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Urteilskopf

100 Ia 119


19. Auszug aus dem Urteil vom 23. Januar 1974 i.S. Fischli gegen Stauffacher, La Suisse Lebens- und Unfallversicherungsgesellschaften, Zivilgerichtspräsident und Obergericht des Kantons Glarus.

Regeste

Forderung aus Dienstvertrag. Willkürliche Beweiswürdigung im Zivilprozess. Einseitige Berücksichtigung eines Briefwechsels und Ausserachtlassung weiterer Korrespondenz in der gleichen Sache. Staatsrechtliche Beschwerde. Voraussetzungen, unter denen mit dem Entscheid der letzten kantonalen Instanz auch derjenige der untern Instanz angefochten werden kann (Erw. 1).
Mit der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils erübrigt sich die auf Willkür beschränkte Prüfung der gegen das letztinstanzliche kantonale Urteil gerichteten Rügen (Erw. 6).
Sieht das kantonale Recht für die in Anwendung von Art. 343 Abs. 4 OR ergangenen Urteile ein Rechtsmittel vor, so braucht dieses kein ordentliches zu sein (Erw. 6). Die Kostenbefreiung gemäss Art. 343 Abs. 3 OR schliesst die Auferlegung einer Parteientschädigung nicht aus (Erw. 7).

Sachverhalt ab Seite 120

BGE 100 Ia 119 S. 120

A.- Mit Datum vom 1. Oktober 1964 schlossen Emil Fischli-Hefti und Dietrich Stauffacher, als Generalagent der La Suisse Lebensversicherungsgesellschaft und der La Suisse Unfallversicherungsgesellschaft (im folgenden kurz La Suisse genannt) in Ablösung des vorhergehenden (vom 22. Juli 1957) einen neuen Dienstvertrag ab. Darin wurde Fischli im Einverständnis der Generaldirektion der La Suisse als Generalagent-Stellvertreter bezeichnet. Der Vertrag regelt Fischlis Rechte und Pflichten im Rahmen der Generalagentur, u.a. seine Ansprüche auf ein Fixum, eine Provision und eine Spesenentschädigung. Soweit der Dienstvertrag nichts bestimmt, insbesondere was Ferien, Krankheit, Urlaub usw. betrifft, gelangen gemäss Art. 7 des Dienstvertrages die allgemeinen Anstellungsbedingungen der La Suisse Versicherungsgesellschaften, bei deren Schweigen die Bestimmungen des OR, zur Anwendung.

