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Urteilskopf

148 II 369


28. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement gegen A. AG und Aufsichtskommission über die Anwältinnen und Anwälte im Kanton Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_1038/2020 vom 15. März 2022

Regeste

Art. 49 und Art. 186 Abs. 4 BV; Art. 66 Abs. 4, Art. 89 Abs. 2 lit. a und Art. 111 Abs. 2 BGG; § 13 und § 65a Abs. 2 VRG/ZH; Sinn und Zweck der Behördenbeschwerde des Bundes und entsprechende Verteilung kantonaler Gerichtskosten.
Sinn und Zweck der Behördenbeschwerde des Bundes ist die Sicherstellung der einheitlichen und korrekten Anwendung von Bundesrecht. Sie ist ein Mittel der Bundesaufsicht, welches zu diesem Zweck auf das kantonale Rechtsmittelsystem zurückgreift und gegenüber diesem in gewisser Weise autonom ist.
Der Aufsichtszweck der Behördenbeschwerde des Bundes wird wesentlich erschwert, wenn kantonales Verfahrensrecht in einer Weise ausgelegt und angewendet wird, dass der Bundesbehörde unter Vorbehalt von Ausnahmen kantonale Gerichtskosten auferlegt werden können. Einer Bundesbehörde, welche im Rahmen einer Behördenbeschwerde ihre spezialgesetzlich vorgesehene Aufsichtsfunktion ohne jegliche Vermögensinteressen im kantonalen Verfahren wahrnimmt, dürfen, unter Vorbehalt einer Ausnahme im Sinne von Art. 66 Abs. 4 BGG, keine kantonalen Gerichtskosten auferlegt werden (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 370

BGE 148 II 369 S. 370

A. Die A. AG wurde am 5. Februar 2020 in das Handelsregister eingetragen und bezweckt die Erbringung von Rechtsdienstleistungen durch in der Schweiz registrierte Anwältinnen und Anwälte und andere qualifizierte Berater. Deren Gründer und einziger Verwaltungsrat, Rechtsanwalt B., ersuchte die Aufsichtskommission über die Anwältinnen und Anwälte des Kantons Zürich (nachfolgend: Aufsichtskommission) mit Schreiben vom 17. Februar 2020 um entsprechende Anpassung seines persönlichen Eintrags im Anwaltsregister.
Die Aufsichtskommission gab dem Gesuch mit Beschluss vom 14. Mai 2020 statt, wobei sie im Beschlussdispositiv unter anderem feststellte, die Anwaltskörperschaft A. AG erfülle die einschlägigen, aufsichtsrechtlichen Anforderungen.

B. Mit Beschwerde vom 23. Juni 2020 an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich beantragte das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) die Aufhebung des vorgenannten Beschlusses der Aufsichtskommission, da die Organisationsstruktur (insb. Statuten) der A. AG nicht den Vorgaben von BGE 144 II 147 entspreche.
BGE 148 II 369 S. 371
Noch während der laufenden Vernehmlassungsfrist passte Rechtsanwalt B. die Statuten an die Vorgaben von BGE 144 II 147 an, worauf die Aufsichtskommission mit Beschluss vom 11. August 2020 (erneut) im Dispositiv feststellte, die A. AG erfülle die aufsichtsrechtlichen Anforderungen.
Mit Beschwerdeantwort vom 14. August 2020 beantragten Rechtsanwalt B. und die A. AG, unter Beilage des Beschlusses vom 11. August 2020 und da die Beschwerdegründe des EJPD damit als gegenstandslos dahingefallen seien, die entsprechende Abschreibung der Beschwerde des EJPD unter Kosten- und Entschädigungsfolgen.
Mit Verfügung vom 14. Oktober 2020 schrieb das Verwaltungsgericht (Einzelrichterin) das vorgenannte Verfahren als gegenstandslos ab. Die Gerichtskosten von Fr. 1'180.- wurden gemäss Ziff. 3 Dispositiv zu je einem Drittel dem EJPD, der "Beschwerdegegnerschaft 1-2" (bestehend aus der A. AG und Rechtsanwalt B.; unter solidarischer Haftung für diesen Drittel) und der Aufsichtskommission auferlegt.

