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Urteilskopf

115 Ia 12


4. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 11. Januar 1989 i.S. Roland Mathys gegen Rothornbahn und Scallotas AG, Gemeinde Vaz/Obervaz und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde)

Regeste

Art. 4 BV, Willkür.
Wendet eine kantonale Behörde in Ermangelung einer ausdrücklichen kantonalen Regelung die Praxis des Bundesgerichts zum Fristbeginn bei eingeschriebenen Briefpostsendungen als kantonales Recht an, so ist das Ergebnis im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren nur auf Willkür hin zu prüfen (E. 3a).
Art. 4 BV, Recht auf Vertrauensschutz - Rechtsmittelfrist.
Stellt eine Behörde ihren Entscheid, der eine vorbehaltlose Rechtsmittelbelehrung enthält, noch innerhalb der ordentlichen Rechtsmittelfrist, welche durch einen ersten erfolglosen Zustellungsversuch ausgelöst worden ist, zu, so kann sich aufgrund des verfassungsmässigen Rechts auf Vertrauensschutz die Rechtsmittelfrist verlängern, sofern alle notwendigen Bedingungen dazu erfüllt sind (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 13

BGE 115 Ia 12 S. 13
Die Gemeinde Vaz/Obervaz lehnte mit Verfügung vom 12. August 1987 eine Einsprache von Roland Mathys gegen ein Bauvorhaben der Rothornbahn und Scallotas AG ab. Sie stellte ihm den Entscheid am folgenden Tag zu. Da Roland Mathys die Chargésendung bei der Post innerhalb der gesetzten Frist nicht abholte, wurde sie an die Gemeinde zurückgesandt. Auch ein zweiter Versuch blieb erfolglos. Erst am 7. September 1987 konnte der Entscheid zugestellt werden.
Roland Mathys rekurrierte am 24. September 1987 gegen den Einspracheentscheid der Gemeinde Vaz/Obervaz beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Dieses trat mit Urteil vom 23. Februar 1988 auf das Rechtsmittel nicht ein, im wesentlichen mit der Begründung, der Praxis entsprechend sei davon auszugehen, dass die (fingierte) Zustellung am 22. August 1987 erfolgt sei. Die zwanzigtägige Rekursfrist habe somit am 11. September 1987 geendet, weshalb der Rekurs verspätet sei; an diesem Ergebnis ändere auch die Anrufung des Vertrauensprinzips nichts, denn es fehle bereits an der ersten Voraussetzung für ein Abweichen von der gesetzlichen Regelung, nämlich an einer konkreten, vorbehaltlosen Auskunft einer Behörde.
Roland Mathys erhob am 15. März 1988 "Beschwerde" gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 23. Februar 1988.
Das Bundesgericht behandelt die Eingabe als staatsrechtliche Beschwerde und heisst sie gut aus folgenden
BGE 115 Ia 12 S. 14

Erwägungen

Erwägungen:

1. Die Eingabe des Beschwerdeführers ist als staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger gemäss Art. 84 Abs. 1 lit. a OG zu behandeln, denn sie richtet sich gegen eine kantonale Verfügung, welche allein in Anwendung von kantonalem öffentlichem Recht ergangen ist und gegen die kein anderes Rechtsmittel des Bundes offensteht (Art. 84 Abs. 1 und 2 OG).