B.- Im Jahre 1971 wendete sich Fischli einerseits an Stauffacher und andererseits an die Generaldirektion der La
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Suisse mit dem Begehren um Erhöhung der Spesenentschädigung. In seinem Brief vom 2. September 1971 an die Generaldirektion erklärte Fischli:
"Sofern Sie die berechtigte Spesenerhöhung von Fr. 300.-- pro Monat, trotz positiver Begutachtung des Generalagenten, nicht einsehen können, so werde ich mit Wirkung ab 1.1.1972 nicht mehr für die La Suisse tätig sein."
Am 13. September schrieb er dem Generaldirektor:
"Nachdem meine Verhandlungen mit Ihrer Abteilung 3, trotz positiver Begutachtung des Generalagenten, Herrn Stauffacher, negativ verlaufen, muss ich Ihnen heute mitteilen, dass ich beabsichtige, per 31.12.1971 aus den Diensten der La Suisse auszutreten.
Vor meinem endgültigen Entschluss würde ich sehr gerne mit Ihnen noch eine Unterredung führen."
Darauf antwortete die La Suisse am 13. Oktober, dass sie die "Entlassung" auf den 31. Dezember, die Fischli am 2. und 13. September 1971 bekanntgegeben hatte, annehme. Stauffacher seinerseits liess Fischli am 17. Dezember einen eingeschriebenen Brief zukommen, in dem er ihn über den Entscheid der Generaldirektion informierte und beifügte:
"Wir sind daher gehalten, Ihnen die von Ihnen angesetzte Beendigung des Dienstverhältnisses per 31. Dezember 1971 ebenfalls zu bestätigen."
Als Fischli die La Suisse und Stauffacher daraufhin wissen liess, dass er den Dienstvertrag nicht gekündigt hatte, und er im übrigen vertraglich nicht mit der La Suisse, sondern mit Stauffacher verbunden war, schrieb ihm Stauffacher am 28. Dezember:
"Nachdem Sie am 2. September 1971 der Direktion der La Suisse schriftlich mitgeteilt haben, dass Sie ab 1. Januar 1971 keinerlei weitere Tätigkeit für die La Suisse mehr ausüben würden, nachdem ferner die Direktion Sie aus den Diensten der La Suisse entlassen und diese Entscheidung bis heute nicht rückgängig gemacht hat, sehe ich mich zu meinem Bedauern veranlasst, Ihnen gestützt auf Art. 352 OR das Dienstverhältnis per 31. Dezember 1971 zu kündigen, da mir unter diesen Umständen die Fortsetzung des Dienstverhältnisses nach Treu und Glauben nicht mehr zugemutet werden kann. Für den Fall, dass wider jegliche Erwartung die Auflösung des Dienstverhältnisses per 31. Dez. 1971 nicht angängig betrachtet würde, wird Ihnen hiermit der Dienstvertrag auf alle Fälle und rein vorsorglich auf die gesetzliche Frist von 2 Monaten,
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d.h. auf den 29. Februar 1972 gekündigt. Gestützt auf die Entscheidung und den Auftrag der Direktion der La Suisse verzichte ich hiermit endgültig auf Ihre Dienste nach dem 31. Desember 1971."
Im Schreiben vom 30. Dezember 1971 vertraten die La Suisse Versicherungsgesellschaften die Ansicht, Fischli hätte seine Kündigungsofferte nie zurückgezogen; zu der von Fischlis Anwalt geltendgemachten fehlenden vertraglichen Beziehung zwischen ihnen und Fischli und dem zwischen ihm und Stauffacher persönlich bestehenden Vertragsverhältnis äusserten sie sich nicht.
Am 8. Februar 1972 erhielt Fischli von Stauffacher eine Provisionsabrechnung über den Monat Januar 1972 mit einem Saldo von Fr. 9691.20 zu Fischlis Gunsten, wobei hinzugefügt war, dass die Auszahlung verrechnungsweise in der zwischen Fischli und der La Suisse schwebenden Angelegenheit erfolge.
Nachdem die Verhandlungen vor dem Vermittleramt Glarus-Riedern keinen Erfolg zeitigten, erbrachte die La Suisse Generalagentur Glarus am 18. Mai 1972 eine Zahlung von Fr. 7000.-- mit dem Vermerk auf dem Coupon "gemäss Provisionsabrechnung für Januar 1972 vom 8. Februar 1972. Der Rest wird mit den Ansprüchen der La Suisse und deren Generalagentur verrechnet".

C.- Am 3. Juli 1972 klagte Fischli beim Einzelrichter (Zivilgerichtspräsident) von Glarus gegen Stauffacher auf Leistung von Fr. 2691.20 plus Zinsen. Dieser verkündete der La Suisse den Streit. Der Zivilgerichtspräsident trat mit Verfügung vom 11./22. August 1972 die vom Beklagten erhobene Einrede der mangelnden Passivlegitimation gutheissend auf die Klage materiell nicht ein.

D.- Gegen diese Verfügung erhob Fischli Nichtigkeitsbeschwerde beim Obergericht. Er machte u.a. geltend, der angefochtene Entscheid verstosse gegen den Wortlaut und den Sinn des zwischen ihm und Stauffacher abgeschlossenen Dienstvertrages. Im Speziellen machte er die Nichtigkeitsgründe des Art. 336 Ziff. 1, 3 und 4 ZPO geltend, nämlich die Verweigerung des rechtlichen Gehörs, die Aktenwidrigkeit der Annahmen, auf welche sich die Vorinstanz stützte, sowie die Verletzung klaren Rechts. Mit Urteil vom 22. Dezember 1972 wies das Obergericht die Nichtigkeitsbeschwerde ab und bestätigte die angefochtene Verfügung.

