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Urteilskopf

119 Ia 411


47. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 21. Oktober 1993 i.S. S. gegen Gemeinderat Nesslau und Regierungsrat des Kantons St. Gallen (staatsrechtliche und Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

Regeste

Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Art. 4 und 22ter BV; gerichtliche Überprüfung einer Zonenplanänderung, die von einer Gemeindeexekutive erlassen und von einer Kantonsregierung genehmigt worden ist.
1. Zulässigkeit der Planungsmassnahme; Zuweisung von Grundstücksteilen in die Grünzone, Nichteinzonung in die Bauzone (E. 2). Interessenabwägung (E. 3).
2. Der Kognitionsbeschränkung des Bundesgerichts hinsichtlich der Sachverhaltsüberprüfung kommt vorliegend keine Bedeutung zu, da die für die Beurteilung der fraglichen Planungsmassnahme erheblichen Tatsachen nicht bestritten sind. Die richterliche Zurückhaltung bei der Beurteilung des Planungsermessens widerspricht Art. 6 Ziff. 1 EMRK nicht; sie steht der nach dieser Bestimmung verlangten und durch das Bundesgericht denn auch vorgenommenen umfassenden Rechtsanwendungskontrolle nicht entgegen. Sodann ist im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren ebenfalls dem Öffentlichkeitsgrundsatz angemessen Nachachtung verschafft worden (E. 5).

Sachverhalt ab Seite 412

BGE 119 Ia 411 S. 412

A.- S. ist Eigentümer des im Zentrum von Nesslau liegenden Grundstücks Nr. 98 (Hürnlihügel). Die Parzelle umfasst mit Ausnahme des östlichen und südöstlichen Teils des Hürnlibüchels dessen gesamtes Gebiet. Auf dem Grundstück im Halte von rund 40 000 m2 befinden sich das S. gehörende Wohnhaus, ein Schopf sowie ein weiteres Gebäude. Im übrigen ist das Gelände unüberbaut und wird landwirtschaftlich als Weide und Mähwiese genutzt. Nach dem Zonenplan der Gemeinde Nesslau vom 2. April 1974 war für diese Parzelle folgende Zonenordnung vorgesehen: Im Zentrum des Grundstücks lag zusammenhängend eine Grünzone. Diese wurde einerseits aus landschaftsschützerischen Gründen zur Freihaltung der Hürnlihügelkuppe und anderseits zur Erhaltung des Ski- und Schlittelübungsgeländes für kleinere Kinder ausgeschieden. Die Grünzone deckte die Kuppel des Hürnlibüchels ab und dehnte sich gegen Nordwesten hin bis hinunter zur Quartierstrasse am Fusse der Anhöhe aus. In Richtung Süden und Südosten reichte sie bis etwa auf die halbe Höhe des Hügels hinab. Hangabwärts schloss eine Wohnzone für zweigeschossige Bauten an. Im nördlichen Abschnitt der Parzelle befanden sich - von Osten nach Westen betrachtet - eine Wohnzone für zweigeschossige Bauten, eine Wohnzone für Ein- und Zweifamilienhäuser sowie ein Teil übriges Gemeindegebiet. Der westliche Abschnitt der Parzelle Nr. 98 lag in einer Wohnzone für Ein- und Zweifamilienhäuser.
BGE 119 Ia 411 S. 413
Am 26. Oktober 1988 beschloss der Gemeinderat Nesslau den neuen Zonenplan, eine Schutzverordnung sowie das neue Baureglement. Diese Unterlagen lagen vom 14. Dezember 1988 bis am 12. Januar 1989 öffentlich auf. Im neuen Zonenplan wurde die Zonenordnung für das Gebiet Hürnlihügel wie folgt geändert: Die zentrale Grünzone wurde im südlichen und nördlichen Kuppenbereich zurückgenommen und dafür am nordwestlichen Abhang beim Ski- und Schlittelgelände geringfügig erweitert. Die Wohnzone für zweigeschossige Bauten an der südlichen Flanke wurde in die Wohnzone für Ein- und Zweifamilienhäuser umgeteilt. Diese wurde zulasten der Grünzone auf rund drei Viertel der Höhe des Hügels hangaufwärts ausgedehnt. Der nördliche Teil des Grundstücks wurde bis auf einen - in der Wohnzone für Ein- und Zweifamilienhäuser verbleibenden - Geländestreifen von einer Bautiefe entlang der Lutenwilerstrasse ganz der Wohnzone für zweigeschossige Bauten zugeteilt. Ebenso wurde der westliche Hang des Hügels von der Wohnzone für Ein- und Zweifamilienhäuser in die Wohnzone für zweigeschossige Bauten umgeteilt.
Gegen diese Neueinteilung erhob S. Einsprache, welche vom Gemeinderat am 11. April 1989 zur Hauptsache abgewiesen wurde. Zonenplan, Schutzverordnung und Baureglement wurden vom 26. April bis am 25. Mai 1989 dem fakultativen Referendum unterstellt. Die Volksabstimmung wurde nicht verlangt. Am 31. Mai 1989 gab der Gemeinderat S. von der stillschweigenden Zustimmung der Bürgerschaft Kenntnis und eröffnete ihm eine Rekursfrist von 14 Tagen.
Gegen diesen Entscheid erhob S. Rekurs beim Regierungsrat des Kantons St. Gallen und beantragte (soweit hier wesentlich), der Beschluss des Gemeinderates vom 11. April 1989 betreffend den Zonenplan Nesslau sei aufzuheben; das ganze Grundstück Nr. 98 - also auch die der Grünzone zugewiesene Fläche - sei in die Bauzone einzuteilen. Sodann verlangte S. verschiedene weitere Zonierungsänderungen in bezug auf seine Parzelle.
Am 8. Januar 1991 wies der Regierungsrat des Kantons St. Gallen den Rekurs ab, soweit dieser im Hinblick auf den erfolgten Teilrückzug noch zu behandeln war.

