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Urteilskopf

137 I 1


1. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. AG gegen Obergericht des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_471/2010 vom 17. Januar 2011

Regeste

Art. 9, Art. 29 Abs. 1 und Art. 30 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK; kein Anspruch auf Bekanntgabe der Taggelder, welche an Richter bezahlt wurden.
Die Bekanntgabe der einem Richter ausgerichteten Taggelder würde dazu führen, dass seine Arbeitsweise und damit auch der Ausgang eines Verfahrens durch prozessfremde Elemente beeinflusst und damit die Unabhängigkeit des Gerichts in Frage gestellt würde. Die Verwaltungskommission des Obergerichts wendete das kantonalzürcherische Gesetz über die Information und den Datenschutz nicht willkürlich an und verletzte auch nicht Art. 29 Abs. 1 BV, Art. 30 Abs. 1 BV oder Art. 6 Ziff. 1 EMRK, wenn sie die Bekanntgabe dieser Information gestützt auf überwiegende öffentliche Interessen verweigerte (E. 2).

Sachverhalt ab Seite 2

BGE 137 I 1 S. 2

A. Die X. AG fragte mit Schreiben vom 7. September 2009 das Handelsgericht des Kantons Zürich an, wie viele Taggelder drei Handelsrichter in einem Verfahren erhalten hatten, welches mit Urteil vom 7. Mai 2008 abgeschlossen worden war. Der Handelsgerichtspräsident antwortete, die X. AG habe auch als Prozesspartei keinen Anspruch auf diese Auskunft. In der Folge beharrte die X. AG jedoch auf ihrem Gesuch. Mit Beschluss vom 6. Januar 2010 wies die Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich das Gesuch förmlich ab. Zur Begründung führte sie an, dass gemäss § 23 Abs. 1 des Gesetzes des Kantons Zürich vom 12. Februar 2007 über die Information und den Datenschutz (IDG; LS 170.4) die Bekanntgabe von Informationen ganz oder teilweise verweigert oder aufgeschoben werden könne, wenn eine rechtliche Bestimmung oder ein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse entgegenstehe. Vorliegend würde durch die Bekanntgabe offengelegt, wie viel Zeit die Richter für das Verfahren aufgewendet hätten, und es wären Rückschlüsse auf deren Besoldung möglich. Auch würde die Aufgabenerfüllung der Gerichte erheblich beeinträchtigt.
Als Rechtsmittel gegen seinen Beschluss nannte die Verwaltungskommission die Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich. Auf die von der X. AG in der Folge erhobene Beschwerde trat das Verwaltungsgericht indessen mit Beschluss vom 19. Februar 2010 nicht ein.
Mit zwei verschiedenen Eingaben vom 31. März 2010 erhob die X. AG gegen den Beschluss der Verwaltungskommission des Obergerichts (Verfahren 1C_177/2010) und gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts (Verfahren 1C_179/2010) Beschwerde in öffentlich- rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Das Bundesgericht vereinigte die beiden Verfahren und hiess die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts wegen Verletzung der Rechtsweggarantie (Art. 29a BV) gut. Es hob den Beschluss auf und wies die Sache zur neuen Beurteilung an das Verwaltungsgericht zurück. Die Beschwerde im Verfahren 1C_177/2010 schrieb es als
BGE 137 I 1 S. 3
gegenstandslos geworden ab (Urteil 1C_177/2010 /1C_179/2010 vom 25. Mai 2010).
Nach erneuter Befassung mit der Sache wies das Verwaltungsgericht mit Entscheid vom 22. September 2010 die Beschwerde gegen den Beschluss der Verwaltungskommission des Obergerichts ab.

B. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht vom 20. Oktober 2010 beantragt die X. AG, der Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 22. September 2010 sei aufzuheben. Die Verwaltungskommission des Obergerichts sei anzuweisen, ihr die Anzahl der Taggelder mitzuteilen, welche den Handelsrichtern Viktor Müller, Rolf Dürr und Thomas Klein je für das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 7. Mai 2008 (Geschäftsnummer HG050115) zugesprochen worden seien. Eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen.
Das Verwaltungsgericht und die Verwaltungskommission des Obergerichts haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2.

