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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
H 449/00 
 
Urteil vom 29. Oktober 2002 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiberin Schüpfer 
 
Parteien 
E.________, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin, 
 
Vorinstanz 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur 
 
(Entscheid vom 20. November 2000) 
 
Sachverhalt: 
A. 
E.________ war Mitglied des Verwaltungsrates der X.________ AG mit Sitz in Winterthur. Am 5. März 1998 wurde über die Gesellschaft der Konkurs eröffnet und am 29. April 1998 mangels Aktiven wieder eingestellt. Mit Verfügung vom 23. Februar 1999 forderte die Ausgleichskasse des Kantons Zürich von E.________ Schadenersatz für entgangene AHV/IV/ALV/FAK-Beiträge (einschliesslich Mahngebühren, Verwaltungs- und Betreibungskosten) im Gesamtbetrag von Fr. 256'705.75. Dagegen erhob der Betroffene Einspruch. 
B. 
Die von der Ausgleichskasse mit Datum vom 7. April 1999 gegen E.________ eingereichte Klage hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 20. November 2000 gut und verpflichtete den Genannten zur Bezahlung von Schadenersatz im verfügten Umfange. 
C. 
E.________ führt dagegen Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und zu neuer Beurteilung an das Sozialversicherungsgericht zurückzuweisen. In der Folge stellte er mit Eingabe vom 11. Januar 2001 ein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. 
 
