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Urteilskopf

123 III 1


1. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. November 1996 i.S. E. S. gegen M. S. (staatsrechtliche Beschwerde)

Regeste

Art. 4 BV; Art. 163 und Art. 176 ZGB, Schranke der finanziellen Leistungskraft bei der Festsetzung der Unterhaltsrente im Eheschutzverfahren.
Das Privatrecht bestimmt den Inhalt von vorsorglichen Massnahmen (E. 3a). Art. 163 Abs. 1 ZGB verpflichtet den Eheschutzrichter, die Unterhaltsbeiträge der Familie des Rentenschuldners (E. 5) in der Regel (E. 3e) so festzusetzen, dass diesem noch derjenige Teil seines Einkommens verbleibt, den er zur Deckung seines Existenzminimums braucht (E. 3b/aa). Die Schranke der finanziellen Leistungskraft des Rentenschuldners bildet für alle familienrechtlichen Unterhaltspflichten die Regel (E. 3b/bb). Dass der Rentengläubiger den Ausfall zu tragen hat, ist Folge der gewählten Rollenverteilung in der Ehe (Art. 163 Abs. 2 ZGB) und kann nicht unter Hinweis auf die Rechtsgleichheit und die Gleichstellung der Geschlechter in Frage gestellt werden (E. 3c). Die geschilderte Regel steht im Einklang mit dem internationalen Recht und ist auch dem Entwurf des neuen Ehescheidungsrechts zugrundegelegt worden (E. 3d).
Das Existenzminimum muss dem Rentenschuldner auch dann belassen werden, wenn Kinderalimente zuzusprechen sind (E. 3b/bb und E. 5).

Erwägungen ab Seite 2

BGE 123 III 1 S. 2
Aus den Erwägungen:

1. Das Einkommen des Beschwerdeführers in der Höhe von Fr. 2'194.-- ohne Kinderzulagen liegt um Fr. 149.30 unter seinem Existenzminimum von Fr. 2'343.30. Er ist dennoch nach Art. 176 ZGB verpflichtet worden, der Beschwerdegegnerin für die Tochter
BGE 123 III 1 S. 3
einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 500.-- zu bezahlen. Mit Rücksicht auf die Tatsachen, dass die Beschwerdegegnerin ein monatliches, Fr. 700.-- unter ihrem Existenzminimum liegendes Einkommen von Fr. 1'400.-- erzielt und die finanzielle Situation des Beschwerdeführers sehr schlecht ist, wurde der Unterhaltsbeitrag bewusst niedrig gehalten.
Der Beschwerdeführer rügt, das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft habe sich in seinem Beschluss vom 7. Mai 1996 willkürlich über die aus BGE 121 III 301, 121 I 97 und dem unveröffentlichten Urteil vom 18. April 1995 i.S. H. hervorgehende Praxis hinweggesetzt, wonach das Existenzminimum des Unterhaltspflichtigen nicht angetastet werden dürfe.

