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Urteilskopf

119 II 368


75. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 1. Juli 1993 i.S. D. gegen R. F. (Berufung)

Regeste

Anspruch auf Kostengutsprache bei der Rechtsschutzversicherung. Voraussetzungen und Verjährung.
1. Der Rechtsschutzversicherte hat gegenüber der Versicherungsgesellschaft Anspruch auf Kostengutsprache vor Einleitung eines Prozesses. Dieser Anspruch kann auf dem Prozessweg geltend gemacht werden (E. 2).
2. Sieht der Versicherungsvertrag vor, dass die Versichererin die Übernahme von Prozesskosten verweigern könne, wenn sie den Prozess als "aussichtslos betrachte", so beurteilt sich die Aussichtslosigkeit nach objektiven Massstäben. Es ist der gleiche Begriff, wie bei der Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Aussichtslosigkeit im vorliegenden Fall verneint (E. 4 und 5).
3. Die Gutsprache für die Kosten der aussergerichtlichen Geltendmachung eines Anspruchs unterbricht auch die Verjährung für den Anspruch auf Übernahme der Prozesskosten, wenn aussergerichtlich keine Einigung zustande kommt (E. 7).

Sachverhalt ab Seite 369

BGE 119 II 368 S. 369

A.- R. F. leidet an Hydrocephalus internus und benötigt deshalb eine Drainage. Eine im Kinderspital X. durchgeführte Operation, bei der dieses Drainagesystem entfernt wurde, führte zu Komplikationen, die eine Hirnschädigung zur Folge hatten. R. F. ist seither zu 100% invalid.
R. F. ist bei der O. Kranken- und Unfallversicherung u.a. gegen die Folgen von Unfallinvalidität versichert. Die O. Kranken- und Unfallversicherung ihrerseits ist im Rahmen eines Kollektivversicherungsvertrages bei der S. rückversichert.
Der Vater von R. F. ist bei der D. rechtsschutzversichert. Der Versicherungsschutz erstreckt sich nicht nur auf den Versicherungsnehmer, sondern auch auf dessen minderjährige Kinder.

B.- Nachdem die O. Kranken- und Unfallversicherung mit dem Argument, es handle sich nicht um einen Unfallschaden, eine Invaliditätsentschädigung abgelehnt hatte, zeigte R. F. am 23. Dezember 1987 der D. den Schadenfall an. Diese leistete R. F. in der Folge für die aussergerichtliche Erledigung der zivilrechtlichen Ansprüche aus Arzthaftpflicht gegen den Kanton X. und aus Unfallversicherungsvertrag gegenüber der O. Kostengutsprache.
Das Verfahren gegen das Kinderspital X. wurde in der Zwischenzeit vergleichsweise erledigt. Die D. bezahlte für die in diesem Verfahren angefallenen Anwaltskosten einen Betrag von Fr. 30'000.--. Demgegenüber lehnte die S. als Rückversichererin der O. mit Schreiben vom 9. März 1990 an den Rechtsvertreter von R. F. jeden Anspruch auf Invaliditätsentschädigung ab.
BGE 119 II 368 S. 370
Dieses Schreiben wurde an die D. weitergeleitet. Diese lehnte das Gesuch um Kostengutsprache für einen Prozess gegen die O. (bzw. die S.) ab.

C.- Mit Leitschein vom 20. August 1991 und Rechtsschrift ihres Anwalts vom 18. September 1990 klagte R. F. beim Kantonsgericht Appenzell Ausserrhoden gegen die D. auf Feststellung, dass bei letzterer bis zu einem Maximalbetrag von Fr. 220'000.-- für die Durchsetzung des Anspruchs auf Invaliditätsentschädigung gegenüber der O. (bzw. der S.) Kostendeckung bestehe. Mit Urteil vom 7. Januar 1991 hiess das Kantonsgericht die Klage gut.
Eine von der D. gegen diesen Entscheid erhobene Appellation wurde am 26. Mai 1992 vom Obergericht von Appenzell Ausserrhoden abgewiesen.