2. Sowohl die Gemeinde Vaz/Obervaz wie auch die Rothornbahn und Scalottas AG vertreten die Auffassung, auf die staatsrechtliche Beschwerde könne wegen fehlender Begründung nicht eingetreten werden.
a) Nach Art. 90 Abs. 1 OG muss eine staatsrechtliche Beschwerde ausser der Bezeichnung des angefochtenen Entscheides die Anträge enthalten (lit. a) sowie die wesentlichen Tatsachen und eine kurzgefasste Darlegung darüber, welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind (lit. b).
b) Roland Mathys richtet seine Beschwerde ausdrücklich gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 23. Februar 1988, mit welchem das Gericht im ordentlichen Verfahren entschied, es werde auf seinen Rekurs vom 24. September 1987 nicht eingetreten, weil (1) die mit dem ersten erfolglosen Zustellungsversuch begonnene Rekursfrist nicht eingehalten worden sei, dass (2) die später tatsächlich erfolgte Zustellung keinen neuen Fristenlauf ausgelöst habe, und dass (3) die Behauptung des Rekurrenten, er habe eine falsche behördliche Auskunft erhalten, sich nicht habe bestätigen lassen. Zwar stellt der Beschwerdeführer keinen ausdrücklichen Antrag auf Aufhebung dieses kantonalen Urteils; in seiner Bitte, ihm zu helfen, damit im Kanton Graubünden auf seinen Rekurs eingetreten werden müsse, kann jedoch sinngemäss ein solches Begehren gesehen werden (vgl. BGE 52 I 224 E. 1). Seine Begründung ist zwar knapp, doch lässt sich aus ihr dennoch entnehmen, warum der angefochtene Entscheid gegen die Verfassung verstossen soll. Daran ändert nichts, dass er keine verfassungsmässigen Rechte ausdrücklich nennt; auch eine indirekte Berufung auf solche kann unter Umständen den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügen.