E.- Fischli erhebt hiergegen staatsrechtliche Beschwerde,
BGE 100 Ia 119 S. 123
indem er die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils sowie der Verfügung des Zivilgerichtspräsidenten von Glarus beantragt. Ihre Begründung ergibt sich, soweit nötig, aus den folgenden Erwägungen.
Der Beschwerdegegner und das Obergericht des Kantons Glarus beantragen Abweisung derselben.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Gegen Verfügungen im Sinne von Art. 26 des glarnerischen EG zum OR gibt es keine Appellation, sondern nur die Nichtigkeitsbeschwerde gemäss Art. 336 ZPO, auf dessen Ziff. 1, 3 und 4 sich der Beschwerdeführer berief. Das Obergericht war in seiner Prüfungsbefugnis auf die Nichtigkeitsgründe beschränkt. Unter diesem beschränkten Blickwinkel liess sich seiner Ansicht nach im Entscheid des Einzelrichters kein Nichtigkeitsgrund erkennen. Es räumte in seinem Urteil allerdings ein, dass es bei freier Prüfungsbefugnis vielleicht anders entschieden hätte.
Gemäss Art. 87 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des vom Beschwerdeführer angerufenen Art. 4 BV erst gegen letztinstanzliche Entscheide zulässig. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts kann jedoch derjenige, der mit einer staatsrechtlichen Beschwerde fristgemäss einen Entscheid anficht, der von einer mit beschränkter Prüfungsbefugnis ausgestatteten Rechtsmittelinstanz ausgefällt wurde, gleichzeitig noch den Entscheid der unteren kantonalen Instanz anfechten, und zwar auch mit Rügen, die bei der kantonalen Rechtsmittelinstanz nicht erhoben werden konnten. Voraussetzung dafür, dass das Bundesgericht den Entscheid der unteren Instanz prüfen kann, ist freilich, dass der Beschwerdeführer die Aufhebung beider kantonaler Entscheide beantragt (BGE 94 I 462 /3, BGE 97 I 119, 226).
Mit der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde wird die Aufhebung sowohl der Verfügung des Zivilgerichtspräsidenten wie des Urteils des Obergerichts verlangt. Das Bundesgericht tritt somit auch insofern auf die Beschwerde ein, als damit Rügen gegen den erstinstanzlichen Entscheid erhoben werden, die von der letzten kantonalen Instanz nicht geprüft werden konnten.

2. (Abweisung der Beschwerde über eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Obergericht.)
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3. Der Beschwerdeführer rügt ferner, dass der Zivilgerichtspräsident zu Unrecht eine Wandlung des am 1. Oktober 1964 zwischen Fischli und Stauffacher abgeschlossenen Dienstvertrages in einen Dienstvertrag zwischen Fischli und der La Suisse angenommen hat.
Nach Ansicht des erstinstanzlichen Richters erfuhr der am 1. Oktober 1964 zwischen Fischli und Stauffacher abgeschlossene und von beiden persönlich unterschriebene Dienstvertrag im Laufe der Zeit eine wesentliche Änderung bezüglich der Vertragsparteien. Würde einzig der schriftliche Dienstvertrag im Dossier figurieren, so wären Fischli und Stauffacher allerdings nach wie vor Vertragsparteien; doch haben insbesondere das Verhalten und die Äusserungen des Beschwerdeführers die Auffassung über dieses Dienstverhältnis modifiziert; so habe sich der Beschwerdeführer mit Forderungen betreffend Gehaltserhöhung und Rückerstattung von Auslagen an die La Suisse gewendet, nachdem er sich diesbezüglich mit dem Beschwerdegegner besprochen hatte. Ferner habe Fischli in seinem Brief vom 2. September 1971 gegenüber der La Suisse erklärt, dass er, falls seiner Bitte um Erhöhung der Spesenentschädigung nicht stattgegeben werde, nicht willens sei, ab 1. Januar 1972 für die La Suisse zu arbeiten, worauf die La Suisse ihrerseits seine Kündigung anzunehmen erklärt habe. Andererseits seien auf Seite der La Suisse gewisse Zentralisierungsmassnahmen im Zeitraum von 1964-1968 ersichtlich. All diese Erwägungen veranlassten den erstinstanzlichen Richter, eine Vertragsänderung im Sinne einer Änderung der Parteien anzunehmen. Das Obergericht seinerseits hat sich damit begnügt, auf die Ausführungen des Zivilgerichtspräsidenten zu verweisen und zu erklären, dass seiner Meinung nach diesbezüglich kein Nichtigkeitsgrund gegeben sei.