3. THOMAS GEISER (Urteilsbesprechung, AJP/PJA 1995, S. 939) wirft dem Bundesgericht vor, es habe mit BGE 121 I 97 das in Art. 163 f. ZGB geregelte Unterhaltsrecht auf Verfassungsstufe gehoben; der Grundsatz der Gleichbehandlung gehe aus dem Zivilgesetzbuch selbst hervor.
a) Wegen der Gleichstellung der Ehegatten bei der Teilung eines Überschusses ( BGE 119 II 314 E. 4b mit Hinweisen) wird aus der in Art. 159 Abs. 3 ZGB normierten Beistandspflicht zuweilen geschlossen, auch ein Manko sei hälftig zu teilen (HINDERLING/STECK, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 4. Aufl. 1995, S. 537 f. bei Fn 32 und S. 539 f. bei Fn 44; BRÄM/HASENBÖHLER, N. 113 zu Art. 163 ZGB). Diese Folgerung sprengt bisher zu wenig beachtete Grenzen des Familienrechts.
Vorsorgliche Massnahmen nach Art. 145 ZGB beruhen auf richterlichem Ermessen und haben dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit Rechnung zu tragen. Ihr Inhalt wird unabhängig von ihrer verfahrensrechtlichen Ausgestaltung durch das kantonale Prozessrecht aus dem materiellen Bundesrecht abgeleitet und steht notwendigerweise im Zusammenhang mit dem Recht in der Hauptsache, dessen Schranken auch im Massnahmeverfahren zu beachten sind (OSCAR VOGEL, Probleme des vorsorglichen Rechtsschutzes, SJZ 76/1980, S. 90 ff. insbes. 93, 95 und 98; derselbe, Grundriss des Zivilprozessrechts, 4. Aufl. 1995, § 7 Rz. 12 S. 181 und § 12 Rz. 205 ff. S. 328 f.; MICHEL CZITRON, Die vorsorglichen Massnahmen während des Scheidungsprozesses ..., Diss. St. Gallen 1995, S. 8 ff., S. 65 ff. und 71 ff.). Deshalb ist auch das richterliche Ermessen durch die Rechtsordnung selbst beschränkt (VOGEL, Probleme, S. 99; BÜHLER/SPÜHLER, N. 16 zu Art. 145 ZGB). Ob und in welchem Umfang der eine Ehegatte vom anderen Unterhaltsbeiträge verlangen
BGE 123 III 1 S. 4
kann, richtet sich daher bis zur Scheidung vor allem nach Art. 159 Abs. 3 und Art. 163 Abs. 1 ZGB ( BGE 119 II 314 E. 4a; HINDERLING/STECK, a.a.O., S. 536 mit Hinweisen in Fn 23). Das gilt umso mehr für die Regelung des Unterhalts im Eheschutzverfahren, dient dieses doch nicht der Überbrückung der Zeit bis zum Vorliegen des rechtskräftigen Scheidungsurteils, sondern der Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft ( BGE 119 II 313 E. 2; BGE 116 II 21 E. 4 S. 28).
b) aa) Art. 163 ZGB, eine der bedeutendsten Bestimmungen des privaten Unterhaltsrechts überhaupt (PETER BREITSCHMID, System und Entwicklung des Unterhaltsrechts, AJP/PJA 1994, S. 838), sagt in Abs. 1 unmissverständlich, dass die Ehegatten, "ein jeder nach seinen Kräften", für den gebührenden Unterhalt der Familie zu sorgen haben. Wichtiges Entscheidungs- und Bemessungskriterium für den Massnahmerichter, der vom Unterhaltsbedarf ausgehend den regelmässig tiefer liegenden Unterhaltsbeitrag festzusetzen hat, ist also die Leistungsfähigkeit, die sich nach dem Einkommen und dem angemessen mitberücksichtigten Vermögen des Unterhaltspflichtigen richtet (BRÄM/HASENBÖHLER, N. 119 zu Art. 159 ZGB und N. 65 bis 67, 102 ff. und 117 zu Art. 163 ZGB; BÜHLER/SPÜHLER, N. 143 zu Art. 145 ZGB; GEISER, AJP/PJA 1993, S. 903 bis 906). Daran, dass die Leistungskraft die Beitragspflicht begrenzt, ist auch mit dem übertrieben in Anspruch genommenen Argument des Gleichstellungsgebotes nicht vorbeizukommen (HEGNAUER/BREITSCHMID, Grundriss des Eherechts, 3. Aufl. 1993, Rz. 16.03 und 16.10 f. S. 156 f.; HAUSHEER, Nachehelicher Unterhalt: Streitobjekt ..., ZBJV 29/1993, S. 664 Ziff. 4).
bb) Von der Unantastbarkeit der Leistungskraft des Pflichtigen wird auch bei den Scheidungsrenten ausgegangen, die hier jedoch nur am Rande interessieren. Der unterhaltspflichtige Ehegatte schuldet nach Art. 151 Abs. 1 ZGB eine "angemessene Entschädigung" und nach Art. 152 einen seinen "Vermögensverhältnissen entsprechenden Beitrag". Aus dieser Bestimmung hat die Rechtsprechung, von weiteren hier nicht interessierenden Voraussetzungen (z.B. Steuerlast etc.) abgesehen, hergeleitet, in das erweiterte Existenzminimum des Rentenschuldners, das aus dem betreibungsrechtlichen Zwangsbedarf und einem Zuschlag von in der Regel 20% besteht, dürfe nach Art. 152 ZGB nicht eingegriffen werden ( BGE 121 III 49 E. 1c; BGE 118 II 97 E. 4b; BGE 114 II 301 E. 3d S. 304; HEGNAUER/BREITSCHMID, a.a.O., Rz. 11.22 S. 100 f.). Wird das Existenzminimum des Rentengläubigers bei Beachtung dieses
BGE 123 III 1 S. 5
Kriteriums nicht gedeckt, darf der Richter von einem Prozentzuschlag absehen (unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 2. Mai 1991 i.S. W., E. 5b; HINDERLING/STECK, a.a.O., S. 303 bis 305; HAUSHEER, a.a.O., S. 656 lit. d; BÜHLER/SPÜHLER, N. 16 zu Art. 152 ZGB). Bei der Rente nach Art. 151 Abs. 1 ZGB ist aus Gründen ihrer dogmatischen Nähe zum Schadenersatzrecht der Notbedarf des unterhaltspflichtigen Ehegatten geschützt (unveröffentlichte Urteile vom 19. September 1996 i.S. V., E. 2a, und vom 23. Januar 1992 i.S. V., E. 4; BGE 117 II 211 E. 3b und 4a S. 215 f.; 116 II 101 E. 5f; GEISER, Worin unterscheiden sich heute die Renten nach Art. 151 und 152 ZGB?, ZBJV 129/1993, S. 353; HAUSHEER, a.a.O., S. 656 lit. d). Weil die Zumutbarkeit der Rentenpflicht bei beiden Rentenarten eine ausschlaggebende Rolle spielt, braucht der Richter die auf Grund des betreibungsrechtlichen Existenzminimums festgelegte Grenze der Leistungsfähigkeit in tatsächlicher Hinsicht nicht zu beachten und darf von einem hypothetischen Einkommen ausgehen, wenn der Schuldner einer Scheidungsrente eine tragbare Mehranstrengung unterlässt (BGE 110 II 116 E. 2a; 77 II 109 E. 2; 51 II 98 E. 3).
Im vorliegenden Fall von grosser Bedeutung ist, dass das Existenzminimum des Rentenschuldners auch im Fall des Unterhaltsanspruches des Kindes eine kaum überwindbare Hürde darstellt, weil bei der Bemessung des Unterhaltsbeitrages gemäss Art. 285 Abs. 1 ZGB der "Leistungsfähigkeit" der unterstützungspflichtigen Eltern Rechnung getragen werden muss (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 53 zu Art. 176 ZGB; HEGNAUER/BREITSCHMID, Grundriss des Kindesrechts, 4. Aufl. 1994, Rz. 21.15c S. 148; STETTLER, SPR III/2, S. 326). Die Eltern werden ferner insoweit entlastet, als dem Kind "zugemutet" werden kann, selbst für den Unterhalt zu sorgen (Art. 276 Abs. 3 ZGB). Wirtschaftlich durchaus leistungsfähige Eltern eines volljährigen Kindes können wegen der in Art. 277 Abs. 2 ZGB verlangten Zumutbarkeit von der Unterstützungspflicht sogar dann entbunden werden, wenn persönliche, vom Kind zu vertretende Umstände dafür sprechen ( BGE 120 II 177 E. 3c; BGE 117 II 127 E. 3b S. 130; BGE 113 II 374 E. 2 bis 4; BGE 111 II 413 ; Rolando Forni, Die Unterhaltspflicht der Eltern nach der Mündigkeit des Kindes in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, ZBJV 132/1996, S. 440 ff.; kritisch Martin Stettler, L'obligation d'entretien à l'égard des enfants majeurs, ZBJV 128/1992, S. 138 bis 141).
Noch stärker geschützt wird die Leistungskraft des Rentenschuldners bei der Verwandtenunterstützungspflicht, die erst in Anspruch
BGE 123 III 1 S. 6
genommen werden darf, wenn der beistandsbedürftige Verwandte ohne die Hilfe "in Not geraten" würde (Art. 328 Abs. 1 ZGB). Darüber hinaus gilt auch hier die allgemeine Schranke der Zumutbarkeit ( BGE 121 III 441 E. 3b). Schliesslich wird nicht nur die Subsidiarität dieser Unterstützungspflicht festgeschrieben (Art. 328 Abs. 3 ZGB), sondern im Fall der Unterstützung unter Geschwistern verlangt, dass sich der Rentenschuldner in "günstigen Verhältnissen" befinde (Art. 328 Abs. 2 ZGB).
c) Warum die im Familienrecht sonst durchwegs zum Tragen kommenden Schranken der Leistungskraft und der Zumutbarkeit bei Verpflichtungen nach Art. 145 und 176 ZGB nicht gelten sollten, ist nicht einzusehen. Soweit M. Bigler-Eggenberger (Ehetrennung und Getrenntleben - und wo bleibt die Gleichstellung der Ehegatten?, in AJP/PJA 1996, S. 6 ff. Ziff. 5b und 6), Denise Buser (Urteilsbesprechung, in AJP/PJA 1995, S. 1506 f.) und Viktor Rüegg (Für die Frau den Gang aufs Sozialamt, Plädoyer 1994 Heft 1 S. 22 ff.) vor allem das in BGE 121 I 97 vorgelegte Verständnis von Art. 4 Abs. 1 und 2 je Satz 1 BV kritisieren, übersehen sie, dass der Gesetzgeber mit Art. 163 Abs. 1 und 2 ZGB des neuen Eherechts für die Gleichberechtigung und -behandlung von Mann und Frau im Bereich der Aufgabenteilung gesorgt hat ( BGE 121 I 97 E. 2b; vgl. zu Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BV BGE 117 II 523 E. 1e). Mit der Verlagerung der Diskussion auf die Stufe der Verfassung wird die Tatsache aus den Augen verloren, dass die Position des Unterhaltspflichtigen im Streitfall direkte Folge der zu Beginn der Ehe einvernehmlich verteilten Rollen ist. Somit ist auf Seiten des Schuldners einzig zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen ihm ein Unterhaltsbeitrag abverlangt werden darf. Sind die Mittel wie hier sehr kärglich, kann den Bedürfnissen des Rentengläubigers (vgl. Art. 163 Abs. 3 ZGB) nicht Rechnung getragen werden. Gebietet die Auslegung von Art. 163 ZGB (Art. 1 Abs. 1 ZGB; BGE 120 II 112 E. 3b; BGE 119 II 147 E. 3b), das Existenzminimum des unterhaltspflichtigen Ehegatten in der Regel zu schonen, wäre das Bundesgericht selbst dann gebunden, wenn es bei einem von BGE 121 I 97 abweichenden Verfassungsverständnis vom Grundsatz der Mankoteilung ausgehen wollte (Art. 113 Abs. 3 BV; BGE 119 II 307 E. 4c S. 311, BGE 119 Ia 241 E. 7a S. 248; BGE 105 Ib 49 E. 3a S. 53).
d) Die Regel, wonach der Richter nur Einkommen, das der Unterhaltspflichtige nicht zwingend für die Sicherung der eigenen Existenz braucht, verteilen darf, ist in Deutschland Gesetz (§ 1581 BGB, § 1603 Abs. 1 i.V.m. §§ 1361 und 1615a BGB; KÖHLER,
BGE 123 III 1 S. 7
Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 5/2, 2. Aufl. 1987, N. 2 zu § 1603 BGB; WACKE, a.a.O., Bd. 5/1, 2. Aufl. 1989, N. 21 zu § 1361 BGB; RICHTER, a.a.O., N. 11 und 18 ff. zu § 1581 BGB). Sie sollte sinnvollerweise schon aus Rücksicht auf das internationale Recht auch in der Schweiz gelten. Art. 11 Abs. 2 des am 1. Oktober 1977 in Kraft getretenen Haager Übereinkommens über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 2. Oktober 1973 (SR 0.211.213.01; vgl. Art. 49 und 83 Abs. 1 IPRG [SR 291]) verlangt nämlich, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unterhaltspflichtigen zu berücksichtigen sind, selbst wenn das anzuwendende Recht etwas anderes bestimmt. Dass die in Art. 11 Abs. 2 des Übereinkommens (vgl. § 18 Abs. 7 EGBGB) ebenfalls erwähnte Schranke der Bedürfnisse des Rentengläubigers im internationalen Verhältnis häufig zu seinen Gunsten überschritten wird, wenn der Rentenschuldner sich in einem reicheren Land aufhält, ändert nichts am Charakter dieser dem Schutz des Existenzminimums des Rentenschuldners dienenden Bestimmung (ERIK JAYME, Wandel des Unterhaltsbegriffs und Staatsverträge im Internationalen Privatrecht, in: Conflits et harmonisation, FS A. E. VON OVERBECK, Freiburg 1990, S. 532 und 536 bis 538; PAUL VOLKEN, Das internationale Unterhaltsrecht der Schweiz, in: Alimenteninkasso im Ausland, herausg. von HANGARTNER/VOLKEN, S. 28; SIEHR, Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 7, 2. Aufl. 1990, N. 350 zu Anh. I nach § 18 EGBGB). Auch in der Botschaft des Bundesrates wird die Schutzfunktion der staatsvertraglichen Norm betont (BBl. 1975 II S. 1395 und S. 1402 f.).
Da sich Art. 125 des Entwurfs zum neuen Scheidungsrecht bezüglich der Bemessung der Einheitsrente (durch Art. 163 ZGB beeinflusst) ebenfalls an der Leistungsfähigkeit des Rentenschuldners und der Zumutbarkeit der Rentenpflicht orientiert und in der Botschaft des Bundesrates, der Rechtsprechung des Bundesgerichts folgend, die Verteilung eines Defizits abgelehnt wird (BBl. 1996 I S. 1, 116 und 207), sollte die Schranke der Leistungskraft auch im Hinblick auf die anstehende Revision des Scheidungsrechts beachtlich bleiben.
e) Dass die geschilderte und im Massnahmeverfahren leicht zu handhabende Regel von Art. 163 ZGB grundsätzlich gebietet, das Existenzminimum des Rentenschuldners zu schonen, steht faktischen Ausnahmen nicht entgegen. Das Bundesgericht hält nämlich einen potentiellen Eingriff in das Existenzminimum dann nicht für willkürlich, wenn der Rentenschuldner durch zumutbare Mehranstrengung ein höheres als das aktuelle Einkommen erzielen könnte,
BGE 123 III 1 S. 8
es also in seiner eigenen Macht läge, einen wirklichen Eingriff zu vermeiden ( BGE 119 II 314 E. 4a S. 317; BGE 117 II 16 E. 1b). Das erscheint im Rahmen der Prüfung der Frage, ob Art. 163 ZGB willkürlich angewendet worden ist (BGE 119 II 314 E. 4a), folgerichtig und schliesst weitere Ausnahmen nicht aus. Jedoch können solche nicht mit den bereits in BGE 121 III 301 E. 5b S. 303 f. und 121 I 97 E. 3b S. 101 f. verworfenen Gründen gerechtfertigt werden, was das Obergericht vergeblich versucht hat. Weil das Bundesgericht schon im nicht publizierten Teil der E. 5b von BGE 121 III 301 eine schematische Gleichbehandlung der Ehegatten als willkürlich erachtet und die Schranke der Leistungskraft stark in den Vordergrund gerückt hat, ist der angefochtene Entscheid, der diese Grenze zu wenig beachtet, willkürlich.