2.1 Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass das Gesuch der Beschwerdeführerin eine personaladministrative Aufgabe betreffe. Dabei gehe es nicht um die eigentliche Kernfunktion der Rechtsprechung. Das IDG sei somit anwendbar (§ 2 Abs. 1 IDG). Indessen stünden der Informationsgewährung überwiegende private und öffentliche Interessen im Sinne von § 23 IDG entgegen. Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut:
1Das öffentliche Organ verweigert die Bekanntgabe von Informationen ganz oder teilweise oder schiebt sie auf, wenn eine rechtliche Bestimmung oder ein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse entgegensteht.
2Ein öffentliches Interesse liegt insbesondere vor, wenn
a. die Information Positionen in Vertragsverhandlungen betrifft,
b. die Bekanntgabe der Information den Meinungsbildungsprozess des öffentlichen Organs beeinträchtigt,
c. die Bekanntgabe der Information die Wirkung von Untersuchungs-, Sicherheits- oder Aufsichtsmassnahmen gefährdet,
d. die Bekanntgabe der Information die Beziehungen unter den Gemeinden, zu einem anderen Kanton, zum Bund oder zum Ausland beeinträchtigt,
BGE 137 I 1 S. 4
e. die Bekanntgabe die zielkonforme Durchführung konkreter behördlicher Massnahmen beeinträchtigt.
3Ein privates Interesse liegt insbesondere vor, wenn durch die Bekanntgabe der Information die Privatsphäre Dritter beeinträchtigt wird.

2.2 Zu den privaten Interessen führte das Verwaltungsgericht aus, eine Bekanntgabe der Anzahl Taggelder würde bedeuten, dass die Öffentlichkeit erführe, wie viel Zeit ein Handelsrichter in einen Fall investiert habe. Dies betreffe die individuelle Arbeitsausführung. Deshalb würde die Privatsphäre der Handelsrichter als Behördenmitglieder durch die Bekanntgabe zweifellos stark betroffen.
In Bezug auf die öffentlichen Interessen hielt das Verwaltungsgericht fest, unter dem Druck der Öffentlichkeit bestünde die Gefahr, dass die nebenamtlichen Handelsrichter zukünftig nicht mehr frei sein würden in ihrer Zeiteinteilung für einen Fall und sich damit von sachfremden Kriterien bei der Arbeitsausführung leiten liessen. Eine solche Einwirkung könne die Unabhängigkeit des Gerichts beeinträchtigen. Die Bekanntgabe der Anzahl ausgerichteter Taggelder für einen Fall sei vergleichbar mit der Besoldung vollamtlicher Richter, welche sich an der Anzahl erledigter Fälle orientiere. Eine solche Besoldung könne dazu führen, dass die Richter dem Einzelfall nicht mehr jenes Mass an Zeit und Aufwand widmeten, das angemessen und sachgerecht wäre. Dann aber stünden elementare Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zur Disposition.
Das Verwaltungsgericht fügte schliesslich mit Blick auf die Interessen an der Bekanntgabe der Information an, dass sich die Öffentlichkeit über die Grundzüge der Besoldung der Handelsrichter im Personalgesetz und dessen Ausführungserlassen informieren könne. Sollte sich eine Partei für die Anzahl der ausgerichteten Taggelder in einem konkreten Fall interessieren, weil sie sich gegen die Höhe der ihr im handelsgerichtlichen Verfahren auferlegten Gerichtsgebühr zur Wehr setzen möchte, stünden ihr dazu andere, zivilrechtliche Rechtsmittel zur Verfügung.

2.3 Die Beschwerdeführerin erblickt sowohl in der Annahme überwiegender privater als auch in der Annahme überwiegender öffentlicher Interessen eine willkürliche Anwendung von § 23 IDG. Zur Frage der öffentlichen Interessen meint sie, da die nebenamtlichen Handelsrichter ohnehin nebenamtlich und gegen ein geringes Entgelt tätig seien, verbiete sich schon der Vergleich der Bekanntgabe der Anzahl ausgerichteter Taggelder für einen Fall mit der
BGE 137 I 1 S. 5
Besoldung bei vollamtlichen Richtern. Zudem erfolge bei Taggeldern gerade nicht eine Besoldung nach Leistung. Auch beziehe sich ihr Gesuch auf ein bereits abgeschlossenes Verfahren und bereits zugesprochene Taggelder. Es könne damit kaum Wirkungen für die Zukunft entfalten. Insgesamt verkenne der angefochtene Entscheid die Bedeutung des Grundsatzes der richterlichen Unabhängigkeit nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK und bewirke eine Rechtsverweigerung (Art. 29 Abs. 1 BV).

2.4 Nach der ständigen Praxis des Bundesgerichts liegt Willkür in der Rechtsanwendung vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid jedoch nur auf, wenn nicht bloss die Begründung, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist. Dass eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht (BGE 133 I 149 E. 3.1 S. 153; BGE 131 I 467 E. 3.1 S. 473 f.; je mit Hinweisen).

2.5

2.5.1 Die von der Beschwerdeführerin nachgesuchten Informationen stehen in einem engen Zusammenhang mit der Leistungsbeurteilung von Richtern und der dieser durch die richterliche Unabhängigkeit gesetzten Schranken. Zur Beurteilung der Frage nach allenfalls überwiegenden öffentlichen Interessen ist erforderlich, auf diesen Zusammenhang näher einzugehen.

2.5.2 Im Rahmen des Diskurses über die Anwendung von New Public Management in der Justiz wurde auf die grundsätzliche Problematik von Indikatoren zur Leistungsbeurteilung richterlicher Arbeit hingewiesen. Denn anders als bei anderen staatlichen Leistungen (z.B. dem Strassenbau) entzieht sich das Resultat richterlicher Arbeit weigehend der Erfassung anhand von Indikatoren. Es wird deshalb gefordert, dass an die Stelle der Beurteilung des Resultats die Beurteilung des Wegs zu diesem Resultat zu treten habe, das heisst die Korrektheit des Verfahrens und die Sachlichkeit der Begründung (PATRICK MAIER, New Public Management in der Justiz, 1999, S. 194 mit weiteren Hinweisen). Der Zeitfaktor erweist sich als besonders problematischer Indikator, ist doch beispielsweise die Zahl der während eines bestimmten Zeitraums instruierten Fälle hinsichtlich der Qualität der richterlichen Arbeit nur sehr beschränkt
BGE 137 I 1 S. 6
aussagekräftig. So wenig ein relativ geringer zeitlicher Aufwand eine ungenügende Erfassung der rechtlichen Problematik eines Falles und damit schlechte Urteilsqualität indizieren muss, so wenig gilt das Gegenteil. Insgesamt zieht die Lehre deshalb den Schluss, dass im Bereich richterlicher Tätigkeit von Leistungslöhnen eher Abstand zu nehmen sei (REGINA KIENER, Richterliche Unabhängigkeit, 2001, S. 290 f.; ANDREAS LIENHARD, Staats- und verwaltungsrechtliche Grundlagen für das New Public Management in der Schweiz, 2005, S. 263 ff.; vgl. zur dienstrechtlichen Richterbeurteilung in Deutschland STEPHAN HABERLAND, Richterliche Unabhängigkeit und dienstliche Beurteilungen, Deutsche Richterzeitung [DRiZ] 87/2009 S. 242 ff.; ULRICH JOERES, Die sachliche Unabhängigkeit des Richters in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, DRiZ 83/2005 S. 321 ff.; ROSWITHA MÜLLER-PIEPENKÖTTER, Die dienstlichen Beurteilungen der Richter und Staatsanwälte, DRiZ 83/2005 S. 103 f.; RUDOLF WASSERMANN, in: Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1989, N. 37 zu Art. 97 GG).