4. Gemäss dem alten Art. 320 Abs. 1 OR (der neue Art. 320 Abs. 1 OR hat diesbezüglich denselben Wortlaut), welcher auf die vorliegenden strittigen Rechtsbeziehungen anwendbar ist, bedarf der Dienstvertrag unter Vorbehalt entgegenstehender gesetzlicher Bestimmungen, wie grundsätzlich übrigens jeder Vertrag (Art. 11 Abs. 1 OR), "zu seiner Gültigkeit keiner besonderen Form". Er kann somit grundsätzlich ausdrücklich oder stillschweigend geschlossen werden. Schriftlichkeit ist auch dann nicht erforderlich, wenn der einmal schriftlich abgefasste Vertrag einer Änderung unterzogen wird (vgl. OSER/SCHÖNENBERGER,
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Obligationenrecht, 2. Auflage, zu Art. 16, Nr. 8). Andererseits ist auch eine Vereinbarung denkbar, wonach der Arbeitgeber die Rechte aus einem konkreten Dienstverhältnis an einen Dritten abtreten kann (Art. 176 OR und alter Art. 327 Abs. 2 OR, neuer Art. 333 Abs. 4 OR; Urteil vom 20. Dezember 1955 i.S. Felsenhardt c. Schreyer).
Eine Vereinbarung, wonach die Rechte und Pflichten Stauffachers gegenüber Fischli aus dem Vertrag vom 1. Oktober 1964 auf die La Suisse übergingen, wäre folglich durchaus möglich gewesen. Die Tatsache, dass Fischli das Problem seiner Entschädigung mit der Direktion der La Suisse besprochen hatte, genügt jedoch nicht zur Annahme, dass dadurch Stauffacher von jeder Verpflichtung Fischli gegenüber befreit worden und nicht mehr mit Fischli vertraglich verbunden gewesen wäre. Vorerst ist festzuhalten, dass vor dem erstinstanzlichen Richter weder Stauffacher selbst noch die La Suisse durch diese veranlasste Zentralisationsmassnahmen und ebensowenig den Vertragsübergang auf sie geltend gemacht hatten. Es wäre dem Beschwerdegegner und den Litisdenunziatinnen jedoch ein Leichtes gewesen, den Nachweis einer Zentralisierung und Straffung in der Organisation zu erbringen, wenn das Verhältnis La Suisse zu ihren Generalagenten und deren Angestellten tatsächlich Änderungen erfahren hätte. Aber sie blieben entsprechende Erklärungen schuldig, und der Beschwerdegegner begnügte sich zu betonen, dass der Beschwerdeführer sich als Angestellter der La Suisse betrachtete, und es gegen Treu und Glauben verstiesse, wenn er sich nun an ihn, Stauffacher halte.
Jedoch vermöchte die Tatsache allein, dass Fischli selber sich als in den Diensten der La Suisse stehend betrachtet, noch keinen Übergang der Rechte und Pflichten Stauffachers auf die Versicherungsgesellschaften zu begründen. Und eine andere Tatsache, die geeignet wäre, den Beweis für einen solchen Rechtsübergang zu liefern, nennt der erstinstanzliche Richter nicht.
Im übrigen hebt der erstinstanzliche Richter selbst hervor, dass die La Suisse am Abschluss des Dienstvertrages von 1964 teilgenommen hatte, und dass ohne ihre Mitwirkung der Beschwerdeführer nicht Generalagent-Stellvertreter geworden wäre. Er gibt aber, wie die beiden Parteien ihrerseits, ausdrücklich zu, dass dieser Dienstvertrag zwischen Fischli und Stauffacher zustande kam. Die beiden nachstehenden, vom Zivilgerichtspräsidenten
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als massgebend betrachteten Umstände lassen ebensowenig den Schluss zu, dass dieser Vertrag im Verlaufe von Fischlis Anstellung zu bestehen aufgehört hat:
Zum ersten ist nach Ansicht des Zivilgerichtspräsidenten der Tatsache Rechnung zu tragen, dass der Beschwerdeführer Lohn-, Provisions- und Spesenfragen mit der Generaldirektion besprechen musste. Diese Ansicht ist irrtümlich, denn Stauffacher hat in seiner Beschwerdeantwort selbst anerkannt, dass in Übereinstimmung mit den im Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden allgemeinen Anstellungsbedingungen die Provisionsgebühren durch den Generalagenten in Abzug gebracht werden, aber dass "diese ohne Zweifel zu Lasten der Versicherungsgesellschaften gehen". Der erstinstanzliche Richter beschreibt mit seinen Ausführungen nichts anderes als gerade den rechtlichen Zustand, der im Moment des Vertragsabschlusses herrschte. Es ist sachlich nicht vertretbar, daraus den Rechtsübergang betreffende Schlüsse zu ziehen, wie sie jener Richter gezogen hat.
Zum zweiten, so meint der Einzelrichter, liege im Verhalten des Beschwerdeführers ein Beweis dafür, dass er sich selbst als Angestellter der La Suisse betrachtete, habe Fischli ihr gegenüber doch am 2. September 1971 erklärt, er werde ohne Erhöhung der Spesenentschädigung nicht mehr für sie arbeiten, und am 13. September den Wunsch geäussert, sich vor seinem endgültigen Entscheid mit dem Generaldirektor besprechen zu können, und es habe ausserdem die La Suisse die Kündigung anzunehmen erklärt. Daraus schloss der erstinstanzliche Richter, dass Fischli und die La Suisse sich als Vertragsparteien betrachteten. Es ist jedoch unhaltbar, aus diesem Briefwechsel zu folgern, dass Stauffacher seinerseits nicht mehr durch den Vertrag gebunden war, den er mit Fischli geschlossen hatte.
Es ist ausserdem festzuhalten, dass Fischli der La Suisse gegenüber nie die Absicht bekundet hatte, den Vertrag mit ihr zu kündigen; er hat nur geschrieben, dass er, falls seinen Forderungen nicht entsprochen würde, nicht mehr für die La Suisse. tätig zu sein gedenke, oder er ihre Dienste verlassen würde. Diese Ausdrucksweise ist mit der Existenz eines Dienstvertragsverhältnisses zwischen Fischli und Stauffacher ebenso vereinbar wie mit dem Bestehen eines Vertrages zwischen Fischli und der La Suisse. Indem Fischli die Tätigkeit eines Generalagenten-Stellvertreter der La Suisse ausübte, war er für diese tätig, selbst
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wenn der Dienstvertrag mit Stauffacher abgeschlossen war. Fischli hat gegenüber der La Suisse nie von Entlassung oder Kündigung gesprochen. Dies hat einzig die La Suisse ihm gegenüber getan.
Der Entscheid des Zivilgerichtspräsidenten ist aber vor allem deswegen als willkürlich zu qualifizieren, weil er sich lediglich auf den Briefwechsel zwischen Fischli und der La Suisse stützt, die sich aus Stauffachers Korrespondenz zwingend ergebenden Konsequenzen jedoch unbeachtet lässt. Zwar wird in der Verfügung ein Schreiben Stauffachers an die Generaldirektion vom 21. Oktober 1971 zitiert, worin dieser schrieb:
"Herr Fischli hat sich mir gegenüber geäussert, dass er meinetwegen bereit sei, von einer Kündigung des Dienstvertrages mit der GA Glarus, abzusehen, obwohl er der Direktion gegenüber eine Kündigungsabsicht bekannt gab. Dies würde dann bedeuten, dass er - zu meiner Freude - unter den geltenden Bedingungen Mitarbeiter bleibe."