B.- Mit Eingabe vom 15. Februar 1991 erhob S. "staatsrechtliche und/oder Verwaltungsgerichtsbeschwerde" insbesondere wegen Verletzung von Art. 4 und 22ter BV sowie wegen Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Er beantragte (soweit hier wesentlich), der
BGE 119 Ia 411 S. 414
Beschluss des Regierungsrates vom 8. Januar 1991 sei aufzuheben. Sodann sei insbesondere festzustellen:
"a) dass es an einem genügenden öffentlichen Interesse für eine Grünzone auf dem Grundstück Nr. 98 und insbesondere für die Strassenvariante des Planungsamtes fehle, die Gemeinde also nicht befugt sei, das Grundstück durch Einteilung in die Grünzone (mit Ausnahme der Hürnlikuppe) zu enteignen,
b) dass das Interesse des Beschwerdeführers am Eigentum des Grundstücks Nr. 98 (mit Ausnahme der Hürnlikuppe) grösser sei als dasjenige der Gemeinde, das Grundstück zu enteignen."
Mit Vernehmlassung vom 7. Mai 1991 beantragte das Baudepartement des Kantons St. Gallen in Vertretung des Regierungsrates, auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen. Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde sei bis zur Genehmigung des neuen Zonenplanes der Gemeinde Nesslau zu sistieren, und die staatsrechtliche Beschwerde sei alsdann abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei; eventuell sei auf diese Beschwerde nicht einzutreten.
Mit Präsidialverfügung vom 28. Juni 1991 wurde das bundesgerichtliche Verfahren bis zu der durch das Baudepartement vorzunehmenden Genehmigung des neuen Zonenplanes der Gemeinde Nesslau ausgesetzt.
Mit Verfügung vom 20. Oktober 1992 genehmigte das Baudepartement den neuen Zonenplan und das neue Baureglement der Gemeinde Nesslau unter Vorbehalten, welche für das vorliegende Verfahren nicht erheblich sind.
Am 30. Oktober 1992 wurde das bundesgerichtliche Verfahren wiederaufgenommen.
Im Rahmen des zweiten Schriftenwechsels äusserten sich der Beschwerdeführer und das Baudepartement erneut zur Sache, wobei sie an ihren bereits ausführlich dargelegten Rechtsstandpunkten festhielten. Die Gemeinde Nesslau verzichtete darauf, sich vernehmen zu lassen.
Am 13. Oktober 1993 ist eine öffentliche Parteiverhandlung durchgeführt worden. Mit ihren Parteivorträgen haben sowohl der Beschwerdeführer als auch die Regierungs- und Gemeindevertreter ihre bisherigen Begehren und deren Begründung bestätigt.
Das Bundesgericht tritt auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht ein und weist die staatsrechtliche Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
BGE 119 Ia 411 S. 415