3. Das Verwaltungsgericht führt im angefochtenen Entscheid aus, der Beschwerdeführer sei an einem hängigen Verfahren
BGE 115 Ia 12 S. 15
beteiligt gewesen: Am 30. April 1987 habe er bei der Gemeinde Vaz/Obervaz Einsprache gegen ein Bauvorhaben der Rothornbahn erhoben. Aus diesem Grunde habe er mit der Zustellung des Einspracheentscheides rechnen müssen. Er hätte sich vor seinem Ferienantritt bei der Gemeinde erkundigen müssen, ob mit der Zustellung des Entscheides nächstens zu rechnen sei, und dafür sorgen müssen, dass ihm die Sendungen der Behörde nachgereicht würden, oder er hätte zumindest einen Zustellungsbevollmächtigten bzw. ein Zustellungsdomizil bezeichnen müssen.
a) Das Verwaltungsgericht bezieht sich in Ermangelung einer ausdrücklichen kantonalen Regelung (vgl. Art. 9 in Verbindung mit Art. 2 des Gesetzes über das Verfahren in Verwaltungs- und Verfassungssachen vom 3. Oktober 1982, VVG; Art. 55 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kanton Graubünden vom 9. April 1967, VGG) auf die Praxis des Bundesgerichts, wonach eine eingeschriebene Briefpostsendung dann, wenn der Adressat nicht angetroffen wird und daher eine Abholungseinladung in seinen Briefkasten oder in sein Postfach gelegt wird, die Sendung in jenem Zeitpunkt als zugestellt zu gelten hat, in welchem sie auf der Post abgeholt wird; geschieht dies nicht innert der Abholfrist, die sieben Tage beträgt (Art. 169 Abs. 1 lit. d und e der Verordnung (1) zum Postverkehrsgesetz vom 1. September 1967 [PVV, SR 783.01]), so gilt die Sendung als am letzten Tag dieser Frist zugestellt (BGE 111 V 101 E. 2b mit Hinweisen). Zu Recht nimmt das Gericht weiter an, dass diese Rechtsprechung nur dann massgebend ist, wenn die Zustellung eines behördlichen Aktes mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erwartet werden muss. Erst mit der Rechtshängigkeit entsteht ein Prozessrechtsverhältnis, welches die Parteien verpflichtet, sich nach Treu und Glauben zu verhalten, d. h. unter anderem dafür zu sorgen, dass ihnen Entscheide, welche das Verfahren betreffen, zugestellt werden können (BGE 113 Ib 298 E. 2a; BGE 107 V 189 E. 2; BGE 97 III 10 E. 1; je mit Hinweisen). Diese Grundsätze werden nicht vom Bundesverfassungsrecht gewährleistet und bilden deshalb nicht Teil eines selbständigen, verfassungsmässigen Rechts. Das Bundesgericht hat somit nur zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht sie als kantonales Recht in willkürlicher Weise angewandt hat (vgl. BGE 109 Ia 18 E. 4).
Der Beschwerdeführer hat am 30. April 1987 "Einsprache zum Bauvorhaben der Rothornbahn & Scallotas AG in Val Sporz und auf Tgantieni" erhoben. Er sandte diese Eingabe sowohl an den
BGE 115 Ia 12 S. 16
Gemeindevorstand Vaz/Obervaz als auch an das Kreisamt Alvaschein. Bei dieser Sachlage ist es nicht willkürlich, wenn das Verwaltungsgericht zum Schluss gekommen ist, der Beschwerdeführer sei, als er in die Ferien reiste, an einem hängigen Verfahren vor dem Gemeindevorstand von Vaz/Obervaz beteiligt gewesen. Dass der Beschwerdeführer in seiner Eingabe vom 30. April 1987 die Adressaten ausdrücklich aufgefordert hatte, sie möchten selbst entscheiden, was an seiner Einsprache öffentlichrechtlicher und was privatrechtlicher Natur sei, vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Selbst ein Laie muss heute wissen, dass eine Behörde verpflichtet ist, über ein bei ihr eingereichtes Begehren auch dann zu befinden und den Antragsteller von der Art der Erledigung zu benachrichtigen, wenn sie sich als nicht zuständig erachtet (vgl. Art. 3 in Verbindung mit Art. 2 VVG). Der Beschwerdeführer hatte somit mit der Zustellung eines Entscheides zu rechnen, und er hätte deshalb während seiner Abwesenheit die notwendigen Vorkehren treffen müssen. Er wendet zwar ein, er habe - anders als vom Kreisamt Alvaschein - vom Gemeindevorstand Vaz/Obervaz nie eine Bestätigung über den Empfang seiner Einsprache erhalten und auch sonst habe er von dieser Behörde nie etwas gehört, bis ihm am 8. September 1987 der Einspracheentscheid übergeben worden sei. Auch diese unterschiedliche Reaktion der Einspracheadressaten ist nicht geeignet, die Auffassung des Verwaltungsgerichts als völlig unhaltbar zu beurteilen. Der Beschwerdeführer bringt nicht vor, der Gemeindevorstand von Vaz/Obervaz sei gesetzlich verpflichtet gewesen, ihm den Eingang seiner Einsprache zu bestätigen. Gerade weil er von dieser Behörde zur Zeit seiner Abreise noch keinen Bescheid erhalten hatte, musste er davon ausgehen, ein solcher könnte ihm während seiner Abwesenheit zugehen.
