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Urteilskopf

134 II 160


17. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. und Y. gegen unique zurich airport Flughafen Zürich AG und Kanton Zürich sowie Eidgenössische Schätzungskommission, Kreis 10 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
1E.8/2007 vom 28. April 2008

Regeste

Enteignung nachbarrechtlicher Abwehransprüche infolge Fluglärms sowie von Abwehrrechten gegen den direkten Überflug; Bemessung der Entschädigung für ein Mehrfamilienhaus.
Nach der Lebenserfahrung wird sich bei Mietobjekten, die Wohnzwecken dienen, die Ertragslage bei Mehrlärm nur langsam verschlechtern. Für solche Ertragsliegenschaften hat eine schematische Beurteilung des fluglärmbedingten Schadens zu erfolgen (E. 13). Ausführungen zur Ermittlung des Minderwertes von flugbetriebsbelasteten Mietshäusern (E. 14).

Sachverhalt ab Seite 161

BGE 134 II 160 S. 161
Für den Sachverhalt kann auf BGE 134 II 49 verwiesen werden. Vorliegend musste die Schätzungskommission entscheiden, wie die Entschädigung für ein fluglärmbelastetes Miethaus zu berechnen sei.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

13. Entspricht der lärmbedingte Schaden wie dargelegt (nicht publ. E. 9) der Differenz, die sich bei Gegenüberstellung des Verkehrswertes einer Liegenschaft vor und nach der Immissionsbelastung ergibt, so kann auch in Fällen wie dem vorliegenden nicht von Verkehrswertermittlungen abgesehen werden. Diese richtet sich für vermietete Mehrfamilienhäuser, wie die Enteigner zu Recht geltend machen, grundsätzlich nach den für die Bewertung von Ertragsliegenschaften geltenden Regeln. In Betracht fallen somit die - allenfalls mit einer Realwertermittlung kombinierte - Ertragswertmethode (Kapitalisierung der Netto- oder Bruttomieterträge) sowie die neuere Discounted Cash Flow Methode (DCF), bei der die mutmasslichen künftigen Einnahme- und Ausgabenströme für einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren festzulegen und auf den Bewertungsstichtag abzuzinsen sind (vgl. dazu etwa Das Schweizerische Schätzerhandbuch, Bewertung von Immobilien, Ausgabe 2005, Schweiz. Vereinigung kantonaler Grundstücksbewertungsexperten SVK und Schweiz. Schätzungsexpertenkammer/Schweiz. Verband der Immobilien-Treuhänder SEK/SVIT [Hrsg.], S. 49, 81; KASPAR FIERZ, Der Schweizer Immobilienwert, 5. Aufl. 2005, S. 150 ff.). Die
BGE 134 II 160 S. 162
Ermittlung des Minderwertes der lärmbelasteten Miethäuser dürfte aber unabhängig von der angewendeten Methode nicht leicht fallen:
Während sich bei Einfamilienhäusern und Stockwerkeigentum der Verkehrswert nach dem Interesse der Käufer und den möglichen Marktpreisen bestimmt, die relativ rasch auf äussere Einflüsse wie Lärmbelastungen reagieren, wird sich nach der Lebenserfahrung bei Mietobjekten, die Wohnzwecken dienen, die Ertragslage bei Mehrlärm nur langsam verschlechtern. Die meisten Mieter scheuen die Mühen und Kosten eines Umzugs. Alteingesessene Mieter werden ihre Wohnungen nicht leicht aufgeben, sondern eher geneigt sein, den Mehrlärm zu erdulden. Mieterwechsel und Leerstände werden sich daher erst allmählich, im Laufe mehrerer Jahre, häufen. Die abgeschlossenen Mietverträge enden denn auch nicht beim Auftreten übermässigen Lärms. Mietzinsreduktionen infolge Immissionsbeeinträchtigungen sind gestützt auf Art. 259a Abs. 1 lit. b bzw. Art. 259d OR in der Praxis nur schwer durchsetzbar. Die Mietzinse werden daher häufig noch einige Jahre gleichgehalten oder - insbesondere nach grösseren Renovationen - in Einzelfällen sogar noch erhöht werden können. Dies ändert jedoch nichts daran, dass Wohnliegenschaften, die übermässigem Fluglärm ausgesetzt werden, eine wertmässige Einbusse erleiden und sich die schleichende Entwertung über kurz oder lang darin zeigen wird, dass für die lärmbelasteten Wohnungen nicht (mehr) die selben Mietzinse erzielt werden können wie für vergleichbare Objekte in ruhiger Lage. Der Ertragsverlust kann sich auch darin äussern, dass überdurchschnittliche Investitionen getätigt werden müssen, um die Lärmbelastung durch höheren Komfort und Standard auszugleichen.
Es kann demnach im Entschädigungsverfahren - selbst wenn dieses etwas länger dauert - vom Eigentümer nicht verlangt werden, dass er den nach der übermässigen Lärmbelastung eingetretenen Wertverlust seiner Liegenschaft konkret belege. Ebenso wenig kann es bei einer Vielzahl von Verfahren Aufgabe der Schätzungskommission sein, in jedem Einzelfall aufgrund der vorgelegten, häufig dürftigen Unterlagen abzuklären, ob und in welcher Höhe eine Ertragseinbusse eingetreten sei oder noch eintreten werde. Dabei müsste auch der Frage nachgegangen werden, ob trotz gleich bleibender Einnahmen ein Ausfall entstehe, weil die Mietzinse nicht oder nicht mehr dem sonstigen Markt gemäss erhöht werden könnten. Zudem wäre zu prüfen, ob sich die Aufwendungen für Unterhalt und Renovation im Rahmen des Üblichen hielten und künftig nicht vergrössert
BGE 134 II 160 S. 163
werden müssten. Angesichts all dieser Schwierigkeiten hat für Ertragsliegenschaften, die Wohnzwecken dienen und sich nicht für eine andere, weniger lärmempfindlichere Nutzung eignen, eine schematische Beurteilung des fluglärmbedingten Schadens zu erfolgen, die nicht nur im Sinne der Praktikabilität, sondern auch der Gleichbehandlung liegt.