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. (Prüfung der Eintretensvoraussetzungen. Streitgegenstand bildet nur die zonenrechtliche Behandlung der Parzelle Nr. 98 des Beschwerdeführers. Diesbezüglich steht nach Art. 34 Abs. 3 RPG einzig die staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht offen. Ob diese Planungsmassnahme eine materielle Enteignung bewirkt, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Zur Beurteilung dieser Frage sieht das Gesetz vom 6. Juni 1972 über die Raumplanung und das öffentliche Baurecht des Kantons St. Gallen [BauG] in Art. 125 ein besonderes Verfahren vor, in welchem als letzte kantonale Instanz das Verwaltungsgericht vorgesehen ist. Aus diesen Gründen ist auf die vorliegende Beschwerde nicht einzutreten, soweit sie als Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht worden ist.)

2. a) Die im vorliegenden Fall umstrittenen Planungsmassnahmen sind mit der Genehmigung durch das Baudepartement des Kantons St. Gallen am 20. Oktober 1992 in Kraft getreten. Sie ersetzen diejenigen Planungsmassnahmen, welche im früheren, vom Baudepartement am 2. April 1974 genehmigten Zonenplan der Gemeinde Nesslau vom 27. Februar 1973 festgesetzt worden waren. Mit dem am 20. Oktober 1992 in Kraft getretenen neuen Zonenplan hat die Gemeinde Nesslau erstmals eine dem eidgenössischen Recht entsprechende Nutzungsordnung geschaffen. Soweit dabei Teile der Parzelle Nr. 98 nicht einer Bauzone zugeschieden worden sind, wurde dabei eine Nichteinzonung in die Bauzone vorgenommen (BGE 118 Ia 151 E. 3b, BGE 118 Ib 38 E. 2c, BGE 117 Ia 434 E. 3b, mit Hinweisen). Diese Feststellung schliesst freilich nicht aus, dass bei der Schaffung des Nutzungsplanes auch die für ein Grundstück früher geltende Rechtsgrundlage mitberücksichtigt wird.
b) Die Zuweisung von Teilen des Grundstücks Nr. 98 zur Grünzone G begrenzt die Baumöglichkeiten des Grundeigentümers. Eine solche Nichteinzonung in die Bauzone ist nur zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, im öffentlichen Interesse liegt und verhältnismässig ist (Art. 22ter Abs. 2 BV; s. BGE 116 Ia 181 E. 3c, BGE 115 Ia 350 E. 3a sowie 384 E. 3, mit Hinweisen). Die Frage der gesetzlichen Grundlage ist im vorliegenden Verfahren nicht umstritten.
Nach Art. 22quater BV stellt der Bund Grundsätze für eine der zweckmässigen Nutzung des Bodens und der geordneten Besiedlung des Landes dienende Raumplanung auf. Der in dieser Bestimmung enthaltene Verfassungsauftrag zur Schaffung der Raumplanung ist
BGE 119 Ia 411 S. 416
der Gewährleistung des Eigentums grundsätzlich gleichgestellt (BGE 105 Ia 330 E. 3c). Im Rahmen des raumplanerischen Auftrags kommt der Begrenzung der Bautätigkeit auf dafür vorgesehene Gebiete unter Verhinderung der Zersiedlung des Landes sowie unter Wahrung schützenswerter Orts- und Landschaftsbilder eine vorrangige Bedeutung zu.
