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Urteilskopf

119 Ib 374


38. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 30. September 1993 i.S. Gewerkschaft Verkauf, Handel, Transport, Lebensmittel (VHTL) und Kaufmännischer Verband Zürich (KVZ) gegen Eidgenössisches Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement u. Mitb. (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

Regeste

Art. 40 Abs. 1 lit. g EBG und Art. 48 VwVG; Beschwerdebefugnis von Gewerkschaften im eisenbahnrechtlichen Anstandsverfahren um Ladenöffnungszeiten.
Die Gewerkschaft Verkauf, Handel, Transport, Lebensmittel (VHTL) und der Kaufmännische Verband Zürich (KVZ) sind weder nach Art. 48 lit. a VwVG (E. 2a) noch nach dessen lit. b (E. 2b) legitimiert, eine im eisenbahnrechtlichen Anstandsverfahren ergangene Verfügung über Nebenbetriebsstatus und Öffnungszeiten von Verkaufsgeschäften im Hauptbahnhof Zürich mit Verwaltungsbeschwerde beim Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement anzufechten.

Sachverhalt ab Seite 375

BGE 119 Ib 374 S. 375
Das Bundesamt für Verkehr (Bundesamt; BAV) bezeichnete am 11. Juli 1990 19 Geschäfte und Dienstleistungsbetriebe im Hauptbahnhof Zürich gemäss Mieterverzeichnis der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) vom 12. März 1990 als Nebenbetriebe im Sinne von Art. 39 Abs. 1 und 3 des Eisenbahngesetzes vom 20. Dezember 1957 (EBG; SR 742.101). Es ordnete an, dass diese täglich zwischen 08.00 und 20.00 Uhr offenzuhalten seien. Für 29 Geschäfte sah es eine kommerzielle Nutzung nach Art. 39 Abs. 4 EBG im Rahmen der kantonalen und städtischen Öffnungs- und Schliessungszeiten vor.
Auf verschiedene Beschwerden hin bestätigte das Eidgenössische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement am 24. November 1992 die vorgesehenen Ladenöffnungszeiten, anerkannte insgesamt aber 38 Geschäfte und Dienstleistungsunternehmungen als Bahnnebenbetriebe. Fünf Einrichtungen bewertete es aufgrund der vorgelegten Geschäftskonzepte als kommerzielle Nutzungen. Soweit die Gewerkschaft Verkauf, Handel, Transport, Lebensmittel (VHTL) und der Kaufmännische Verband Zürich (KVZ) gegen den Entscheid des Bundesamtes Beschwerde geführt hatten, trat das Departement auf ihre Eingabe nicht ein.
Die Gewerkschaft Verkauf, Handel, Transport, Lebensmittel (VHTL) und der Kaufmännische Verband Zürich (KVZ) machen mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend, das Departement habe ihnen "mit einer völlig unhaltbaren Argumentation" die Beschwerdelegitimation nach Art. 48 VwVG abgesprochen: Die Zahl der Verbandsmitglieder, die im Hauptbahnhof Zürich tätig seien, könne für die Beschwerdeberechtigung nicht ausschlaggebend sein. Mit Blick auf den Verbandszweck und Art. 65 der Verordnung II vom 14. Januar 1966 zum Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Vo II zum ArG; SR 822.112) seien VHTL und
BGE 119 Ib 374 S. 376
KVZ durch die Nebenbetriebsfrage besonders betroffen und daher beschwerdelegitimiert.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab

Erwägungen

aus folgenden Erwägungen:

