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Urteilskopf

119 Ia 113


16. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 5. März 1993 i.S. Stadt Baden und Mitbeteiligte gegen K. und Mitbeteiligte, Baudepartement und Verwaltungsgericht des Kantons Aargau (staatsrechtliche Beschwerde)

Regeste

Art. 4 BV; Gemeindeautonomie, § 164 Abs. 3 BauG/AG; ungleiche Verteilung der Grenzabstände bei interzonalen Verhältnissen.
1. Frage offengelassen, ob der aargauischen Gemeinde bei der ungleichen Verteilung der Grenzabstände Autonomie zukommt (E. 2).
2. Mit dem Näherbaurecht werden unter einer Bauordnung ohne Ausnützungsziffer die Nutzungsmöglichkeiten der berechtigten Parzelle bzw. der entsprechenden Zone erhöht. Es ist nicht willkürlich, die ungleiche Verteilung der Grenzabstände nicht zuzulassen, wo sie zu Lasten einer Zone für öffentliche Bauten ohne im voraus bestimmte Grenz- und Gebäudeabstände vereinbart wird (E. 3-5).
3. § 164 Abs. 3 BauG/AG stellt keine ausdrückliche Ausnahmeregelung für die ungleiche Verteilung der Grenzabstände bei interzonalen Verhältnissen dar (E. 6).

Sachverhalt ab Seite 114

BGE 119 Ia 113 S. 114
Die Einwohnergemeinde Baden ist Eigentümerin der beiden Parzellen Nrn. 2806 und 2580. Die Parzelle Nr. 2580, welche mit einer Schulanlage überbaut ist, liegt gemäss den §§ 15 ff. der Bauordnung der Stadt Baden vom 8. Dezember 1981/3. Juli 1984 (BO) in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen OEB. Das nördlich an die Schulhausparzelle angrenzende Grundstück Nr. 2806 ist der Wohnzone W3 zugeordnet. Es befindet sich im Baurecht von B. und C.
Der Stadtrat der Stadt Baden erteilte am 13. November 1989 B. und C. die Baubewilligung für ein Doppeleinfamilienhaus auf Parzelle Nr. 2806. Die Bewilligung enthielt unter anderem folgende Nebenbestimmung:
"Über die ungleiche Verteilung der Grenzabstände zwischen den Parzellen Nrn. 2806 und 2580 hat die Bauherrschaft mit der Einwohnergemeinde Baden als Eigentümerin der Parzelle Nr. 2580 eine schriftliche Vereinbarung gemäss § 50 Abs. 3 BO abzuschliessen. Diese Vereinbarung ist umgehend im Grundbuch anzumerken. Eine mit dem Eintragungsvermerk des Grundbuchamtes versehene Kopie der Vereinbarung ist dem Hochbauamt vor Baubeginn zuzustellen. Über die Entschädigungsfrage ist separat zu entscheiden."
Am 20. Juli 1990 wies das Baudepartement des Kantons Aargau eine gegen den Entscheid des Stadtrats von Baden erhobene Beschwerde ab. Dagegen führten K. und Mitbeteiligte Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Aargau. Die 3. Kammer des
BGE 119 Ia 113 S. 115
Verwaltungsgerichts hiess am 15. Januar 1992 diese Beschwerde gut und hob den Entscheid des Baudepartements vom 20. Juli 1990 und die Baubewilligung des Stadtrats von Baden vom 13. November 1989 auf.
Die Stadt Baden, B. und C. führen gegen diesen Entscheid des Verwaltungsgerichts staatsrechtliche Beschwerde.
Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Eine Gemeinde ist in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht diesen Bereich nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt (BGE 118 Ia 219 E. 3a, BGE 117 Ia 355 f. E. 4a mit Hinweisen). Ob und inwieweit eine Gemeinde in einem bestimmten Bereich autonom ist, richtet sich nach dem kantonalen Verfassungs- und Gesetzesrecht (BGE 118 Ia 219 E. 3a).
a) Die Gemeindeautonomie ist als kantonales verfassungsmässiges Recht in den §§ 5 und 104 ff. der Verfassung des Kantons Aargau vom 25. Juni 1980 (KV) gewährleistet. Sie verschafft den Gemeinden Selbständigkeit; diese sollen ihre Angelegenheiten unter Aufsicht des Kantons selbständig ordnen und verwalten (§ 5 Abs. 2 KV). Es handelt sich dabei um die "Aufgaben von lokaler Bedeutung, soweit diese nicht in die Zuständigkeit anderer Organisationen fallen" (§ 104 Abs. 2 KV). Welche Aufgaben örtlich beschränkt sind und welche jenseits dieser Grenze liegen, ergibt sich aus den rechtlichen Kompetenzverteilungen oder, soweit diese fehlen, aus der Natur der Sache (vgl. KURT EICHENBERGER, Verfassung des Kantons Aargau, Textausgabe mit Kommentar, Aarau 1986, N. 6 zu § 5 KV, S. 53; BGE 115 Ib 305 f. E. 4 mit Hinweis auf THOMAS PFISTERER, Die verfassungsrechtliche Stellung der aargauischen Gemeinden bei der Erfüllung der öffentlichen Aufgaben, St. Gallen 1983, S. 54 ff.).
b) Das Verwaltungsgericht verweigerte die nachgesuchte Baubewilligung mit der Begründung, eine vertraglich vereinbarte ungleiche Verteilung der Grenzabstände sei nicht zulässig, wenn die betroffenen Grundstücke in verschiedenen Zonen liegen würden. Es stützte sich dabei auf § 50 Abs. 3 BO und erwog, die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum interzonalen Nutzungstransfer sei bei der Auslegung und Anwendung der genannten Bestimmung mitzuberücksichtigen. § 50 Abs. 3 BO lautet wie folgt:
BGE 119 Ia 113 S. 116
"Bei Einhaltung des Gebäudeabstandes können die Grenzabstände mit Zustimmung des Gemeinderates durch im Grundbuch einzutragende Dienstbarkeitsverträge ungleich verteilt werden."
Diese Bestimmung hat ihre Grundlage im § 164 Abs. 3 des Baugesetzes des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971 (BauG), welcher folgenden Wortlaut hat:
"Bei Einhaltung des Gebäudeabstandes können die Grenzabstände durch schriftliche, vom Gemeinderat zu genehmigende Vereinbarung unter Grundeigentümern ungleich verteilt werden."
c) Abgesehen vom hier nicht interessierenden Umstand, dass § 50 Abs. 3 BO für Vereinbarungen über die ungleiche Verteilung der Grenzabstände die Eintragung ins Grundbuch vorsieht, entspricht die im kantonalen Baugesetz vorgesehene Regelung derjenigen des Gemeinderechts. § 50 Abs. 3 BO gibt somit lediglich wieder, was bereits auf kantonaler Ebene geregelt wurde. Es stellt sich daher die Frage, ob der Gemeinde bei der ungleichen Verteilung der Grenzabstände überhaupt eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit im Sinne der dargelegten Rechtsprechung des Bundesgerichts und damit Autonomie zukommt, oder ob die in § 164 Abs. 3 BauG vorgesehene Regelung nicht vielmehr abschliessender Natur ist. Diese Frage kann im vorliegenden Fall indes offenbleiben, da das Bundesgericht bei einer Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie die Auslegung und Anwendung des kantonalen Gesetzesrechts nur auf Willkür prüft (BGE 118 Ia 220 E. 3a mit Hinweisen) und die Gemeinde Baden, wie oben ausgeführt, in ihrer Funktion als Eigentümerin der Parzelle Nr. 2806 ohnehin befugt ist, eine Verletzung des Willkürverbots und der Eigentumsgarantie geltend zu machen. Die Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie hat daher im vorliegenden Fall neben der Willkürrüge keine selbständige Bedeutung.

3. Die Beschwerdeführer werfen dem Verwaltungsgericht Willkür vor. Sie machen geltend, das Verwaltungsgericht habe abstrakt und generell entschieden, ohne zu prüfen, ob die umstrittene Vereinbarung im vorliegenden Fall überhaupt eine Erhöhung der Ausnützung auf Parzelle Nr. 2806 zur Folge habe. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum interzonalen Nutzungstransfer könne nicht unbesehen auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Die Ausnützungsziffer sei ein planerisches Mittel, welches Auswirkungen auf die Baudichte habe. Dagegen dienten die Grenz- und Gebäudeabstände vor allem dazu, Einflüsse von Bauten und ihrer Benutzung
BGE 119 Ia 113 S. 117
auf Nachbargrundstücke zu mindern. Eine Vereinbarung über die ungleiche Verteilung der Grenzabstände könne daher keine Verschiebung der Baudichte bewirken. Abgesehen vom rein polizeilichen Aspekt der Grenz- und Gebäudeabstände hätten diese zwar auch gewisse raumplanerische Auswirkungen auf das Siedlungsbild. Die aargauischen Gemeinden würden jedoch gerade in diesem Bereich eine erhebliche Freiheit geniessen.