C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht vom 14. Dezember 2020 beantragt das EJPD (Beschwerdeführer) die Aufhebung der Verfügung des Verwaltungsgerichts vom 14. Oktober 2020 (Antrag 1). Der Beschwerdeführer sei von allen Gerichtskosten zu befreien und letztere seien der A. AG (Beschwerdegegnerin 1) und/oder der Aufsichtskommission (Beschwerdegegnerin 2) aufzuerlegen (Antrag 2).
Die Vorinstanz beantragt in ihrer Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde. Die Beschwerdegegnerin 1 beantragt mit Vernehmlassung vom 11. Januar 2021, unter Beilage eines Zahlungsbelegs bezüglich der Überweisung von Fr. 1'180.- an die Vorinstanz, sinngemäss die Abschreibung des bundesgerichtlichen Verfahrens, da sie auch die dem EJPD im vorinstanzlichen Verfahren auferlegten Kosten (vgl. Bst. B) bezahlt habe. Letzteres (Beschwerdeführer) repliziert mit Eingabe vom 9. Februar 2021 und präzisiert seine Anträge dahingehend, dass sich die Beschwerde einzig gegen Ziff. 3 des Dispositivs der angefochtenen Verfügung (vgl. Bst. B) richte und der zweite Antrag der Beschwerde (vom 14. Dezember 2020) als Präzisierung des ersten Antrags (auf Aufhebung der angefochtenen Verfügung) zu verstehen sei. Ausserdem führe die Zahlung sämtlicher (vorinstanzlicher) Gerichtskosten durch die Beschwerdegegnerin 1 nicht zur Gegenstandslosigkeit des bundesgerichtlichen
BGE 148 II 369 S. 372
Verfahrens (dazu nicht publ. E. 1.3 ff.). Die Beschwerdegegnerin 2 hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Die II. öffentlich-rechtliche Abteilung hat ein Koordinationsverfahren im Sinne von Art. 23 Abs. 2 BGG eingeleitet (vgl. E. 3.3.8 unten).
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird vom Bundesgericht gutgeheissen.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3.

3.1 Der Beschwerdeführer rügt zunächst eine Verletzung von Art. 66 Abs. 4 BGG sowie von Art. 49 Abs. 2 und Art. 186 Abs. 4 BV. Er macht im Wesentlichen geltend, in Art. 66 Abs. 4 BGG komme der bundesrechtliche Grundsatz zum Ausdruck, wonach Behörden, welche gemeinsam amtliche Aufgaben wahrnehmen würden, sich nicht gegenseitig Kosten auferlegen. Bundesbehörden dürften im Rahmen einer Behördenbeschwerde im Sinne von Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG aufgrund Bundesrecht auch im kantonalen Verfahren keine Gerichtskosten auferlegt werden. Art. 66 Abs. 4 BGG sei bei Behördenbeschwerden des Bundes im kantonalen Verfahren zumindest sinngemäss wenn nicht direkt anzuwenden. Gemäss Art. 111 Abs. 2 BGG werde das kantonale Rechtsmittelsystem bei der Behördenbeschwerde des Bundes für die Zwecke der Bundesaufsicht instrumentalisiert. Dass dem Beschwerdeführer vor kantonaler Instanz Gerichtskosten auferlegt worden seien, verletze auch Sinn und Geist der Bundesaufsicht nach Art. 49 Abs. 2 BV i.V.m. Art. 186 Abs. 4 BV. Die Behördenbeschwerde des Bundes sei ein Aufsichtsmittel desselben im Rahmen von Art. 49 Abs. 2 BV.