Die Tatsache, dass dieser Brief, von dem der erstinstanzliche Richter erst nach der Verhandlung Kenntnis erhielt, nicht in den Prozessakten figuriert, hat diesen nicht davon abgehalten, daraus zu schliessen, dass Stauffacher sich nicht als Adressat einer Kündigung durch Fischli betrachtete und nicht der Meinung war, diese hätte ihm gegenüber erfolgen müssen. Doch erklärt der Einzelrichter nirgends, wie er zu dieser Folgerung gelangte. Bei emer kritischen Würdigung des Textes muss man zur gegenteiligen Annahme gelangen, dass sich Stauffacher nämlich an den Dienstvertrag gebunden fühlte, sonst hätte er der Generaldirektion nicht mitgeteilt, dass Fischli sich bereit erklärt hatte, auf eine Kündigung des zwischen ihm und der Generalagentur bestehenden Vertrages zu verzichten, und dass er, Stauffacher, bereit wäre, ihn als Mitarbeiter zu behalten.
Der Zivilgerichtspräsident verweist noch auf zwei weitere Briefe Stauffachers: während derjenige vom 17. Dezember 1971, mit dem der Beschwerdegegner "die Beendigung des Dienstverhältnisses auf den 31. Dezember 1971 bestätigte", keine eindeutigen Schlüsse zulässt, geht aus jenem vom 28. Dezember 1971 unmissverständlich hervor, dass Stauffacher sich nach wie vor an den Vertrag mit Fischli gebunden fühlte. Indem der erstinstanzliche Richter dieses Schreiben als "offensichtlich von Lausanne inspiriert" abtut und erklärt, dass der Beschwerdegegner den Vertrag nur gekündigt hätte, weil die La
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Suisse ihn gekündigt und sie den "wirklichen Kündigungswillen" kundgegeben hätte, unterschätzt er dessen Bedeutung. Seine Überlegungen sind zudem widersprüchlich. War der Brief offensichtlich von Lausanne inspiriert, so muss man umso eher annehmen, dass "Lausanne", d.h. die Generaldirektion, der Ansicht war, dass Fischli Stauffachers Angestellter war. Ein weiterer Widerspruch ist darin zu erblicken, dass der Zivilgerichtspräsident in seiner Antwort zur Nichtigkeitsbeschwerde diesen Brief Stauffachers nun damit zu rechtfertigen sucht, dass Stauffacher auf den Brief von Fischlis Anwalt eben als Laie und wie ein Laie reagiert habe.
Das Resultat, zu dem der erstinstanzliche Richter gelangt, ist folglich nicht vertretbar. Er berücksichtigt zwar Fischlis Verhalten, lässt aber dasjenige Stauffachers ausser Betracht; er entschuldigt Stauffachers Äusserungen mit seiner Laienhaftigkeit, verkennt jedoch, dass Fischli, Versicherungsangestellter, ebenso Laie ist wie Stauffacher, alt Regierungsrat und Generalagent.
In Anbetracht der Tatsache, dass Fischli gegenüber der La Suisse nie ausdrücklich die Kündigung eines ihn mit ihr verbindenden Dienstvertrages ausgesprochen hat, Stauffacher hingegen den ihn mit Fischli verbindenden Vertrag kündigte, ist es willkürlich, Stauffachers Passivlegitimation zu verneinen.
Stauffacher selbst hat übrigens - was von Fischlis Anwalt im gegenwärtigen Verfahren allerdings nicht geltend gemacht wird - vor dem Zivilgerichtspräsident Beweise dafür geliefert, dass er Fischlis Arbeitgeber geblieben war, indem er auf einen Entscheid der kantonalen AHV-Ausgleichskasse vom 9. November 1972 verwies, bei dem es um ausstehende Beiträge ging, die das "Treuhandbüro D. Stauffacher" für Provisionsleistungen an Fischli, welcher bei der Kasse als Stauffachers Arbeitnehmer angemeldet war, schuldete.