a) Willkür liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht hebt einen kantonalen Entscheid wegen materieller Rechtsverweigerung nur auf, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 118 Ia 130 E. 2, BGE 117 Ia 20 E. 3c, je mit Hinweisen).
b) Gemäss § 145 Abs. 2 BauG haben die Bauordnungen der Gemeinden Vorschriften über die Nutzungsstärke in den einzelnen Zonen zu enthalten. Die Nutzungsstärke regelt die maximal zulässige bauliche Nutzung, die sog. Baudichte. Diese kann entweder durch die Einführung von Ausnützungsziffern oder auf überlieferte Art durch Grenz- und Gebäudeabstände, Gebäudehöhen, -längen und -tiefen bestimmt werden (vgl. ERICH ZIMMERLIN, Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971, 2. Auflage, Aarau 1985, § 145 N. 5c). Die Stadt Baden kennt in ihrer Bauordnung keine Ausnützungsziffern, regelt aber in § 15 BO die in den einzelnen Zonen zulässige Geschosszahl, Gebäudehöhe sowie den Grenzabstand. Der Grenzabstand stellt somit in der Stadt Baden eines der Kriterien dar, welches zur Bestimmung der zulässigen Baudichte massgebend ist. Daneben hat der Grenzabstand, insbesondere im Zusammenhang mit dem oft von ihm abhängenden Gebäudeabstand (vgl. § 164 Abs. 2 BauG) noch andere Funktionen. So sollen durch die Grenzabstände vor allem die mannigfachen Einflüsse von Bauten und ihrer Benutzung auf Nachbargrundstücke gemindert werden. Die öffentlichen Interessen an den Grenz- und Gebäudeabständen liegen auf den Gebieten der Feuer- und der Gesundheitspolizei, der guten Gestaltung der Siedlungen ohne zu dichte Überbauungen und der Ästhetik (ERICH ZIMMERLIN, a.a.O., §§ 163-65 N. 3 mit Hinweisen). Es kann somit festgestellt werden, dass in der Gemeinde Baden die Regelung der baulich zulässigen Nutzung (Nutzungsstärke) eine dem Grenzabstand zukommende Funktion darstellt.
BGE 119 Ia 113 S. 118
c) Das Bundesgericht hat die Zulässigkeit der Nutzungsübertragung von einer Zone in eine solche mit anderen Nutzungsvorschriften in ständiger Rechtsprechung verneint (BGE 109 Ia 190 E. 3 mit Hinweisen). Zur Begründung führte es aus, eine interzonale Ausnützungsanrechnung hätte zur Folge, dass für das Gebiet längs der Zonengrenze verschiedene Nutzungsziffern gelten würden und damit Bauten mit unterschiedlicher Ausnützung des Bodens entstünden, was nicht dem Sinn des Gesetzes entsprechen könne. Es würde zudem bedeuten, dass die vom Zonenplan festgelegten Zonengrenzen missachtet und durch gewöhnliche Verwaltungsverfügung die vom kommunalen Gesetzgeber beschlossene Unterteilung des Baugebiets verändert würden (BGE 109 Ia 191 E. 3 mit Hinweisen). In BGE 109 Ia 188 ff. erklärte das Bundesgericht sogar die Nutzungsübertragung zwischen zwei zu unterschiedlichen Erschliessungsetappen gehörenden Flächen innerhalb derselben Bauzone für unzulässig, es sei denn, eine Vorschrift würde einen solchen Transfer ausdrücklich zulassen. Das Verwaltungsgericht vertritt im angefochtenen Entscheid die Auffassung, diese Bundesgerichtspraxis sei auch in Fällen anwendbar, da die zulässige Nutzung nicht durch Ausnützungsziffern, sondern u.a. mittels Grenz- und Gebäudeabständen festgelegt werde. Es hat daher erwogen, dass eine ungleiche Verteilung der Grenzabstände nicht zulässig sei, wenn die Grundstücke in verschiedenen Zonen liegen würden.
