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Urteilskopf

124 II 53


8. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 9. Juli 1997 i.S. X. gegen Schweizerische Bundesbahnen (SBB) und Eidgenössische Personalrekurskommission (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

Regeste

Art. 69 Abs. 2 AO SBB, Art. 8 AngO, Art. 336c Abs. 1 lit. b OR; Kündigungsschutz bei Krankheit und Unfall.
Wenn das öffentliche Dienstrecht des Bundes keine Sperrfrist zur Auflösung des Anstellungsverhältnisses bei Krankheit und Unfall vorsieht, liegt hierin keine durch den Richter in Anlehnung an das Obligationenrecht zu füllende Lücke (E. 2).
Die Kündigung wegen gesundheitlicher Nichteignung ist nicht missbräuchlich, auch wenn der Betroffene dadurch seinen Anspruch auf eine pensionskassenrechtliche Invalidenrente verlieren sollte (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 54

BGE 124 II 53 S. 54
Am 28. Februar 1996 löste die Hauptabteilung Betrieb II der Schweizerischen Bundesbahnen das Dienstverhältnis mit dem im Rangierdienst tätigen X. während einer krankheitsbedingten Abwesenheit auf den 31. Mai 1996 auf. Nach dem Bericht des Bahnärztlichen Dienstes vom 15. Februar 1996 könne X. wegen seiner Rückenbeschwerden und einer Hautallergie künftig weder im Rangier- noch im Wagenreinigungsdienst eingesetzt werden. Zwar sei er für weniger rückenbelastende Tätigkeiten weiterhin voll erwerbsfähig, doch bestehe keine entsprechende Beschäftigungsmöglichkeit. Die Generaldirektion SBB und die Eidgenössische Personalrekurskommission bestätigten diese Verfügung am 14. Mai bzw. 17. Dezember 1996.
X. hat hiergegen Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht, welche das Bundesgericht abweist

Erwägungen

aus folgenden Erwägungen:

1. a) Nach Art. 69 Abs. 1 der Angestelltenordnung SBB vom 2. Juli 1993 (Reglement 102.1; AO SBB) kann die Wahlbehörde das Dienstverhältnis unter Einhaltung der Kündigungsfristen jederzeit aus triftigen Gründen auflösen oder umgestalten. Als solche Gründe gelten namentlich die gesundheitliche Nichteignung oder Untauglichkeit (lit. a), die Nichteignung hinsichtlich Leistung oder Verhalten (lit. b) sowie der Mangel an Arbeit (lit. c). Das Dienstverhältnis
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kann nicht gekündigt werden, solange der Angestellte schweizerischen obligatorischen Militär-, Zivil- oder Zivilschutzdienst leistet (Art. 69 Abs. 2 lit. a AO SBB) bzw. während einer Schwangerschaft und in den 16 Wochen nach der Niederkunft (Art. 69 Abs. 2 lit. b AO SBB). Die während dieser Sperrfristen ausgesprochene Kündigung ist nichtig; erfolgte sie vorher, wird die Kündigungsfrist unterbrochen und erst nach Beendigung der Sperrfrist fortgesetzt (Art. 69 Abs. 2 al. 2 AO SBB).
b) Für das privatrechtliche Arbeitsverhältnis sieht Art. 336c Abs. 1 lit. b OR vor, dass der Arbeitgeber nicht kündigen darf, während der Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden durch Krankheit oder durch Unfall ganz oder teilweise an der Arbeitsleistung verhindert ist, und zwar im ersten Dienstjahr während 30 Tagen, ab dem zweiten bis und mit dem fünften während 90 Tagen und ab dem sechsten während 180 Tagen. Weder die Angestelltenordnung SBB noch die allgemeine Angestelltenordnung vom 10. November 1959 (AngO; SR 172.221.104) kennen eine entsprechende Vorschrift. Das Beamtengesetz (BtG; SR 172.221.10) und die Beamtenordnungen (BO 1/2/3; SR 172.221.101/2/3) enthalten ihrerseits keine Bestimmungen über die Beendigung des Dienstverhältnisses zur Unzeit, da das Beamtenverhältnis an sich auf Amtsdauer begründet und deshalb normalerweise nicht durch Kündigung beendet wird (vgl. aber VPB 59/1995 Nr. 2 S. 22 ff.).

2. Der Beschwerdeführer macht geltend, das öffentliche Dienstrecht sei lückenhaft, soweit es für Angestellte keinen Kündigungsschutz bei Krankheit vorsehe. Die Gesetzeslücke sei analog der privatrechtlichen Regelung zu füllen. Die Vorinstanz ging davon aus, es handle sich dabei um ein qualifiziertes Schweigen, weshalb für eine richterliche Lückenfüllung kein Platz bleibe. Dieser Auffassung ist zuzustimmen:
a) Die Sperrfrist bei Krankheit ist mit der Revision des Arbeitsvertragsrechts von 1971 im Obligationenrecht verankert worden (Art. 336e Abs. 1 lit. b aOR). Bis zu diesem Zeitpunkt bestanden Kündigungsbeschränkungen bei Krankheit und Unfall bereits im Geltungsbereich des Fabrikgesetzes (OSER/SCHÖNENBERGER, Zürcher Kommentar, Zürich 1936, N. 35 zu Art. 347 OR). Die geltende Fassung des privatrechtlichen Kündigungsschutzes bei Krankheit und Unfall (Art. 336c OR) ist seit dem 1. Januar 1989 in Kraft (AS 1988 1474 ff.). Die hier massgebende Angestelltenordnung SBB stammt aus dem Jahre 1993. Sie ersetzte jene vom 20. Dezember 1968 (vgl. Art. 74 Angestelltenordnung SBB). Die Botschaft des
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Bundesrats vom 25. Oktober 1967 zum Arbeitsvertragsrecht, die den Kündigungsschutz bei Krankheit und Unfall vorsah, war schon damals bekannt (BBl 1967 II 281 und 377 ff.). Es hätte somit sowohl 1968 wie 1993 Gelegenheit bestanden, den Kündigungsschutz bei Krankheit auch in der Angestelltenordnung SBB zu verankern, wenn dies gewollt gewesen wäre. Das gleiche gilt für die allgemeine Angestelltenordnung. Deren Art. 8, der ausschliesslich Sperrfristen während gewisser Dienstleistungen und während der Schwangerschaft vorsieht, wurde in der geltenden Fassung am 27. Dezember 1967 in die Verordnung eingefügt (AS 1968 132), das heisst kurz nach Verabschiedung der Botschaft zum Arbeitsvertragsrecht. Es ist nicht anzunehmen, die Problematik der Sperrfrist bei Krankheit sei dabei übersehen worden. Im übrigen hätte der Bundesrat seither wiederholt Gelegenheit gehabt, die Angestelltenordnung gegebenenfalls anzupassen.
b) Auch sachlich lässt sich nicht sagen, die Regelung der Angestelltenordnung SBB sei unvollständig und weise eine vom Richter zu schliessende Lücke auf:
aa) Der privatrechtliche Arbeitsvertrag kann an sich frei gekündigt werden (Art. 335 OR). Dieser Grundsatz wird einzig insofern eingeschränkt, als die Kündigung nicht missbräuchlich sein (Art. 336 OR) und nicht zur Unzeit erfolgen darf (Art. 336c OR). Das öffentliche Dienstverhältnis kann demgegenüber nur bei Vorliegen eines triftigen Grunds aufgelöst werden. Bereits insofern ist der öffentlichrechtliche Kündigungsschutz besser als der privatrechtliche. Sodann garantiert Art. 336c OR lediglich, dass dem Arbeitnehmer der Arbeitsplatz vorerst erhalten bleibt, nicht jedoch auch, dass er den Lohn erhält. Dieser ist im ersten Dienstjahr für drei Wochen geschuldet, nachher nur "für eine angemessene längere Zeit [...], je nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses und den besonderen Umständen" (Art. 324a Abs. 2 OR). Im öffentlichen Dienstrecht gilt dagegen eine weitreichende Lohnfortzahlungspflicht: Nach Art. 56 AO SBB hat der Angestellte bis zur Wiederaufnahme des Dienstes oder bis zur Auflösung des Dienstverhältnisses Anspruch auf Besoldung. Erst wenn die Dienstaussetzung länger als ein Jahr gedauert hat, wird der Lohn des ständigen Angestellten um die Hälfte gekürzt. Selbst dann darf die Besoldung aber gewisse sozial- und pensionskassenrechtliche Leistungen nicht unterschreiten (vgl. auch Art. 62 AngO). Das privatrechtliche Arbeitsverhältnis kann schliesslich nach Ablauf der Sperrfrist ohne weiteres gekündigt werden, auch wenn der Grund hierfür die Krankheit selber ist (STAEHELIN/VISCHER,
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Zürcher Kommentar, N. 11 zu Art. 336c OR; THOMAS GEISER, Kündigungsschutz bei Krankheit, in: AJP 1996 S. 556). Im öffentlichen Dienstverhältnis bildet diese für sich allein indessen keinen Kündigungsgrund. Erforderlich ist vielmehr eine generelle gesundheitliche Nichteignung oder Untauglichkeit für die bisher ausgeübte Tätigkeit (Art. 69 Abs. 1 lit. a AO SBB). Solange die begründete Aussicht besteht, dass der Betroffene die Arbeit zu einem späteren Zeitpunkt wieder dauernd wird aufnehmen können, ist die Entlassung unzulässig und der Lohn weiter geschuldet.
bb) Unter diesen Umständen beruht die Ungleichbehandlung der Krankheit im privaten und öffentlichen Dienstrecht auf sachlichen Gründen. Wohl wäre auch in diesem eine Regelung denkbar, die Sperrfristen und darauf abgestimmte Lohnfortzahlungsgarantien vorsieht (vgl. etwa Art. 3 Abs. 3 und Art. 23 Abs. 2 lit. b der Verordnung vom 30. September 1996 über das Statut des Personals des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum; AS 1996 2772). Eine solche Lösung wurde aber gerade nicht gewählt; sie ist im übrigen auch verfassungsrechtlich nicht geboten: Es ist sachlich nicht unhaltbar, einen Angestellten zu entlassen, der aus gesundheitlichen Gründen für seine Tätigkeit nicht mehr geeignet ist und seine Beschäftigung auf Dauer nicht wieder wird aufnehmen oder fortsetzen können. Der Verordnungsgeber durfte bei der Ausgestaltung des Kündigungsschutzes darauf abstellen, ob die Arbeitsunfähigkeit nur vorübergehender Natur ist oder auf Dauer besteht. Im ersten Fall kann das Dienstverhältnis - wie dargelegt - an sich nicht aufgelöst werden und ist der Lohn weiter geschuldet, weshalb sich eine Sperrfrist erübrigt; im zweiten besteht eine medizinische Untauglichkeit, die eine Beendigung des Dienstverhältnisses nahelegt oder geradezu unumgänglich macht. Dass bei einer Krankheit, die ohne Einfluss auf die medizinische Eignung für die Tätigkeit des Betroffenen bleibt, unter Umständen während längerer Zeit der Lohn ausbezahlt werden müsste, ändert hieran nichts, wie das Bundesgericht in einem Tessiner Fall entschieden hat, dem eine ähnliche Regelung wie die vorliegende zugrunde lag (Urteil vom 19. August 1994 i.S. S., veröffentlicht in RDAT 1995 I Nr. 5 S. 9 ff.). Eine bestimmte Frist, vor deren Ablauf eine Auflösung des Dienstverhältnisses nicht zulässig wäre, obwohl die Arbeit auf Dauer nicht wieder aufgenommen werden kann, ist verfassungsrechtlich nicht geboten und darf vom Richter auch nicht lückenfüllend eingeführt werden.