Das Bundesgesetz über die Raumplanung schreibt in Art. 3 Abs. 2 lit. b und d vor, die Landschaft sei zu schonen; Siedlungen, Bauten und Anlagen sollen sich in die Landschaft einordnen, und naturnahe Landschaften und Erholungsräume sollen erhalten bleiben. Gemäss Art. 3 Abs. 3 RPG sind Siedlungen nach den Bedürfnissen der Bevölkerung zu gestalten und in ihrer Ausdehnung zu begrenzen; sodann sollen sie viele Grünflächen und Bäume enthalten (Art. 3 Abs. 3 lit. e RPG). Für die öffentlichen oder im öffentlichen Interesse liegenden Bauten und Anlagen sind sachgerechte Standorte zu bestimmen (Art. 3 Abs. 4 RPG). Nach Art. 15 RPG sollen Bauzonen Land umfassen, das sich für die Überbauung eignet und weitgehend überbaut ist oder voraussichtlich innert 15 Jahren benötigt oder erschlossen wird. Die Prüfung, ob eine Nichtzuweisung eines Grundstücks in die Bauzone auf einem überwiegenden öffentlichen Interesse beruht, hat sich an den genannten Kriterien des Raumplanungsgesetzes zu orientieren. Daneben sind aber auch die raumplanerischen Vorgaben des kantonalen Rechts sowie alle weiteren im konkreten Fall massgebenden Interessen bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen (BGE 117 Ia 436 ff., 497 E. 2e, mit Hinweisen). Aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung bestimmt sich, ob im Einzelfall ein überwiegendes öffentliches Interesse vorliegt, das eine Nichtzuweisung eines Grundstücks in eine Bauzone rechtfertigt.
c) Das Bundesgericht prüft grundsätzlich frei, inwieweit ein öffentliches Interesse für eine Planungsmassnahme gegeben ist. Es auferlegt sich jedoch Zurückhaltung, soweit die Beurteilung von einer Würdigung der örtlichen Verhältnisse abhängt, welche die kantonalen Behörden besser kennen und überblicken können als das Bundesgericht. Zurückhaltung ist namentlich bei der Überprüfung des Verlaufs von Zonengrenzen geboten, da das Bundesgericht nicht oberste Planungsinstanz ist und den Beurteilungsspielraum, der den kantonalen und kommunalen Behörden bei der Planung zukommt, zu beachten hat (vgl. Art. 2 Abs. 3 RPG; s. die soeben zitierte Rechtsprechung, vorstehende lit. b).
Hinsichtlich der Überprüfung des Sachverhalts steht dem Bundesgericht im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren grundsätzlich
BGE 119 Ia 411 S. 417
nur eine Willkürkognition zu (BGE 115 Ia 384 E. 3; s. in diesem Zusammenhang im übrigen nachf. E. 5). Im vorliegenden Fall bringt der Beschwerdeführer eine Vielzahl von Sachverhaltsrügen vor. Dabei handelt es sich zum Teil um die Interessenabwägung betreffende Fragen. Die von ihm geltend gemachten wirklichen Sachverhaltsrügen sind für die Interessenabwägung und damit für den vom Bundesgericht zu treffenden Entscheid im wesentlichen unerheblich. Im übrigen sind sie ... offensichtlich unbegründet.

