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Urteilskopf

122 I 70


13. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. Februar 1996 i.S. Schweizerischer Hängegleiter-Verband und Michael Lenz gegen Kanton Appenzell Innerrhoden (staatsrechtliche Beschwerde)

Regeste

Art. 3 und 37ter BV, Art. 2 ÜbBest. BV; Zuständigkeiten der Kantone für Einschränkungen des Startens und Landens mit Hängegleitern.
Abstrakte Normenkontrolle; Legitimation (E. 1).
Art. 37ter BV gibt dem Bund eine umfassende, aber keine ausschliessliche Kompetenz auf dem Gebiet der Luftfahrt. Die Kantone bleiben zuständig für Rechtsfragen, die der Bund nicht abschliessend geregelt hat (E. 2).
Das Luftfahrtrecht des Bundes regelt das Starten und Landen mit Hängegleitern nicht abschliessend. Die Kantone bleiben zuständig für Einschränkungen im Interesse des Natur- und Heimatschutzes (E. 3 und 4).
Das angefochtene Gesetz lässt Raum für eine verfassungskonforme, dem Verhältnismässigkeitsprinzip Rechnung tragende Anwendung (E. 5).

Sachverhalt ab Seite 71

BGE 122 I 70 S. 71

A.- Die Landsgemeinde des Kantons Appenzell Innerrhoden erliess am 30. April 1995 ein neues Alpgesetz, dessen Art. 8 wie folgt lautet:
"Art. 8 Sportliche Tätigkeiten
1 Das Alpgebiet darf mit Ausnahme der bewilligten Routen nicht mit Fahrrädern befahren werden.
2 Das Starten und Landen mit Deltaseglern oder anderen Fluggeräten ist im Alpgebiet mit Ausnahme der bewilligten Start- und Landegebiete verboten.
3 Das Landwirtschaftsdepartement regelt in Zusammenarbeit mit dem Polizeidepartement und dem Volkswirtschaftsdepartement die Routen bzw. die Start- und Landegebiete im Sinne dieses Artikels.
4 Der Grosse Rat kann auf dem Verordnungsweg für weitere Tätigkeiten, die die Alpen besonders belasten, Vorschriften erlassen."
Widerhandlungen gegen diese Vorschrift werden gemäss Art. 16 des Alpgesetzes mit Haft oder Busse bestraft.

B.- Der Schweizerische Hängegleiter-Verband und Michael Lenz erheben mit gemeinsamer Eingabe vom 30. Mai 1995 staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 3 und 37ter BV und beantragen, es seien der ganze Absatz 2 und die Worte "bzw. die Start- und Landegebiete" in Absatz 3 des Artikels 8 des Alpgesetzes für ungültig zu erklären und aufzuheben. Zur Begründung bringen sie vor, die angefochtenen Formulierungen stellten eine Flugbetriebsregel für Fluggeräte dar, verstiessen gegen die Zuständigkeit des Bundes im Bereich der Luftfahrt und seien demzufolge ungültig bzw. nichtig.

C.- Der Grosse Rat des Kantons Appenzell Innerrhoden beantragt in seiner Vernehmlassung vom 7. Juli 1995, die Beschwerde abzuweisen. Er bringt vor, die streitigen Vorschriften seien gestützt auf Art. 699 ZGB erlassen worden; die Bundeskompetenz im Bereich der Luftfahrt sei nicht abschliessend, weshalb die kantonalen Kompetenzen auf dem Gebiet der Raumplanung und des Baurechts nicht beschnitten würden. Das Luftfahrtrecht des Bundes befreie nicht von der Einhaltung der gestützt auf Art. 699 ZGB erlassenen Verbote.

D.- In dem vom Bundesgericht angeordneten zweiten Schriftenwechsel bringen die Beschwerdeführer mit Stellungnahme vom 18. August 1995 vor, Art. 699
BGE 122 I 70 S. 72
Abs. 1 ZGB
bilde keine rechtliche Grundlage, um gegen den Willen der betroffenen Grundstücksbesitzer ein Betretungsverbot aufzustellen. Zudem sei das im Alpgesetz vorgesehene Verbot nicht ein "einzelnes, bestimmt umgrenztes Verbot", sondern allgemein und unbeschränkt. Im übrigen sei nicht bewiesen, dass ein öffentliches Interesse an einem generellen Verbot des Startens und Landens im Alpgebiet bestehe. Das Luftfahrtrecht des Bundes enthalte keine Delegationsnorm, welche die Kantone ermächtige, das Befliegen eines Gebietes zu verbieten.
Der Grosse Rat des Kantons Appenzell Innerrhoden hält in seiner Duplik vom 5. September 1995 an seinem Antrag fest. Gestützt auf Art. 699 ZGB könnten Zutrittsbeschränkungen nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Interesse verhängt werden. Das angefochtene Verbot sei im Interesse der Schonung der Kulturen und des ökologischen Gleichgewichts des Alpgebietes erlassen worden. Das Verbot gelte zudem nicht im ganzen Alpgebiet, sei somit eingeschränkt und bestimmt umgrenzt.
Das zur Vernehmlassung eingeladene Bundesamt für Zivilluftfahrt vertritt in seiner Stellungnahme vom 13. Oktober 1995 die Ansicht, eigentliche luftrechtliche Regelungen der Kantone seien unzulässig, da der Bund keine entsprechenden Kompetenzen an die Kantone delegiert habe. Das Luftrecht des Bundes regle die Aussenlandungen von Hängegleitern und gebe dem Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement auch die Möglichkeit, zum Schutze der Natur bestimmte Einschränkungen zu erlassen. Zudem könne der Eigentümer eines Grundstücks privatrechtlich das Starten und Landen mit Luftfahrzeugen verbieten. Die Bewilligungskompetenz für Infrastrukturanlagen für die Luftfahrt liege ausschliesslich beim Bund. Art. 699 ZGB bilde keine Grundlage für kantonale Einschränkungen des Flugbetriebs. Einzelne Starts und Landungen mit Fluggeräten lägen noch im Rahmen des Gemeingebrauchs und seien von Art. 699 ZGB abgedeckt. Das generelle Start- und Landeverbot gemäss Art. 8 Abs. 2 des Alpgesetzes sei deshalb bundesrechtswidrig. Zudem sei fraglich, ob die Voraussetzungen für ein Verbot nach Art. 699 ZGB erfüllt seien.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab

Erwägungen

aus folgenden Erwägungen:

1. a) Die staatsrechtliche Beschwerde ist zulässig gegen kantonale Erlasse wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger (Art. 84 Abs. 1 lit. a OG). Die Beschwerdeführer rügen eine kompetenzwidrige kantonale
BGE 122 I 70 S. 73
Gesetzgebung und damit einen Verstoss gegen die derogatorische Kraft des Bundesrechts, welche aus Art. 2 der Übergangsbestimmungen der BV abgeleitet wird und nach ständiger Rechtsprechung als verfassungsmässiges Recht anerkannt ist (BGE 107 Ia 286 E. 4a S. 288; BGE 114 Ia 164 E. 3a S. 166; BGE 119 Ia 453 E. 2b S. 456). Die staatsrechtliche Beschwerde ist nur zulässig, wenn die behauptete Rechtsverletzung nicht sonstwie durch Klage oder Rechtsmittel beim Bundesgericht oder einer anderen Bundesbehörde geltend gemacht werden kann (Art. 84 Abs. 2 OG). Da ein kantonaler Erlass angefochten wird, ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ausgeschlossen. Unzulässig ist auch die Verwaltungsbeschwerde an den Bundesrat, da die Beschwerdeführer sinngemäss eine Verletzung von Art. 2 der Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung rügen, deren Beurteilung in die Zuständigkeit des Bundesgerichts fällt (Art. 73 Abs. 2 lit. a VwVG; BGE 119 Ia 197 E. 1b S. 200). Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher zulässig.
b) Zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen einen kantonalen Erlass ist legitimiert, wer durch die angefochtene Bestimmung unmittelbar oder virtuell (d.h. mit einer minimalen Wahrscheinlichkeit) in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen ist (BGE 119 Ia 197 E. 1c S. 200 f., mit Hinweis).
Der Beschwerdeführer 2 als Mitinhaber einer im Alpsteingebiet tätigen Hängegleiter-Flugschule ist ohne weiteres zur Beschwerde berechtigt. Ein Verband ist legitimiert, mit staatsrechtlicher Beschwerde die Interessen seiner Mitglieder zu wahren, wenn er als juristische Person konstituiert ist, nach seinen Statuten die durch die angerufenen verfassungsmässigen Rechte geschützten Interessen seiner Mitglieder zu wahren hat und die Mehrzahl oder doch eine Grosszahl seiner Mitglieder vom angefochtenen Erlass direkt oder virtuell betroffen sind (BGE 119 Ia 197 E. 1c bb S. 201). Das trifft für den Beschwerdeführer 1 zu. Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist daher einzutreten.
c) Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG muss die staatsrechtliche Beschwerde die wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Erlass oder Entscheid verletzt worden sind. Das Bundesgericht wendet im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde das Recht nicht von Amtes wegen an, sondern prüft nur Rügen, die genügend klar und detailliert erhoben werden (BGE 118 Ia 184 E. 2 S. 189, mit Hinweisen).
BGE 122 I 70 S. 74
Die Rüge muss zudem innert der Frist von Art. 89 Abs. 1 OG erhoben werden. Findet wie im vorliegenden Fall in Anwendung von Art. 93 Abs. 3 OG ein zweiter Schriftenwechsel statt, so ist eine Beschwerdeergänzung nur insoweit zulässig, als die Erwägungen der kantonalen Behörden hierzu Anlass geben. Rügen, welche bereits in der Beschwerde selber hätten vorgebracht werden können, sind unstatthaft (BGE 118 Ia 305 E. 1c S. 308, mit Hinweisen). Das gilt für die erst im Rahmen des zweiten Schriftenwechsels erhobene Rüge, die beanstandete Bestimmung finde in Art. 699 ZGB keine Grundlage und es fehle dafür an einem ausgewiesenen öffentlichen Interesse.