Die Vorinstanz verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
1.2 Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nur so weit eingetreten werden, als die Schadenersatzforderung kraft Bundesrechts streitig ist. Im vorliegenden Verfahren ist deshalb auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in dem Umfang nicht einzutreten, als sie sich gegen die Schadenersatzforderung für entgangene Beiträge an die kantonale Familienausgleichskasse richtet (vgl. BGE 124 V 146 Erw. 1 mit Hinweis). 
2. 
Der Beschwerdeführer rügt unter anderem, das kantonale Gericht habe sein rechtliches Gehör verletzt. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist formeller Natur. Seine Verletzung führt ungeachtet der Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Sache selbst zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids (BGE 126 V 132 Erw. 2b mit Hinweisen). Die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs ist deshalb vorweg zu prüfen. 
2.1 Das vorinstanzliche Verfahren wurde im Jahre 1999 anhängig gemacht und per 20. November 2000 entschieden. Ob bezüglich des Anspruchs auf rechtliches Gehör somit die auf den 1. Januar 2000 in Kraft getretene neue Bundesverfassung (BV) vom 18. April 1999 (Art. 29 Abs. 2) oder noch die Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 (aBV) (Art. 4) Anwendung findet, braucht indes nicht abschliessend beantwortet zu werden, ist die unter der Herrschaft von Art. 4 aBV hiezu ergangene Rechtsprechung (vgl. BGE 120 V 362 Erw. 2a) doch nach wie vor massgeblich (BGE 126 V 130 Erw. 2a mit Hinweisen). 
2.2 Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör. Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung, andererseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheids dar, welcher in die Rechtsstellung einer Person eingreift. Dazu gehört insbesondere deren Recht, sich vor Erlass des in ihre Rechtsstellung eingreifenden Entscheids zur Sache zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 127 I 56 Erw. 2b, 127 III 578 Erw. 2c, 126 V 130 Erw. 2a; zu Art. 4 Abs. 1 aBV ergangene, weiterhin geltende Rechtsprechung: BGE 126 I 16 Erw. 2a/aa, 124 V 181 Erw. 1a, 375 Erw. 3b, je mit Hinweisen). 
2.3 Nach der Rechtsprechung kann eine - nicht besonders schwerwiegende - Verletzung des rechtlichen Gehörs als geheilt gelten, wenn die betroffene Person die Möglichkeit erhält, sich vor einer Beschwerdeinstanz zu äussern, die sowohl den Sachverhalt wie die Rechtslage frei überprüfen kann. Die Heilung eines - allfälligen - Mangels soll aber die Ausnahme bleiben (BGE 127 V 437 Erw. 3d/aa, 126 I 72, 126 V 132 Erw. 2b, je mit Hinweisen). 
2.4 Art. 29 Abs. 2 BV verschafft einer bedürftigen Partei in einem für sie nicht aussichtslosen Verfahren den Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, der auch die Vertretung durch einen unentgeltlichen Rechtsbeistand umfasst, sofern ein solcher zur gehörigen Interessenwahrung erforderlich ist. Dieser Anspruch gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts als verfassungsmässige Minimalgarantie auch in Verwaltungsverfahren (vgl. BGE 125 II 274 Erw. 4a, 124 I 306 Erw. 2a). 
3. 
3.1 Seine vorinstanzliche Klageantwort vom 15. April 1999 leitete der Beschwerdeführer mit folgenden Sätzen ein: 
"In meiner Stellungnahme zu den von der Klägerin vorgebrachten Forderungsgründen möchte ich vorausschicken, dass ich als AHV-Rentner und EL-Bezüger kein Vermögen besitze und somit finanziell ausserstande bin, einen erfahrenen Anwalt zur Wahrung meiner Rechte einzusetzen. Es entzieht sich meiner Kenntnis, ob in diesem Falle unentgeltliche Rechtshilfe möglich ist." 
Damit hat er eine unentgeltliche Rechtsverbeiständung für das erstinstanzliche Verfahren beantragt (in diesem Sinne SZS 2002 S. 511). Das Sozialversicherungsgericht liess das Gesuch unbeantwortet. Es hat die Voraussetzungen für die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege nicht abgeklärt und auch keinen entsprechenden Zwischenentscheid getroffen. Ebenso wenig wurde das Gesuch im angefochtenen Entscheid erwähnt und beantwortet. 
3.2 Schadenersatzansprüche gemäss Art. 52 AHVG werden laut Art. 81 Abs. 3 AHVV vor der kantonalen Rekursinstanz im Klageverfahren erledigt. Dabei kommt der Argumentation des Beklagten entscheidendes Gewicht zu. Vorliegend geht es um einen Schadenersatzanspruch in der Höhe von Fr. 256'705.75. Dementsprechend erscheint eine Rechtsverbeiständung zur gehörigen Interessenwahrung erforderlich. Das Gesuch hätte mittels Zwischenentscheid beantwortet werden müssen, damit ein - eventuell - bewilligter Rechtsvertreter Gelegenheit gehabt hätte, seine Argumente und möglichen Beweisanträge im ordentlichen Schriftenwechsel einzubringen. Bei Abweisung des Gesuches hätte dem Beschwerdeführer offen stehen müssen, den Zwischenentscheid dem Eidgenössischen Versicherungsgericht zur Beurteilung zu unterbreiten. Dieser Mangel kann nicht nachträglich geheilt werden, dies zum einen, weil der Beschwerdeführer ein Anrecht darauf hat, dass die Haftung für Schadenersatzansprüche der Ausgleichskasse von zwei Gerichtsinstanzen unter Wahrung seines rechtlichen Gehörs beurteilt wird und zum andern, weil das Eidgenössische Versicherungsgericht vorliegend mit beschränkter Kognition urteilt (vgl. Erw. 1.1 und 2.3). Damit hat die Vorinstanz nach dem Gesagten das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers und Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG verletzt. Der angefochtene Entscheid wird daher aus formellen Gründen aufgehoben und die Sache zur Durchführung eines korrekten Verfahrens - mit einem vorgängigen Entscheid über den Anspruch des Beschwerdeführers auf unentgeltliche Verbeiständung - an das kantonale Gericht zurückgewiesen. 
4. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig, da es nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen zum Gegenstand hat (Art. 134 OG e contrario). Dem Prozessausgang entsprechend hat die Beschwerdegegnerin im Prinzip die Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG). Da die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ohne Prüfung ihrer materiellen Erfolgsaussichten aus rein formellen Gründen, welche einzig die Vorinstanz zu vertreten und auf welche die Ausgleichskasse keinen Einfluss hatte, gutzuheissen ist, wird vorliegend indes auf die Erhebung von Gerichtskosten verzichtet. Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege im vorliegenden Verfahren kann bei diesem Ausgang offen bleiben. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist, in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 20. November 2000 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre und über die Klage gegen E.________ neu entscheide. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 29. Oktober 2002 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: