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Urteilskopf

118 Ia 112


16. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 4. Februar 1992 i.S. S. gegen Hochbauamt und Appellationsgericht (als Verwaltungsgericht) des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde)

Regeste

Art. 5 VwVG, Art. 97 OG; öffentliches Recht des Bundes, selbständige Bedeutung kantonalen Rechts gegenüber dem Umweltschutzrecht des Bundes.
Umfang der selbständigen Bedeutung des kantonalen Rechts gegenüber dem Umweltschutzrecht des Bundes; die Umweltschutzgesetzgebung des Bundes bezieht sich nicht auf die mit dem Drogenhandel und -konsum einhergehenden Belästigungen der Nachbarn (E. 1).
Art. 88 OG; Legitimation des Nachbarn zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen Baubewilligungen.
- Legitimation bejaht, soweit ein Nachbar sich auf eine verfassungswidrige Anwendung kantonaler, den Nachbarn vor Übelständen schützenden Nutzungsvorschriften (in casu § 133 des Basler Hochbautengesetzes) im Rahmen ihres gegenüber dem Bundesrecht selbständigen Gehaltes beruft (E. 2a).
- Legitimation verneint, soweit ein Nachbar eine Verletzung von Strafbestimmungen des eidgenössischen Strafgesetzbuches und des Betäubungsmittelgesetzes geltend macht (E. 2a), wenn er nicht direkt anwendbare Staatsvertragsnormen im Bereiche der Bekämpfung des Betäubungsmittelhandels und -konsums anruft (E. 2b), und wenn die Anwendung baupolizeilicher Vorschriften über Anzahl und Lage von Toiletten in Gebäuden umstritten ist (E. 2c).