3. (Interessenabwägung.) ... Wie der Regierungsrat im angefochtenen Entscheid zutreffend darlegt, sprechen verschiedene Gesichtspunkte für die im vorliegenden Verfahren umstrittene Festsetzung der Grünzone im Bereich von Parzelle Nr. 98. Neben dem Anliegen des Sports sind auch Gesichtspunkte des Landschafts- und Ortsbildschutzes von Bedeutung. Die vom Regierungsrat vorgenommene Interessenabwägung bei der Ausscheidung dieser Grünzone ist nicht zu beanstanden. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, vermag nicht zu überzeugen. Er will die Grünzonenfestsetzung insbesondere mit dem Argument korrigieren, sie verunmögliche eine zweckmässige Erschliessung des im Gebiet Hürnlihügel liegenden Baulandes. Dabei ist er lediglich befugt, sich für die Erschliessung seines eigenen Landes zu wehren. Einzuräumen ist, dass die Erschliessungsvariante des kantonalen Planungsamtes für das auf Parzelle Nr. 98 ausgeschiedene Bauzonenland nicht geradezu ideal ist. Der Regierungsrat ist aber der Auffassung, dieses Bauzonenland sei weder strassenmässig noch zweckmässig erschliessbar. Er nimmt dabei auf einem kleineren Stück eine Steigung von 13,5% in Kauf, wobei er eine gewisse Reduktion derselben im Rahmen der definitiven Strassenplanung für möglich hält. Käme man nun mit dem Beschwerdeführer zum Schluss, die vom Planungsamt ausgearbeitete Erschliessungsvariante sei unzweckmässig, so hätte dies nicht zwingend zur Folge, dass weiteres Grünzonenland der Bauzone zugewiesen werden müsste. Vielmehr wäre diesfalls angesichts des grossen öffentlichen Interesses an der Ausscheidung von Grünzonenland auf Parzelle Nr. 98 zu prüfen, ob nicht das auf solche Weise nur unzweckmässig erschliessbare Land ebenfalls aus der Bauzone entlassen und einer Nichtbauzone - d.h. ebenfalls der Grünzone - zugewiesen werden müsste. Eine solche Lösung läge aber zweifellos nicht im Interesse des Beschwerdeführers. Das kantonale Baudepartement stand somit bei der Genehmigung der Ortsplanungsrevision der Gemeinde Nesslau vor der Frage, ob es die von der Gemeinde in bezug auf das Grundstück Nr. 98 vorgesehene Einzonung
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in die Bauzone trotz den nicht idealen Erschliessungsverhältnissen akzeptieren wolle oder ob es die Gemeinde anhalten solle, hinsichtlich der Parzelle weitere Nichteinzonungen vorzunehmen, um den Erschliessungsschwierigkeiten auf diesem Wege Rechnung zu tragen. Zugunsten des Beschwerdeführers hat es dann die von der Gemeinde vorgenommenen Baulandzuweisungen genehmigt in der Meinung, diese seien - wie im angefochtenen Regierungsratsentscheid dargelegt wird - im Lichte der Erschliessungsvariante des Planungsamtes noch haltbar. Wird die Sach- und Rechtslage so betrachtet, so ist der angefochtene Entscheid des Regierungsrates nicht zu beanstanden. Dieser hat zu Recht nur geprüft, ob sich das der Bauzone zugeschiedene Land der Parzelle Nr. 98 auf vernünftige und zweckmässige Weise strassenmässig erschliessen lässt. Er hat dabei nicht gesagt, die vom Planungsamt skizzierte strassenmässige Erschliessungsvariante müsse später realisiert werden, sondern nur zum Ausdruck gebracht, diese Variante zeige auf, dass eine solche Erschliessung dieses Baulandes ohne Durchquerung des von der Grünzone geschützten Ski- und Schlittelgeländes möglich sei. Mehr musste der Regierungsrat im Rahmen der hier zu beurteilenden Zonierungsfrage nicht prüfen. (Auch die weiteren vom Beschwerdeführer erhobenen Einwände, mit denen er in bezug auf nicht der Grünzone, sondern der Bauzone zugewiesene Teile seiner Parzelle die Gewährung einer höheren Ausnützungsmöglichkeit verlangt, sind unbegründet. Die durch den Regierungsrat vorgenommene Zonierung ist insgesamt als im öffentlichen Interesse liegend zu bezeichnen und bedeutet keinen unverhältnismässigen Eingriff in das Eigentum des Beschwerdeführers; sie ist daher im Lichte von Art. 22ter BV nicht zu beanstanden.)

