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Urteilskopf

123 II 106


15. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. Februar 1997 i.S. Bundesamt für Polizeiwesen gegen C. und Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

Regeste

Art. 32 Abs. 1 SVG, Art. 4a Abs. 1 lit. d VRV; Art. 16 Abs. 2 SVG und Abs. 3 lit. a SVG, Art. 90 Ziff. 2 SVG; Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn; Führerausweisentzug.
Zusammenfassung der Rechtsprechung betreffend die Voraussetzungen des Führerausweisentzuges (leichter, mittelschwerer und schwerer Fall) gemäss Art. 16 SVG und der qualifizierten Verkehrsregelverletzung gemäss Art. 90 Ziff. 2 SVG, vor allem im Hinblick auf Geschwindigkeitsüberschreitungen (E. 2a-c).
Wird die Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn um mehr als 30 km/h überschritten, ist der Führerausweis in der Regel zu entziehen (E. 2c; Bestätigung der Rechtsprechung).
Ziffer 3.3.4.1 der auf den 1. September 1996 geänderten Richtlinien über die Administrativmassnahmen im Strassenverkehr widerspricht deshalb Bundesrecht (E. 2e).

Sachverhalt ab Seite 107

BGE 123 II 106 S. 107

A.- C. überschritt am 17. Mai 1996 um ca. 2030 Uhr auf der Autobahn N1, Abschnitt Mühleberg - Kerzers, mit seinem Personenwagen die allgemeine Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h um 32 km/h (nach Abzug der Sicherheitsmarge von 7 km/h).
Am 28. Juni 1996 büsste ihn das Richteramt Laupen mit Fr. 370.--. Der Entscheid ist rechtskräftig.

B.- Mit Verfügung vom 5. Juli 1996 entzog das Strassenverkehrs- und Schiffahrtsamt des Kantons Bern C. den Führerausweis in Anwendung von Art. 16 und 17 SVG (SR 741.01) für die Dauer von einem Monat.

C.- Eine von C. dagegen erhobene Beschwerde hiess die Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern am 11. September 1996 gut. Sie hob den Führerausweisentzug auf und verwarnte C.

D.- Das Bundesamt für Polizeiwesen führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, den Entscheid der Rekurskommission aufzuheben; C. sei der Führerausweis für die Dauer von einem Monat zu entziehen.
BGE 123 II 106 S. 108

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. a) Die Vorinstanz führt aus, im Rahmen der Anpassung der Richtlinien über die Administrativmassnahmen im Strassenverkehr der Interkantonalen Kommission für den Strassenverkehr an das neue Ordnungsbussenrecht sei Ziffer 3.3.4.1 der Richtlinien mit dem Ziel geändert worden, eine einheitliche Praxis in den Kantonen herbeizuführen. Nach den geänderten Richtlinien sollen ab dem 1. September 1996 Geschwindigkeitsüberschreitungen auf Autobahnen in der Regel erst ab 36 km/h einen Führerausweisentzug nach sich ziehen. Seien erschwerende Umstände gegeben, könne der Führerausweis allerdings auch bei geringeren Überschreitungen entzogen werden. Es sei davon auszugehen, dass sich die Änderung der Richtlinien auf eine Meinungsäusserung des Bundesgerichts abstütze. Im vorliegenden Fall seien in analoger Anwendung des Grundsatzes der "lex mitior" die am 1. September 1996 in Kraft getretenen Richtlinien anzuwenden. Danach sei der fehlbare Lenker bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung auf der Autobahn von 31-35 km/h zu verwarnen. Im vorliegenden Fall seien keine erschwerenden Umstände gegeben, die eine Verwarnung als zu mild erscheinen liessen.
b) Der Beschwerdeführer wendet ein, die Anordnung einer Verwarnung widerspreche der ständigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Danach sei bei Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit um mehr als 30 km/h ein Führerausweisentzug auszusprechen. Die Richtlinien der Interkantonalen Kommission für den Strassenverkehr hätten keine Gesetzeskraft. Die am 1. September 1996 in Kraft getretene Ordnungsbussenverordnung, die neu zwischen Geschwindigkeitsüberschreitungen innerorts, ausserorts und auf Autobahnen unterscheide und für Überschreitungen auf Autobahnen bis 25 km/h eine Ordnungsbusse vorsehe, ändere an der Beurteilung von Gefährdung und Verschulden bei Geschwindigkeitsüberschreitungen von mehr als 30 km/h nichts. Es erscheine zwar sinnvoll, bei der Anordnung einer Administrativmassnahme zu unterscheiden, ob die Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts, ausserorts oder auf einer Autobahn erfolgt sei. Mit Blick auf die Verkehrssicherheit könne das aber nur bedeuten, dass die Praxis zu verschärfen sei. Die Anwendung der geänderten Richtlinien würde demgegenüber zu einer Milderung der Praxis führen, wozu keine Veranlassung bestehe.