d) Ob die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum interzonalen Nutzungstransfer ohne weiteres auf die ungleiche Verteilung der Grenzabstände übertragen werden kann, ist fraglich, kann im vorliegenden Fall jedoch offenbleiben. Wie bereits erwähnt, ist die Bestimmung der Baudichte eine von mehreren Funktionen der Grenzabstände. In der Stadt Baden ist die zulässige Nutzung der Grundstücke von mehreren Faktoren abhängig, zu denen nebst anderen der Grenzabstand gehört. Es mag zwar zutreffen, dass die Grenzabstände bei der Bestimmung der Baudichte nicht immer im Vordergrund stehen. So ist dem Baudepartement insofern zuzustimmen, als die horizontale Ausdehnung einer Baute in einer Gemeinde ohne Ausnützungsziffer und ohne vorgeschriebene Höchstlänge auch von der Parzellengrösse abhängt. Dennoch trifft es zu, dass sich die Ausdehnung der Bauten durch die Festlegung der Grenzabstände beeinflussen lässt. Je kleiner der Grenzabstand, desto näher kann an die Parzellengrenze gebaut werden und desto grösser ist folglich die überbaubare Fläche einer Parzelle. Im vorliegenden Fall hält das Bauprojekt den in § 15 BO vorgesehenen
BGE 119 Ia 113 S. 119
Grenzabstand zur südlich gelegenen Parzelle Nr. 2580 nicht ein. Die in der Baubewilligung verlangte Vereinbarung zwischen der Bauherrschaft und der Gemeinde Baden hätte zur Folge, dass die Baugesuchsteller den Grenzabstand unterschreiten und ihre Baute näher an die Grundstücksgrenze setzen könnten. Mit diesem Näherbaurecht werden die Nutzungsmöglichkeiten erhöht. Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführer ist der hier zu beurteilende Fall durchaus vergleichbar mit jenem, da dank eines Nutzungstransports auf eine Parzelle mit zulässiger Ausnützung von 0,5 plötzlich eine solche von 0,6 realisiert werden kann. Da beim Fehlen einer Ausnützungsziffer und einer vorgeschriebenen Höchstlänge die horizontale Ausdehnung einer Baute innerhalb einer Parzelle allein von den Grenzabständen abhängt, führt die Unterschreitung eines Grenzabstandes stets dazu, dass ein grösseres Bauvolumen erstellt werden kann. Anders läge der Fall, wenn in der Gemeinde Baden die zulässige Nutzung mittels Ausnützungsziffern festgelegt würde. In einem solchen Fall hätte eine Unterschreitung des Grenzabstandes in der Regel keinen Einfluss auf das Ausmass der Baudichte, da sich die höchstens zulässige Grundstücksnutzung immer noch nach der unveränderten Ausnützungsziffer richten würde. Wohl mag es zutreffen, dass im vorliegenden Fall auch ohne Unterschreitung des Grenzabstands ein Projekt vorstellbar wäre, bei welchem eine höhere Ausnützung realisiert werden könnte, als dies bei der geplanten Baute der Fall ist. Entscheidend ist, dass die gegenüber der Bauordnung erhöhte bauliche Nutzung des Grundstücks hier für die gegenwärtigen und die künftigen Bauberechtigten an der Parzelle Nr. 2806 mit der vertraglich vereinbarten und im Grundbuch eingetragenen ungleichen Verteilung der Grenzabstände erreicht wird.
e) Die Folge, dass die Unterschreitung des Grenzabstands eine Erhöhung des zulässigen Bauvolumens auf der berechtigten Parzelle bewirkt, ist raumplanerisch dann nicht von besonderer Bedeutung, wenn auf der Nachbarparzelle mindestens eine entsprechende Mindernutzung in Kauf genommen werden muss und wenn die gleiche Nutzungsart (z.B. Wohnen, Gewerbe, Industrie usw.) betroffen ist. Innerhalb derselben Nutzungszone oder gegenüber einer gleichartigen Zone mit grösseren Ausnützungsmöglichkeiten ist diese Voraussetzung erfüllt. Anders verhält es sich zunächst bei Nachbarzonen mit geringeren Ausnützungsmöglichkeiten. Wird beispielsweise der Grenzabstand einer Parzelle in einer dreigeschossigen Wohnzone zu Lasten einer Parzelle in einer eingeschossigen Wohnzone um
BGE 119 Ia 113 S. 120
mehrere Meter verkürzt, entsteht dadurch gesamthaft eine erhebliche Mehrnutzung, welche in der Zonenordnung nicht vorgesehen ist. In diesem Fall verhält es sich nicht anders als in den vom Bundesgericht beurteilten Fällen zum interzonalen Nutzungstransfer. Problematisch ist die ungleiche Verteilung der Grenzabstände auch bei Parzellen, die in Zonen unterschiedlicher Nutzungsarten liegen. So kann durch eine Unterschreitung des Grenzabstands einer Industriebaute und eine entsprechende Zurückversetzung der angrenzenden Wohnbaute eine tatsächliche Verschiebung der Grenze zwischen der Industrie- und der Wohnzone erfolgen, welche in der Zonenordnung nicht vorgesehen ist.