3.2 Die Vorinstanz hat im Wesentlichen erwogen, das Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich vom 24. Mai 1959 (VRG/ZH; LS 175.2) enthalte keine Vorschrift über die Kostenauflage bei Gegenstandslosigkeit des Verfahrens. Es sei nicht auszuschliessen, dass die A. AG ihre Statuten bereits angepasst hätte, wenn sie telefonisch oder postalisch auf die Vorbehalte aufmerksam gemacht worden wäre. Dem Beschwerdeführer sei es frei gestanden, Beschwerde zu erheben, wobei er an die 30-tägige Beschwerdefrist gebunden gewesen sei. Da alle Parteien zu einem gewissen Teil das Verfahren erforderlich gemacht bzw. dessen Gegenstandslosigkeit verursacht hätten, erscheine es gerechtfertigt, die Gerichtskosten den Beteiligten gestützt auf § 65a Abs. 2 i.V.m. § 13 Abs. 2 Satz 1 VRG/ZH zu je einem Drittel aufzuerlegen (vgl. im Detail Bst. B oben).
BGE 148 II 369 S. 373

3.3

3.3.1 Gemäss Art. 111 Abs. 2 BGG können Bundesbehörden, die zur Beschwerde an das Bundesgericht berechtigt sind, die Rechtsmittel des kantonalen Rechts ergreifen und sich vor jeder kantonalen Instanz am Verfahren beteiligen, wenn sie dies beantragen. Die Behördenbeschwerde des Bundes im Sinne von Art. 111 Abs. 2 bzw. Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG ist Ausfluss von Art. 49 Abs. 2 BV, wonach der Bund über die Einhaltung des Bundesrechts durch die Kantone zu wachen hat (BERNHARD EHRENZELLER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2018, N. 11 zu Art. 111 BGG; ALEXANDER RUCH, in: Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Aufl. 2014, N. 29 zu Art. 49 BV). Sie ist demnach ein Instrument der Bundesaufsicht, dem zumindest gemäss der Lehre Priorität gegenüber anderen Aufsichtsmitteln (wie direkten Weisungen an die Kantone, Kassation von kantonalen Akten) einzuräumen ist (BERNHARD WALDMANN, in: Basler Kommentar, Bundesverfassung, 2015, N. 44 zu Art. 49 BV; MICHAEL PFLÜGER, Die Legitimation des Gemeinwesens zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, 2013, Rz. 826 ff.; KÖLZ/HÄNER/BERTSCHI, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes [nachfolgend: Verwaltungsrechtspflege], 3. Aufl. 2013, Rz. 1495).

3.3.2 Art. 111 BGG steht unter dem Randtitel "Einheit des Verfahrens". Diese Einheit soll unter anderem dadurch sichergestellt werden, dass die vor Bundesgericht beschwerdeberechtigten Bundesbehörden auch im vorinstanzlichen, kantonalen Verfahren legitimiert sind und die entsprechenden Rechtsmittel einlegen können. Das Bundesrecht greift in diesem Sinne auf die kantonalen Rechtsmittel zurück. Die Behördenbeschwerde des Bundes ist nicht nur unabhängig von den allgemeinen Legitimationsvoraussetzungen von Art. 89 Abs. 1 BGG, d.h. erfordert deshalb kein besonderes Berührtsein (im Sinne eines gesteigerten, öffentlichen Interesses) und ist insofern "abstrakt". Sie ist aufgrund ihrer Ausgestaltung zudem "autonom", denn die Bundesbehörde kann (entgegen Art. 89 Abs. 1 lit. a BGG) auch erst gegen den letztinstanzlichen, kantonalen Entscheid Beschwerde erheben und ist nicht an Einschränkungen des Streitgegenstandes im kantonalen Verfahren gebunden, sondern kann neue Begehren stellen (BGE 136 II 359 E. 1.2).