D.- Die D. gelangt mit Berufung an das Bundesgericht und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides sowie das Nichteintreten auf die Klage bzw. deren Abweisung.
R. F. beantragt die Abweisung der Berufung, soweit darauf einzutreten sei; das Obergericht von Appenzell Ausserrhoden hat mit dem Hinweis auf die Begründung des angefochtenen Entscheides von Gegenbemerkungen abgesehen.

E.- Eine von der D. gleichzeitig erhobene staatsrechtliche Beschwerde ist am 9. Juni 1993 vom Bundesgericht abgewiesen worden, soweit auf sie eingetreten werden konnte.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Die Beklagte bestreitet die Zulässigkeit einer Feststellungsklage.
a) Sofern das festzustellende Recht seine Grundlage im Bundeszivilrecht hat, beurteilt sich die Zulässigkeit einer Feststellungsklage ausschliesslich nach diesem. Nach der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung steht es den Kantonen auch nicht zu, die Feststellungsklage in weiterem Umfang zuzulassen, als dies das Bundesrecht vorsieht (BGE 110 II 354 ff.; BGE 118 II 524; ZBJV 1993, S. 194). Jede Feststellungsklage setzt ein Feststellungsinteresse voraus. Ein solches Interesse ist in der Regel nicht gegeben, wenn eine Leistungsklage möglich ist. Die Feststellungsklage ist subsidiär zu dieser (VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts, 3. Aufl., Bern 1992, S. 173).
Es geht vorliegend darum, im Vorfeld eines Prozesses von der Rechtsschutzversicherung die Zusicherung zu erhalten, dass sie
BGE 119 II 368 S. 371
allfällige Kosten übernehmen werde. Ein Anspruch auf Vergütung irgendwelcher Prozesskosten besteht zur Zeit nicht. Eine Klage auf Bezahlung von Geld ist mangels Fälligkeit somit noch nicht möglich und kann deshalb einem Feststellungsanspruch auch nicht entgegenstehen (VOGEL, S. 170). Fraglich scheint demgegenüber, ob mit einer Leistungsklage verlangt werden könnte, dass die Beklagte die Übernahme künftiger Kosten zusichert. Die Klage ginge auf Abgabe einer Willenserklärung. Diese würde dann durch das Urteil ersetzt (BGE 97 II 51). Jedenfalls wird mit der Klage die Klärung der Frage verlangt, ob die Beklagte künftig entstehende Kosten zu tragen habe. Es handelt sich somit um den Entscheid über eine künftige Leistungspflicht. Die Klägerin hat ohne jeden Zweifel ein Interesse daran, dies verbindlich festgestellt zu haben.
b) Zu Recht macht die Beklagte geltend, dass es nicht angehe, mit der Feststellungsklage eine fehlende Leistungspflicht zu schaffen. Es wäre deshalb unzulässig, mit einem Feststellungsurteil über den Anspruch zu befinden, welcher der Klägerin gegenüber der Beklagten gegebenenfalls zustehen wird, nachdem die Prozesskosten angefallen sind. Darum geht es aber vorliegend gar nicht. Die Klägerin will nur, dass darüber befunden wird, ob die Beklagte grundsätzlich das Kostenrisiko zu übernehmen habe oder nicht. Dabei sind zwei Fragen auseinander zu halten: Zuerst muss geklärt werden, ob der Versicherungsvertrag überhaupt einen Anspruch darauf gibt, im Vorfeld eines Prozesses eine Kostengutsprache zu erhalten, oder ob die Versicherung nur verpflichtet ist, im nachhinein die Kosten zu tragen. Falls ein Anspruch auch auf Kostengutsprache dem Grundsatz nach besteht, ist sodann zu prüfen, ob dessen Voraussetzungen im einzelnen erfüllt sind oder nicht.
Beide Fragen betreffen aber nicht die Klageart, sondern die sich aus dem Versicherungsvertrag ergebenden Ansprüche. Gegen ein Feststellungsbegehren ist somit nichts einzuwenden.

