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Urteilskopf

90 IV 114


24. Urteil des Kassationshofes vom 15. April 1964 i.S. Schmid gegen Generalprokurator des Kantons Bern.

Regeste

Art. 57 Abs. 1 lit. a BG über die berufliche Ausbildung.
Unberechtigte Lehrlingsausbildung im Elektro-Installationsgewerbe; Berechnung der zulässigen Zahl der Lehrlinge, die in einem Betrieb gleichzeitig gehalten werden dürfen.

Sachverhalt ab Seite 114

BGE 90 IV 114 S. 114

A.- Nach Art. 5 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 26. Juni 1930 über die berufliche Ausbildung (BAG) kann der Bundesrat die Zahl der Lehrlinge, die ein Betrieb gleichzeitig ausbilden darf, durch Verordnung für bestimmte Berufe beschränken. In Art. 7 Abs. 2 (in Verbindung mit Art. 2) der Verordnung I zum BAG vom 23. Dezember 1932 wird diese Kompetenz an das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement (EVD) weiterdelegiert. Dieses erliess am 18. April 1946 ein Reglement über die Lehrlingsausbildung im Elektro-Installationsgewerbe (BBl 1946 II 831). Ziff. 2 dieses Reglements bestimmt in der durch Verfügung des EVD vom 11. Dezember 1956 abgeänderten Fassung:
"In einem Betrieb dürfen ausgebildet werden:
1 Lehrling, wenn der Meister allein oder mit 1 gelernten Arbeiter tätig ist; ein zweiter Lehrling darf seine Probezeit beginnen, wenn der erste ins letzte Lehrjahr tritt;
2 Lehrlinge, wenn der Meister 2 bis 3,
3 Lehrlinge, wenn der Meister 4 bis 6 gelernte Arbeiter ständig beschäftigt.
1 weiterer Lehrling auf jede weitere angebrochene oder ganze Gruppe von 3 ständig beschäftigten, gelernten Arbeitern.
.....
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Bei Vorliegen besonderer Verhältnisse, wie Mangel einer geeigneten Lehrstelle oder Mangel an gelernten Arbeitskräften kann die zuständige kantonale Behörde im Einzelfall die vorübergehende Erhöhung der hiervor festgesetzten Lehrlingszahl bewilligen."

B.- Schmid ist verantwortlicher Geschäftsführer der Elektro-Radio Schmid AG, die in Bern ein Elektro-Installationsgeschäft betreibt. Anfangs 1961 hatte die Firma Schmid AG drei Lehrlinge in Ausbildung, von denen einer die Lehre Mitte April 1961 beendete. Im Frühjahr 1961 schloss die Firma drei weitere Lehrverträge für die Zeit vom 4. April 1961 bis 3. April 1965 ab. Am 3. Juli 1961 verweigerte das Amt für berufliche Ausbildung des Kantons Bern die nach Art. 7 Abs. 3 BAG erforderliche Genehmigung der Verträge. Es erklärte, die Firma beschäftige nicht genügend gelernte Arbeitskräfte, um mehr als zwei Lehrlinge auszubilden. Schmid setzte ungeachtet der amtlichen Stellungnahme die Ausbildung der drei neuen Lehrlinge bis zum Herbst 1961 fort, beschäftigte also von Mitte April 1961 an insgesamt fünf Lehrlinge.
Am 4. Oktober 1961 beschwerte sich die Elektro-Radio Schmid AG bei der kantonalen Volkswirtschaftsdirektion mit dem Begehren, ihr die Ausbildung von vier Lehrlingen zu gestatten und demgemäss zwei neue Lehrverträge zu genehmigen. Die Volkswirtschaftsdirektion wies die Beschwerde grundsätzlich ab, bewilligte der Beschwerdeführerin aber in Anwendung von Ziff. 2 Abs. 3 des erwähnten Reglementes des EVD ausnahmsweise ein drittes Lehrverhältnis mit Wirkung ab Frühjahr 1961. Ein gegen diesen Entscheid eingereichter Rekurs wurde vom Regierungsrat des Kantons Bern am 2. März 1962 abgewiesen.
Gegen den Entscheid des Regierungsrates führte die Elektro-Radio Schmid AG staatsrechtliche Beschwerde. Diese wurde vom Bundesgericht am 18. September 1963 abgewiesen, soweit darauf einzutreten war.