Das Verwaltungsgericht hat das Willkürverbot nicht verletzt, wenn es entschied, der Beschwerdeführer sei an einem vor dem Gemeindevorstand Vaz/Obervaz hängigen Verfahren beteiligt gewesen und er hätte deshalb für die Zeit seiner Abwesenheit dafür sorgen müssen, dass ihm die Sendungen der Behörde nachgereicht würden, oder er hätte zumindest einen Zustellungsbevollmächtigten bzw. ein Zustellungsdomizil bezeichnen müssen. Der Beschwerdeführer macht selbst nicht geltend, der von ihm der Post erteilte Nichtzustellungsauftrag habe unter den vorliegenden Umständen genügt, diese Pflicht zu erfüllen (vgl. auch BGE 113 Ib 89 E. 2 mit Hinweisen).
BGE 115 Ia 12 S. 17
b) Der angefochtene Entscheid könnte auch dann gegen die Verfassung verstossen, wenn er sich im Ergebnis als überspitzt formalistisch erwiese. Überspitzter Formalismus als besondere Form der Rechtsverweigerung liegt vor, wenn für ein Verfahren rigorose Formvorschriften aufgestellt werden, ohne dass die Strenge sachlich gerechtfertigt wäre, wenn die Behörde formelle Vorschriften mit übertriebener Schärfe handhabt oder an Rechtsschriften überspannte Anforderungen stellt und dem Bürger den Rechtsweg in unzulässiger Weise versperrt (BGE 114 Ia 40 E. 3; BGE 113 Ia 227 E. 1; BGE 112 Ia 308 E. 2a; je mit Hinweisen). Das Bundesgericht prüft den angefochtenen Entscheid in bezug auf dieses verfassungsmässige Recht frei.
Da das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden diejenigen Grundsätze über die Zustellung von Entscheiden durch eingeschriebenen Brief angewendet hat, welche das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung sowohl für kantonale und bundesrechtliche Verfahren entwickelt hat, falls das entsprechende Recht selbst keine Lösung vorsieht, lässt sich nicht sagen, diese Prinzipien seien sachlich nicht gerechtfertigt oder unnötig streng. Es handelt sich vielmehr um das Ergebnis einer Abwägung der gegenseitigen Interessen. Die Rechtssicherheit verlangt, dass die Vorschriften über den Beginn, die Dauer und die Einhaltung der Beschwerdefristen möglichst klar und einfach zu handhaben sind. Zudem haben sowohl die Behörden wie auch die Gegenparteien ein Interesse daran, so schnell wie möglich zu wissen, ob der Entscheid weitergezogen oder ob er rechtskräftig wird. Die Bestimmung der Fristen darf deshalb nicht oder nicht allein vom Willen oder Verhalten des Beschwerdeführers abhängen, sondern muss möglichst aufgrund objektiver Kriterien erfolgen (vgl. dazu BGE 113 Ib 90 E. 2b; 85 IV 116). In diesem Sinne hat das Bundesgericht denn auch in konstanter Rechtsprechung entschieden, eine Sendung sei nicht erst dann zugestellt, wenn der Adressat sie tatsächlich in Empfang nehme; es genüge vielmehr, wenn sie sich in seinem Machtbereich befinde und wenn er demzufolge von ihr Kenntnis nehmen könne (BGE 113 Ib 297 E. 2a; BGE 109 Ia 18 E. 4; Urteil des Bundesgerichts vom 8. Dezember 1969, veröffentlicht in Semaine Judiciaire, 1972, S. 56 ff., S. 61; vgl. auch RAYMOND JEANPRETRE, L'expédition et la réception des actes de procédure et des actes juridiques, SJZ 1973, S. 349 f.). Den Interessen des Beschwerdeführers wird dadurch Rechnung getragen, dass nur dann die Annahme einer fiktiven Zustellung zulässig ist, wenn er aufgrund der Umstände
BGE 115 Ia 12 S. 18
einen Entscheid zu erwarten hatte. Zudem kann der Beschwerdeführer ein Gesuch um Wiederherstellung der Frist stellen (vgl. RAYMOND JEANPRETRE, a.a.O., S. 352 f.). Da das Verwaltungsgericht die Grundsätze über die Zustellung von Entscheiden durch eingeschriebenen Brief nicht in völlig unhaltbarer Art und Weise angewendet hat, kann auch nicht gesagt werden, es habe sie mit übertriebener Schärfe gehandhabt.
c) Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass das Verwaltungsgericht weder das Willkürverbot verletzt noch überspitzt formalistisch entschieden hat, wenn es annahm, die (fingierte) Zustellung sei am 22. August 1987 erfolgt und die zwanzigtägige Rekursfrist sei demzufolge grundsätzlich am 11. September 1987 abgelaufen.