Im hier zu beurteilenden Fall geht es um die ungleiche Verteilung der Grenzabstände zwischen zwei Parzellen, die in Zonen unterschiedlicher Nutzungsarten liegen. Ausserdem bewirkt dieses Vorgehen eine Erhöhung der Nutzungsmöglichkeiten der berechtigten Parzelle bzw. der entsprechenden Zone. Bei dieser Sachlage ist es aufgrund der voranstehenden Erwägungen begründet, dass das Verwaltungsgericht vorliegend die ungleiche Verteilung der Grenzabstände nicht zugelassen hat. Die von ihm vertretene Auslegung von § 164 Abs. 3 BauG bzw. § 50 Abs. 3 BO erweist sich insoweit nicht als willkürlich. Die Frage, ob diese Bestimmung generell so ausgelegt werden dürfe, dass eine vertragliche Ungleichverteilung der Grenzabstände nur bei Parzellen der gleichen Zone möglich wäre, kann indessen offenbleiben.
f) Es kommt hinzu, dass im vorliegenden Fall die Verschiebung der Grenzabstände noch aus einem anderen Grund problematisch ist. Einerseits handelt es sich bei der Nachbarzone um eine solche für öffentliche Bauten und Anlagen. Diese Zonen sind für vorhandene und künftige, dem öffentlichen Interesse dienende Bauten und Anlagen bestimmt (§ 134 Abs. 1 BauG). Bei der Ausscheidung dieser Zone ist darauf zu achten, dass die für die öffentlichen Bauten und Anlagen benötigten Flächen freigehalten werden (vgl. ERICH ZIMMERLIN, a.a.O., § 134 N. 3). Es wäre schwer verständlich, wenn eine Gemeinde eine Zone für öffentliche Bauten und Anlagen ausscheidet und die darauf mögliche Nutzung durch Näherbaurechte teilweise an Zonen mit privatem Zweck abtritt, zumal die Zone für öffentliche Bauten und Anlagen für private Grundeigentümer ein Bauverbot bewirkt (vgl. ERICH ZIMMERLIN, a.a.O., § 134 N. 10). Die Folgerung ist jedenfalls nicht willkürlich, dass ein teilweiser Nutzungsverzicht durch die Einräumung von Näherbaurechten zugunsten von Privatnutzungen den Zonenzweck verletzt.
BGE 119 Ia 113 S. 121
Andererseits werden die Grenz- und Gebäudeabstände in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen allein vom Gemeinderat festgelegt (§ 24 BO). Die gültigen Grenzabstände lassen sich daher nicht von vornherein bestimmen. Es lässt sich aus diesem Grund auch nicht in allgemeiner Weise bestimmen, ob die ungleiche Verteilung der Grenzabstände gesamthaft nicht eine Mehrnutzung zur Folge hat. Die Befugnis des Gemeinderats, die Grenzabstände von Fall zu Fall zu bestimmen, ist erforderlich, weil die Ausmasse von öffentlichen Bauten und Anlagen oftmals durch deren Zweck und nicht durch Abstandsvorschriften bestimmt werden müssen. Es lässt sich mit haltbaren Gründen sagen, die Befugnis des Gemeinderats, die Grenzabstände nach den Bedürfnissen der öffentlichen Bauten oder Anlagen zu bestimmen, schliesse auf der anderen Seite die Befugnis zur Einräumung von Näherbaurechten für private Zwecke aus.