3. Zu Unrecht wendet der Beschwerdeführer ein, er hätte nicht kurz vor Vollendung des fünften Dienstjahres entlassen werden dürfen,
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da er damit der Invalidenpension verlustig gehe, die ihm aufgrund von Art. 38 der Statuten vom 18. August 1994 der Pensions- und Hilfskasse der Schweizerischen Bundesbahnen (SR 172.222.2) nach dieser Beschäftigungsdauer zugestanden hätte. Es braucht hier nicht geprüft zu werden, welche pensionskassenrechtlichen Ansprüche der Beschwerdeführer gehabt hätte, wenn das Dienstverhältnis tatsächlich erst nach dem 1. Juli 1996 aufgelöst worden wäre. Eine Kündigung ist nicht missbräuchlich, wenn ein triftiger Grund dafür besteht und das Dienstverhältnis deswegen unter Einhaltung der Kündigungsfristen aufgelöst wird. Die (unbestrittene) gesundheitliche Nichteignung des Beschwerdeführers stand nach verschiedenen Abklärungen am 15. Februar 1996 und damit vor Ablauf der fünf Jahre fest. Die Hauptabteilung Betrieb Kreis II musste unter diesen Umständen mit der Kündigung nicht zuwarten, bis der Beschwerdeführer allenfalls Anspruch auf eine Invalidenpension gehabt und sich sein Zustand noch verschlechtert hätte.

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