2. Die Legitimation zur Verwaltungsbeschwerde gegen den Entscheid des Bundesamtes bestimmt sich nach Art. 48 VwVG (vgl. BGE 116 Ib 349 E. 2c; bestätigt im unveröffentlichten Entscheid vom 8. November 1990 i.S. Mietervereinigung Zentrum Hauptbahnhof Zürich u. Mitb. c. EVED, E. 2a). Nach dieser Bestimmung kann Beschwerde führen, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat (lit. a), oder jede andere Person, Organisation oder Behörde, die das Bundesrecht als solche zur Beschwerde ermächtigt (lit. b).
a) aa) Das schutzwürdige Interesse nach Art. 48 lit. a VwVG kann rechtlicher oder bloss tatsächlicher Natur sein und braucht mit dem Interesse, das durch die vom Beschwerdeführer als verletzt bezeichneten Normen geschützt wird, nicht übereinzustimmen. Immerhin wird verlangt, dass der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Entscheid stärker als jedermann betroffen ist und in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache steht. Ein schutzwürdiges Interesse liegt vor, wenn die tatsächliche oder rechtliche Situation des Beschwerdeführers durch den Ausgang des Verfahrens beeinflusst werden kann. Diese Anforderungen sollen die Popularbeschwerde ausschliessen. Ihnen kommt dann besondere Bedeutung zu, wenn, wie hier, nicht der Verfügungsadressat im materiellen Sinn, sondern ein Dritter den Entscheid anficht. Ist auch in einem solchen Fall ein unmittelbares Berührtsein, eine spezifische Beziehungsnähe gegeben, so hat der Beschwerdeführer ein ausreichendes Rechtsschutzinteresse daran, dass der angefochtene Entscheid aufgehoben oder abgeändert wird. Sein Interesse besteht im praktischen Nutzen, den ihm die erfolgreiche Beschwerde eintragen würde, das heisst in der Abwendung eines materiellen oder ideellen Nachteils, den der angefochtene Entscheid für ihn zur Folge hätte (BGE 116 Ib 323 E. 2a).
Einem Berufsverband steht die Beschwerdelegitimation nach Art. 48 lit. a VwVG zur Wahrung der Interessen seiner Mitglieder zu, wenn er als juristische Person konstituiert ist, die einzelnen Mitglieder
BGE 119 Ib 374 S. 377
zur Beschwerde legitimiert wären, die Wahrung der Interessen der Mitglieder zu seinen statutarischen Aufgaben gehört und er tatsächlich ein Interesse der Mehrheit oder mindestens einer Grosszahl seiner Mitglieder vertritt (BGE 113 Ib 365 E. 2a; ALFRED KÖLZ/ISABELLE HÄNER, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, Zürich 1993, Rz. 244; FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, Bern 1983, S. 159 ff.).
bb) Die Gewerkschaft Verkauf, Handel, Transport, Lebensmittel (VHTL) ist ein Verein im Sinne von Art. 60 ZGB, der nach Art. 2 seiner Statuten als Arbeitnehmerorganisation die materiellen, beruflichen, sozialen und kulturellen Interessen seiner Mitglieder wahrnimmt und für eine gerechte Gesellschaft- und Wirtschaftsordnung kämpft. Die Verfügung des Bundesamtes für Verkehr über die Bahnnebenbetriebe und ihre Öffnungszeiten im Hauptbahnhof Zürich berührte ihn nicht unmittelbar in seiner eigenen rechtlichen oder tatsächlichen Stellung; mit der Beschwerde an das Departement hätte er bei einem Obsiegen weder einen materiellen noch einen ideellen Nachteil von sich selber abwenden können, weshalb das Departement ihm die Beschwerdelegitimation nacht Art. 48 lit. a VwVG zu Recht abgesprochen hat. Dasselbe gilt für den Kaufmännischen Verband Zürich (KVZ), der die "Sicherung und Verbesserung der wirtschaftlichen, sozialen, gesellschaftlichen und rechtlichen Lage seiner Mitglieder" bezweckt. Dass beide Organisationen die Interessen des Verkaufspersonals zu schützen suchen und als Vertragspartner an einer Vielzahl von Gesamtarbeitsverträgen beteiligt sind, lässt sie durch den Entscheid des Bundesamtes noch nicht in einem schutzwürdigen, eigenen Interessen betroffen erscheinen.
cc) Die Beschwerdeführer berufen sich sinngemäss auch auf ein Beschwerderecht zugunsten ihrer Mitglieder. Zu Unrecht: Wenn überhaupt, sind höchstens einige wenige der rund 25'000 VHTL- und der etwa 16'000 KVZ-Mitglieder durch den Entscheid des Bundesamtes für Verkehr betroffen. Ob diese selber zur Beschwerde legitimiert wären, braucht unter diesen Umständen nicht geprüft zu werden. Die Beschwerdeführer machen zwar geltend, es komme nicht darauf an, wie viele Gewerkschaftsmitglieder in den entsprechenden Betrieben beschäftigt würden, sondern allein darauf, dass "mit Sicherheit, mindestens mit grösster Wahrscheinlichkeit, immer wieder Mitglieder der beiden Arbeitnehmerverbände in den betroffenen Läden tätig sein" werden. Wenn nach den privaten Erhebungen der Beschwerdegegner (die Beschwerdeführer konnten keine entsprechenden Angaben liefern) von den 183 Angestellten im Hauptbahnhof
BGE 119 Ib 374 S. 378