2. a) Die Geschwindigkeit ist stets den Umständen anzupassen, namentlich den Besonderheiten von Fahrzeug und Ladung sowie
BGE 123 II 106 S. 109
den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen (Art. 32 Abs. 1 SVG). Auf Autobahnen beträgt die allgemeine Höchstgeschwindigkeit für Fahrzeuge unter günstigen Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen 120 km/h (Art. 4a Abs. 1 lit. d der Verkehrsregelnverordnung [VRV, SR 741.11]).
Gemäss Art. 16 Abs. 2 SVG kann der Führerausweis entzogen werden, wenn der Führer Verkehrsregeln verletzt und dadurch den Verkehr gefährdet oder andere belästigt hat (Satz 1). In leichten Fällen kann eine Verwarnung ausgesprochen werden (Satz 2). Nach Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG muss der Führerausweis entzogen werden, wenn der Führer den Verkehr in schwerer Weise gefährdet hat. Das Gesetz unterscheidet somit:
- den leichten Fall (Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG),
- den mittelschweren Fall (Art. 16 Abs. 2 Satz 1 SVG),
- den schweren Fall (Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG).
Gemäss Art. 90 Ziff. 1 SVG wird mit Haft oder mit Busse bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt. Nach Art. 90 Ziff. 2 SVG wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt.
In schwerer Weise gefährdet den Verkehr im Sinne von Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. Diese beiden Vorschriften stimmen inhaltlich miteinander überein (BGE 120 Ib 285).
Art. 90 Ziff. 2 SVG ist nach der Rechtsprechung objektiv erfüllt, wenn der Täter eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet und die Verkehrssicherheit abstrakt oder konkret gefährdet hat. Subjektiv erfordert der Tatbestand, dass dem Täter aufgrund eines rücksichtslosen oder sonstwie schwerwiegend regelwidrigen Verhaltens zumindest eine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG ist bereits bei einer erhöhten abstrakten Gefährdung gegeben. Die erhöhte abstrakte Gefahr setzt die naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung oder Verletzung voraus (BGE 123 II 37 E. 1b mit Hinweis).
BGE 123 II 106 S. 110
b) Wie in BGE 105 Ib 255 ausgeführt wurde, hat das Bundesgericht Art. 16 Abs. 2 SVG stets so ausgelegt, dass auf den Ausweisentzug nur verzichtet werden kann, wenn der Fall leicht im Sinne von Satz 2 dieser Bestimmung ist. Der bundesrätliche Entwurf sah in Art. 16 Abs. 2 ausschliesslich Satz 1 vor. Diese Bestimmung enthält eine Kann-Vorschrift, welche den Entscheid, ob im Einzelfall ein Ausweisentzug zu verfügen sei oder nicht, in das pflichtgemässe Ermessen der Behörden stellt. Die nationalrätliche Kommission fügte indessen Satz 2 ein und konkretisierte damit Satz 1, indem die Richtlinie für die Handhabung des Ermessens in das Gesetz aufgenommen wurde. Gemäss Satz 2 kann in leichten Fällen an die Stelle des Entzuges eine Verwarnung treten. Wie das Bundesgericht im zitierten Entscheid ausführte, verlöre diese Bestimmung ihren Sinn, wenn sich die Behörden auch in nicht leichten Fällen mit einer Verwarnung begnügen oder sogar auf jede Massnahme verzichten könnten. Daher könne in nicht leichten Fällen von einem Ausweisentzug nicht abgesehen werden. Der Umstand, dass auch Satz 2 eine Kann-Vorschrift enthält, schliesse die Möglichkeit in sich ein, in besonders leichten Fällen auf jede Massnahme zu verzichten (E. 2a).