4. Die Gemeinde Vaz/Obervaz versuchte, dem Beschwerdeführer ihren Entscheid am 25. August 1987 nochmals mit eingeschriebener Post zuzustellen. Auch diese Sendung kam als nicht abgeholt zurück. Schliesslich schickte die Gemeindekanzlei den Entscheid am 7. September 1987 mit gewöhnlicher Briefpostsendung. Diese Ausfertigung, welche der Beschwerdeführer am 8. September 1987 in Empfang nahm, enthielt folgende Rechtsmittelbelehrung: "Gegen diesen Entscheid kann innert 20 Tagen beim Verwaltungsgericht rekurriert werden." Es stellt sich die Frage, ob damit - wie der Beschwerdeführer sinngemäss geltend macht - ein aus verfassungsrechtlicher Sicht schützenswertes Vertrauen in eine behördliche Auskunft geschaffen wurde.
a) Das in Art. 4 BV gewährleistete verfassungsmässige Recht auf Vertrauensschutz bewirkt unter anderem, dass falsche Auskünfte von Verwaltungsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen eine vom materiellen Recht abweichende Behandlung des Rechtsuchenden gebieten.
Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts ist eine unrichtige Auskunft bindend,
1. wenn die Behörde in einer konkreten Situation mit Bezug auf bestimmte Personen gehandelt hat;
2. wenn sie für die Erteilung der betreffenden Auskunft zuständig war oder wenn der Bürger die Behörde aus zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte;
3. wenn der Bürger die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne weiteres erkennen konnte;
4. wenn er im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auskunft Dispositionen getroffen hat, die nicht ohne Nachteil rückgängig gemacht werden können;
BGE 115 Ia 12 S. 19
5. wenn die gesetzliche Ordnung seit der Auskunfterteilung keine Änderung erfahren hat (BGE 112 V 119 E. 3a; BGE 111 V 71 E. 4c; BGE 99 Ib 101 E. 4; je mit Hinweisen).
In Konkretisierung dieses Grundsatzes ist allgemein anerkannt, dass einer Partei aus einer fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung kein Nachteil erwachsen darf (BGE 112 Ia 310 E. 3; BGE 106 Ia 16 E. 3a mit Hinweisen; vgl. auch Art. 107 Abs. 3 OG; Art. 38 VwVG). Auch das hier massgebende kantonale Recht kennt eine entsprechende Bestimmung (Art. 50 Abs. 1 VGG). Es ist deshalb grundsätzlich möglich, dass sich in Anwendung des verfassungsmässigen Anspruchs auf Vertrauensschutz eine gesetzliche Frist aufgrund einer unrichtigen Auskunft verlängert (BGE 114 Ia 106 E. 2).
b) Im vorliegenden Fall konnte die Behörde ihren Entscheid noch vor Ablauf der Frist, welche durch den ersten erfolglosen Zustellungsversuch ausgelöst worden war, dem Beschwerdeführer eröffnen, und dieser nahm noch am gleichen Tag von seinem Inhalt und der darin enthaltenen Rechtsmittelbelehrung Kenntnis. Es ist zu prüfen, ob auch bei diesem Sachverhalt das in Art. 4 BV gewährleistete verfassungsmässige Recht auf Vertrauensschutz gebietet, dem Beschwerdeführer in Abweichung von der allgemeinen Regel (vgl. E. 3) die gesetzliche Beschwerdefrist zu verlängern. Dies ist zu bejahen: Der Gemeindevorstand hat mit der erneuten Zustellung seines Entscheides, der eine vorbehaltlose Rechtsmittelbelehrung enthielt, in einer konkreten Situation gegenüber einer bestimmten Person eine Auskunft erteilt, zu der er zweifellos zuständig war. Der Beschwerdeführer konnte als juristischer Laie die Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung nicht ohne weiteres erkennen. Es wird von keiner Seite geltend gemacht, der Beschwerdeführer sei noch innerhalb der ordentlichen Beschwerdefrist darauf aufmerksam gemacht worden, allein der erste Zustellungsversuch sei rechtswirksam und die zwanzigtägige Frist habe deshalb nach Ablauf der siebentägigen Abholfrist am 23. August 1987 zu laufen begonnen. Im Gegenteil, gemäss seinen Ausführungen in der Beschwerde versuchte Roland Mathys am 7. und 8. September abzuklären, wie lange er noch Zeit zum Rekurrieren habe. Keine der angefragten Personen (Kanzlistinnen bei der Gemeindeverwaltung von Vaz/Obervaz und beim kantonalen Verwaltungsgericht, ein Anwalt und der Gemeindepräsident von Vaz/Obervaz) vertrat die Auffassung, die Beschwerdefrist ende am 11. September 1987. Auch konnte der Beschwerdeführer aufgrund der gelben Abholscheine, mit welchen die Post ihm anzeigte, es sei
BGE 115 Ia 12 S. 20
eine eingeschriebene Briefpostsendung eingetroffen, nicht erkennen, dass diese vom Gemeindevorstand von Vaz/Obervaz stammte, denn auf den Zetteln wird nur der Aufgabeort, nicht aber der Absender vermerkt. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass der Beschwerdeführer in der fraglichen Zeit von Vaz/Obervaz keine anderen eingeschriebenen Postsendungen erhielt oder zu erwarten hatte, so ginge es doch wohl zu weit, ihm den sonst berechtigten Vertrauensschutz nur deshalb zu verweigern, weil er aufgrund anderer Umstände wusste oder hätte wissen müssen, dass der Gemeindevorstand von Vaz/Obervaz versucht hatte, ihm den Entscheid vom 12. August 1987 zuzustellen. Allein ein solches Wissen ist nicht geeignet, das durch die vorbehaltlose Rechtsmittelbelehrung vom 8. September 1987 begründete Vertrauen zu zerstören, denn es enthält keine Elemente, aufgrund derer die erteilte Auskunft als falsch hätte erkannt werden müssen. Auch die letzte Voraussetzung für die Anwendung des Vertrauensschutzes ist erfüllt: Der Beschwerdeführer hatte im Vertrauen auf die Richtigkeit der Rechtsmittelbelehrung, die ihm am 8. September 1987 mit der Kenntnisnahme des Entscheides vom 12. August 1987 erteilt worden war, gehandelt und seine Eingabe innerhalb der zwanzigtägigen Rekursfrist am 24. September 1987 beim Verwaltungsgericht eingereicht.
c) Zusammenfassend ist festzustellen, dass durch die erneute Zustellung des Entscheides vom 12. August 1987, welcher eine vorbehaltlose Rechtsmittelbelehrung enthielt, die Rechtsmittelfrist bis zum 28. September 1987 verlängert worden ist. In diesem Sinne ist die zu absolut formulierte Aussage in BGE 111 V 101 E. 2b zu relativieren: Grundsätzlich beginnt die Rechtsmittelfrist mit Ablauf der siebentägigen Abholfrist; sie kann sich aber gestützt auf den verfassungsmässigen Anspruch auf Vertrauensschutz dann verlängern, wenn noch vor ihrem Ende eine entsprechende vertrauensbegründende Auskunft erteilt wird. Ob dasselbe auch gelten muss, wenn die Auskunft erst nach Ablauf der regulären Rechtsmittelfrist erfolgt, braucht hier nicht entschieden zu werden.
d) Gegen dieses Ergebnis lässt sich nicht einwenden, der Beschwerdeführer könne sich deshalb nicht mehr auf ein schützenswertes Vertrauen berufen, weil er es unterlassen habe, dem Gemeindevorstand von Vaz/Obervaz seine Abwesenheit mitzuteilen. Damit würde dem Beschwerdeführer ein Unterlassen zum Vorwurf gemacht, das nicht unmittelbare Ursache dafür gewesen war, dass die vertrauensbegründende Aussage erfolgte. Der Gemeindevorstand
BGE 115 Ia 12 S. 21
von Vaz/Obervaz wusste spätestens dann, als die Sendung zum ersten Mal als "nicht abgeholt" zurückkam, d. h. am 24. August 1987, dass der Beschwerdeführer abwesend war und dass der Entscheid grundsätzlich als zugestellt zu gelten hatte. Wenn er diesen dem Beschwerdeführer trotzdem ohne Vorbehalt bezüglich der darin enthaltenen Rechtsmittelbelehrung noch zweimal zusandte und schliesslich noch innerhalb der regulären Frist am 8. September 1988 zur Kenntnis bringen konnte, so schuf er damit ein berechtigtes Vertrauen, das mit dem vorgängigen Unterlassen des Beschwerdeführers nicht in derart enger Beziehung steht, dass jenes durch dieses zerstört würde.

5. Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist die private Beschwerdegegnerin, die Rothornbahn und Scallotas AG, die einen Antrag auf Nichteintreten bzw. auf Abweisung gestellt hat, als unterliegende Partei im Sinne von Art. 156 Abs. 1 OG zu betrachten. Sie hat deshalb die Kosten des Bundesgerichts zu tragen. Der Beschwerdeführer ist vor Bundesgericht durch keinen Anwalt vertreten. Sowohl seine Auslagen wie auch sein persönlicher Arbeitsaufwand dürfte nicht derart erheblich gewesen sein, dass sich deshalb eine Umtriebsentschädigung rechtfertigen würde. Er hat deshalb keinen Anspruch auf Parteientschädigung gemäss Art. 159 Abs. 1 OG (BGE 110 V 82 E. 7).

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Sachverhalt

Erwägungen 1 2 3 4 5

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