3.3.3 Art. 111 Abs. 2 BGG verweist nicht auf Art. 66 Abs. 4 BGG, wonach dem Bund in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden dürfen, wenn er in seinem amtlichen Wirkungskreis betroffen
BGE 148 II 369 S. 374
ist und es sich nicht um seine Vermögensinteressen handelt. Der Gesetzgeber hat allerdings zu dieser Bestimmung ausgeführt, der Bund sei von Verfassung wegen von den Gerichtskosten befreit (Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 4202 ff., 4305). Zu Art. 111 BGG hat er festgehalten, die Aufsicht des Bundes über den kantonalen Vollzug von Bundesrecht solle mit Hilfe von Rechtsmitteln gewährleistet werden. Da die Aufsichtsmittel des Bundes nur lückenhaft geregelt seien, nutze der Bund die kantonalen Rechtsmittel, was den Vorteil habe, dass die Kantone über eigene Gerichte allfällige Verletzungen von Bundesrecht korrigieren könnten. Diesbezüglich könne der Bund sämtliche Parteirechte des kantonalen Rechts ausüben, z.B. Beweisanträge stellen oder sich am Verfahren beteiligen, ohne selbst Partei zu sein (BBl 2001 4202 ff., 4349 f.; BGE 135 II 338 E. 2.1; YVES DONZALLAZ, Loi sur le Tribunal fédéral, 2008, Rz. 4429. Ausserdem kann der Bund ohne Beteiligung am kantonalen Verfahren die Behördenbeschwerde erst vor Bundesgericht ergreifen, vgl. E. 3.3.2 oben.). Angesichts der Nutzung des kantonalen Rechtsmittelsystems für die Zwecke der Behördenbeschwerde des Bundes stellt sich die Frage, ob sich diesbezüglich die Kostenverteilungsregel nicht aus Bundesrecht ergibt bzw. ob die Bundesbehörde das Risiko der Auferlegung kantonaler Gerichtskosten in Kauf nehmen muss.

3.3.4 § 65a Abs. 2 VRG/ZH verweist bezüglich der Kostenverteilung im (kantonalen) verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf § 13-16 VRG/ZH. Laut § 13 Abs. 2 Satz 1 VRG/ZH sind die Kosten in der Regel nach dem Unterliegerprinzip zu verteilen. Gemäss kantonaler Praxis können auch der Bund, der Kanton oder die Gemeinden kostenpflichtig werden für Amtshandlungen, die auch für Private kostenpflichtig gewesen wären, wobei in der Lehre das Beispiel eines kantonalen Hochbauvorhabens, sprich der Kanton als Bauherr, genannt wird. Zudem sollen erstinstanzlich anordnenden Behörden Verfahrenskosten auferlegt werden können, nicht aber weiteren Vorinstanzen, da letztere ausschliesslich die ihnen anvertrauten öffentlichen Interessen zu wahren haben (KASPAR PLÜSS, in: Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich [VRG] [nachfolgend: Kommentar VRG], Alain Griffel [Hrsg.], 3. Aufl. 2014, N. 46 ff. zu § 13 VRG/ZH). Eine spezifische Regelung, wie die Kosten im Falle einer Behördenbeschwerde des Bundes auf kantonaler Ebene zu verteilen sind, enthält das VRG/ZH nicht. Ebenso
BGE 148 II 369 S. 375
wenig regelt es die Kostenverteilung bei Gegenstandslosigkeit des Verfahrens. Praxisgemäss orientieren sich die Zürcher Behörden diesbezüglich an den Regeln, welchen auch das Bundesgericht folgt. Bei Gegenstandslosigkeit ohne Zutun der Parteien werden die Kosten nach den Prozessaussichten bzw. dem mutmasslichen Prozessausgang verteilt (Art. 71 BGG i.V.m. Art. 72 BZP [SR 273]; BGE 142 V 551 E. 8.2; PLÜSS, Kommentar VRG, a.a.O., N. 74 f. zu § 13 VRG/ZH; HANSJÖRG SEILER, in: Bundesgerichtsgesetz [BGG] [nachfolgend: SHK-BGG], Seiler/von Werdt/Güngerich/Oberholzer [Hrsg.], 2. Aufl. 2015, N. 37 zu Art. 66 BGG). Ist die Gegenstandslosigkeit auf die Abstandserklärung einer Partei bzw. deren ausdrückliche oder konkludente Unterziehung zurückzuführen, gilt die den Abstand erklärende Partei als unterliegend und hat folglich die Gerichtskosten nach dem Unterliegerprinzip zu tragen (PLÜSS, Kommentar VRG, a.a.O., N. 79 zu § 13 VRG/ZH; SEILER, SHK-BGG, a.a.O., N. 35 zu Art. 66 BGG; Urteil 5A_658/2016 vom 9. Mai 2017).

3.3.5 Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung darf kantonales Verfahrensrecht von Bundesrechts wegen nicht so ausgestaltet oder angewendet werden, dass dadurch die Verwirklichung von Bundesrecht vereitelt oder wesentlich erschwert wird (BGE 137 II 182 E. 3.7.4.1; BGE 134 I 125 E. 2.1; BGE 116 Ib 50 E. 4a). Dieser Grundsatz folgt aus Art. 49 Abs. 1 BV bzw. dem Vorrang von Bundesrecht gegenüber kantonalem Recht (BGE 134 I 125 E. 2.1; KÖLZ/HÄNER/BERTSCHI, Verwaltungsrechtspflege, a.a.O., Rz. 107). Demgemäss drängt sämtliches Bundesrecht widersprechendes kantonales Recht zurück (BGE 143 I 272 E. 2.2.1). Ob kantonales Recht mit dem Vereitelungsverbot vereinbar ist, prüft das Bundesgericht mit freier Kognition (BGE 134 I 125 E. 2.1; BGE 133 I 286 E. 4.2).

3.3.6 Nachdem das einschlägige, kantonale Verfahrensrecht gar keine explizite Regelung enthält, wie bei einer Behördenbeschwerde des Bundes die Gerichtskosten zu verteilen sind, und sich bei anderen nicht ausdrücklich geregelten Fragestellungen bezüglich Kosten an den Normen für das bundesgerichtliche Verfahren oder der Praxis des Bundesgerichts orientiert, erscheint es naheliegend, auch bezüglich der Behördenbeschwerde des Bundes auf kantonaler Ebene den Fokus auf den Sinn und Zweck der Behördenbeschwerde zu legen. Dies ist insofern angezeigt, als die Kostenbelastung einer Bundesbehörde, welche mittels Behördenbeschwerde auf kantonaler Ebene ihre Aufsichtsfunktion wahrnimmt, durchaus geeignet ist, die Ergreifung der Behördenbeschwerde auf kantonaler Ebene und damit die
BGE 148 II 369 S. 376
Verwirklichung von Bundesrecht wesentlich zu erschweren. Die Gerichtskosten eines einzelnen Verfahrens mögen wie vorliegend bescheiden sein. In der Summe mehrerer Verfahren können sie jedoch ein erhebliches Ausmass annehmen. Wenn die Behördenbeschwerde der Bundesbehörden als "autonomes" Rechtsmittel (BGE 136 II 359 E. 1.2) oder als integrale Beschwerde (KÖLZ/HÄNER/BERTSCHI, Verwaltungsrechtspflege, a.a.O., Rz. 1495; PIERRE TSCHANNEN, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 5. Aufl. 2021, Rz. 983; KIENER/RÜTSCHE/KUHN, Öffentliches Verfahrensrecht, 3. Aufl. 2021, Rz. 1477; MARTIN BERTSCHI, in: Kommentar VRG, a.a.O., N. 139 zu § 21 VRG/ZH) verstanden wird, muss dieses Rechtsmittel konsequenterweise bezüglich Kostenbelastung auch entsprechend seiner Funktion behandelt werden.