4. Wie sich gezeigt hat, besteht ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Kostengutsprache, sofern die vertraglichen Voraussetzungen im einzelnen erfüllt sind. Zu diesen Voraussetzungen gehört, dass der Rechtsstreit, für dessen Durchführung eine Kostengutsprache verlangt wird, nicht als aussichtslos erscheint. Das Gericht kann somit überprüfen, ob Aussichtslosigkeit im Sinne der allgemeinen Vertragsbedingungen vorliegt oder nicht. Wie der Begriff der Aussichtslosigkeit in diesem Zusammenhang zu verstehen ist, bestimmt sich nach Art. 11 AVB.
BGE 119 II 368 S. 372
Die Beklagte macht geltend, für den nun eingetretenen Fall, dass diese Anspruchsvoraussetzung überhaupt einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich sei, könne sich diese Prüfung nur auf Willkür beschränken. Art. 11 AVB sehe vor, dass die Versicherung die Kostengutsprache ablehnen könne, wenn sie die weiteren Rechtsschritte als "aussichtslos betrachtet". Es komme somit nur auf die subjektive Beurteilung der Versicherung an, und nur geradezu willkürliche Beurteilungen der Aussichtslosigkeit seien vom Gericht zu korrigieren. Das Obergericht hat demgegenüber angenommen, der Begriff der Aussichtslosigkeit in Art. 11 AVB entspreche dem im Prozessrecht insbesondere an Hand der unentgeltlichen Rechtspflege entwickelten Begriff.
a) Art. 11 AVB schränkt die Leistungspflicht der Beklagten ein. Es handelt sich indessen nicht um eine Ausschlussklausel im Sinne von Art. 33 VVG, da diese Vertragsbestimmung nicht die versicherte Gefahr umschreibt, sondern nur verhindern will, dass der Versicherer für unnötige Vermögensschäden aufkommen muss. Es handelt sich damit um eine Konkretisierung des allgemeinen Grundsatzes, dass es dem Versicherten obliegt, den Schaden möglichst klein zu halten (Art. 61 Versicherungsvertragsgesetz SR 221.229.1, VVG; vgl. MAURER, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, Bern 1986, S. 324). Auf Art. 11 AVB sind indessen die allgemeinen Auslegungsregeln anwendbar.
b) Die Beklagte will den Begriff der Aussichtslosigkeit rein subjektiv ausgelegt haben. Nach dem Wortlaut des Vertrages könne sie Leistungen vorerst ablehnen, wenn sie die Weiterführung des Rechtsstreites als "aussichtslos betrachte". Es komme somit nur auf ihre (nicht willkürliche) Ansicht an.
Die allgemeinen Vertragsbedingungen beim Versicherungsvertrag sind aber nicht nur nach ihrem Wortlaut auszulegen. Vielmehr ist wie bei jedem Vertrag (BGE 112 II 253 E. c.) grundsätzlich der wirkliche Wille der Parteien zu ermitteln. Ist dies nicht möglich, so muss auf den mutmasslichen Willen abgestellt werden. Er ist nach dem Vertrauensgrundsatz aufgrund aller Umstände des Vertragsschlusses zu ermitteln (BGE 113 II 51 E. b.; BGE 107 II 418 und 476). Dabei hat das Gericht zu berücksichtigen, was sachgerecht ist, weil nicht anzunehmen ist, dass die Parteien eine unangemessene Lösung gewollt haben. Da das dispositive Recht in der Regel die Interessen der Parteien ausgewogen wahrt, hat die Partei, die davon abweichen will, dies mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck zu bringen (BGE 113 II 51; JÄGGI/GAUCH, Zürcher Kommentar, 1980, N. 447 zu
BGE 119 II 368 S. 373
Art. 18 OR; KRAMER, Berner Kommentar, 1985, N. 48 zu Art. 18 OR). Schliesslich gilt nach konstanter Rechtsprechung, dass gemäss der sogenannten Unklarheitsregel zweideutige Wendungen in allgemeinen, formularmässig vorgeformten Vertragsbedingungen im Zweifel zu Lasten ihres Verfassers auszulegen sind (BGE 115 II 268 f. mit Hinweisen; JÄGGI/GAUCH, N. 451 ff. zu Art. 18 OR; einschränkend: MAURER, S. 146 f.). Bei Verwendung juristischer Fachausdrücke ist in der Regel zu vermuten, dass der technische Sinn gemeint ist (KRAMER, N. 24 zu Art. 18 OR). Schliesslich ist auch der Vertragszweck zu beachten (KRAMER, N. 35 zu Art. 18 OR).
Vorliegend verwendet der Vertrag einen Ausdruck, der - wie das Obergericht zu Recht feststellt - aus dem Prozessrecht bestens bekannt ist. Zudem erfüllt er im Prozessrecht grundsätzlich die gleiche Funktion wie im vorliegenden Vertrag. Die Prozesskosten im weiteren Sinn hindern in der Regel eine Partei daran, Prozesse zu führen, bei denen die Aussicht auf Erfolg in keinem vernünftigen Verhältnis zum eingegangenen Risiko steht. Da sowohl der die unentgeltliche Rechtspflege Beanspruchende wie auch der Rechtsschutzversicherte mit Bezug auf die Kosten den Prozess auf fremdes Risiko führen, entfiele diese Schranke gegenüber überflüssigen Prozessführungen, wenn die entsprechenden Leistungen nicht bei Aussichtslosigkeit verweigert werden könnten. Der mit Art. 11 AVB verfolgte Zweck gebietet es schon von daher, die Aussichtslosigkeit hier im technischen Sinne des Prozessrechts zu verstehen. Zum gleichen Ergebnis führt auch die Unklarheitsregel, ist es doch die Beklagte, die die allgemeinen Vertragsbedingungen formuliert hat. Überdies müsste es als ungewöhnlich angesehen werden, wenn hier ein weiterer Begriff der Aussichtslosigkeit gemeint wäre als bei der unentgeltlichen Rechtspflege. Wohl ist es nicht ungewöhnlich, dass eine Rechtsschutzversicherung ihre Leistungen verweigert, wenn der Prozess aussichtslos ist, wie die Beklagte ausführt. Daraus kann aber nichts für die Frage geschlossen werden, wie dieser Begriff zu verstehen ist. Der Versicherungsnehmer darf davon ausgehen, dass ihn die Rechtsschutzversicherung wenigstens in dem Rahmen von den Prozesskosten befreit, wie bei Bedürftigkeit ihn der Staat davon entlastet. Eine darüber hinausgehende Möglichkeit, die Leistung schon dann zu verweigern, wenn der Versicherung die Sache bloss subjektiv als aussichtslos erscheint, müsste demgegenüber als ungewöhnlich bezeichnet werden.
Das Obergericht hat somit zu Recht seinem Entscheid über die Aussichtslosigkeit die vom Bundesgericht im Zusammenhang mit
BGE 119 II 368 S. 374
der unentgeltlichen Prozessführung entwickelte Rechtsprechung zugrunde gelegt.