4. (Die vom Beschwerdeführer als Sachverhaltsrügen bezeichneten Einwände stellen in Wirklichkeit gar keine solchen Rügen dar, sondern kommen vielmehr in erster Linie einer Kritik an der durch den Regierungsrat vorgenommenen Interessenabwägung gleich. Wie erwähnt, ist diese Interessenabwägung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Soweit die Vorwürfe nebenbei als Kritik an den Sachverhaltsfeststellungen aufgefasst werden können, ist diese Kritik offensichtlich unbegründet; die davon erfassten Sachverhaltsfeststellungen des Regierungsrates können nicht nur als willkürfrei, sondern ohne weiteres als zutreffend bezeichnet werden. Auch insoweit kann daher von einer Verfassungsrechtsverletzung nicht die Rede sein.)
BGE 119 Ia 411 S. 419

5. Der Beschwerdeführer bringt schliesslich vor, der angefochtene Regierungsratsbeschluss verstosse gegen Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Im vorliegenden Fall gehe es insbesondere um die Frage, ob die Einzonung eines Teils der Parzelle Nr. 98 in die Grünzone zulässig sei oder nicht. Dabei handle es sich um die Frage, ob eine materielle Enteignung zulässig sei. Diese Frage werde im Rahmen der formellen Enteignung und auch im Rahmen des Entschädigungsverfahrens nicht mehr geprüft. Sie sei daher im Rahmen der Überprüfung des Zonenplanes zu entscheiden. Dabei handle es sich zweifellos um eine Streitigkeit gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Da er - der Beschwerdeführer - durch eine materielle Enteignung betroffen werde, habe er einen Anspruch darauf, dass sein Rekurs von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht beurteilt werde. Der Beschwerdeführer begründet seine Rüge, der angefochtene Entscheid verletze Art. 6 Ziff. 1 EMRK, ausschliesslich damit, der Einbezug der Parzelle Nr. 98 in die Grünzone betreffe enteignungsrechtlich relevante zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen im Sinne dieser Vorschrift.
Bei der Zuweisung von Teilen des Grundstücks Nr. 98 in die Grünzone geht es, wie bereits dargelegt, um eine Massnahme der Zonenplanung. Damit wird der öffentlichen Hand entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kein Enteignungsrecht eingeräumt. Ob die Massnahme eine materielle Enteignung bewirkt, ist nicht im vorliegenden, sondern allenfalls in einem späteren, vom Beschwerdeführer separat einzuleitenden Verfahren zu beurteilen, in dem das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen als letzte kantonale Instanz angerufen werden kann (Art. 125 BauG). Nach der Praxis des Bundesgerichts ist es bei der Überprüfung von Zonenplänen möglich, dass ungeachtet der Frage, ob eine "Streitigkeit über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen" nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK vorliegt, das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung von Art. 22ter BV der geforderten Rechtsanwendungskontrolle genügt (BGE 117 Ia 497 E. 2c-e, mit Hinweisen; s. auch BGE vom 11. November 1992 betr. Gemeinde Maur, in ZBl 94/1993 S. 475 ff. E. 5). Auch hier ist offenzulassen, ob es um "zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen" geht; vorliegend genügt jedenfalls das staatsrechtliche Beschwerdeverfahren den Anforderungen von Art. 6 Ziff. 1 EMRK. In tatsächlicher Hinsicht ist festzustellen, dass der rechtserhebliche Sachverhalt hinsichtlich der umstrittenen Ausscheidung der Grünzone nicht in entscheidrelevanter Weise umstritten ist. Der Beschränkung der Kognition des Bundesgerichts