2. a) Die Kantone sind souverän, soweit ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist (Art. 3 BV). Sie haben eine originäre Gesetzgebungskompetenz, die nur insoweit aufgehoben ist, als der Bund entweder ausschliesslich, mit ursprünglich derogatorischer Wirkung, zuständig ist oder aber in einem Bereich, in dem er konkurrierend, mit nachträglich derogatorischer Wirkung, kompetent ist, von seiner Zuständigkeit abschliessend Gebrauch gemacht hat (BGE 120 Ia 89 E. 2b S. 91, mit Hinweisen). Soweit der Bund in einem Bereich, in welchem er zwar umfassend, aber mit nachträglich derogatorischer Wirkung zuständig ist, nicht abschliessend legiferiert hat, bleiben die Kantone zuständig, ohne dass es dazu einer Delegation durch das Bundesrecht bedürfte (BGE 107 Ia 286 E. 4a S. 288; BGE 109 Ia 61 E. 2a S. 67; BGE 112 Ia 398 E. 4a S. 401; BGE 114 Ia 350 E. 4a S. 355 f.; BGE 115 Ia 234 E. 12b S. 272 f.; BGE 117 Ia 27 E. 7c S. 34; BGE 118 Ia 427 E. 9c S. 444 f.; BGE 119 Ia 453 E. 2b S. 456; ULRICH HÄFELIN/ WALTER HALLER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 3. A. Zürich 1993, S. 97; YVO HANGARTNER, Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen, Bern 1974, S. 136 f., 182, 184; YVO HANGARTNER, Grundzüge des schweizerischen Staatsrechts, Bd. I, S. 73; PETER SALADIN, Kommentar BV, Rz. 23 zu Art. 2 ÜbBest). Das kantonale Recht darf dabei freilich inhaltlich nicht bundesrechtswidrig sein, das heisst nicht gegen den Sinn und Geist des Bundesrechts verstossen und dessen Zwecke beeinträchtigen oder vereiteln (BGE 112 Ia 398 E. 4a S. 401; BGE 114 Ia 350 E. 4a S. 356; BGE 116 Ia 264 E. 4a S. 272; BGE 119 Ia 453 E. 2b S. 456). Ein blosser Zielkonflikt zwischen kantonalem und Bundesrecht bewirkt jedoch noch keine Bundesrechtswidrigkeit des kantonalen Rechts, sondern ist Ausdruck davon, dass Bund und Kantone je eigene Gebietskörperschaften sind, die im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch unterschiedliche Ziele verfolgen dürfen (BGE 109 Ia 134 E. 4a S. 140 f.; BGE 111 Ia 303 E. 6c S. 311; BGE 119 Ia 390 E. 6c S. 403; vgl. auch BGE 120 Ia 126 E. 4d
BGE 122 I 70 S. 75
cc/dd S. 135 f.; PETER SALADIN, Kommentar BV, Rz. 216 zu Art. 3).
b) Art. 37ter BV gibt dem Bund eine umfassende, aber entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer nicht eine ausschliessliche, sondern eine konkurrierende, nachträglich derogatorische Kompetenz auf dem Gebiet der Luftfahrt (BGE 119 Ib 222 E. 2a S. 225; JEAN-FRANÇOIS AUBERT, Bundesstaatsrecht der Schweiz, Basel 1991, S. 284; MARTIN LENDI, Kommentar BV, Rz. 2 und 4 zu Art. 37ter). Kantonales Recht bleibt daher zulässig, soweit das Bundesrecht eine Rechtsfrage nicht abschliessend geregelt hat. Es ist daher zu prüfen, ob das Luftfahrtrecht des Bundes die Benützung von Fluggeräten abschliessend regelt.

3. a) Erklärt eine Verfassungsbestimmung den Bund in einem bestimmten Sachbereich für zuständig, so regelt die gestützt darauf erlassene Bundesgesetzgebung die entsprechenden sachverhaltsspezifischen Aspekte häufig abschliessend. So enthält zum Beispiel das Atomrecht des Bundes eine erschöpfende Regelung für die spezifischen Aspekte der nuklearen Sicherheit (BGE 111 Ia 303 E. 5a S. 307; BGE 111 Ib 102 E. 5a S. 105 f.; BGE 119 Ia 390 E. 6c S. 402). Ebenso ist das Luftfahrtrecht des Bundes im allgemeinen bezüglich der luftfahrtspezifischen Aspekte, insbesondere der Flugsicherheit und -sicherung, als abschliessend zu betrachten (Urteile des Bundesgerichts vom 27. Oktober 1982, ZBl 84/1983 S. 365 E. 3a S. 369; vom 25. Juni 1986, ZBl 89/1988 S. 65 E. 3e/4a; vom 2. November 1994, ZBl 96/1995 S. 457, E. 4b).
b) Vom bundesrechtlich umfassend geregelten Sachbereich der Luftfahrt sind die der kantonalen Kompetenz unterstehenden Befugnisse zu unterscheiden, zum Beispiel auf den Gebieten der Raumplanung, des Baurechts und des Natur- und Heimatschutzes. In solchen Bereichen ist kompetenzgemäss erlassenes kantonales Recht auch anwendbar auf Sachverhalte, die hinsichtlich ihrer luftfahrtspezifischen Aspekte durch die Luftfahrtgesetzgebung des Bundes erfasst sind (BGE 102 Ia 355 E. 6 S. 358 ff.; ZBl 89/1988 S. 65 E. 4 S. 70 f.; BGE 119 Ib 222 E. 2b S. 225 f.). Das kantonale Recht regelt in diesem Falle nicht dieselbe Rechtsfrage wie das Bundesrecht; es liegt kein Kompetenzkonflikt vor, sondern eine Kompetenzkumulation, was sich darin äussert, dass auf einen Sachverhaltskomplex mehrere einschlägige Gesetzgebungen kumulativ anwendbar sein können (vgl. BGE 107 Ia 286 E. 4a S. 288; MARTIN KELLER, Aufgabenverteilung und Aufgabenkoordination im Landschaftsschutz, Diss. Bern 1977, S. 29 ff.; PETER SALADIN, Bund und Kantone, ZSR 103/1984 II S. 431-590, 460; PETER SALADIN, Kommentar BV, Rz. 17
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und 28 zu Art. 2 ÜbBest). Insoweit werden die kantonalen Kompetenzen nur beschnitten, wenn die Spezialgesetzgebung des Bundes ausdrücklich von der Einhaltung der kantonalen Vorschriften dispensiert (BGE 119 Ib 222 E. 2a S. 225, mit Hinweisen; BGE 102 Ia 355 E. 6d S. 360; ZBl 89/1988 S. 65 E. 4 S. 70) oder sonstwie nach ihrem klaren Sinn auch hinsichtlich dieser Aspekte als abschliessend zu betrachten ist (ZBl 84/1983 S. 369). Die Praxis, wonach die Ausübung kantonaler Kompetenzen die Wahrnehmung von Bundesaufgaben nicht vereiteln oder erheblich erschweren dürfe, kommt vorliegend nicht zur Anwendung, da durch das appenzellische Gesetz keine Bundesaufgabe betroffen ist.

4. a) Die angefochtene Bestimmung regelt nicht spezifisch fliegerische Aspekte. Die Einschränkung des Sportbetriebes im Alpgebiet gilt ausser für Fluggeräte auch für das Radfahren und kann durch den Grossen Rat auf weitere Tätigkeiten, die die Alpen besonders belasten, ausgedehnt werden. Anknüpfungspunkt der Regelung ist nicht das Fliegen mit Fluggeräten, sondern das Starten und Landen bzw. die damit einhergehende Benützung des Alpgebiets. Ob das Starten und Landen im haftpflichtrechtlichen Sinne zum Flug gehört, ist dabei unerheblich. Selbst wenn das zutrifft, folgt daraus nicht zwangsläufig, dass der Bund alle mit dem Starten und Landen zusammenhängenden Rechtsfragen abschliessend geregelt hat. Der Kanton Appenzell Innerrhoden begründet sein Alpgesetz mit dem Interesse an der Wahrung des ökologischen Gleichgewichts, also mit Aspekten des Naturschutzes, für welchen die Kantone grundsätzlich zuständig sind (Art. 24sexies Abs. 1 BV). Diese kantonale Zuständigkeit ist originär und besteht auch ohne Delegation durch das Bundesrecht. Der Bund könnte freilich aufgrund seiner umfassenden Zuständigkeit gemäss Art. 37ter BV für die mit dem Flugbetrieb zusammenhängenden Sachverhalte auch die Aspekte des Natur- und Heimatschutzes abschliessend regeln (LENDI, a.a.O., Rz. 8), wodurch entsprechende Bestimmungen des kantonalen Rechts unzulässig würden. Es ist daher zu prüfen, ob das Bundesrecht die vom appenzellischen Alpgesetz erfassten Rechtsfragen bereits abschliessend geregelt hat.
b) Gemäss Art. 1 des Bundesgesetzes vom 21. Dezember 1948 über die Luftfahrt (Luftfahrtgesetz, LFG; SR 748.0) ist die Benützung des Luftraumes über der Schweiz durch Luftfahrzeuge im Rahmen der Bestimmungen dieses Gesetzes und der übrigen Bundesgesetzgebung gestattet. Die angefochtene appenzellische Bestimmung betrifft jedoch nicht die Benützung des
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Luftraumes, sondern die Benützung des Alpgebietes für das Starten und Landen, so dass Art. 1 LFG dafür nicht einschlägig ist.
c) Art. 37a und 37b LFG (in der Fassung vom 18. Juni 1993, in Kraft seit 1. Januar 1995, AS 1994 3010) schliessen für Flugplätze die Anwendung kantonalen Rechts weitgehend aus. Diese Bestimmungen sind jedoch vorliegend nicht anwendbar, da das angefochtene Alpgesetz nicht die Errichtung von Flugplätzen regelt, sondern das Starten und Landen von Deltaseglern ausserhalb von Flugplätzen. In BGE 119 Ib 222 hat das Bundesgericht entschieden, dass die Errichtung eines Landeplatzes für Hängegleiter mangels bundesrechtlicher Spezialbestimmung dem kantonalen Bau- und Planungsrecht untersteht. Die am 1. Januar 1995 in Kraft getretene Revision des Luftfahrtgesetzes ändert diese Rechtslage höchstens insoweit, als feste Plätze, welche eigens für den Abflug und die Landung von Hängegleitern hergerichtet werden, allenfalls als Flugplätze im Sinne des Luftfahrtrechts gelten (vgl. Art. 2 der Verordnung vom 23. November 1994 über die Infrastruktur der Luftfahrt, VIL; SR 748.131.1) und damit Gegenstand einer entsprechenden Bewilligung (nach Art. 37a oder 37b LFG) bilden können. Vorliegend wird von keiner Seite geltend gemacht, dass in dem Gebiet, in welchem gemäss dem Alpgesetz das Starten und Landen verboten wird, derartige Landeplätze luftfahrtrechtlich bewilligt worden seien. Dass das Alpgesetz den kantonalen Behörden die Befugnis gibt, Gebiete zu bezeichnen, in denen das Starten und Landen zulässig ist, bedeutet nicht, dass der Kanton damit Bewilligungen für Flugplätze erteilen würde, wofür er in der Tat nicht zuständig wäre, sondern der Kanton hebt damit nur für bestimmte Gebiete das generelle Verbot des Startens und Landens auf.
d) Gemäss Art. 12 Abs. 2 LFG in der Fassung vom 18. Juni 1993 erlässt der Bundesrat Vorschriften zum Schutz der Natur im Zusammenhang mit der Benützung von Luftfahrzeugen. Das bedeutet aber nicht zwingend, dass die gestützt darauf vom Bundesrat allenfalls erlassenen Vorschriften den Schutz der Natur abschliessend regeln. Eine bundesrechtliche Vorschrift, welche ausdrücklich kantonales Recht als nicht anwendbar bezeichnet, besteht nicht. Der Umstand, dass der Bund bei seinen Aktivitäten gewisse Aspekte berücksichtigt, die an sich in die kantonale Zuständigkeit fallen, schliesst die entsprechende kantonale Kompetenz grundsätzlich nicht aus (BGE 111 Ib 102 E. 5b S. 108). Im Gegenteil ist anzunehmen, dass der Bundesgesetzgeber nur die in den Art. 37a und 37b LFG ausdrücklich
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genannten kantonalen Zuständigkeiten beschränken und ausserhalb des Anwendungsbereichs dieser Bestimmungen die kantonalen Kompetenzen nicht einschränken wollte. Art. 21 Abs. 2 LFG behält denn auch ausdrücklich die allgemeinen polizeilichen Befugnisse der Kantone auf den dem Flugverkehr dienenden Grundstücken vor und belässt damit auch die Möglichkeit, dass die Kantone bei der Beeinträchtigung von Polizeigütern einschreiten dürfen (ZBl 89/1988 S. 65 E. 4b).
e) Das bestehende Luftfahrtrecht des Bundes regelt denn auch inhaltlich, wie im folgenden zu zeigen ist, die Benützung des Bodens für das Starten und Landen mit Hängegleitern nicht abschliessend.
aa) Luftfahrzeuge dürfen unter Vorbehalt der vom Bundesrat zu bestimmenden Ausnahmen nur auf Flugplätzen abfliegen oder landen (Art. 8 Abs. 1 LFG). Als Luftfahrzeuge gelten grundsätzlich auch Hängegleiter (Anhang zur Luftfahrtverordnung vom 14. November 1973, LFV, SR 748.01; in der Fassung vom 23. November 1994, AS 1994 3036). Nach Art. 108 Abs. 1 lit. b LFG (in der Fassung vom 18. Juni 1993) kann jedoch der Bundesrat vorsehen, dass einzelne Bestimmungen des Gesetzes unter anderem auf nicht motorisch angetriebene Luftfahrzeuge keine Anwendung finden. Gemäss Art. 57 VIL sind Starts und Landungen von Hängegleitern auch ausserhalb von Flugplätzen ohne die in Art. 50 VIL vorgeschriebene Aussenlandungsbewilligung zulässig. Gemäss Art. 21 LFV (in der Fassung vom 23. November 1994) kann das Eidgenössische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (Departement) für Luftfahrzeuge besonderer Kategorien Sonderregeln erlassen und andere Massnahmen treffen. Es berücksichtigt dabei auch die Anliegen des Natur-, Landschafts- und Umweltschutzes.
Gestützt darauf hat das Departement am 24. November 1994 die Verordnung über Luftfahrzeuge besonderer Kategorien (VLK; SR 748.941, AS 1994 3076) erlassen, die gemäss ihrem Art. 1 u.a. für Hängegleiter (dazu gehören namentlich Deltas und Gleitschirme, Art. 6 VLK) gilt. Gemäss Art. 3 Abs. 1 VLK besteht für diese Luftfahrzeuge kein Zwang, auf einem Flugplatz abzufliegen oder zu landen. Abs. 2 behält das Recht der an einem Grundstück Berechtigten auf Abwehr von Besitzesstörungen und Ersatz ihres Schadens vor. Art. 8 Abs. 1 VLK verbietet das Starten und Landen von Hängegleitern auf öffentlichen Strassen und Skipisten; Abs. 4 behält für den Einsatz von Hängegleitern auf öffentlichen Gewässern die Bundesgesetzgebung über die Binnenschiffahrt und das entsprechende kantonale Recht vor. Dieser Vorbehalt zugunsten des kantonalen Rechts geht weiter als die allgemeine