4. Die Beschwerdeführer machen geltend, der angefochtene Entscheid habe zur Folge, dass bei einem Grundstück, das in zwei verschiedenen Zonen liege, zwei Bauten erstellt werden müssten. Dabei seien gegenüber der Zonengrenze die in den jeweiligen Zonen vorgeschriebenen Grenzabstände einzuhalten. Dies trifft nicht zu. Der angefochtene Entscheid kann und will die Grenzabstände nicht zu Zonenabständen umfunktionieren. Auch bei einer in verschiedenen Zonen liegenden Parzelle sind nur die Grenzabstände gegenüber den Parzellengrenzen zu beachten. Eine zonenübergreifende Baute kann daher erstellt werden. Solange die Grenzabstände eingehalten werden, folgt aus einer solchen Baute auch keine erhöhte Nutzung des Grundstücks. Dass das nutzbare Bauvolumen von zwei nebeneinanderliegenden Parzellen des gleichen Eigentümers zufolge der Grenzabstände insgesamt kleiner ist als dasjenige der zu einem Grundstück vereinigten Gesamtparzelle, hat mit den Problemen, wie sie sich bei interzonalen Verhältnissen stellen, nichts zu tun. Dieser Unterschied besteht in solchen Fällen immer, unabhängig davon, ob das Grundstück in einer oder in zwei Zonen liegt. Dem angefochtenen Entscheid steht schliesslich auch nicht entgegen, dass die Baudichte bei zonenübergreifenden Bauten im Vergleich zu angrenzenden Parzellen mit übereinstimmender Grundstücks- und Zonengrenze leicht verschoben ist. Dies liegt in der Natur der vom Zonenplan festgelegten ungewöhnlichen Grenzziehung und ist vom Gesetzgeber in Kauf genommen worden.

5. Die Beschwerdeführer behaupten, der angefochtene Entscheid bewirke ferner, dass die vorgeschriebenen Abstände gegenüber dem Nichtbaugebiet nicht mehr unterschritten werden dürften. So
BGE 119 Ia 113 S. 122
sei beispielsweise die heute übliche Unterschreitung des gesetzlichen Waldabstands von 20 Metern aufgrund des verwaltungsgerichtlichen Entscheids fortan nicht mehr möglich. Entsprechendes gelte für Grundstücke, die an eine Grünzone grenzten.
Die Beschwerdeführer verkennen, dass die Funktion des Waldabstands eine andere ist als diejenige des Grenzabstands. Mit den vom Kanton im Mindestumfang einheitlich festgelegten Waldabständen (§ 165 BauG) werden gesundheits- und forstpolizeiliche, landschaftsschützerische und in einem weiteren Sinn raumplanerische Ziele verfolgt. Sie dienen dem Schutz waldnaher Bauten und ihrer Bewohner gegen Schädigung durch Windwurf sowie gegen Schatten und Feuchtigkeit. Darüber hinaus schützen sie den Wald vor Brandgefahr, sichern seine Wohlfahrts- und Erholungsfunktion, erhalten ihn als Umweltfaktor und gewähren einen nicht zu schroffen Übergang zwischen Wohngebieten und Waldlandschaft (ERICH ZIMMERLIN, a.a.O., §§ 163-65 N. 12). Dagegen regeln sie - anders als die Grenzabstände - nicht die zulässige bauliche Nutzung. Wie oben ausgeführt wurde, ist jedoch gerade diese den Grenzabständen in der Gemeinde Baden zukommende Funktion im vorliegenden Fall entscheidend. Gleiches gilt auch für andere Abstandsvorschriften gegenüber Nichtbaugebieten wie Grün- oder Landschaftsschutzzonen. Die in der Bundesgerichtspraxis zum interzonalen Nutzungstransfer verpönte Situation einer unzulässigen Nutzungserhöhung kann hier nicht eintreten.

6. Die Beschwerdeführer argumentieren weiter, auch die bundesgerichtliche Rechtsprechung schliesse den interzonalen Nutzungstransfer nicht generell aus, sondern lasse ihn ausnahmsweise dann zu, wenn eine Gesetzesvorschrift dies ausdrücklich vorsehe. Wenn man die ungleiche Verteilung der Grenzabstände schon mit einer Nutzungsübertragung gleichsetze, so müsse auch diese Einschränkung berücksichtigt werden. Im vorliegenden Fall stelle nämlich § 164 Abs. 3 BauG bzw. § 50 Abs. 3 BO eine solche ausdrückliche Ausnahmeregelung dar.
Dem ist jedoch nicht so. Die genannten Bestimmungen äussern sich eben gerade nicht dazu, ob die ungleiche Verteilung der Grenzabstände auch bei interzonalen Verhältnissen zulässig sei. Sie können deshalb nicht als ausdrückliche Erlaubnis im Sinne der erwähnten Bundesgerichtspraxis herangezogen werden. Wie bereits dargelegt wurde, können die Vorschriften im Gegenteil dahingehend ausgelegt werden, dass eine ungleiche Verteilung der Grenzabstände vorab innerhalb der gleichen Zone zulässig ist.