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Urteilskopf

133 V 67


10. Auszug aus dem Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts i.S. Sammelstiftung BVG der Allianz Suisse Lebensversicherungs-Gesellschaft gegen K. und Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
B 25/06 vom 28. November 2006

Regeste

Art. 23 und 26 Abs. 3 BVG: Revisionsweise Änderung einer BVG-Rente. Zeitpunkt der Rentenaufhebung.
Eine Rente nach BVG ist unter denselben materiellen Voraussetzungen wie eine Rente der Invalidenversicherung revisionsweise anzupassen oder aufzuheben (E. 4.3.1).
Die Vorsorgeeinrichtung kann bei einer Rentenaufhebung den Revisionsentscheid der Invalidenversicherung nachvollziehen, aber auch auf Grund eigener Abklärungen entscheiden. Diesfalls bestimmt sich der Zeitpunkt der Aufhebung analog zu Art. 88bis Abs. 2 IVV. Die Zulässigkeit einer rückwirkenden Aufhebung hängt jedoch ab von der Verletzung der Meldepflicht gegenüber der Vorsorgeeinrichtung, nicht gegenüber der IV-Stelle (E. 4.3.5).
Offen gelassen, ob die Pflicht, der Vorsorgeeinrichtung relevante Änderungen zu melden, von Gesetzes wegen besteht oder eine reglementarische Grundlage voraussetzt (E. 4.3.5).

Erwägungen ab Seite 68

BGE 133 V 67 S. 68
Aus den Erwägungen:

4.

4.3

4.3.1 Analog zu den Renten der Eidgenössischen Invalidenversicherung sind auch jene der (hier allein zur Diskussion stehenden) obligatorischen beruflichen Vorsorge im Rahmen einer Revision anzupassen oder aufzuheben, wenn sich die Verhältnisse in anspruchsrelevanter Weise verändert haben (THOMAS LOCHER, Revision der Invalidenrente - Diskussion aktueller Fragestellungen [materiellrechtliche und formellrechtliche Aspekte], in: Schaffhauser/ Kieser [Hrsg.], Invalidität im Wandel, St. Gallen 2005, S. 113 ff., 115 f.; ROMAN SCHNYDER, Rechtsfragen der Invalidenrentenanpassung in der beruflichen Vorsorge, in: Schaffhauser/Schlauri [Hrsg.], Die Revision von Dauerleistungen in der Sozialversicherung, St. Gallen 1999, S. 151 ff., 169). Für den Fall der Aufhebung ergibt sich dies bereits aus Art. 26 Abs. 3 Satz 1 BVG, wonach der Rentenanspruch mit dem Wegfall der Invalidität erlischt. Laut einer Lehrmeinung ist zumindest im Bereich der obligatorischen beruflichen Vorsorge massgebend, dass und wie die Invalidenversicherung entscheidet. Die entsprechend der Rentenrevision der Invalidenversicherung festgelegte neue Rente respektive der Wegfall einer Rente seien in der Folge von der Vorsorgeeinrichtung nachzuvollziehen. Wenn sich ein Entscheid der Invalidenversicherung
BGE 133 V 67 S. 69
hinauszögere oder offensichtlich falsch ausgefallen sei, bestehe die Bindungswirkung nicht und die Vorsorgeeinrichtung könne entsprechend ihren Feststellungen verfahren (HANS-ULRICH STAUFFER, Berufliche Vorsorge, Zürich 2005, S. 352 Rz. 950).

4.3.2 Nach der Rechtsprechung ist ein Entscheid der IV-Stelle für die Einrichtungen der beruflichen Vorsorge verbindlich, sofern die Vorsorgeeinrichtung durch Eröffnung der entsprechenden Verfügung in das invalidenversicherungsrechtliche Verfahren einbezogen wurde und soweit die konkrete Fragestellung für die Beurteilung des Rentenanspruchs gegenüber der Invalidenversicherung entscheidend war. Diese Bindungswirkung findet ihre positivrechtliche Grundlage in den Art. 23, 24 Abs. 1 und 26 Abs. 1 BVG (vorliegend relevant ist je die bis 31. Dezember 2004 gültig gewesene Fassung), welche an die Regelung des IVG anknüpfen oder diese übernehmen. Die Orientierung an der Invalidenversicherung bezieht sich insbesondere auf die sachbezüglichen Voraussetzungen des Rentenanspruchs, die Rentenhöhe und den Rentenbeginn. Mit der Bejahung der Bindungswirkung wird einerseits eine gewisse (nicht uneingeschränkte) materiellrechtliche Koordinierung zwischen erster und zweiter Säule angestrebt. Andererseits sollen die Organe der beruflichen Vorsorge von eigenen aufwändigen Abklärungen freigestellt werden (zum Ganzen BGE 132 V 4 f. E. 3.2). Es stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit die Entscheide der IV-Stelle auch in Bezug auf spätere Änderungen des Rentenanspruchs (hier steht konkret eine Aufhebung zur Diskussion) vorsorgerechtliche Verbindlichkeit entfalten.