5. a) Die Beklagte erachtet den von der Klägerin angestrengten Prozess als aussichtslos, weil die geltend gemachte Forderung verjährt sei.
Die Beklagte bestreitet indessen nicht, dass die S., bei der die O. offenbar rückversichert ist, gegenüber der Klägerin auf die Verjährungseinrede verzichtet habe. Vertragspartnerin der Klägerin sei aber die O. und nicht die S. Der Verzicht dieser könne jener nicht entgegengehalten werden. Die O. verweigere jede Zahlung. Von daher sei es unwahrscheinlich, dass sie sich nicht auf die Verjährung berufe.
Die Verjährung lässt die Forderung nicht untergehen, sondern bewirkt, dass der Schuldner unter Berufung auf die Verjährung seine immer noch geschuldete Leistung verweigern kann. Es handelt sich um eine Einrede im technischen Sinne (VON TUHR/ESCHER, OR AT, Zürich 1974, S. 230 f.). Sie ist deshalb nur zu berücksichtigen, wenn sie vom Schuldner geltend gemacht wird. Verweigert ein Schuldner die Leistung, hat er damit die Verjährung noch nicht geltend gemacht. Allerdings erscheint es in der Tat in der Regel unwahrscheinlich, dass ein Schuldner, der im Vorfeld eines Prozesses jede Leistung verweigert, sich im Prozess nicht auf die Verjährung berufen wird. Indessen sind Ausnahmen durchaus vorstellbar. Insbesondere braucht mit der Berufung auf die Verjährung durch eine Versicherung nicht gerechnet zu werden, wenn diese für den entsprechenden Schaden rückversichert ist und die Rückversicherung ihrerseits auf die Einrede der Verjährung gegenüber dem Versicherten verzichtet hat. Diesfalls hat die Versicherung den Schaden nicht selber zu tragen und sie wird von daher kaum ein Interesse haben, die Verjährung geltend zu machen. Solche Umstände sind aber vorliegend unbestrittenermassen gegeben. Auch lehrt die Erfahrung, dass Versicherer bisweilen in grundsätzlichen Fällen auf die Verjährungseinrede im Prozess verzichten. Von daher kann die Aussichtslosigkeit nicht schon damit begründet werden, dass sich die S. möglicherweise auf die Verjährung berufen könne, wenn sie das bis anhin nicht getan hat.
b) Die Beklagte erachtet den von der Klägerin beabsichtigten Prozess auch deshalb für aussichtslos, weil gar kein Unfall vorliege, was aber Voraussetzung sei, um von der S. (beziehungsweise der O.) eine Invaliditätsentschädigung zu erhalten.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts, die nun auch in Art. 9 Abs. 1 UVV (SR 832.202)
BGE 119 II 368 S. 375
ihren Niederschlag gefunden hat (BGE 116 V 138, E. 3a und 147 E. 2a mit Hinweisen), gilt als Unfall die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper. Die Ungewöhnlichkeit bezieht sich dabei auf das Einwirken des äusseren Faktors und nicht auf dessen Auswirkungen. Für das Vorliegen eines Unfalls genügt es demgemäss nicht, dass ein Ereignis schwerwiegende, ungewöhnliche Folgen nach sich zieht. Vielmehr muss das Ereignis selber ungewöhnlich sein (BGE 118 V 284 E. 2a). Diese Grundsätze zum Begriffsmerkmal der Ungewöhnlichkeit gelten auch, wenn zu beurteilen ist, ob ein ärztlicher Eingriff den gesetzlichen Unfallbegriff erfüllt. Damit ein ärztlicher Eingriff als ungewöhnlicher äusserer Faktor qualifiziert werden kann, muss seine Vornahme unter den jeweils gegebenen Umständen vom medizinisch Üblichen ganz erheblich abweichen und zudem, objektiv betrachtet, entsprechend grosse Risiken in sich schliessen. Im Rahmen einer Krankheitsbehandlung, für welche der Unfallversicherer nicht leistungspflichtig ist, kann ein Behandlungsfehler ausnahmsweise den Unfallbegriff erfüllen, nämlich wenn es sich um grobe und ausserordentliche Verwechslungen und Ungeschicklichkeiten