2.5.3 Die Bekanntgabe eines einzelnen und nicht aussagekräftigen Indikators kann jedoch nicht nur Missverständnisse heraufbeschwören, sondern die zusätzliche Gefahr bergen, dass der Richter als Reflex darauf durch unsachgemässen Druck beeinflusst werden könnte. Dabei spielt keine Rolle, dass eine solche Beeinflussung im vorliegenden Fall, wo das Urteil bereits gefällt wurde, auszuschliessen ist. Es geht vielmehr um die präjudizielle Wirkung der Anerkennung eines Rechts auf Zugang zur umstrittenen Information. Wäre im vorliegenden Fall der Zugang zur Information zu gewähren, wäre er konsequenterweise in jedem andern Fall ebenfalls zu gewähren und würden mit der Bekanntgabe der Anzahl Taggelder die Parteien und letztlich die Öffentlichkeit erfahren, wie viel Zeit ein Richter in einen Fall investiert hat. Das aber liefe darauf hinaus, dass der Richter über die für die Vorbereitung eines Urteils aufgewendete Zeit den Parteien und der Öffentlichkeit Rechenschaft schuldig wäre und entsprechend unter Druck käme. Dadurch würden seine Arbeitsweise und damit auch der Ausgang eines Verfahrens durch prozessfremde Elemente beeinflusst und die Unabhängigkeit des Gerichts in Frage gestellt (BGE 134 I 238 E. 2.1 S. 240; BGE 114 Ia 50 E. 3c S. 55 f.; je mit Hinweisen; MICHEL HOTTELIER, in: Verfassungsrecht der Schweiz, 2001, § 51 Rz. 27; vgl. auch die in E. 2.5.2 hiervor zitierte Literatur). Nach dem Bundesgesetz vom 17. Dezember 2004 über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung (BGÖ; SR 152.3) sind denn
BGE 137 I 1 S. 7
auch Evaluationsberichte zwar grundsätzlich frei zugänglich, nicht jedoch, soweit sie die Leistungen einzelner Personen betreffen (BGE 133 II 209 E. 2.3.2 S. 214 mit Hinweis).

2.5.4 Kann sich nach dem Gesagten die Bekanntgabe der Anzahl der Taggelder für ein konkretes Verfahren negativ auf die richterliche Unabhängigkeit auswirken, so ist die Vorinstanz nicht in Willkür verfallen, wenn sie angenommen hat, an der Geheimhaltung bestehe ein überwiegendes öffentliches Interesse im Sinne von § 23 Abs. 1 IDG. Es fragt sich sogar, ob nicht von einer Interessenabwägung hätte abgesehen werden können. Gemäss § 2 Abs. 1 IDG gilt das Gesetz für die Gerichte nämlich nur, soweit sie Verwaltungsaufgaben erfüllen. Ob trotz der möglichen Auswirkungen auf die Rechtsprechung von einer reinen Verwaltungsaufgabe auszugehen ist, kann jedoch offenbleiben, da der vorinstanzliche Entscheid im Ergebnis jedenfalls zu bestätigen ist. Ebenfalls kann offenbleiben, ob an der Geheimhaltung zusätzlich ein überwiegendes privates Interesse besteht.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich die Rüge der Verletzung von Art. 9 und Art. 30 Abs. 1 BV sowie von Art. 6 Ziff. 1 EMRK als unbegründet erweist. Daraus folgt, dass auch keine Rechtsverweigerung vorliegt (Art. 29 Abs. 1 BV).

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Sachverhalt

Erwägungen 2

Referenzen

BGE: 133 I 149, 131 I 467, 134 I 238, 114 IA 50 mehr...

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