BGE 119 Ia 411 S. 420
hinsichtlich der Überprüfung von Sachverhaltsfragen allein auf das Willkürverbot (Art. 4 BV) hin kommt deshalb keine Bedeutung zu. Die in Frage stehenden Rechtsgrundlagen für diese Zonierungsmassnahme sind unbestrittenermassen genügend, was sich auch bei einer freien Prüfung dieser Frage ergibt. Ob die öffentlichen die entgegenstehenden privaten Interessen überwiegen, ist wie die Frage der Verhältnismässigkeit des Eigentumseingriffs ebenfalls ohne Kognitionsbeschränkung frei geprüft worden.
Hieraus folgt, dass die für den Ausgang des Verfahrens massgebenden Sachverhalts- und Rechtsfragen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) von einem Gericht umfassend geprüft worden sind (s. betreffend Sachverhaltsfragen das Urteil Belilos des EGMR vom 29. April 1988, Ziff. 71 und 72, Série A vol. 132 = EuGRZ 1989 S. 21 [S. 31 f.]; betreffend Rechtskontrolle Urteil Oerlemans vom 27. November 1991, Ziff. 53 und 56, Série A vol. 219, Urteil Mats Jacobsson vom 28. Juni 1990, Ziff. 32 und 34, Série A vol. 180-A = RUDH 1990 S. 434 [S. 436], Urteil Skärby vom 28. Juni 1990, Ziff. 28 und 29, Série A vol. 180-B = RUDH 1990 S. 437 [S. 440], und Urteil Allan Jacobsson vom 25. Oktober 1989, Ziff. 69 und 73, Série A vol. 163 = RUDH 1989 S. 166 [S. 168]). Aus den zitierten Urteilen ergibt sich weiter, dass die richterliche Zurückhaltung bei der Beurteilung des den Behörden zustehenden Planungsermessens der EMRK nicht widerspricht; sie steht der verlangten umfassenden Rechtsanwendungskontrolle nicht entgegen (BGE 117 Ia 497 E. 2e, s. auch BGE 119 Ia 88 E. 5, mit weiteren Hinweisen, sowie das schon erwähnte Urteil vom 11. November 1992 in ZBl 94/1993 S. 475 ff.; EBERHARD SCHMIDT-ASSMANN, Verfahrensgarantien im Bereich des öffentlichen Rechts mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK, in: Schriften des österreichischen Instituts für Menschenrechte, Band 1, 1989, S. 89 ff., S. 106 f.). Ob das Baudepartement und der Regierungsrat ihren Beurteilungs- und Ermessensspielraum pflichtgemäss ausgeübt haben oder ob Ermessensmissbrauch bzw. -überschreitung vorliegen, ist Rechtsfrage und ist vom Verfassungsrichter vorstehend ohne Kognitionsbeschränkung geprüft worden.
Beizufügen ist im übrigen, dass das vorliegende bundesgerichtliche Urteil von der interessierten Öffentlichkeit bei der Bundesgerichtskanzlei eingesehen und im Bedarfsfall als Kopie verlangt werden kann, so dass - nachdem am 13. Oktober 1993 bereits eine öffentliche Parteiverhandlung stattgefunden hat (oben B) - auch dem ebenfalls in Art. 6 Ziff. 1 EMRK verankerten Öffentlichkeitsgrundsatz
BGE 119 Ia 411 S. 421
angemessen Nachachtung verschafft worden ist (s. aus der EGMR-Rechtsprechung insb. Urteil Sutter vom 22. Februar 1984, Ziff. 34, Série A vol. 74 = EuGRZ 1985 S. 232 = VPB 48/1984 Nr. 83, und Urteil Axen vom 8. Dezember 1983, Ziff. 30 f., Série A vol. 72 = EuGRZ 1985 S. 228; in diesem Zusammenhang ARTHUR HAEFLIGER, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, Bern 1993, S. 159; VELU/ERGEC, La Convention européenne des droits de l'homme, Bruxelles 1990, N. 504 und N. 506 S. 434 f.; MIEHSLER/VOGLER, Internationaler Kommentar zur EMRK, N. 340 zu Art. 6).

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