14. Es ist nicht Sache des Bundesgerichts als Beschwerdeinstanz, ein Raster bzw. die geeigneten Kriterien zur schematischen Beurteilung der immissionsbedingten Entwertung von Mehrfamilienhäusern aufzustellen. Vielmehr ist die vorliegende Streitigkeit zur Neubeurteilung an die Eidgenössische Schätzungskommission zurückzuweisen, die über Fachrichter verfügt und der die örtlichen Verhältnisse vertraut sind. Immerhin mögen hier einige Anhaltspunkte für die vorzunehmenden schematischen Minderwertsermittlungen genannt werden:

14.1 Die Flughafenhalterin hat durch Experten ein auf ökonometrischen Grundlagen beruhendes sog. hedonisches Modell (MIFLU "Minderwert Fluglärm") ausarbeiten lassen, anhand dessen sich der Wert der verschiedenen Merkmale von Immobilien - so insbesondere auch die Ruhe oder das Fehlen der Ruhe im Quartier - ermitteln lässt. Das Bundesgericht hat im Leitentscheid BGE 134 II 49 die Anwendbarkeit dieser Methode zur Bestimmung des fluglärmbedingten Minderwertes von selbst genutztem Wohneigentum (Einfamilienhäuser und Stockwerkeigentum) anerkannt. Nun ist das MIFLU-Modell zwar zur Ermittlung des lärmbedingten Wertverlustes vermieteter Mehrfamilienhäuser nicht einsetzbar. Ergibt sich jedoch anhand des Modells, dass das selbstgenutzte Wohneigentum in einem bestimmten Quartier fluglärmbedingt einen schweren Schaden im Sinne der Rechtsprechung erleidet, so liegt der Schluss nahe, dass auch die Mehrfamilienhäuser, die gleich oder sogar noch stärker fluglärmbelastet sind, in ähnlicher Weise beeinträchtigt werden. Die Lärmsituation in den betroffenen Quartieren kann aufgrund der von der EMPA Dübendorf mittels FLULA2 (Fluglärmsimulationsprogramm) erstellten Belastungskarten hektargenau festgestellt werden.

14.2 Der Umstand, dass sich Mietertragsverluste häufig erst allmählich einstellen (vgl. oben E. 13), kann etwa dadurch berücksichtigt werden, dass eine zu leistende Entschädigung nicht schon ab dem Schätzungsstichtag zu verzinsen ist. Dem Eigentümer muss jedoch Gelegenheit gegeben werden, eine sofortige Ertragseinbusse nachzuweisen.
BGE 134 II 160 S. 164

14.3 Die schematische Bewertung soll im Übrigen nicht ausschliessen, dass den örtlichen Gegebenheiten oder besonderen Merkmalen der Mehrfamilienhäuser Rechnung getragen wird. Wird ein Mietobjekt auch vom Strassenlärm betroffen oder ist sein Unterhalt vernachlässigt, so wird der Einfluss des Fluglärms auf den Mietwert wesentlich geringer sein als bei gut gepflegten Wohnhäusern in (vom Fluglärm abgesehen) ruhiger Lage. In diesem Zusammenhang kann der Einsatz einer Bewertungs-Tabelle, die feinere Unterscheidungen trifft als der verwendete Lageklassenschlüssel, von Nutzen sein.

Inhalt

Ganzes Dokument:
Regeste: deutsch französisch italienisch

Erwägungen 13 14

Referenzen

BGE: 134 II 49

Artikel: Art. 259d OR

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