden, wenn nach dem Ergebnis der Untersuchung kein hinreichender Anlass bestanden hat, Anklage zu erheben (BGE 116 Ia 162 E. 2d/bb S. 175; 109 Ia 163 E. 4a S. 163). 
1.3.2 Der Beschwerdeführer bringt vor, die Anklage sei in Bezug auf den Fall Nr. 14 aufgrund einer unvollständigen Abklärung des rechtlich relevanten Sachverhalts erhoben worden. Das Strafgericht habe in seinem Urteil ausgeführt, möglicherweise sei die Fokussierung auf die Beteiligungsrolle von B.________ im Untersuchungsverfahren mit ein Grund dafür gewesen, dass das im Hinblick auf die Beurteilung der Arglist grundlegende Verhältnis von C.________ und E.________ nicht hinreichend abgeklärt worden sei. Auch das Obergericht habe Ermittlungsversäumnisse der Strafverfolgungsbehörde anerkannt und die nicht vorgenommene einlässliche Befragung von Herrn E.________ im Untersuchungsverfahren als "nicht leicht verständlich" bezeichnet, daraus aber "nicht die indizierte Konsequenz, nämlich die Kostenfolge zulasten der Staatskasse", gezogen. Die Überbindung von Kosten des Gerichtsverfahrens an einen Freigesprochenen, der "lediglich aufgrund von Verfehlungen der Ermittlungsbehörden angeklagt" worden sei, verletze das Willkürverbot und die Unschuldsvermutung. 
 
1.3.3 Wie dargelegt wurde, verstösst eine Kostenauflage bei Freispruch dann gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung, wenn dem Angeschuldigten in der Begründung des Kostenentscheids direkt oder indirekt vorgeworfen wird, er habe sich strafbar gemacht bzw. es treffe ihn ein strafrechtliches Verschulden. Die oben (E. 1.2, Absatz 2) angeführten Überlegungen, mit denen das Obergericht die Auferlegung eines Anteils der Gerichtskosten an den Beschwerdeführer als zulässig erachtete, enthalten keinen solchen Vorwurf. Der angefochtene Entscheid verstösst nicht gegen die Unschuldsvermutung. 
1.3.4 Auch die Rüge der Verletzung des Willkürverbots dringt nicht durch. Die Beurteilung der Prozessaussichten ist dem pflichtgemässen Ermessen der Strafverfolgungsbehörde anheim gestellt. In Zweifelsfällen beweismässiger und vor allem rechtlicher Art soll Anklage erhoben werden (Robert Hauser/Erhard Schweri, Schweizerisches Strafprozessrecht, 4. Aufl., 1999, § 78, N. 9, S. 344; Niklaus Schmid, Strafprozessrecht, 3. Aufl., 1997, Rz. 797, S. 250 f.). Das Obergericht war - wie ausgeführt - der Auffassung, im hier in Frage stehenden Fall Nr. 14 habe hinreichender Anlass zur Anklageerhebung bestanden. In der staatsrechtlichen Beschwerde wird nichts vorgebracht, was geeignet wäre, die betreffenden Feststellungen des Obergerichts als verfassungswidrig erscheinen zu lassen. Es kann mit guten Gründen angenommen werden, nach Abschluss der Untersuchung sei es keineswegs eindeutig gewesen, dass es im erwähnten Fall am Merkmal der Arglist fehle. Das Obergericht verstiess nicht gegen das Willkürverbot, wenn es zum Schluss gelangte, das Strafgericht habe dem Beschwerdeführer mit Recht auch Kosten des Gerichtsverfahrens überbunden und ihm keine Entschädigung für dieses Verfahren zugesprochen. 
 
Nach dem Gesagten verletzte das Obergericht Art. 9 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK nicht, indem es den Kostenentscheid des Strafgerichts geschützt hat. Die staatsrechtliche Beschwerde ist deshalb abzuweisen. 
2. 
Entsprechend dem Ausgang des bundesgerichtlichen Verfahrens sind die Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Ein Anspruch auf eine Parteientschädigung besteht nicht (Art. 159 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Besonderen Untersuchungsrichteramt und dem Obergericht des Kantons Basel-Landschaft schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 29. April 2002 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: