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Urteilskopf

122 I 5


2. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. Februar 1996 i.S. X. und Y. gegen Kantonsgerichtspräsident Schwyz (staatsrechtliche Beschwerde)

Regeste

Art. 4 BV; Entzug der unentgeltlichen Rechtspflege während des Prozesses.
Der in der Sache selbst angerufene zweitinstanzliche Richter darf prüfen, ob die zu Beginn des Prozesses bejahte Bedürftigkeit bestand oder noch besteht, und dem Gesuchsteller für den Fall, dass er die Verfahrenskosten selbst bezahlen kann, die unentgeltliche Rechtspflege für das weitere Verfahren entziehen (E. 4).

Erwägungen ab Seite 5

BGE 122 I 5 S. 5
Aus den Erwägungen:

4. Der Beschwerdeführer 1 begründet die Verletzung von Art. 4 BV damit, dass ihm der Präsident des Kantonsgerichts Schwyz die unentgeltliche Rechtspflege, die von der ersten Instanz am Anfang des Prozesses gewährt worden war, für das zweitinstanzliche Scheidungsverfahren wegen fehlender Bedürftigkeit entzogen hat.
BGE 122 I 5 S. 6
a) Da der Anspruch auf unentgeltliche Prozessführung primär das Recht auf Zugang zum Gericht schützt, hat das Bundesgericht entschieden, die Bedürftigkeit müsse auf Grund der wirtschaftlichen Umstände im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs beurteilt werden (BGE 104 Ia 31 E. 4 S. 34, BGE 99 Ia 437 E. 3c S. 442; letztmals bestätigt in BGE 121 I 60 E. 2b S. 63). Diese Ansicht wird von der Lehre vorbehaltlos geteilt (HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, S. 165; GEORG MÜLLER, in: Kommentar zur BV, N. 125 zu Art. 4 BV; CHRISTIAN FAVRE, L'assistance judiciaire gratuite en droit suisse, Diss. Lausanne 1989, S. 46 bei Fn. 7; MARC FORSTER, in ZBl 93/1992, S. 460; PIERMARCO ZEN RUFFINEN, in JdT 137/1989 I, S. 38 bei Fn. 16). Weniger Beachtung hat indessen die Frage gefunden, ob es die verfassungsrechtliche Minimalgarantie verletzt, wenn die obere Instanz dem Rechtsmittelkläger die von der ersten Instanz gewährte unentgeltliche Rechtspflege für das weitere Verfahren entzieht mit der Begründung, die Bedürftigkeit sei nicht oder nicht mehr gegeben.
Da Art. 4 BV dem Bedürftigen keine definitive Übernahme der Kosten durch den Staat garantiert (BGE 113 II 323 E. 9c S. 343, BGE 111 Ia 276 E. 2a S. 278; HAEFLIGER, a.a.O., S. 160), können die kantonalen Prozessrechte vorsehen, dass der Begünstigte subsidiäre staatliche Verfahrenshilfen (BGE 119 Ia 11 E. 3a S. 12) unter Umständen verliert. Sind die Voraussetzungen, auf Grund derer die unentgeltliche Rechtspflege gewährt worden war, während des Verfahrens weggefallen, kann das Gericht die erteilte Bewilligung zurückziehen (ZEN RUFFINEN, a.a.O., S. 56; FAVRE, a.a.O., S. 71 und 145 ff.; § 80 ZPO/SZ). Auf Grund der Rechtswohltat ausbezahlte Beträge können ferner nach Erledigung des Prozesses zurückverlangt werden, wenn sich die wirtschaftliche Situation des Begünstigten ausreichend verbessert hat (§ 81 Abs. 1 ZPO/SZ; vgl. Art. 152 Abs. 3 OG; GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S. 410 f.; MÜLLER, a.a.O., N. 128 zu Art. 4 BV; STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur Zürcherischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 1982, N. zu § 91 und 92 ZPO/ZH; LEUCH/MARBACH/KELLERHALS, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 4. Aufl. 1995, N. 2 zu Art. 82 ZPO/BE).
Nicht jede während des Verfahrens veränderte Voraussetzung darf zu einer Überprüfung des Entscheids über die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege führen. Die Erfolgsaussichten einer Klage oder eines Rechtsmittels dürfen beispielsweise nur am Anfang des Verfahrens beurteilt werden, weil sie sich häufig nach Abschluss des Beweisverfahrens klären.
BGE 122 I 5 S. 7
Könnte mit dem Entscheid über diesen Punkt zugewartet werden, würde dem Gesuchsteller die unentgeltliche Rechtspflege bei erkennbar gewordenem Verlust des Prozesses unzulässigerweise rückwirkend entzogen (BGE 101 Ia 34 E. 2 S. 37 f.). Mit dieser Situation nicht vergleichbar ist dagegen der Fall, wo die Bedürftigkeit während des Verfahrens wegfällt, weshalb der rückwirkende Entzug nicht von vornherein verfassungswidrig zu sein braucht (vgl. BGE 111 Ia 276 E. 2a S. 278). Dazu braucht vorliegend indessen nicht Stellung genommen zu werden, hat doch der Kantonsgerichtspräsident entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers 1 die unentgeltliche Prozessführung nicht rückwirkend, sondern nur für das zweitinstanzliche Verfahren entzogen.
b) Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers 1 gebietet die Verfassung nicht, dass die zu Beginn des Scheidungsverfahrens festgestellte Bedürftigkeit während der ganzen Dauer des Prozesses als gegeben betrachtet werden müsste. Gelangt der zweitinstanzliche Richter zur Erkenntnis, dass die Bedürftigkeit vom Vorrichter zu Unrecht bejaht worden oder dass sie nachträglich weggefallen ist, so darf er dem Begünstigten die unentgeltliche Rechtspflege inskünftig verweigern. Wäre er an den zu Beginn des Verfahrens gefällten Entscheid gebunden, bliebe nur die nachträgliche Rückforderung offen, was einen unnötigen bürokratischen Mehraufwand zur Folge hätte, an dem auch der Beschwerdeführer 1 kein Interesse haben kann. Je früher er weiss, was er zu erwarten hat, desto besser kann er das weitere Vorgehen unter dem Aspekt der drohenden Kosten planen. Darf der Staat wegen weggefallener Bedürftigkeit sogar nach Abschluss des Gerichtsverfahrens die ausbezahlten Beträge wieder zurückverlangen, muss der Richter um so mehr bereits während des laufenden Verfahrens verfassungskonform ihre weitere Ausrichtung unterbinden können. Gleich ist auch in einem Fall entschieden worden, wo die Bedürftigkeit des Gesuchstellers während des zweitinstanzlichen Verfahrens, das die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege zum Gegenstand hatte, weggefallen ist (nicht publiziertes Urteil des Bundesgerichts vom 21. September 1995 i.S. L., E. 5b).

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Erwägungen 4

Referenzen

BGE: 111 IA 276, 104 IA 31, 99 IA 437, 121 I 60 mehr...

Artikel: Art. 4 BV, § 80 ZPO, § 81 Abs. 1 ZPO, Art. 152 Abs. 3 OG mehr...