5. Der Beschwerdeführer wirft dem erstinstanzlichen Richter ferner vor, dass dieser willkürlich eine Kündigung seinerseits gegenüber der La Suisse angenommen habe, während er eine solche doch nie verfasst habe.
Dieser Vorwurf ist unbegründet, denn jener hat in seiner Verfügung vom 11./22. August 1972 keineswegs behauptet, Fischli habe gegenüber der La Suisse gekündigt. Er hat bloss festgestellt, dass Fischli mit einer Kündigung gedroht hat, und dass die La Suisse die angedrohte Kündigung als erfolgt entgegengenommen
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hat. Erst in der Antwort auf die Nichtigkeitsbeschwerde ist der Zivilgerichtspräsident davon ausgegangen, dass Fischli den Vertrag gekündigt hat; diese Antwort kann jedoch nicht Gegenstand der staatsrechtlichen Beschwerde sein.

6. Der Beschwerdeführer wirft ausserdem die Frage auf, ob das Obergericht in Anwendung des Art. 343 Abs. 4 OR nicht von Amtes wegen den Sachverhalt hätte feststellen und die Beweise nach freiem Ermessen würdigen müssen; er stellt also die Beschränkung der Kognition in Frage.
Die diesbezüglichen Zweifel des Beschwerdeführers sind unbegründet. Art. 343 Abs. 4 OR hat teilweise Art. 29 FabrikG und analoge Bestimmungen der Bundesgesetzgebung (HAG Art. 19, LandwG Art. 97) ersetzt. Für die in Anwendung von Art. 29 FabrikG ergangenen Urteile musste gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung kein kantonales Rechtsmittel vorgesehen sein (BGE 62 II 231). Besteht ein solches trotzdem, so brauchte es kein ordentliches zu sein, d.h. es ist nicht nötig, dass die Rechtsmittelinstanz in freier Kognition erkennt. Die glarnerische Gesetzgebung bestimmt ausdrücklich, dass Entscheidungen des Zivilgerichtspräsidenten in Dienstvertragsstreitigkeiten, deren Streitwert Fr. 5000.-- nicht übersteigt, der Berufung nicht unterliegen (Art. 26 EG OR in der Fassung vom 7. Mai 1972). Dagegen kann einzig die Nichtigkeitsbeschwerde gemäss Art. 336 ZPO erhoben werden. Die Bestimmung, wonach bei solchen Streitigkeiten den Parteien weder Gebühren noch Auslagen des Gerichts auferlegt werden dürfen (neuer Art. 343 Abs. 3 OR) gilt jedoch für alle Instanzen (BGE 62 II 231, 98 Ia 567). Obwohl diesbezüglich in der Beschwerde keine Rüge erhoben wird, ist festzustellen, dass das Obergericht Fischli zu Unrecht die Kosten des Kassationsverfahrens auferlegt hat.
Dagegen hatte der Zivilgerichtspräsident aufgrund von Art. 343 Abs. 4 neue Fassung OR, welchem Art. 29 EG OR entspricht, den Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen. Es lässt sich aber anhand des vorliegenden Dossiers nicht mit Sicherheit erkennen, auf welche Akten sich der erstinstanzliche Richter bei seiner Urteilsfällung stützte; gewisse Unterlagen hatte der Beschwerdeführer verspätet, d.h. erst vor dem Obergericht, vorgebracht. So ist insbesondere nicht ersichtlich, ob den Dienstvertrag auch die allgemeinen Anstellungsbedingungen der Versicherungsgesellschaften begleiteten. Hätten diese
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gefehlt, so wäre der Zivilgerichtspräsident verpflichtet gewesen, deren Beibringung zu verlangen, da es sich dabei um eine Ergänzung des Vertrages vom 1. Oktober 1964 handelt, auf die dieser ausdrücklich verweist.
Art. 20 der allgemeinen Anstellungsbedingungen schreibt jedoch für jede Vertragsänderung Schriftlichkeit vor. Diese, vom Beschwerdeführer zwar nicht geltend gemachte Bestimmung lässt die These der Umwandlung des Vertrages, wonach Stauffacher stillschweigend von seinen Pflichten befreit worden und die La Suisse an seine Stelle getreten wäre, noch fragwürdiger erscheinen.
Aus diesen Erwägungen folgt, dass der erstinstanzliche Richter die Beweise willkürlich gewürdigt hat. Er trägt gewissen Aktenstücken, welche ihm für die Annahme eines Vertrages zwischen Fischli und der La Suisse zwingend scheinen, Rechnung, unterlässt es jedoch, alle jene Elemente zu berücksichtigen, die gegen eine Vertragsänderung im Sinne einer Änderung der Parteien und somit gegen eine Befreiung Stauffachers von den vertraglichen Rechten und Pflichten sprechen. Der erstinstanzliche Entscheid verstösst daher gegen Art. 4 BV (vgl. BGE 83 I 9).
Mit der Aufhebung der Verfügung des Zivilgerichtspräsidenten fällt auch das auf diesem beruhende Urteil des Obergerichts dahin. Somit erübrigt sich die auf Willkür beschränkte Prüfung der gegen dieses Urteil gerichteten Rügen, insbesondere der Frage, ob das Obergericht seinerseits im Urteil des Zivilgerichtspräsidenten einen Nichtigkeitsgrund im Sinne des Art. 336 Ziff. 1, 3 und 4 ZPO hätte erblicken müssen. Durch die Aufhebung der beiden Entscheide ist der verfassungsmässige Zustand wieder hergestellt.

7. Die Kostenbefreiung gemäss Art. 343 Abs. 3 OR schliesst die Auferlegung einer Parteientschädigung nicht aus (BGE 98 Ia 568). Der Beschwerdegegner ist daher verpflichtet, dem Beschwerdeführer eine - der Natur der Streitsache entsprechende - Parteientschädigung zu bezahlen.

Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Präsidenten des Zivilgerichts des Kantons Glarus vom 11./22. August 1972 sowie das Urteil des Obergerichts des Kantons Glarus vom 22. Dezember 1972 aufgehoben.

Inhalt

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Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 1 2 3 4 5 6 7

Dispositiv

Referenzen

BGE: 94 I 462, 97 I 119, 83 I 9, 98 IA 568

Artikel: Art. 343 Abs. 4 OR, Art. 343 Abs. 3 OR, Art. 336 Ziff. 1, 3 und 4 ZPO, Art. 336 ZPO mehr...