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Urteilskopf

129 V 27


4. Auszug aus dem Urteil i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Pensionskasse von Appenzell Ausserrhoden, betreffend F., und Verwaltungsgericht von Appenzell Ausserrhoden
B 53/02 vom 18. Dezember 2002

Regeste

Art. 73 BVG: Aufforderung zur Verbesserung einer Rechtsschrift.
Von Bundesrechts wegen besteht keine Pflicht des kantonalen Berufsvorsorgegerichts, die versicherte Person zur Verbesserung einer formell ungenügenden Klage aufzufordern.

Sachverhalt ab Seite 27

BGE 129 V 27 S. 27

A.- F. musste ihre langjährige berufsvorsorgeversicherte Tätigkeit (...) krankheitsbedingt aufgeben, worauf sie durch die Invalidenversicherung (...) umgeschult wurde. Dies erlaubte es ihr, am 1. September 2000 (...) eine Stelle anzutreten, welche sie auf den 31. Dezember 2001 verlor.
Mit Schreiben vom 26. Februar 2002 forderte die Pensionskasse von Appenzell Ausserrhoden die Versicherte zur Rückerstattung der vom 1. September 2000 bis 31. Dezember 2001 ausgerichteten Pensionskassenrenten von Fr. 1035.- monatlich, zuzüglich Fr. 1063.35 im Januar 2002, total Fr. 17'623.35, unter dem Titel unrechtmässig bezogener Leistungen (Ausübung einer rentenausschliessenden Tätigkeit) auf. Sie stellte ihr die Kopie einer vom 4. September 2000 datierenden, auf eine frühere Wohnadresse lautende Verfügung der IV-Stelle des Kantons Appenzell Ausserrhoden zu, worin die IV-Stelle eine rentenausschliessende Eingliederung ab 1. September
BGE 129 V 27 S. 28
2000 (Stellenantritt) feststellte und die Ausrichtung der IV-Taggelder noch bis Ende August 2000 zusicherte.

B.- Mit einer Eingabe vom 17. März 2002 wandte sich F. an das Verwaltungsgericht des Kantons Appenzell Ausserrhoden. Diese mit "Beschwerde betreffend Aussetzung der IV-Rente und Pensionsrente" betitelte Schrift enthielt das Rechtsbegehren:
"1. Der Entscheid über die Aussetzung der IV-Rente und Pensionsrente sei aufzuheben. (...)
2. Die Forderung (Rückerstattung) der Pensionskasse sei abzuweisen.
(...)
3. Die IV und die kantonale Pensionskasse sei zu verpflichten, F. die ihr zustehenden Renten weiter zu bezahlen."
Das Verwaltungsgericht, mit dieser Eingabe vom 17. März 2002 konfrontiert, stellte einerseits fest, das Verfahren betreffend die Verfügung der IV-Stelle vom 4. September 2000 sei weiterzuführen (wobei in diesem Beschwerdeverfahren insbesondere die Frage einer fristauslösenden früheren Zustellung der Verfügung an die Versicherte abzuklären sei); soweit die Eingabe die Berufsvorsorgeleistungen betraf, ging das kantonale Gericht andererseits, unter Berufung auf die Praxis, wonach den Vorsorgeeinrichtungen die Verfügungskompetenz abgeht, davon aus, beide Parteien seien
"mit ihren Begehren (F.: Weiterzahlung der Rente; Pensionskasse: Rückforderung) auf das Klageverfahren im Sinne von Art. 73 des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG, SR 831.40) zu verweisen. Auf die Beschwerde von F. bezüglich der beruflichen Vorsorge (Leistungen der Pensionskasse, Rückerstattungspflicht) wird daher nicht eingetreten."
(Entscheid vom 22. Mai 2002).