oder sogar um absichtliche Schädigung handelt, mit denen niemand rechnet noch zu rechnen braucht. Es wird regelmässig ein Kunstfehler vorliegen, der auch eine zivilrechtliche Haftung des Medizinalpersonals begründen kann (BGE 118 V 284 E. 2b). Die Voraussetzungen des Unfallbegriffs sind aber unabhängig von der zivilrechtlichen Haftung zu beurteilen, und nicht jeder Kunstfehler braucht einen Unfall darzustellen (MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, Bern 1985, S. 180 ff.). Entsprechend kommt auch der Frage, ob eine bestimmte Behandlung überhaupt indiziert war, keine zentrale Bedeutung zu. Erweist sich die Indikation für einen im Rahmen der Krankheitsbehandlung erfolgten Eingriff im nachhinein als falsch, liegt eine blosse Fehlbehandlung vor. Hiefür hat der Unfallversicherer nicht aufzukommen, es sei denn, die (nicht indizierte) Vorkehr selber überschreite die Schwelle der Aussergewöhnlichkeit (BGE 118 V 283 ff. E. 3b).
Ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben sind, mag in der Tat fraglich erscheinen. Das Vorliegen eines Unfalls lässt sich allerdings nicht schon mit dem Hinweis ausschliessen, ein solcher setzte ein aktives Tun oder Unterlassen des medizinischen Personals voraus (BGE 118 V 283 ff. E. 3a). Das heisst nämlich nicht, dass der Fehler ein unmittelbares Manipulieren am Körper sein muss,
BGE 119 II 368 S. 376
wie dies die Beklagte geltend zu machen scheint. Im vorliegenden Fall ist zudem zu beachten, dass Ausgangspunkt für die Schädigung offenbar die Entfernung des Drainagesystems und damit ein unmittelbarer Eingriff in den Körper gebildet hat. Fraglich mag indessen erscheinen, ob die Entfernung der Drainage mit anschliessendem das Hirn schädigendem Überdruck unter den gegebenen Umständen ganz erheblich vom medizinisch Üblichen abwich. Es geht indessen im vorliegenden Verfahren nicht darum zu beurteilen, ob tatsächlich ein Unfall vorliegt. Vielmehr ist die Frage zu entscheiden, ob die Auffassung des Kantonsgerichts - auf die das Obergericht verweist -, es liege ein Unfall vor, als derart abwegig bezeichnet werden muss, dass ein Prozess der Klägerin gegen die Unfallversicherung als von vornherein aussichtslos bezeichnet werden müsste. Das lässt sich aber auf Grund der vorstehenden Überlegungen nicht behaupten.
c) Die Beklagte hält den Rechtsstreit mit der Unfallversicherung auch deshalb für aussichtslos, weil eine konstitutionelle Prädisposition bestanden habe und es auch deshalb an der Plötzlichkeit der schädigenden Einwirkung und der Ungewöhnlichkeit des äusseren Faktors fehle. Dieser Absicht kann nicht gefolgt werden. Ein krankhafter Vorzustand schliesst nicht das Vorliegen eines Unfalls aus, sondern kann als unfallfremder Faktor zu einer Kürzung der Leistungen führen (Art. 36 Unfallversicherungsgesetz, SR 832.20 UVG; MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, a.a.O., S. 468 ff.). Diese ist indessen an die Voraussetzungen gebunden, dass die vorbestehende Gesundheitsschädigung zur Verminderung der Erwerbsfähigkeit geführt hat, beziehungsweise bei Eintritt in das Erwerbsalter die Erwerbsfähigkeit auch ohne den Unfall beeinträchtigt hätte (Art. 36 Abs. 2 KUVG). Dem angefochtenen Entscheid sind aber keine Sachverhaltsfeststellungen zu entnehmen, die auf das Vorliegen dieser Voraussetzungen schliessen liessen. Die Drainage bezweckt beim Hydrocephalus gerade die Hirnschädigung zu vermeiden.
Das Obergericht ist somit zu Recht davon ausgegangen, dass der von der Klägerin gegen die Unfallversicherung bzw. deren Rückversicherung angestrebte Prozess nicht aussichtslos im Sinne von Art. 11 AVB sei.