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Regelung über Aussenlandungen auf öffentlichen Gewässern in Art. 51 Abs. 1 VIL. Schliesslich sieht Art. 53 VIL vor, dass das Bundesamt für Zivilluftfahrt sich unter Beizug des Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landschaft an der Erarbeitung von freiwilligen Betriebsregeln zum Schutz der Natur für bestimmte Kategorien von Luftfahrzeugen beteiligt und dass das Departement im Einvernehmen mit dem Eidgenössischen Departement des Innern zum Schutz der Natur in genau bezeichneten Gebieten für bestimmte Kategorien von Luftfahrzeugen Start-, Lande- oder Überflugsbeschränkungen erlassen kann.
bb) Art. 57 VIL und Art. 3 VLK legen nur fest, dass für Starts und Landungen von Hängegleitern die spezifisch flugrechtliche Aussenlandungsbewilligung nicht erforderlich ist, schliessen aber nicht aus, dass an bestimmten Orten gestützt auf andere einschlägige Gesetzgebungen Start- und Landebeschränkungen zu beachten sind. Die Verordnung über Luftfahrzeuge besonderer Kategorien enthält zwar explizite Einschränkungen oder Vorbehalte nur für öffentliche Strassen und Skipisten, Gewässer sowie für die privaten Rechte an Grundstücken. Doch müssen über diese Regelungen hinaus weitere Einschränkungen zulässig sein; so ist das Starten und Landen mit Hängegleitern zum Beispiel auch unzulässig auf Eisenbahngrundstücken (Art. 1 des Bundesgesetzes vom 18. Februar 1878 betreffend Handhabung der Bahnpolizei, SR 742.147.1) oder im Schweizerischen Nationalpark, jedenfalls abseits der markierten Wege und Routen (Art. 2 der Nationalparkordnung des Grossen Rates des Kantons Graubünden vom 23. Februar 1983, erlassen gestützt auf das Nationalparkgesetz vom 19. Dezember 1980, SR 454). Diese Einschränkungen sind zu beachten, obwohl sie nicht in der Verordnung über Luftfahrzeuge besonderer Kategorien oder sonstwie in der Luftfahrtgesetzgebung, sondern in anderen einschlägigen Erlassen enthalten sind. Regelt somit das Luftfahrtrecht des Bundes klarerweise das Starten und Landen mit Hängegleitern nicht abschliessend, so sind nicht nur die übrigen bundesrechtlichen, sondern auch die kompetenzgemäss erlassenen kantonalrechtlichen Einschränkungen massgeblich. Das gilt namentlich für Einschränkungen aus Gründen des Natur- und Landschaftsschutzes. Es kann nicht sinnvollerweise angenommen werden, dass in kantonalrechtlichen Naturschutzgebieten, in denen der Zutritt verboten oder eingeschränkt ist, das Starten und Landen mit Fluggeräten weiterhin - vorbehältlich allenfalls vom Departement gemäss Art. 53 Abs. 2 VIL erlassener Beschränkungen - uneingeschränkt zulässig bleibt.
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cc) Da schon die einschlägigen luftfahrtrechtlichen Verordnungen die Benützung des Bodens für Hängegleiter nicht erschöpfend regeln, kann offenbleiben, ob der eidgenössische Verordnungsgeber angesichts der gesetzlichen Regelung (vorne E. 4d) überhaupt eine abschliessende, die kantonalen Kompetenzen ausschliessende Regelung erlassen dürfte oder ob dazu nicht eine Änderung der formellgesetzlichen Vorgaben erforderlich wäre.
f) Gesamthaft ergibt sich, dass das Bundesrecht den Schutz der Natur oder der Alpgebiete vor Beeinträchtigungen durch das Starten und Landen mit Hängegleitern nicht abschliessend regelt. Die Kantone bleiben zuständig, in diesem Bereich zu legiferieren. Die Rüge, die angefochtene Bestimmung des Alpgesetzes sei kompetenzwidrig und verstosse dadurch gegen Art. 37ter BV bzw. gegen das Luftfahrtrecht des Bundes, erweist sich somit als unbegründet.