Sachverhalt ab Seite 113

BGE 118 Ia 112 S. 113
Das Bauinspektorat des Kantons Basel-Stadt bewilligte am 3. April 1990 den Bau eines Gassenzimmers als Provisorium. Im Gassenzimmer soll ein Büro, ein Café, ein Lagerraum und ein Zimmer für die Abgabe von Spritzen für Drogenabhängige sowie ein WC eingerichtet werden. Die kantonale Baurekurskommission und das Appellationsgericht (als Verwaltungsgericht) wiesen die gegen die Baubewilligung erhobenen Rekurse ab. Gegen das Urteil des Appellationsgerichtes führte Frau S. staatsrechtliche Beschwerde. Sie machte insbesondere geltend, der Betrieb des Gassenzimmers führe für die Nachbarn zu unhaltbaren Belästigungen und der Betrieb widerspreche u.a. den Strafnormen des Strafgesetzbuches und des Betäubungsmittelgesetzes sowie Bestimmungen entsprechender
BGE 118 Ia 112 S. 114
Staatsverträge und internationaler Konventionen. Das Bundesgericht wies die staatsrechtliche Beschwerde ab, soweit es auf sie eintrat.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob die staatsrechtliche Beschwerde oder die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegeben ist (BGE 116 Ia 79 E. 1 und BGE 116 Ib 162 E. 1).
a) Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nach Art. 97 OG in Verbindung mit Art. 5 VwVG u.a. zulässig gegen Verfügungen, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen oder hätten stützen sollen, sofern diese von den in Art. 98 OG genannten Vorinstanzen erlassen worden sind und keiner der in Art. 99-102 OG oder in der Spezialgesetzgebung vorgesehenen Ausschlussgründe gegeben ist. Dies gilt auch für Verfügungen, die sowohl auf kantonalem bzw. kommunalem wie auch auf Bundesrecht beruhen, falls und soweit die Verletzung von unmittelbar anwendbarem Bundesrecht in Frage steht (BGE 116 Ib 162 f. E. 1a mit Hinweisen).
b) Der Schutz der Menschen vor schädlichen oder lästigen Einwirkungen, namentlich vor Lärm, wird vom Bundesgesetz über den Umweltschutz vom 7. Oktober 1983 (Umweltschutzgesetz, USG; SR 814.01) geregelt (Art. 1 Abs. 1 USG). Ortsfeste Anlagen dürfen nur errichtet werden, wenn die durch diese Anlagen allein erzeugten Lärmimmissionen die Planungswerte der Umgebung nicht überschreiten (Art. 25 Abs. 1 USG). Lärm soll durch Massnahmen an der Quelle begrenzt werden (Emissionsbegrenzungen, Art. 11 Abs. 1 USG). Emissionen werden dabei insbesondere durch den Erlass von Emissionsgrenzwerten, Bau- und Ausrüstungsvorschriften sowie Verkehrs- und Betriebsvorschriften eingeschränkt (Art. 12 Abs. 1 USG). Für die Beurteilung der schädlichen oder lästigen Einwirkungen legt der Bundesrat durch Verordnung Immissionsgrenzwerte fest (Art. 13 Abs. 1 USG). In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Lärmschutz-Verordnung des Bundesrates vom 15. Dezember 1985 (LSV; SR 814.41) zu beachten. Mit Inkrafttreten der Bundesgesetzgebung über den Umweltschutz hat das kantonale Recht seine selbständige Bedeutung verloren, soweit sich sein materieller Gehalt mit dem Bundesrecht deckt oder weniger weit geht als dieses; es hat sie dort behalten, wo es die bundesrechtlichen Normen ergänzt oder - soweit erlaubt - verschärft (vgl. Art. 65 USG). In diesem
BGE 118 Ia 112 S. 115
Sinne haben kantonale oder kommunale immissionsbeschränkende Nutzungsvorschriften - wie vorliegend § 133 des Hochbautengesetzes vom 11. Mai 1939 (HBG; SG 730.100) und § 24 des Anhanges zum Hochbautengesetz - weitgehend ihre selbständige Bedeutung verloren (BGE 116 Ia 492 E. 1a; BGE 116 Ib 179 f. E. 1b/bb).
Städtebauliche Nutzungsvorschriften des kantonalen und kommunalen Rechts haben jedoch nach wie vor selbständigen Gehalt, soweit sie die Frage regeln, ob eine Baute am vorgesehenen Ort erstellt und ihrer Zweckbestimmung übergeben werden darf. Namentlich ist es weiterhin Sache des kantonalen Rechts, die für den Charakter eines Quartiers wesentlichen Vorschriften bezüglich Nutzungsart und -intensität zu erlassen, wobei diese Vorschriften mittelbar ebenfalls dem Schutze der Nachbarn vor Übelständen verschiedenster Art dienen können. So können etwa Bauten und Betriebe, die mit dem Charakter einer Wohnzone unvereinbar sind, untersagt werden, auch wenn die Lärmemissionen, zu denen sie führen, bundesrechtliche Schranken nicht überschreiten, sofern die Unzulässigkeit nicht einzig mit der konkreten Lärmbelästigung begründet wird (BGE 116 Ib 179 ff. E. 1b und 3 mit Hinweisen). Auch erfasst das Umweltschutzrecht des Bundes nicht alle denkbaren Auswirkungen, die eine Baute oder Anlage mit sich bringen kann. Dies gilt beispielsweise für Sekundärimmissionen wie die Gefährdung von Fussgängern oder das Parkierungsproblem (BGE 117 Ib 151 E. d; BGE 116 Ia 492 f. E. 1a; BGE 116 Ib 183 f. E. 3b; BGE 115 Ib 461 E. 1c; BGE 114 Ib 222 f. E. 5). In BGE 116 Ia 493 E. 2a hat das Bundesgericht die Belästigung von Nachbarn durch nächtliche Gespräche vor einem der Wohnzone benachbarten, in der Industrie- und Gewerbezone liegenden Dancing und den von dessen Besuchern verursachten Lärm unter dem Aspekt des kantonalen bzw. kommunalen Rechts geprüft.
Vorliegend geht es um ähnliche, nicht vom Bundesrecht geregelte Aspekte des Immissionschutzes. Die Beschwerdeführerin weist auf die mit dem Drogenhandel und -konsum einhergehenden Belästigungen der Nachbarn durch kriminelle Akte wie Entreissdiebstähle und Gewalttaten hin. Darauf bezieht sich die Umweltschutzgesetzgebung des Bundes nicht. Bei den von der Beschwerdeführerin genannten Übelständen handelt es sich einerseits um strafrechtlich verbotene kriminelle Handlungen, anderseits um befürchtete nachteilige Auswirkungen auf ihre Liegenschaft, deren Regelung nach wie vor der kantonalen und kommunalen Gesetzgebung vorbehalten bleibt. § 133 HBG und § 24 des Anhanges zum Hochbautengesetz haben insoweit ihren selbständigen Gehalt behalten. Das
BGE 118 Ia 112 S. 116
angefochtene Urteil stützt sich somit nicht auf öffentliches Recht des Bundes im Sinne von Art. 5 VwVG, weshalb vorliegend die staatsrechtliche und nicht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegeben ist (Art. 84 Abs. 2 OG; Urteil des Bundesgerichtes vom 4. Februar 1992 i.S. B. und Kons. gegen Einwohnergemeinde Luzern, E. 1b).

2. a) Im Rahmen von Art. 88 OG sind Eigentümer benachbarter Grundstücke befugt, eine Baubewilligung mit staatsrechtlicher Beschwerde anzufechten, soweit sie die Verletzung baugesetzlicher Vorschriften geltend machen, die ausser den Interessen der Allgemeinheit auch oder in erster Linie dem Schutz der Nachbarn dienen. Zusätzlich müssen sie dartun, dass sie sich im Schutzbereich dieser Vorschriften befinden und durch die behaupteten widerrechtlichen Auswirkungen der Bauten betroffen werden. Die Legitimation bestimmt sich dabei ausschliesslich nach Art. 88 OG. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin im kantonalen Verfahren Parteistellung hatte, ist nicht entscheidend (BGE 117 Ia 19 f. E. 3b mit zahlreichen Hinweisen).
Im Sinne dieser Rechtsprechung ist die Beschwerdeführerin legitimiert, sich auf eine verfassungswidrige Anwendung von § 133 HBG und § 24 des Anhanges zum Hochbautengesetz zu berufen, bezwecken diese Normen doch auch im Umfange des ihnen verbleibenden eigenständigen Gehalts den Schutz der Nachbarn (BGE 112 Ia 89 f. E. 1b).
Nicht einzutreten ist jedoch auf die staatsrechtliche Beschwerde insoweit, als die Beschwerdeführerin behauptet, die angefochtene Verfügung verletze in verfassungswidriger Weise verschiedene Bestimmungen des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel vom 3. Oktober 1951 (Betäubungsmittelgesetz, BetmG; SR 812.121), insbesondere Art. 19 und 19a BetmG sowie Art. 305 StGB. Bei den fraglichen Normen handelt es sich nicht um baugesetzliche Vorschriften (Urteil des Bundesgerichtes vom 4. Februar 1992 i.S. B. und Kons., E. 2a). Im übrigen obliegt die Verfolgung von Straftaten den Strafverfolgungs- und nicht den Baupolizeibehörden.
b) In diesem Zusammenhang ruft die Beschwerdeführerin verschiedene internationale Abkommen über die Bekämpfung des Betäubungsmittelhandels- und -konsums an. Mit Bezug auf das Einheits-Übereinkommen von 1961 über die Betäubungsmittel (Einheits-Übereinkommen; AS 1970 S. 801 ff.; SR 0.812.121.0) bringt sie vor, der angefochtene Entscheid verletze Art. 33 und 35 dieses Abkommens. Damit ein Beschwerdeführer sich auf eine Staatsvertragsnorm
BGE 118 Ia 112 S. 117
berufen kann, muss diese direkt anwendbar (self-executing) sein. Dies ist dann der Fall, wenn die Bestimmung inhaltlich hinreichend bestimmt und klar ist, um im Einzelfall Grundlage eines Entscheides zu bilden (BGE 106 Ib 187). Die Norm muss mithin justiziabel sein, die Rechte und Pflichten des Einzelnen zum Inhalt haben, und Adressat der Norm müssen die rechtsanwendenden Behörden sein (WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 1984, S. 119 f.).
Art. 33 des Einheits-Übereinkommens bestimmt, dass die Vertragsparteien keinen Besitz von Betäubungsmitteln ohne gesetzliche Bewilligung gestatten. Art. 35 des Einheitsübereinkommens lautet:
"Unter gebührender Berücksichtigung ihrer Verfassungs-, Rechts- und Verwaltungsordnungen werden die Vertragsparteien:
a. innerstaatlich dafür besorgt sein, dass die Massnahmen zur Verhütung und Unterdrückung des unerlaubten Verkehrs aufeinander abgestimmt werden; zu diesem Zwecke können sie mit Vorteil eine für diese Koordination zuständige Stelle bestimmen;
b. einander bei der Bekämpfung des unerlaubten Verkehrs unterstützen;
c. miteinander und mit den zuständigen internationalen Organisationen, deren Mitglieder sie sind, eng zusammenarbeiten, um den Kampf gegen den unerlaubten Verkehr koordiniert zu führen;
d. dafür sorgen, dass die internationale Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Stellen sich rasch abspielt; und
e. sich vergewissern, dass gerichtliche Schriftstücke, die zum Zwecke einer strafgerichtlichen Verfolgung zwischenstaatlich übermittelt werden, den von den Vertragsparteien bezeichneten Organen rasch zugeleitet werden; diese Bestimmung berührt das Recht einer Vertragspartei nicht, zu verlangen, dass ihr gerichtliche Schriftstücke auf diplomatischem Wege zu übermitteln seien."
Aus dem Wortlaut der beiden Bestimmungen ergibt sich klar, dass diese nicht direkt anwendbar sind; die Normen richten sich nur an die Staaten als Vertragsparteien bzw. an deren gesetzgebende Organe.
Soweit sich die Beschwerdeführerin auf das Abkommen vom 26. Juni 1936 zur Unterdrückung des unerlaubten Verkehrs mit Betäubungsmitteln (AS 1953 S. 187 ff.; SR 0.812.121.6) beruft, erläutert die Beschwerdeführerin nicht im Einzelnen, welche Rechte bzw. welche Rechtssätze dieses Abkommens und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind. Die pauschale Anrufung dieses Abkommens genügt den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung einer staatsrechtlichen Beschwerde nicht, weshalb darauf nicht weiter einzutreten ist (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 117 Ia 11 E. 4b mit Hinweis). Was die von der Beschwerdeführerin ebenfalls angerufene Convention des Nations Unies contre le trafic illicite de stupéfiants et de substances psychotropes vom 19. Dezember 1988 (in deutscher Sprache publiziert in HARALD HANS KÖRNER, Beck'scher Kurz-Kommentar zum Betäubungsmittelgesetz, 3. Aufl. 1990, S. 998 ff.) betrifft, ist festzuhalten, dass die Schweiz dieses Abkommen noch nicht ratifiziert hat und es somit die Eidgenossenschaft nicht verpflichtet. Auf die diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerde kann deshalb ganz abgesehen davon, dass sich die Beschwerdeführerin nicht mit einzelnen Bestimmungen dieses Abkommens auseinandersetzt (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG), von vornherein nicht eingetreten werden.
c) Nicht einzutreten ist auch auf die Vorbringen der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit der baulichen Gestaltung der Toilette im Gassenzimmer. Die Beschwerdeführerin nennt diesbezüglich keine kantonale Norm, die dem Schutz der Nachbarn dienen würde, und legt auch in keiner Weise dar, inwiefern sie sich im Schutzbereich dieser Normen befinden würde (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 117 Ia 11 E. 4b). Baupolizeiliche Vorschriften über Anzahl und Lage von Toiletten in Gebäuden haben zudem keine nachbarschützende Funktion.

Inhalt

Ganzes Dokument:
Regeste: deutsch französisch italienisch

Erwägungen 1 2

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