7. Die Beklagte macht schliesslich geltend, allfällige Ansprüche der Klägerin gegen sie seien gemäss Art. 46 VVG verjährt.
Das Obergericht ging davon aus, dass die zweijährige Verjährungsfrist nach Art. 46 Abs. 1 VVG am 22. Oktober 1987 zu laufen
BGE 119 II 368 S. 377
begonnen hatte. An diesem Datum wurde der Klägerin operativ das Drainagesystem entfernt, was zu den Komplikationen führte, die ihrerseits die vollständige Invalidität der Klägerin zur Folge hatten. Am 28. Dezember 1987 habe die Beklagte eine Kostengutsprache sowohl mit Bezug auf die Streitigkeit mit dem Kanton X. als auch mit der O. zugesichert. Am 11. Dezember 1989 habe sie zudem schriftlich erklärt, dass in Sachen S. grundsätzlich Deckung bestehe. Darin seien nach Treu und Glauben Unterbrechungshandlungen im Sinne von Art. 135 Ziff. 1 OR zu erblicken. Nachdem mit Leitschein vom 20. August 1991 die Klägerin schliesslich die vorliegende Klage eingeleitet habe, stehe fest, dass die Verjährung nicht eingetreten sei.
Die Beklagte teilt die Auffassung der Vorinstanz mit Bezug auf den Beginn der Verjährungsfrist. Demgegenüber erblickt sie in den vom Obergericht aufgeführten Schreiben keine Schuldanerkennungen, die die Verjährung hätten unterbrechen können. Zum einen habe sie keinerlei Gutsprache für eine gerichtliche Auseinandersetzung geleistet, und zum andern habe das zweite Schreiben die Verjährungsfrist nicht unterbrechen können, da diese zu jenem Zeitpunkt bereits abgelaufen gewesen sei.
Ob die Verjährungsfrist schon mit dem Unfall, der Ausgangspunkt des Rechtsstreites bildet, um dessen Kosten es geht, zu laufen beginnt oder erst zu einem späteren Zeitpunkt (vgl. BGE 118 II 456 f.), kann offengelassen werden. Wie sich im folgenden zeigt, ist der Lauf der Verjährungsfrist nämlich rechtzeitig unterbrochen worden.
a) Es trifft zu, dass die Kostengutsprache mit Bezug auf die Streitsache mit der O. von der Beklagten im Schreiben vom 28. Dezember 1987 ausdrücklich "vorerst beschränkt auf die aussergerichtliche Erledigung" erteilt worden ist. Gleichzeitig hat die Beklagte aber auch ausgeführt: "Vor gerichtlichen Schritten muss eine neue Kostengutsprache eingeholt werden und wir behalten uns eine volle Neuprüfung vor."
Wie die Beklagte selber im Zusammenhang mit der Zulässigkeit einer Feststellungsklage geltend macht, entspricht es dem üblichen Vorgehen in der Rechtsschutzversicherung, dass eine Kostengutsprache immer auf einzelne Abschnitte der Rechtswahrung begrenzt wird: Zuerst wird für die aussergerichtliche Geltendmachung Kostengutsprache geleistet; erweist sich sodann eine gütliche Einigung als nicht möglich, ist zu prüfen, ob eine gerichtliche Geltendmachung angezeigt ist. Gegebenenfalls wird eine Kostengutsprache für den Prozess erster Instanz oder sogar nur bis zu einem bestimmten Verfahrensabschnitt (z.B. Ende des Beweisverfahrens) gegeben. Nach
BGE 119 II 368 S. 378
dem erstinstanzlichen Urteil wird geprüft, ob auch für das Rechtsmittelverfahren - oder einzelne Teile davon - Kostengutsprache gewährt werden muss. Weil ein Rechtsstreit Jahre dauern kann, stellt sich die Frage der Kostengutsprache für die letzten Verfahrensteile unter Umständen erst Jahre nach Beginn des Rechtsstreites. Das zweifellos sinnvolle Aufteilen der Kostengutsprache nach Verfahrensabschnitten kann nun aber nicht bedeuten, dass der Versicherungsnehmer bei Beginn des Rechtsstreites schon für alle möglicherweise nachfolgenden Verfahrensabschnitte einzeln die Verjährung unterbrechen muss, wenn er seinen Anspruch auf Rechtsschutz während des ganzen Verfahrens sichern will. Mit der Anerkennung der Leistungspflicht durch die Versicherung für das