5. Die Beschwerdeführer bringen in ihrer Replik vor, die angefochtene Regelung könne nicht auf Art. 699 Abs. 1 ZGB gestützt werden, da die dort vorgesehenen Verbote nur zum Schutz des Grundeigentümers zulässig seien und zudem bestimmt umgrenzt sein müssten und nicht das ganze Alpgebiet umfassen dürften.
a) Gemäss Art. 699 Abs. 1 ZGB ist das Betreten von Wald und Weide in ortsüblichem Umfange jedermann gestattet, soweit nicht im Interesse der Kulturen seitens der zuständigen Behörde einzelne bestimmt umgrenzte Verbote erlassen werden. Ob die fragliche Regelung als Verbot im Sinne dieser Bestimmung zu betrachten sei, kann offenbleiben; denn neben den in Art. 699 ZGB vorgesehenen Verboten können die Kantone gestützt auf ihre originäre Gesetzgebungszuständigkeit öffentlichrechtlich das Zutrittsrecht weitergehend einschränken, zum Beispiel zum Schutz der Natur oder aus anderen polizeilichen Gründen (BGE 58 I 173 E. 2 S. 175 f.; BGE 106 Ib 47 E. 4d S. 51; BGE 109 Ia 76 E. 3b S. 79; Hansjörg Seiler, Die Benützung des Waldes für Orientierungslauf, Münsingen 1984, S. 85).
b) Diese öffentlichrechtlichen Zutrittsverbote müssen allerdings einem haltbaren öffentlichen Interesse entsprechen, verhältnismässig sein und dürfen das Zutrittsrecht nicht seiner Substanz berauben (BGE 43 I 282 E. 2 S. 286; BGE 58 I 173 E. 4 S. 178; BGE 109 Ia 76 E. 3b S. 79; SEILER, a.a.O., S. 87 ff.). Das im Alpgesetz vorgesehene generelle Verbot mag unter dem Aspekt der Verhältnismässigkeit als problematisch erscheinen, sowohl in örtlicher als auch in zeitlicher Hinsicht (vgl. BGE 119 Ia 197 E. 7 S. 211 ff. bezüglich Einschränkungen der Schiffahrt). Die Frage der Verhältnismässigkeit lässt sich indessen erst beurteilen, wenn die kantonalen Behörden die bewilligten Start- und Landegebiete bezeichnet
BGE 122 I 70 S. 81
haben. Das Gesetz sagt über Lage und Grösse dieser Flächen nichts aus. Es schliesst auch nicht zum vornherein aus, für bestimmte Gebiete bloss zeitlich limitierte Verbote zu erlassen und damit einer zu verschiedenen Jahreszeiten unterschiedlichen Schutzbedürftigkeit Rechnung zu tragen. Das Alpgesetz lässt somit Raum für eine verfassungskonforme, dem Verhältnismässigkeitsprinzip Rechnung tragende Anwendung. Es steht jedoch den Interessierten frei, im Anschluss an eine örtlich oder zeitlich zu restriktive Festlegung der Start- und Landegebiete durch die appenzellischen Behörden die Vereinbarkeit mit Art. 699 ZGB und dem Verhältnismässigkeitsprinzip in einem neuen Verfahren wieder aufzuwerfen.

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Erwägungen 1 2 3 4 5

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