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Urteilskopf

116 II 110


21. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. Mai 1990 i.S. B. gegen A. (Berufung)

Regeste

Bemessung des Unterhaltsbeitrages des Elternteils, dem die elterliche Gewalt nicht zusteht (Art. 285 Abs. 1 ZGB).
1. Erlauben sich die Eltern eine besonders hohe Lebenshaltung, so haben die Kinder an sich Anspruch darauf, dass auch ihre Bedürfnisse höher veranschlagt werden (E. 3a).
2. Es ist grundsätzlich von der tatsächlich gelebten Lebenshaltung der Eltern auszugehen, nicht von der aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit maximal möglichen. Erzieherische Gründe können es aber rechtfertigen, einem Kind eine einfachere Lebensstellung zukommen zu lassen als den Eltern (E. 3b).
3. Leben die Eltern nicht zusammen, so ist für die von jedem Elternteil zu erbringenden Unterhaltsbeiträge auf dessen Lebensstellung abzustellen (E. 3c).
4. Geschwister haben einen Anspruch, im Verhältnis zu ihren objektiven Bedürfnissen von ihren Eltern gleich hohe Unterhaltsbeiträge zu erhalten (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 111

BGE 116 II 110 S. 111

A.- 1984 gebar Elisabeth B. den Sohn Werner. Charles A. anerkannte am 8. November 1985 vor dem Zivilstandsamt St. Gallen seine Vaterschaft.

B.- Mit Leitschein des Vermittleramtes X. vom 18. November 1987 klagte der Beistand von Werner B. in dessen Namen am 23. November 1987 beim Bezirksgericht X. gegen Charles A. auf Unterhalt. Dieses sprach Werner B. einen indexierten Unterhaltsbeitrag von Fr. 1'300.-- vom 1. November 1986 an bis zum erfüllten 6. Altersjahr und einen solchen von Fr. 1'500.-- ab dann zu. Auf Berufung von Charles A. setzte das Kantonsgericht St. Gallen mit Entscheid vom 30. November 1989 diese Beträge auf Fr. 1'000.-- bzw. 1300.-- herab.

C.- Werner B. hat mit Eingabe vom 19. Januar 1990 Berufung beim Bundesgericht erklärt und verlangt, das kantonsgerichtliche Urteil sei aufzuheben und Charles A. sei zu verpflichten, als Unterhaltsbeitrag Fr. 1'300.-- vom 1. November 1986 bis zum vollendeten 6. Altersjahr und Fr. 1'500.-- ab dann bis zum Eintritt ins volle Erwerbsleben, längstens aber bis zum erfüllten 20. Altersjahr, zu bezahlen.
Während das Kantonsgericht auf Gegenbemerkungen verzichtet hat, beantragt Charles A. die Abweisung der Berufung.
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Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. a) Gemäss Art. 285 Abs. 1 ZGB soll der Unterhaltsbeitrag den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen und ausserdem Vermögen und Einkünfte des Kindes berücksichtigen. In Anbetracht der Vielfalt der Fälle konnte der Gesetzgeber den Umfang der Unterhaltspflicht nicht anders als mit der Aufzählung der verschiedenen massgeblichen Kriterien umschreiben. Dabei ist zu beachten, dass sich diese zum Teil gegenseitig beeinflussen. Insbesondere lässt sich nur im Zusammenhang mit den andern drei genannten Elementen bestimmen, was unter die Bedürfnisse des Kindes fällt (JACQUES CURTY, A propos des "Recommandations" pour la fixation des contributions d'entretien des enfants éditées par l'Office de la jeunesse du canton de Zurich, Recherche d'une méthode de calcul, JdT 1985 I, S. 326; STETTLER, Le Droit suisse de la filiation, TDPS Bd. III/II, 1, Fribourg 1987, S. 341).
Dass der Unterhaltsbedarf des Kindes eine vom Einkommen der Eltern abhängige Grösse ist, zeigt insbesondere die Praxis verschiedener Kantone, welche als "Faustregel" von bestimmten Prozentsätzen des Nettoeinkommens des Pflichtigen ausgehen, um den Unterhaltsbeitrag festzusetzen (vgl. HANS WINZELER, Die Bemessung der Unterhaltsbeiträge für Kinder, Diss. Zürich 1974, S. 46 f.; STETTLER, S. 346). Allerdings ist unbestritten, dass diese Prozentsätze nur dann angewendet werden können, wenn sich das Einkommen des Pflichtigen ungefähr im Rahmen von Fr. 3'500.-- bis 4'500.-- bewegt (Urteil vom 12. Mai 1989 i.S. M. c. M., E. 3b). Diese Einschränkung geht aber nicht dahin, dass feste Minimal- bzw. Maximalbeträge bestünden, die weder über- noch unterschritten werden dürften. Die Vorstellung eines sogenannten Regelunterhaltes, der wie im Recht der Bundesrepublik Deutschland vom Vater eines ausserehelich geborenen Kindes im Sinne einer Minimalleistung grundsätzlich immer erbracht werden muss (§ 1615f BGB), ist dem schweizerischen Recht fremd (Botschaft des Bundesrates über die Änderung des ZGB (Kindesverhältnis), BBl 1974 II S. 61). Der Unterhaltsbeitrag hat vielmehr immer in einem vernünftigen Verhältnis zur Lebensstellung und Leistungsfähigkeit des Beitragspflichtigen zu stehen.
In keine andere Richtung weisen die "Empfehlungen zur Bemessung von Unterhaltsbeiträgen für Kinder" des Jugendamtes des Kantons Zürich. Sie geben nur Aufschluss über den statistisch
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durchschnittlichen Unterhaltsbedarf. Die in Franken pro Monat bezifferten Beträge beziehen sich auf ein Kind, welches sich bei Dritten in Pflege befindet und dessen Vater und Mutter zusammen ein Einkommen von netto rund Fr. 3'200.-- bis Fr. 4'400.-- erzielen (JUGENDAMT DES KANTONS ZÜRICH, Empfehlungen zur Bemessung von Unterhaltsbeiträgen für Kinder, Januar 1988, S. 8). Der individuelle Unterhaltsbedarf kann, wie diese Empfehlungen ausdrücklich festhalten, nach unten bis zu 25% - bei Naturalwirtschaft noch mehr - und nach oben fast unbeschränkt abweichen. Als Erhöhungsgrund kommen insbesondere die sehr guten wirtschaftlichen Verhältnisse der Eltern in Betracht (a.a.O., S. 8 f.).
Bei den Bedürfnissen, die für die Festsetzung der Unterhaltsbeiträge zu berücksichtigen sind, handelt es sich um keine ein für allemal feststehende Grösse. Da die Kinder auf eine den Verhältnissen der Eltern entsprechende Erziehung und Lebensstellung Anspruch haben, sind bei einer besonders hohen Lebenshaltung der Eltern auch die Bedürfnisse der Kinder höher zu veranschlagen (BGE 83 II 359).
b) Das Kantonsgericht geht wohl von diesem Grundsatz aus, sieht aber unter Berufung auf WINZELER (a.a.O., S. 97) darin eine Einschränkung, dass sich die Unterhaltsbeiträge im Rahmen der Bedürfnisse der Kinder zu halten hätten. Da diese aber von der Lebensstellung der Eltern abhängig sind, kann darin gar keine Einschränkung liegen. Erlaubt es die Lebensstellung der Eltern, so haben die Kinder einen Anspruch darauf, ihrerseits ihre Bedürfnisse aufwendiger und auch in erweitertem Umfang befriedigen zu können. Der Vorbehalt, den WINZELER (a.a.O., S. 97) aus BGE 83 II 359 ableitet, bezieht sich nicht auf die Lebensstellung der Eltern, sondern auf deren Leistungsfähigkeit. In der Tat kann aus dem Umstand, dass diese über ein besonders hohes Einkommen verfügen, nicht einfach ein Anspruch auf eine besonders hohe Lebensstellung und damit auf einen entsprechenden Unterhaltsbeitrag abgeleitet werden. Wie bei der Festlegung des ehelichen Unterhalts nicht in jedem Fall das ganze Einkommen für die Bedürfnisse der Familie aufgewendet werden muss (vgl. HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Kommentar zum Eherecht, Bern 1988, N. 9 zu Art. 173 ZGB), kann auch bei besonders günstigen Verhältnissen nicht die ganze wirtschaftliche Leistungskraft der Eltern für die Berechnung des Unterhalts der Kinder herangezogen werden. Auszugehen ist nicht von der maximal möglichen, sondern grundsätzlich nur von der tatsächlich gelebten Lebensstellung. Zudem können die Umstände
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im Einzelfall ergeben, dass aus erzieherischen Gründen einem Kind eine einfachere Lebensstellung zukommen soll als diejenige der Eltern.
c) Da die Eltern des Klägers getrennt leben, fragt es sich, wessen Lebensstellung massgeblich sein soll. Das Kind hat grundsätzlich gegenüber jedem Elternteil einen Anspruch darauf, an dessen Lebensstellung teilzuhaben. Von daher rechtfertigt es sich, für die von Vater und Mutter zu erbringenden Unterhaltsbeiträge auf ihre jeweils unterschiedliche Lebensstellung abzustellen (so für das Recht der BRD, KALTHOENER/BÜTTNER, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, München 1989, S. 101 f.; vgl. auch HEGNAUER, Berner Kommentar, N. 59 zu Art. 319 alt ZGB; WINZELER, S. 97). Weil ein Elternteil in bescheideneren Verhältnissen lebt, soll das Kind nicht vom bessergestellten weniger Unterhalt erhalten, als ihm zustünde, wenn beide Eltern in wirtschaftlich guten Verhältnissen lebten.

4. Der Kläger machte schon im kantonalen Verfahren geltend, der Beklagte, welcher ein Jahreseinkommen von über Fr. 700'000.-- erziele, bezahle aufgrund eines Scheidungsurteils an seine beiden Kinder aus erster Ehe Unterhaltsbeiträge von je Fr. 1'500.-- im Monat. Er habe einen Anspruch darauf, gleichgestellt zu werden wie seine beiden Halbgeschwister. Das Kantonsgericht hat es jedoch ausdrücklich abgelehnt, auf die für die Kinder aus erster Ehe geschuldeten Unterhaltsbeiträge abzustellen.
a) Der Umstand, dass die Eltern eines Kindes nie miteinander verheiratet waren, hat auf dessen Unterhaltsansprüche keinen Einfluss. Schon unter dem alten Kindesrecht galt der Grundsatz, dass das aussereheliche Kind bei der Bemessung seines Unterhaltsbedarfs dem ehelichen gleichgestellt ist (HEGNAUER, N. 59 zu Art. 319 alt ZGB). Nachdem das neue Kindesrecht die Unterscheidung zwischen ehelichen und ausserehelichen Kindern abgeschafft hat, wäre eine unterschiedliche Behandlung auch gar nicht mehr möglich.
Unterhaltsberechtigte Kinder sind im Verhältnis zu ihren objektiven Bedürfnissen gleich zu behandeln (HEGNAUER, Erhöhung des Unterhaltsbeitrages bei Heimunterbringung des Scheidungskindes, ZVW 1989, S. 137). Dies wird im Kindesrecht zwar nicht ausgesprochen, ergibt sich aber aus den erbrechtlichen Bestimmungen über die Ausgleichung (Art. 626 ff. ZGB). Dass es sich dabei, wie der Beklagte in seiner Berufungsantwort zu Recht festhält, nicht um eine formelle Gleichheit handelt, sondern den
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unterschiedlichen Erziehungs- und Gesundheitsbedürfnissen der Kinder Rechnung getragen werden kann, zeigt Art. 631 ZGB, welcher die ordentlichen Erziehungs- und Ausbildungskosten von der Ausgleichungspflicht ausnimmt und gebrechlichen Kindern einen angemessenen Vorausbezug einräumt. Ungleiche Unterhaltsbeiträge sind somit nicht von vornherein ausgeschlossen, bedürfen aber einer besonderen Rechtfertigung. Dies hat auch das Kantonsgericht nicht verkannt. Es nahm aber an, dass es die konkreten Umstände rechtfertigten, nicht auf die im Scheidungsurteil für die Kinder aus erster Ehe festgelegten Alimente abzustellen.
b) Nach Ansicht des Kantonsgerichts können die den Kindern aus erster Ehe ausgerichteten Unterhaltsbeiträge hier nicht massgebend sein, weil der Beklagte diese Beträge freiwillig bezahle. Sie seien nicht vom Richter auferlegt, sondern in einer Konvention anerkannt worden. Soweit sich die diesbezüglich vom Kläger vorgebrachte Kritik gegen die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz richtet, ist sie unzulässig (Art. 55 Abs. 1 Buchst. c OG). Für die Geltendmachung eines offensichtlichen Versehens fehlt es an der Angabe des entsprechenden Aktenstücks (Art. 55 Abs. 1 Buchst. d OG).
Mit dem Hinweis darauf, dass der Beklagte die Unterhaltsbeiträge gegenüber den Halbgeschwistern des Klägers freiwillig anerkannt habe, scheint das Kantonsgericht annehmen zu wollen, der Bedarf dieser Kinder sei nicht abgeklärt worden. Der Kläger könne deshalb nicht davon ausgehen, dass diese Beträge tatsächlich den Bedürfnissen seiner Halbgeschwister entsprächen. Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen. Wie dargelegt, umschreibt das Gesetz den Umfang des Unterhaltsanspruchs mit unbestimmten Rechtsbegriffen. Soweit ein Mindestmass an Unterhalt sichergestellt ist, obliegt es in erster Linie den Eltern zu bestimmen, in welchem Ausmass sie ihre besondere Leistungsfähigkeit zur Hebung ihrer Lebenshaltung einsetzen wollen oder eine Vermögensbildung vorziehen. Ist dieser Entscheid zugunsten einer erhöhten Lebenshaltung ausgefallen, haben sie aber zu beachten, dass grundsätzlich allen Kindern gleichermassen ein Anspruch auf Teilhabe an dieser gesteigerten Lebenshaltung zusteht.
Dadurch, dass der Beklagte in der Scheidung freiwillig bereit war, seinen Kindern einen gegenüber den üblichen Ansätzen erhöhten Unterhaltsbeitrag zu bezahlen, hat er sich dafür entschieden, ihnen eine gehobene Lebenshaltung zukommen zu lassen. Der Anspruch auf Gleichbehandlung gebietet es, für den
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Kläger von der gleichen Lebenshaltung auszugehen, sofern nicht besondere Umstände ein Abweichen zu rechtfertigen vermögen.
c) Besondere Umstände, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen können, sind aber nicht zu sehen. Der Umstand, dass die im Scheidungsurteil festgesetzten Beiträge auf einer Konvention beruhen, verbietet es von vornherein, geltend zu machen, dem Scheidungsurteil lägen materiell falsche Annahmen zugrunde. Der Beklagte bringt in keiner Weise vor, die Anerkennung der Unterhaltsbeiträge gegenüber seinen Kindern aus erster Ehe sei mit einem Willensmangel behaftet.
Es besteht auch nicht der geringste Hinweis für die Annahme, dass die Persönlichkeit des Klägers aus erzieherischen Gründen eine besondere Zurückhaltung bei der Festlegung des Unterhalts rechtfertigen würde. Ebensowenig haben seine Halbgeschwister besondere Bedürfnisse, die einen nur ihnen zustehenden erhöhten Anspruch begründen könnten (vgl. HEGNAUER, ZVW 1989, S. 136 ff.).
Wie die Vorinstanz selber festhält, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Mutter des Klägers selber mehr an dessen Unterhalt beitragen kann als die Mutter seiner Halbgeschwister an deren Lebenskosten. Von daher lässt sich eine Reduktion des vom Vater geschuldeten Beitrags an den Unterhalt keinesfalls rechtfertigen.
Die Bedenken, die im vorinstanzlichen Urteil angedeutet und vom Beklagten in der Berufungsantwort aufgegriffen werden, dass der dem Kläger zustehende, zweifellos ungewöhnlich hohe Unterhaltsbeitrag von der Inhaberin der elterlichen Gewalt nicht für den Unterhalt des Klägers, sondern den eigenen Bedarf oder denjenigen ihres anderen Kindes verbraucht werden könnte, sind nicht geeignet, eine Herabsetzung des Anspruchs zu rechtfertigen. Sollten tatsächlich konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Mutter des Klägers die Alimente des Vaters zweckwidrig verwendet, so hätte die Vormundschaftsbehörde die nötigen und geeigneten Massnahmen anzuordnen (Art. 324 f. ZGB).
d) Indem die Vorinstanz den vom Kläger begehrten Unterhalt mit der Begründung abgelehnt hat, dass die Unterhaltsbeiträge lediglich die "normalen Bedürfnisse" decken sollen, verkennt sie, dass - wie dargelegt - der Kläger einen Anspruch darauf hat, seine Bedürfnisse in einer der Lebenshaltung des Vaters angemessenen Weise zu befriedigen. Sie hat mit ihrem Entscheid den Anspruch auf Gleichbehandlung mehrerer Geschwister verletzt. Die Berufung erweist sich somit als begründet.

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Sachverhalt

Erwägungen 3 4

Referenzen

BGE: 83 II 359

Artikel: Art. 285 Abs. 1 ZGB, Art. 173 ZGB, Art. 626 ff. ZGB, Art. 631 ZGB