4.3.3 Eine sowohl den Grundsatz als auch die zeitliche Wirkung erfassende Bindung der Vorsorgeeinrichtung an eine Rentenherabsetzung oder -aufhebung durch die IV-Stelle ist nur dann denkbar, wenn sich eine solche im Bereich des BVG nach denselben Regeln richtet, wie sie für die Invalidenversicherung gelten. Die Beschwerdeführerin bestreitet dies und lässt geltend machen, der bereits zitierte Art. 26 Abs. 3 Satz 1 BVG lasse den Rentenanspruch "mit dem Wegfall der Invalidität" erlöschen. Diese Formulierung bedeutet jedoch keinen prinzipiellen inhaltlichen Unterschied gegenüber den für die Invalidenversicherung massgebenden Normen (bis 31. Dezember 2002: Art. 41 IVG; seit 1. Januar 2003: Art. 17 Abs. 1 ATSG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 IVG). Denn auch letztere verlangen eine anspruchserhebliche Änderung des Invaliditätsgrades, für die Rentenaufhebung somit den Wegfall der
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anspruchsspezifischen Invalidität. In Art. 88a IVV wird konkretisiert, welche Dauer oder Intensität die Sachverhaltsänderung aufweisen muss, um revisionsrechtlich relevant zu werden. Dabei handelt es sich letztlich um Konkretisierungen des für den Rentenanspruch massgebenden Invaliditätsbegriffs. Deshalb rechtfertigt sich eine analoge Übertragung der entsprechenden Regelung auf die Renten der obligatorischen beruflichen Vorsorge.

4.3.4 Art. 88a IVV legt auch die zeitlichen Wirkungen der Rentenanpassung fest, falls diese im Rahmen einer Befristung oder Abstufung, also gleichzeitig (vgl. dazu BGE 131 V 165 f. E. 2.3) mit der Rentenzusprechung erfolgt (BGE 109 V 127 f. E. 4b: BGE 106 V 16 f. E. 3a; AHI 2001 S. 278 E. 1a mit Hinweisen [= Urteil vom 22. August 2001, I 11/00]). Wird dagegen eine zugesprochene Rente revisionsweise abgeändert, richtet sich der Anpassungszeitpunkt nach Art. 88bis IVV. Gleiches gilt, wenn der Anspruch als solcher unbestrittenermassen entstanden ist und das Ausbleiben der entsprechenden Verfügung einzig auf der Klärung anderer Punkte (z.B. Rentenberechnung) beruht (BGE 106 V 17 f. E. 3b; nicht veröffentlichtes Urteil vom 21. September 1988, I 535/87, E. 1). Im vorliegenden Fall hat die IV-Stelle eine Rente rechtskräftig zugesprochen, und auch der ursprüngliche Rentenanspruch gegenüber der Beschwerdeführerin ist im Grundsatz unbestritten. Falls sich die berufsvorsorgerechtliche Beurteilung auch insoweit an der Invalidenversicherung zu orientieren hat, ist demzufolge Art. 88bis IVV massgebend.