3.3.7 Sinn und Zweck der Behördenbeschwerde des Bundes im Sinne von Art. 89 Abs. 2 lit. a und Art. 111 Abs. 2 BGG ist die Sicherstellung der einheitlichen und korrekten Anwendung von Bundesrecht. Sie ist ein Mittel der Bundesaufsicht (vgl. nicht publ. E. 1.5 und 3.3.1 oben). Dem ist durch verfassungs- respektive bundesrechtskonforme Auslegung des VRG/ZH Rechnung zu tragen (vgl. zur verfassungskonformen Auslegung BGE 146 I 70 E. 4; BGE 145 I 73 E. 2; BGE 138 I 321 E. 2; Urteile 2C_187/2020 vom 9. Juli 2020 E. 4.1; 1C_262/2007 vom 31. Januar 2008 E. 4.2 ff.). Der Zweck der Behördenbeschwerde des Bundes wird wesentlich erschwert, wenn § 13 VRG/ZH bzw. das VRG/ZH in einer Weise angewendet wird, dass Bundesbehörden bei Einlegung des genannten Rechtsmittels auf kantonaler Stufe die Gerichtskosten auferlegt werden können (unter Vorbehalt der nachfolgenden Ausnahmen). Eine solche Auslegung und Anwendung kantonalen Rechts verstösst gegen den Sinn und Geist von Art. 49 Abs. 2 BV und Art. 111 Abs. 2 BGG und hat deshalb als bundesrechtswidrig zurückzutreten.
Davon abzugrenzen sind Konstellationen, bei denen gemäss expliziter bundesrechtlicher Vorschrift im kantonalen Verfahren der unterliegenden Partei die (kantonalen) Gerichtskosten aufzuerlegen sind (vgl. beispielsweise Art. 144 Abs. 1 und Art. 145 Abs. 2 DBG [SR 642.11]) und die Bundesbehörde mit ihrer Behördenbeschwerde nicht nur eine Aufsichtsfunktion wahrnimmt, sondern auch Vermögensinteressen verfolgt (sog. Doppelnatur der Behördenbeschwerde). Wenn somit beispielsweise die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) im kantonalen Verfahren eine Behördenbeschwerde ergreift - mithin als Beschwerdeführerin auftritt und nicht bloss eine
BGE 148 II 369 S. 377
Vernehmlassung einreicht - ist davon auszugehen, dass sie auch Vermögensinteressen verfolgt, weshalb es sich in solchen Fällen rechtfertigt, der Bundesbehörde im Falle des Unterliegens die kantonalen Gerichtskosten aufzuerlegen (vgl. Urteil 2C_200/2014 vom 4. Juni 2015 E. 3.4 ff. mit zahlreichen Hinweisen).
Ebenso muss die Möglichkeit vorbehalten bleiben, einer Bundesbehörde im Rahmen eines Behördenbeschwerdeverfahrens ausnahmsweise die kantonalen Gerichtskosten aufzuerlegen, wenn sie unnötige Kosten verursacht hat. Art. 66 Abs. 4 i.V.m. Art. 66 Abs. 3 BGG erlaubt in einem solchen Fall, einer Behörde (oder mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisation) ausnahmsweise die Gerichtskosten des bundesgerichtlichen Verfahrens aufzuerlegen (Der Gesetzeswortlaut "in der Regel" von Art. 66 Abs. 4 BGG lässt dafür den nötigen Spielraum. Vgl. dazu beispielsweise BGE 142 V 551 E. 9; Urteil 9C_354/2020 vom 8. September 2020 E. 5). Im vorliegenden Kontext wäre dies etwa denkbar, wenn eine im kantonalen Bewilligungsverfahren begrüsste Bundesbehörde vernehmlassungsweise zunächst keine Bedenken äussert, dann aber die entsprechende Verfügung oder den entsprechenden Entscheid beim kantonalen Verwaltungsgericht anficht.

3.3.8 Die Vereinigung der betroffenen Abteilungen des Bundesgerichts (I. und II. öffentlich-rechtliche Abteilung, I. und II. sozialversicherungsrechtliche Abteilung) hat an ihrer Sitzung vom 18. Januar 2022 im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 23 Abs. 2 BGG aufgrund des Gesagten verneint, dass einer Bundesbehörde, welche im Rahmen einer Behördenbeschwerde ihre spezialgesetzlich vorgesehene Aufsichtsfunktion (ohne jegliche Vermögensinteressen) im kantonalen Verfahren wahrnimmt, auch dann kantonale Gerichtskosten auferlegt werden können, wenn keine Ausnahme im Sinne von Art. 66 Abs. 4 BGG vorliegt. Dies gilt entsprechend auch für § 13 VRG/ZH bzw. das VRG/ZH generell. Vorliegend verfolgte der Beschwerdeführer mit seiner Behördenbeschwerde im Rahmen des kantonalen Rechtsmittelverfahrens lediglich eine Aufsichtsfunktion und keine Vermögensinteressen, setzte er sich doch dafür ein, dass eine kantonale Aufsichtsbehörde die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichts beachte (Bst. B oben). Der Umstand, dass die Beschwerdegegnerin 1 nach Eingang der verwaltungsgerichtlichen Beschwerde ihre Statuten rasch angepasst hat (Bst. B oben), bedeutet zudem nicht, dass die Ergreifung dieses Rechtsmittels unnötig war bzw. der Beschwerdeführer unnötige Kosten verursacht hat.

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