Zürich zurzeit nur gerade zwei Mitglieder des KVZ sind, hingegen keiner dem VHTL angehört, erscheint bereits jene Vorgabe zweifelhaft; unabhängig hiervon ist aber die Konstruktion einer virtuellen Betroffenheit, welche daraus abzuleiten wäre, dass die Mitglieder der beiden Verbände zumindest potentielles Verkaufspersonal im Hauptbahnhof Zürich bilden, der Beschwerdelegitimation nach Art. 48 lit. a VwVG und Art. 103 lit. a OG fremd. Das Eidgenössische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement ist demnach auf die Eingabe der beiden Arbeitnehmerorganisationen auch unter diesem Gesichtswinkel zu Recht nicht eingetreten.
b) Zu prüfen bleibt, ob die Beschwerdeführer allenfalls gestützt auf eine andere Bestimmung des Bundesrechts - insbesondere der Arbeitsgesetzgebung - zur Beschwerde legitimiert gewesen wären (Art. 48 lit. b VwVG).
aa) Nach dem Bundesgesetz vom 13. März 1964 über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz, ArG; SR 822.11) ist Nacht- und Sonntagsarbeit grundsätzlich verboten (Art. 16 und Art. 18 ArG). Die kantonale Behörde kann vorübergehende Nacht- und Sonntagsarbeit bewilligen, sofern ein dringendes Bedürfnis nachgewiesen ist; das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit bewilligt für industrielle, die kantonale Behörde für andere Betriebe die dauernde oder regelmässig wiederkehrende Nacht- oder Sonntagsarbeit, wenn eine solche aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen unentbehrlich erscheint (Art. 17 und Art. 19 ArG). Die entsprechenden Entscheide können mit Beschwerde angefochten werden, wobei hierzu neben den beteiligten Arbeitgebern und Arbeitnehmern auch "deren Verbände" legitimiert sind, ohne dass es darauf ankäme, ob die betroffenen Arbeitnehmer oder einzelne von ihnen Verbandsmitglieder sind (Art. 58 Abs. 1 ArG; BGE 116 Ib 271 E. 1a, 286 E. 1b).
bb) Aus dieser Regelung lässt sich für das eisenbahnrechtliche Anstandsverfahren nichts ableiten. Die Verfügung des Bundesamtes für Verkehr ergeht weder in Anwendung des Arbeitsgesetzes noch durch eine der dort vorgesehenen Behörden. Wenn der eisenbahnrechtliche Entscheid über den Nebenbetriebsstatus und die Öffnungszeiten mit Blick auf Art. 65 ff. der Vo II zum ArG (Sonderbestimmungen für bestimmte Gruppen von Betrieben oder Arbeitnehmern) für Kioske und Betriebe, die den Bedürfnissen der Reisenden dienen, unter Umständen auch gewisse arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich zieht, rechtfertigt dies eine Ausdehnung der in Art. 58 ArG enthaltenen Verbandsbeschwerdebefugnis - über den direkten
BGE 119 Ib 374 S. 379
Anwendungsbereich dieses Gesetzes hinaus - nicht: Bahnnebenbetriebe sind gerade wegen ihres besonderen, an die Bedürfnisse der Reisenden und des Bahnbetriebes geknüpften Status, über den die eisenbahnrechtlichen Aufsichtsbehörden zu befinden haben, von gewissen Regelungen des Arbeitsgesetzes ausgenommen; die nur dort vorgesehene Verbandsbeschwerde kann ohne besondere gesetzliche Grundlage nicht einfach auf das eisenbahnrechtliche Anstandsverfahren übertragen werden. Art. 39 EBG regelt als spezielleres Gesetz indirekt die Voraussetzungen, unter denen in Bahnnebenbetrieben Nacht- oder Sonntagsarbeit zulässig ist; gebieten die Bedürfnisse des Bahnbetriebes und der Reisenden abweichende Öffnungszeiten, rechtfertigt sich auch die Anwendung arbeitsrechtlicher Sonderbestimmungen. Art. 65 Vo II zum ArG behält in Abs. 4 die Verfügungen der Eisenbahnaufsichtsbehörden nach Art. 40 Abs. 1 lit. g EBG ausdrücklich vor. Das Bundesgesetz vom 8. Oktober 1971 über die Arbeit in Unternehmen des öffentlichen Verkehrs (Arbeitszeitgesetz, AZG; SR 822.21), dem gemäss dessen Art. 1 Abs. 4 durch Verordnung "Nebenbetriebe, die eine notwendige oder zweckmässige Ergänzung eines in Absatz 1 genannten Unternehmens bilden", unterstellt und damit im Hinblick auf die besonderen Bedürfnisse des Reiseverkehrs dem Geltungsbereich des Arbeitsgesetzes ganz entzogen werden können (Art. 2 Abs. 1 lit. b ArG), sieht seinerseits die Möglichkeit einer - Art. 58 Abs. 1 ArG entsprechenden - Verbandsbeschwerde nicht vor (vgl. Art. 18 Abs. 2 und 3 AZG).
Kantonale Ladenschlussvorschriften dürfen heute nur noch der Sicherung der Nacht- und Feiertagsruhe und allenfalls dem Schutz der nicht dem Arbeitsgesetz unterstehenden Personen dienen; der Arbeitnehmerschutz als solcher ist durch das eidgenössische Arbeitsgesetz grundsätzlich abschliessend geregelt (BGE 101 Ia 486 ff. E. 7). Geht es in Art. 39 Abs. 3 EBG nun aber primär um Abweichungen von kantonal- und kommunalrechtlichen Ladenschlussvorschriften, welche gerade nicht dem Schutz des Personals dienen, rechtfertigt sich eine Ausdehnung der Beschwerdebefugnis der Gewerkschaften auf das eisenbahnrechtliche Anstandsverfahren auch vor diesem Hintergrund nicht.

Inhalt

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Sachverhalt

Erwägungen 2

Referenzen

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