C.- Am 5. April 1963 erklärte das Obergericht des Kantons Bern in Bestätigung eines Urteils des Gerichtspräsidenten VIII von Bern Schmid der Widerhandlung
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gegen Art. 5 Abs. 1 BAG schuldig und verurteilte ihn gestützt auf Art. 57 Abs. 1 lit. a BAG zu Fr. 150. - Busse.

D.- Schmid führt gegen das obergerichtliche Urteil Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, er sei freizusprechen.

Erwägungen

Der Kassationshof zieht in Erwägung:

1. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass er die Lehrverträge für die Elektro-Radio Schmid AG abgeschlossen hat und als Organ dieser Aktiengesellschaft strafrechtlich verantwortlich ist (vgl. BGE 82 IV 45 f., BGE 85 IV 97 ff.).

2. Das Obergericht geht davon aus, die Frage, wieviele Lehrlinge in einem Betrieb ausgebildet werden dürfen, falle in die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde, und deren Entscheid sei, wenn er nicht nur vorfrageweise, sondern in der Hauptsache ergangen sei, für den Strafrichter verbindlich. Der Entscheid des Regierungsrates vom 2. März 1962, wonach die Elektro-Radio Schmid AG im April 1961 nur zur Ausbildung von drei Lehrlingen, wovon einer auf Grund einer Sonderbewilligung, berechtigt gewesen sei, könne daher im Strafverfahren nicht mehr überprüft werden. Ob diese Auffassung zutreffe, kann dahingestellt bleiben. Auch wenn nämlich der Strafrichter die Frage der zulässigen Lehrlingszahl frei zu entscheiden hätte (vgl. BGE 85 IV 70), wäre im vorliegenden Falle das Ergebnis kein anderes.
a) Massgebend für die Zahl der Lehrlinge, die in einem Betrieb gleichzeitig ausgebildet werden dürfen, muss nach dem Gesetz vor allem die Rücksicht auf die sorgfältige Ausbildung der Lehrlinge sein (Art. 5 Abs. 1 BAG, ebenso Art. 12 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Berufsausbildung vom 20. September 1963). Die Verordnung I wiederholt dies und stellt als weiteren Grundsatz auf, dass die Zahl der Lehrlinge zur Zahl der im Betrieb beschäftigten
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gelernten Arbeitskräfte in einem angemessenen Verhältnis stehen soll (Art. 7 Abs. 1, ebenso Art. 12 Abs. 2 des BG über die Berufsausbildung vom 20. September 1963). Das Reglement des EVD, das diese Verhältniszahl festlegt, stellt auf die Zahl der "ständig" beschäftigten gelernten Arbeitskräfte ab. Dabei ist richtigerweise von den Verhältnissen auszugehen, wie sie im Zeitpunkt des Lehrantritts bestehen. Denn nur diese Verhältnisse sind beim Abschluss des Lehrvertrages mit einiger Sicherheit überblickbar, und zudem verlangt der Ausbildungszweck, dass die gelernten Arbeitskräfte von Anfang an im Betrieb vorhanden sind.
b) Die Elektro-Radio Schmid AG beschäftigte anfangs April 1961 zwei gelernte schweizerische Monteure (Spycher und Meienberger), von Mitte April 1961 an ausserdem einen dritten (Kropf) sowie Weber, der am 15. April 1961 die Lehre abgeschlossen hatte und als Arbeiter weiterbeschäftigt wurde. Von den daneben beschäftigten fünf italienischen Arbeitern fallen vier als gelernte Monteure zum vorneherein ausser Betracht. Wie im Urteil der staatsrechtlichen Kammer des Bundesgerichts vom 18. September 1963 näher ausgeführt wurde, verfügen zwei der erwähnten Italiener über gar keinen Fähigkeitsausweis und zwei weitere über keinen genügenden, da sie lediglich im Jahre 1959/60 einen Jahreskurs besucht hatten und diese Ausbildung zusammen mit der bis zum Frühjahr 1961 dauernden praktischen Tätigkeit offensichtlich nicht genügt, um sie der vierjährigen Lehrzeit eines schweizerischen Elektromonteurs gleichzustellen. Wollte man noch den fünften Italiener, der im Jahre 1953/54 einen Jahreskurs als Elektriker absolvierte, mit Rücksicht auf seine praktische Weiterausbildung als gelernten Arbeiter mitzählen, so würde die Zahl der gelernten Arbeiter im April 1961 insgesamt nur fünf betragen haben, was nach dem Reglement keinen Anspruch auf mehr als drei Lehrlinge gibt.
c) Damit steht objektiv fest, dass die Elektro-Radio Schmid AG von den fünf Lehrlingen, die sie vom April 1961 bis Herbst 1961 in ihrem Betrieb ausbildete, zwei im
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Sinne des Art. 57 Abs. 1 lit. a BAG unberechtigterweise gehalten hat.