erste, aussergerichtliche Verfahren anerkennt die Versicherungsgesellschaft auch ihre Leistungspflicht für die nachfolgenden Verfahrensabschnitte dem Grundsatz nach. Dies hindert sie selbstverständlich nicht, für spätere Verfahrensabschnitte keine Kostengutsprache mehr zu leisten, wenn die vertraglichen Voraussetzungen für diese Abschnitte nicht gegeben sind. Die Anerkennung der Leistungspflicht für die aussergerichtliche Erledigung unterbricht die Verjährung auch für die Ansprüche auf Leistung für die nachfolgende gerichtliche Geltendmachung des gleichen Rechtsanspruchs. Für die Unterbrechungswirkung genügt es, dass der Schuldner seine Schuldpflicht dem Grundsatz nach anerkennt, ohne dass sich die Anerkennung auf einen bestimmten Betrag bezieht (BGE 110 II 180 f.). Letzteres ist nur nötig, wenn eine urkundliche Anerkennung im Sinne von Art. 137 Abs. 2 OR vorliegen und damit nicht die bisherige Verjährungsfrist, sondern eine zehnjährige Frist neu beginnen soll (BGE 113 II 268).
Die auf das aussergerichtliche Verfahren beschränkte Kostengutsprache vom 28. Dezember 1987 unterbrach somit die Verjährung des Rechtsschutzanspruchs auch für die gerichtliche Geltendmachung der Forderung.
b) Die am 28. Dezember 1987 neu beginnende zweijährige Verjährungsfrist wurde sodann durch das Schreiben der Beklagten vom 11. Dezember 1989 unterbrochen. In diesem Schreiben hält die Beklagte fest: "In Sachen S. besteht grundsätzlich selbstverständlich Deckung." Die Beklagte will darin keine die Verjährung unterbrechende Anerkennung der Schuld sehen, weil es an einem Bindungswillen gefehlt und sie nur eine Selbstverständlichkeit festgehalten habe. Eine Anerkennungshandlung nach Art. 135 Ziff. 1 OR setzt indessen keinen auf Unterbrechung der Verjährung gerichteten Willen voraus (SPIRO, Die Begrenzung privater Rechte durch
BGE 119 II 368 S. 379
Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, Bern 1975, Bd. I, S. 353 ff.; STEPHEN V. BERTI, in: HONSELL/VOGT/WIEGAND, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, OR I, Basel 1992, N. 2 zu Art. 135 OR). Es genügt, dass der Schuldner zu erkennen gibt, seines Erachtens bestehe die Schuld grundsätzlich (vgl. BGE 110 II 180). Ob die Beklagte mit dem Brief vom 11. Dezember 1989 die Verjährung unterbrechen wollte, ist deshalb ohne Bedeutung.
c) Das Schreiben der Beklagten vom 28. Dezember 1987 handelt vom Rechtsstreit mit der O. Jenes vom 11. Dezember 1989 erwähnt demgegenüber den Rechtsstreit mit der S. Daraus schliesst die Beklagte, dass die beiden Schreiben nicht die gleiche Forderung betroffen hätten und deshalb beide verjährt seien. Das Obergericht hält im angefochtenen Entscheid fest, dass die O. Kranken- und Unfallversicherung im Rahmen eines Kollektivversicherungsvertrages bei der S. rückversichert ist. Wie das Rechtsverhältnis zwischen der O., der S. und der Klägerin im einzelnen ausgestaltet ist, wird nicht dargelegt. Dies ist aber vorliegend auch nicht entscheidend. Die Klägerin will von der Beklagten eine Kostengutsprache, um ihren mutmasslichen Anspruch auf Invaliditätsentschädigung gegenüber ihrer Unfallversicherung geltend zu machen. Um die Geltendmachung dieses Anspruchs handelt es sich aber unabhängig davon, ob sie nun gegen ihre unmittelbare Versicherung, die O., oder gegen deren Rückversicherung, die S., klagen muss. Damit betreffen aber beide Schreiben der Beklagten den Rechtsschutz für den gleichen Anspruch. Die Verjährung ist zweimal unterbrochen worden. Die Einrede der Verjährung erweist sich somit als unbegründet.

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Sachverhalt

Erwägungen 2 4 5 7

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