C.- Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, es sei der kantonale Gerichtsentscheid aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese das als Beschwerde bezeichnete Schreiben der Versicherten vom 17. März 2002 als Klage behandle. Zur Begründung bringt das BSV vor, die Versicherte habe durch ihr Schreiben vom 17. März 2002 "klar zu erkennen" (gegeben), "dass sie sich - (...) - gegen die Rückerstattungspflicht wendet und die Weiterausrichtung der bisherigen Rente verlangt". In rechtlicher Hinsicht macht das BSV gestützt auf Art. 73 Abs. 2 BVG, welcher die Kantone zur Einrichtung eines einfachen Verfahrens verpflichtet, und unter Berufung auf die bundesrätliche Botschaft (BBl 1976 I 210) geltend, den Kantonen sei für die Klage von
BGE 129 V 27 S. 29
Bundesrechts wegen keine besondere Form vorgeschrieben; hingegen sei "in Analogie zu Art. 85 Abs. 2 Bst. b AHVG davon auszugehen, dass die schriftliche Klage ein Rechtsbegehren und eine Begründung enthalten müsste". Ferner hätte die Vorinstanz "in Analogie zu Art. 52 Abs. 2 VwVG" der Versicherten eine kurze Nachfrist zur Behebung des von ihr beanstandeten Mangels ansetzen müssen mit Androhen des Nichteintretens.
Dieser Betrachtungsweise tritt das kantonale Gericht in seiner Vernehmlassung u.a. mit folgenden Argumenten entgegen:
"Weil die Versicherte im Klageverfahren jederzeit und nach kantonalem Recht auch ohne Beizug eines Anwaltes eine begründete Klage einreichen kann, konnte unserer Auffassung nach auf das Ansetzen einer Nachfrist verzichtet werden. Das BSV verkennt, dass die Nachfristansetzung nach Art. 85 Abs. 2 lit. b AHVG auf das fristgebundene Beschwerdeverfahren und nicht auf das Klageverfahren zugeschnitten ist."
Die Pensionskasse verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Die zur Vernehmlassung eingeladene F., nunmehr anwaltlich vertreten, stellt das Rechtsbegehren, auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei nicht einzutreten; eventualiter sei sie abzuweisen. (...)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2.

2.1 Das Bundesrecht enthält für das kantonale Verfahren in Berufsvorsorgesachen eine einzige Bestimmung, Art. 73 BVG, welche sowohl im Obligatoriums- (Art. 6 BVG) als auch im weitergehenden Berufsvorsorgebereich (Art. 49 Abs. 2 BVG) beachtlich ist. Nach dessen Abs. 1 bezeichnet jeder Kanton ein Gericht, das als letzte kantonale Instanz über Streitigkeiten zwischen Vorsorgeeinrichtungen, Arbeitgebern und Anspruchsberechtigten entscheidet (Satz 1). Die Kantone sehen ein einfaches, rasches und in der Regel kostenloses Verfahren vor; der Richter stellt den Sachverhalt von Amtes wegen fest (Abs. 2). Der restliche Normgehalt des Art. 73 BVG betrifft die örtliche Zuständigkeit (Abs. 3) und unterwirft die kantonalen Entscheide dem Rechtsmittel der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidgenössische Versicherungsgericht (Abs. 4).

2.1.1 Soweit die Versicherte mit ihrer Eingabe vom 17. März 2002 an das kantonale Gericht die ihr von der Pensionskasse mit Schreiben vom 26. Februar 2002 angedrohte Rückerstattung der vom 1. September 2000 bis 31. Januar 2002 bezogenen Pensionskassenrenten
BGE 129 V 27 S. 30
beanstandet hat, ist das Nichteintreten des kantonalen Gerichts ohne weiteres bundesrechtskonform. Das Nichteintreten trägt dem Rechtsumstand Rechnung, dass die Vorsorgeeinrichtungen im Rahmen von Art. 73 BVG praxisgemäss (BGE 115 V 224 und seitherige ständige Rechtsprechung) keine Verfügungskompetenz besitzen - welche als Anfechtungsobjekt eines Rechtsmittels in Betracht fiele - und dass für die - allfällige - rechtliche Durchsetzung des Rückerstattungsanspruches einzig die Pensionskasse von Appenzell Ausserrhoden aktivlegitimiert (SZS 1998 S. 447) ist. Eine negative Feststellungsklage seitens der Versicherten, des Inhalts, dass sie der Pensionskasse nichts schulde, scheidet mangels der hiefür erforderlichen Voraussetzungen (in BGE 128 III 142 nicht publizierte Erw. 2 [4C. 324/2001]) aus. Demzufolge ist die richterliche Prüfung der Begründetheit dieses Rückerstattungsanspruches einem Urteil vorbehalten, welches auf eine entsprechende Klage der Pensionskasse hin zu ergehen hätte, eine Klage, welche die Pensionskasse hier nach Lage der Akten jedoch bisher nicht erhoben hat.

2.1.2 Allein unter dem Gesichtswinkel des Art. 73 BVG betrachtet ist sodann bundesrechtlich ebenfalls unbedenklich, dass das kantonale Gericht auch insoweit auf die Eingabe vom 17. März 2002 nicht eingetreten ist, als darin die weitere Auszahlung der Pensionskassenrente (über den 31. Januar 2002 hinaus) beantragt, jedoch seitens der Versicherten nicht hinreichend sachbezogen begründet worden war. Denn Art. 73 BVG verpflichtet das kantonale Berufsvorsorgegericht nicht, der klagenden berufsvorsorgeversicherten Person Gelegenheit zur Verbesserung der Klage einzuräumen, verbunden mit der Androhung, dass im Unterlassungsfall auf das Rechtsmittel nicht eingetreten werde.

2.2 Damit bleibt zu prüfen, ob sich eine entsprechende Verpflichtung des kantonalen Berufsvorsorgegerichts sonst aus dem Bundesrecht, insbesondere dem Bundesverfassungsrecht, ergibt. Dies ist unter allen in Frage kommenden Rechtstiteln zu verneinen: Eine analogieweise Anwendung von Art. 85 Abs. 2 lit. b AHVG (Nachfristansetzung im Beschwerdeverfahren) fällt mangels gesetzlicher Grundlage, einer Verweisungsnorm oder hinreichend gleichgelagerter Verhältnisse, welche den Analogieschluss ohne gesetzliche Grundlage gebieten würden (dazu BGE 125 III 128 ff. Erw. 1d und e, BGE 122 III 414 f. Erw. 2b), ausser Betracht. Die Pflicht, der klagenden Person Gelegenheit zur Verbesserung ihres Rechtsmittels einzuräumen, kann auch nicht als in der Garantie eines einfachen
BGE 129 V 27 S. 31
Verfahrens enthaltene Anforderung betrachtet werden. Das ist schon daraus ersichtlich, dass das Bundesrecht zwischen der Einfachheitsanforderung (vgl. z.B. Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG) und der Pflicht zur Nachfristansetzung/Verbesserungsaufforderung (vgl. z.B. Art. 85 Abs. 2 lit. b AHVG) unterscheidet. Es bedürfte der letzteren Bestimmungen nicht, wenn deren Inhalt schon von der Einfachheitsgarantie erfasst wäre. Der bundesverfassungsrechtliche (Art. 29 Abs. 1 BV) und konventionsrechtliche (Art. 6 Abs. 1 EMRK) Schutz der Justizgewährleistung sodann ist von vornherein nicht betroffen, weil es der rechtsuchenden Person im Anschluss an einen - zufolge Nichterfüllung der formellen Klagevoraussetzungen - ergangenen Nichteintretensentscheid freisteht, von neuem Klage zu erheben. Dieses Recht zur Klageeinreichung ist durch nichts anderes begrenzt als durch die materiellrechtlichen Verjährungsfristen (Art. 41 BVG).

2.3 Hingegen ergibt sich eine Pflicht, dem Versicherten Gelegenheit zur Verbesserung der unzureichenden Klage zu geben, aus dem kantonalen Recht. So schreibt etwa § 173 Abs. 2 ZPO/AG vor, dass der Instruktionsrichter im Rahmen der Klageprüfung den Kläger auf Mängel aufmerksam macht und ihm für die Verbesserung oder den Rückzug der Klage eine kurze Frist einräumt (§ 173 Abs. 1 in Verbindung mit § 167 ZPO/AG). Im appenzell-ausserrhodischen Zivilprozessrecht, welches auf das Klageverfahren in Berufsvorsorgestreitigkeiten vor Verwaltungsgericht ergänzend anwendbar ist, verhält es sich nicht anders (Art. 13 lit. f in Verbindung mit Art. 14 Abs. 3 des Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit [Bereinigte (systematische) Gesetzessammlung des Kantons Appenzell Ausserrhoden, bGS, 143.6] und Art. 134 Abs. 2 und 3 Zivilprozessordnung [bGS 231.1]). Indessen entspringt diese von Amtes wegen vorzunehmende Prüfung der formellen Klagevoraussetzungen (vgl. BÜHLER/EDELMANN/KILLER, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung: Zivilrechtspflegegesetz [Zivilprozessordnung, ZPO] vom 18. Dezember 1984, Aarau 1998, N 3 zu § 173) dem kantonalen Recht. Dessen Missachtung stellt keine Bundesrechtsverletzung (Art. 104 lit. a OG) dar. Der vorinstanzliche Nichteintretensentscheid hält daher vor der Verwaltungsgerichtsbeschwerde des BSV auch unter diesem rechtlichen Gesichtswinkel stand, ganz abgesehen davon, dass das BSV nicht mit der Massgeblichkeit des kantonalen Verfahrensrechts argumentiert. Bei dieser Rechtslage ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde des BSV unbegründet.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 2

Referenzen

BGE: 115 V 224, 128 III 142, 125 III 128, 122 III 414

Artikel: Art. 73 BVG, Art. 85 Abs. 2 lit. b AHVG, Art. 73 Abs. 2 BVG, Art. 52 Abs. 2 VwVG mehr...