Diese Rechtsprechung wurde in BGE 118 Ib 229 präzisiert. Der Kassationshof führte aus, da in leichten Fällen eine Verwarnung ausgesprochen werden könne, sei es folgerichtig, in nicht leichten Fällen die härtere Massnahme, den Führerausweisentzug, anzuordnen. Insoweit sei die Rechtsprechung zu bestätigen. Das ändere aber nichts daran, dass Art. 16 Abs. 2 SVG den fakultativen Entzug regle. Die Behörde könne somit aufgrund von Art. 16 Abs. 2 SVG entweder auf jegliche Massnahme verzichten, eine Verwarnung aussprechen oder einen Führerausweisentzug anordnen. Welche dieser Möglichkeiten auszuwählen sei, richte sich grundsätzlich nach der Schwere des Falles. Insoweit sei an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten. Da es sich beim Absatz 2 von Art. 16 SVG um eine Kann-Vorschrift handle, sei die Behörde jedoch verpflichtet, die vorgesehene Massnahme unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit zu prüfen. Dabei könne sich die Frage stellen, ob im Lichte einer sinnvoll verstandenen Verhältnismässigkeitsprüfung sich die Anordnung einer Massnahme zur Ermahnung und Besserung des fehlbaren Fahrzeuglenkers überhaupt noch rechtfertigen lasse; denn der Entzug des Führerausweises bzw. die Erteilung einer Verwarnung müsse geeignet sein; auch dürfe sie den Betroffenen nicht übermässig belasten. Unverhältnismässig müsste in diesem Sinne unter anderem eine Massnahme erscheinen, die im Einzelfall nicht zum
BGE 123 II 106 S. 111
Ziel führen könne oder nicht mehr nötig sei. Dass sich die für die Anordnung einer Administrativmassnahme zuständige Verwaltungsbehörde in Fällen, da der fehlbare Fahrzeuglenker durch die Folgen seines verkehrswidrigen Verhaltens besonders schwer betroffen wird, von den Grundregeln des Absehens von Strafe (Art. 66bis StGB) leiten lasse, sei zweckmässig, da auch diese Strafzumessungsregel grundlegend vom Verhältnismässigkeitsprinzip getragen sei (E. 3).
In diesem Entscheid BGE 118 Ib 229 ging es um einen Motorradfahrer, der bei einem Unfall schwer verletzt worden war und deshalb geschäftlich und finanziell in eine äusserst schwierige Lage geriet. Der Strafrichter sah in Anwendung von Art. 66bis StGB von einer Bestrafung ab. Die Verwaltungsbehörde sprach einen Führerausweisentzug von einem Monat aus, der von der Rekursinstanz bestätigt wurde. Das Bundesgericht hob den angefochtenen Entscheid auf, weil die Vorinstanz nicht geprüft hatte, ob wegen der besonderen Umstände ein Führerausweisentzug überhaupt noch notwendig sei, um das Massnahmenziel, die Ermahnung und Besserung, zu erreichen (E. 4 am Schluss). Nach BGE 118 Ib 229 kommt somit in mittelschweren Fällen ein Verzicht auf den Ausweisentzug unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes dann in Betracht, wenn besondere Umstände gegeben sind, wie dann, wenn der Betroffene aufgrund der schweren Folgen eines Unfalls schon genug "sanktioniert" ist. Ein Verzicht auf den Ausweisentzug kommt dagegen nicht in Frage, wenn die üblichen Umstände vorliegen und der Ausweisentzug nur die damit regelmässig verbundenen Unannehmlichkeiten und Erschwernisse mit sich bringt. Es bleibt deshalb dabei, dass - wie in BGE 121 II 127 E. 3c dargelegt wurde - auf den Ausweisentzug grundsätzlich nur verzichtet werden kann, wenn der Fall leicht im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG ist.
Bei der Beurteilung, ob ein leichter Fall gegeben ist, hat die Behörde in erster Linie die Schwere der Verkehrsgefährdung und die Schwere des Verschuldens, daneben aber auch den automobilistischen Leumund zu würdigen (BGE 121 II 127 E. 3c mit Hinweisen).