5. Das Obergericht hält den Eingriff in das Existenzminimum insoweit für gerechtfertigt, als der Beitrag für das Kind bestimmt ist (ähnlich im Fall der Scheidung: Jean-François Perrin, La détermination des contributions alimentaires dans les situations de surendettement, in: Familie und Recht, FS B. Schnyder, Freiburg 1995, S. 531 ff.). Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, auch in den Fällen von BGE 121 I 97 und BGE 121 III 301 hätten sich auf seiten der unterhaltsberechtigten Mutter ihrer Obhut unterstellte Kinder befunden, was die vorgenommene Differenzierung verbiete.
Entsprechend Art. 163 Abs. 1 ZGB hat der Richter im Scheidungsverfahren nach dem klaren Wortlaut von Art. 145 Abs. 2 ZGB "den Unterhalt der Familie" zu regeln, wobei der Gesetzgeber den vor der Revision auf den Unterhalt der Frau beschränkten Wortlaut bewusst auf den Unterhalt der Familie ausweiten wollte ( BGE 121 I 97 E. 2b; BBl. 1979 II S. 1191 und 1346 unten), was schon für sich allein gegen die vom Obergericht angestrebte Differenzierung während der andauernden Ehe spricht. Zudem würde damit eine mehrheitlich abgelehnte Hierarchie zwischen dem Ehegatten- und dem Kinderunterhalt geschaffen (BRÄM/HASENBÖHLER, N. 84 zu Art. 159 ZGB und N. 48, 50 und 53 zu Art. 163 ZGB). BÜHLER/SPÜHLER (N. 268 zu Art. 156 ZGB) berufen sich für eine bevorzugte Behandlung des Unterhaltsanspruches der Kinder und die Zulässigkeit eines Eingriffes in das Existenzminimum des Rentenschuldners zu Unrecht auf BGE 98 Ia 340 E. 2b, wo die Frage im Hinblick auf die beantragte Kostenbefreiung (Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels) behandelt und in der Sache nicht entschieden wurde. Soweit der Entscheid missverstanden werden könnte, wurde er präzisiert (unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 2. Mai 1991 i.S. W., E. 5b).
BGE 123 III 1 S. 9
Obwohl in Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB nur der unterhaltsberechtigte Gatte erwähnt wird, ist auch für das Eheschutzverfahren verlangt worden, es sei der Unterhalt der Restfamilie zu regeln (DESCHENAUX/STEINAUER, Le nouveau droit matrimonial, S. 136 f. und 139 f.). Unabhängig von den Fragen, auf welche Bestimmung der Unterhaltsanspruch der Kinder im Eheschutzverfahren zu stützen ist und ob Art. 176 Abs. 3 ZGB auch dafür auf das Kindesrecht verweist (dazu HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 23 der Bemerkungen vor Art. 171 ZGB, N. 26, 43, 50 und 52 zu Art. 176 ZGB), kann sich der Richter bei der Bemessung des Beitrages für die Kinder auch nach Art. 285 Abs. 1 ZGB in der Regel nicht über die Schranke der Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen Elternteils hinwegsetzen (oben E. 3b/bb al. 2).

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Erwägungen 1 3 5

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