4.3.5 Gemäss Art. 88bis Abs. 2 IVV erfolgt die Herabsetzung oder Aufhebung in der Regel nicht rückwirkend, sondern frühestens auf den ersten Tag des zweiten der Zustellung der Verfügung folgenden Monats (lit. a). Eine Ausnahme gilt dann, wenn die versicherte Person die Leistung unrechtmässig erwirkt hat oder der ihr gemäss Art. 77 IVV zumutbaren Meldepflicht nicht nachgekommen ist (lit. b). Diese Regelung betrifft - anders als Art. 88a IVV - nicht die Umschreibung der relevanten Invalidität. Stattdessen wird im Wesentlichen auf verfahrensrechtliche Faktoren abgestellt: Die rechtskräftig zugesprochene Rente ist zwar einer revisionsweisen Abänderung zugänglich; die versicherte Person soll jedoch, wenn sie sich pflichtgemäss verhalten hat, darauf vertrauen können, dass eine Aufhebung oder Herabsetzung nicht rückwirkend, sondern nur für die Zukunft erfolgt (vgl. ZAK 1986 S. 636 E. 2a). Die Leistungsentscheide im Bereich der obligatorischen
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beruflichen Vorsorge ergehen nicht in Verfügungsform. Sie sind jedoch als Äusserungen einer öffentlichrechtlich tätigen Verwaltungseinheit zu betrachten und daher geeignet, einen bestimmten Vertrauensschutz zu begründen (ROMAN SCHNYDER, Rechtsfragen der Invalidenrentenanpassung in der beruflichen Vorsorge, in: Schaffhauser/Schlauri [Hrsg.], Die Revision von Dauerleistungen in der Sozialversicherung, St. Gallen 1999, S. 151 ff., 162 f.). Es rechtfertigt sich daher, für die Belange des BVG ebenfalls vom Prinzip der Nichtrückwirkung einer revisionsweisen Rentenaufhebung oder -herabsetzung auszugehen und die Regelung von Art. 88bis Abs. 2 IVV als massgebend zu betrachten. Allerdings kommt nur eine analogieweise Anwendung der dort statuierten Grundsätze in Frage. In deren Rahmen kann nun aber nicht allein entscheidend sein, wann die IV-Stelle ihre Verfügung erlässt und ob die versicherte Person ihrer Meldepflicht gegenüber der Invalidenversicherung nachgekommen ist. Denn diese Faktoren liegen regelmässig ausserhalb des Einflussbereichs der Vorsorgeeinrichtung und können dieser nicht zugerechnet werden. Sie muss stattdessen über den - ebenfalls zulässigen - Nachvollzug der Entscheide der IV-Stelle hinaus die Möglichkeit haben, ihrerseits Abklärungen zu treffen. Falls diese zum Ergebnis führen, die Voraussetzungen einer Rentenaufhebung (analoge Anwendung von alt Art. 41 IVG bzw. Art. 17 Abs. 1 ATSG, jeweils in Verbindung mit Art. 88a IVV) seien erfüllt, ist die Vorsorgeeinrichtung ihrerseits befugt, die Rente mit Wirkung auf den ersten Tag des zweiten der Zustellung der entsprechenden Mitteilung folgenden Monats (vgl. Art. 88bis Abs. 2 lit. a IVV) einzustellen. Dies setzt aber voraus, dass der Versicherte seiner Meldepflicht nachgekommen ist, da eine Abklärung seitens der Vorsorgeeinrichtung diese Pflicht nicht zu ersetzen vermag. Was die Analogie zu der in Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV vorgesehenen rückwirkenden Aufhebung bei Verletzung der Meldepflicht anbelangt, trifft die versicherte Person gemäss einer Lehrmeinung nicht nur gegenüber der IV-Stelle, sondern auch gegenüber der eine Rente ausrichtenden Vorsorgeeinrichtung die Pflicht zur Meldung aller anspruchsrelevanten Veränderungen, auch wenn diese Verpflichtung im Reglement nicht erwähnt wird (ROMAN SCHNYDER, Das nichtstreitige Entscheidverfahren in der beruflichen Vorsorge, in: Schaffhauser/Schlauri [Hrsg.], Verfahrensfragen in der Sozialversicherung, St. Gallen 1996, S. 99 ff., 137 f.; derselbe, Das nichtstreitige Verfahren in der beruflichen
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Vorsorge, Aachen 1996, S. 134). Ob dieser Auffassung auch bei Fehlen einschlägiger reglementarischer Bestimmungen ohne Einschränkung beigepflichtet werden kann, muss vorliegend nicht entschieden werden. Denn das Reglement der Beschwerdeführerin über die Alters-, Invaliden- und Hinterlassenenvorsorge gemäss Bundesgesetz über die berufliche Vorsorge (BVG) zugunsten des Personals der A., gültig ab 1. Januar 1991, statuiert in Ziffer 37.1 ausdrücklich eine Verpflichtung der versicherten Person, der Stiftung "unverzüglich alle Ereignisse zu melden, welche Auswirkungen auf die Versicherung haben", wobei als Beispiel die Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit von Personen genannt wird, für welche Invaliditätsleistungen gewährt werden. Im Fall der Verletzung einer derartigen Meldepflicht ist die Vorsorgeeinrichtung in Analogie zu Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV als befugt anzusehen, eine Rente rückwirkend auf den Eintritt der für den Anspruch erheblichen Änderung herabzusetzen oder aufzuheben.

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Erwägungen 4

Referenzen

BGE: 132 V 4, 131 V 165, 109 V 127, 106 V 16 mehr...

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