c) Für Geschwindigkeitsüberschreitungen galt nach ständiger Rechtsprechung folgendes: Bei Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ab 15 km/h war eine Verwarnung und bei Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mehr als 30 km/h ein Führerausweisentzug auszusprechen, und zwar selbst
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dann, wenn die Verkehrsverhältnisse günstig waren und der automobilistische Leumund gut war (BGE 121 II 127 E. 3c mit Hinweisen). Dabei ging es um den Entzug nach Art. 16 Abs. 2 Satz 1 SVG, also um den mittelschweren Fall (BGE 113 Ib 143; BGE 108 Ib 65). Wurde die zulässige Höchstgeschwindigkeit um deutlich mehr als 30 km/h überschritten, war ungeachtet der konkreten Umstände ein schwerer Fall nach Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG gegeben. Wurde die Höchstgeschwindigkeit um wenig mehr als 30 km/h überschritten, waren für die Beantwortung der Frage, ob ein schwerer Fall vorliege, die konkreten Umstände zu prüfen (BGE 121 II 127 E. 3c; BGE 119 Ib 154 E. 2a mit Hinweisen).
Ob ein mittelschwerer oder ein schwerer Fall gegeben sei, hat das Bundesgericht in zahlreichen Grenzfällen offengelassen und sich mit der Feststellung begnügt, dass jedenfalls kein leichter Fall vorliegt. Die Frage war dort zu entscheiden, wo ein Rückfall nach Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG zur Diskussion stand. Die Mindestentzugsdauer beträgt nur dann 6 Monate, wenn der neue Entzug gestützt auf Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG verfügt wird (vgl. BGE 105 Ib 255 E. 3 mit Hinweis).
Die Rechtsprechung unterschied nicht, ob die Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts, ausserorts oder auf der Autobahn erfolgte (vgl. BGE 119 Ib 154, wo eine Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts zu beurteilen war).
Eine Änderung der Rechtsprechung wurde insoweit eingeleitet mit BGE 121 IV 230. Der Kassationshof führte aus, dass zu einer Milderung der Rechtsprechung, wonach bei Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um deutlich mehr als 30 km/h ungeachtet der konkreten Umstände eine grobe Verkehrsregelverletzung nach Art. 90 Ziff. 2 SVG bzw. eine schwere Verkehrsgefährdung nach Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG anzunehmen ist, kein Anlass bestehe. Fragen könne man sich höchstens, ob die Praxis zu verschärfen und angesichts der insoweit teilweise abweichenden Gefahrenlage künftig danach zu unterscheiden sei, ob die Geschwindigkeitsvorschriften innerorts, ausserorts oder auf der Autobahn missachtet wurden (E. 2c). Eine solche Unterscheidung wurde in der Folge vorgenommen. Nach der neuen Rechtsprechung ist objektiv eine grobe Verkehrsregelverletzung gemäss Art. 90 Ziff. 2 SVG bzw. eine schwere Verkehrsgefährdung gemäss Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG ungeachtet der konkreten Umstände gegeben, wenn der Lenker die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten hat:
BGE 123 II 106 S. 113
- auf der Autobahn um 35 km/h,
- auf einer nicht richtungsgetrennten Autostrasse um 30 km/h,
- innerorts um 25 km/h (BGE 123 II 37 E. 1c und d mit Hinweisen).
Die Regel, wonach bei Geschwindigkeitsüberschreitungen von mehr als 30 km/h der Führerausweis auch bei günstigen Verkehrsverhältnissen und gutem automobilistischem Leumund gestützt auf Art. 16 Abs. 2 Satz 1 SVG zu entziehen ist, gilt bei nicht richtungsgetrennten Autostrassen und innerorts somit nicht mehr. Da hier die Grenze für den schweren Fall bei einer Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit um 30 bzw. 25 km/h liegt, muss die Grenze für den mittelschweren Fall tiefer liegen.
Die Praxis wurde in der neuen Rechtsprechung bei Geschwindigkeitsüberschreitungen auf nicht richtungsgetrennten Autostrassen und innerorts demnach verschärft. Für den Bereich der Autobahnen wurde die Rechtsprechung dagegen nicht geändert. Insoweit bleibt es dabei, dass bei Geschwindigkeitsüberschreitungen von mehr als 30 km/h der Führerausweis zu entziehen ist, und zwar bei günstigen Umständen (günstige Verkehrsverhältnisse und guter automobilistischer Leumund) bei Überschreitungen von 31-34 km/h gestützt auf Art. 16 Abs. 2 Satz 1 SVG, bei ungünstigen Umständen dagegen sowie bei Überschreitungen ab 35 km/h gestützt auf Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG. Soweit Art. 16 Abs. 2 Satz 1 SVG anwendbar ist, kann vom Führerausweisentzug abgesehen werden, wenn besondere Umstände vorliegen, wie sie in BGE 118 Ib 229 gegeben waren.
d) Der Beschwerdegegner hat die allgemeine Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn um 32 km/h überschritten. Nach der Rechtsprechung ist ihm somit der Führerausweis zu entziehen. Es handelt sich um einen Durchschnittsfall. Besondere Umstände wie in BGE 118 Ib 229 sind nicht gegeben.
e) Die Vorinstanz stützt ihren Entscheid auf die geänderten Richtlinien der Interkantonalen Kommission für den Strassenverkehr. Wie in BGE 104 Ib 49 bereits gesagt wurde, haben diese Richtlinien keine Gesetzeskraft und beschränken das Ermessen der Behörden nicht (E. 3a). Nach Ziffer 3.3.4.1 der geänderten Richtlinien ist der Lenker bei Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn um 31-35 km/h in der Regel zu verwarnen. Die Richtlinien widersprechen somit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung.
Die Änderung von Ziff. 3.3.4.1 der Richtlinien ist entgegen der Annahme der Vorinstanz mit dem Bundesgericht nicht abgesprochen
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worden. Zwar trifft es zu, dass seit Inkrafttreten der neuen Ordnungsbussenverordnung am 1. September 1996 Geschwindigkeitsüberschreitungen auf der Autobahn nicht mehr nur - wie bisher - bis 15 km/h, sondern bis 25 km/h im Ordnungsbussenverfahren erledigt werden können (AS 1996 S. 1088). Der Anwendungsbereich des Ordnungsbussenverfahrens wurde jedoch nicht erweitert, weil man aufgrund von neuen Erkenntnissen Geschwindigkeitsüberschreitungen auf der Autobahn als weniger gefährlich eingestuft hätte. Es ging vielmehr darum, mehr Fälle in dieses mit Vorteilen verbundene Verfahren einzubeziehen und damit Polizei und Gerichte zu entlasten (vgl. RENÉ SCHAFFHAUSER, Zur Entwicklung des Ordnungsbussenrechts im Strassenverkehr, AJP 1996 S. 1223). Zu einer Milderung der Rechtsprechung besteht deshalb, wie der Beschwerdeführer zu Recht darlegt, kein Anlass.
f) Die Beschwerde ist daher gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Die beantragte Entzugsdauer entspricht dem gesetzlichen Minimum (Art. 17 Abs. 1 lit. a SVG). Dem Beschwerdegegner wird deshalb der Führerausweis für die Dauer von einem Monat entzogen.

3. (Kostenfolgen).

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Erwägungen 1 2 3

Referenzen

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