3. Der Beschwerdeführer macht erneut geltend, er habe angenommen, er sei zu seinem Vorgehen berechtigt gewesen. Damit beruft er sich auf Rechtsirrtum (Art. 20 StGB), jedoch zu Unrecht.
a) Zum vorneherein ist die Behauptung des Beschwerdeführers unrichtig, das BIGA habe ausländische Fähigkeitsausweise den schweizerischen generell gleichgestellt. Im Kreisschreiben vom 9. Februar 1962 stellt das BIGA im Gegenteil fest, dass die italienischen Fähigkeitsausweise den schweizerischen meistens nicht gleichwertig seien, und es erklärt denn auch im Bericht vom 31. Oktober 1962 an das Bundesgericht, es sei deshalb im Einzelfall auch die Weiterausbildung italienischer Arbeiter sowie ihre Stellung und Entlöhnung im schweizerischen Lehrbetrieb mitzuberücksichtigen. Was die Ausbildung und praktische Tätigkeit der in Frage stehenden fünf italienischen Arbeiter anbetrifft, ist bereits dargetan worden, dass mindestens vier von ihnen nicht den Anforderungen entsprachen, die in der Schweiz an einen gelernten Elektromonteur gestellt werden. Überdies waren die fünf Italiener auch mit bezug auf die Entlöhnung den schweizerischen Monteuren nicht gleichgestellt, denn sie bezogen in der Stunde Fr. -.80 bis 1.10 weniger als diese. Die Elektro-Radio Schmid AG hat auch nie nachgewiesen oder auch nur erklärt, ihre italienischen Arbeiter würden ebenso selbständig eingesetzt wie die schweizerischen Facharbeiter (vgl. das unter Ziff. 2 lit. b erwähnte Urteil des Bundesgerichts vom 18. September 1963, S.11).
b) Ebensowenig konnte sich der Beschwerdeführer darauf stützen, in Biel würden die italienischen Arbeiter bei der Berechnung der zulässigen Lehrlingszahl allgemein als gelernte Arbeitskräfte mitgezählt. Der Zeuge Fischer, auf den er sich beruft, hat die behauptete Praxis nicht bestätigt. Er erklärte vielmehr nur, dass ausländische Arbeitskräfte mitberücksichtigt werden, wenn sie "tüchtig
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und gut ausgebildet" bzw. wenn die Italiener "gut ausgewiesen" seien.
c) Haltlos ist auch der Einwand des Beschwerdeführers, er habe annehmen dürfen, ein Lehrverhältnis komme erst mit der gesetzlich vorgeschriebenen Genehmigung des Lehrvertrages durch die Behörde zustande, folglich könne vor diesem Zeitpunkt ein Lehrling nicht unberechtigt ausgebildet werden. Der Beschwerdeführer übersieht, dass das Lehrverhältnis mit der tatsächlichen Ausbildung beginnt und deshalb auch die behördliche Genehmigung des Lehrvertrages auf den Zeitpunkt, in dem die Lehre angetreten wird, zurückwirkt (vgl. Bericht des BIGA vom 31. Oktober 1962 an das Bundesgericht). Wäre die Auffassung des Beschwerdeführers richtig, könnten ungestraft Lehrlinge gehalten werden, ohne dass die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, was das Gesetz gerade verhindern will.
d) Schliesslich kann der Beschwerdeführer auch nicht einwenden, die gewerbliche Lehrlingskommission des Amtes Bern habe ihn der Möglichkeit, sich nach der zulässigen Zahl der Lehrlinge zu erkundigen, beraubt, weil sie am 19. Januar 1961 die vorzeitige Prüfung der Lehrverträge abgelehnt und ihn aufgefordert habe, die Verträge erst nach Ablauf der Probezeit einzureichen. Dieses Vorgehen der Behörde, das der gesetzlichen Vorschrift des Art. 7 Abs. 3 BAG entsprach, hinderte den Beschwerdeführer nicht, die städtischen oder kantonalen Behörden hinsichtlich der zulässigen Lehrlingszahl zu befragen. Er war übrigens im Besitze des roten Anmeldeformulars, auf dessen Rückseite die Lehrbetriebe ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass die Lehrlingskommissionen über die Voraussetzungen und die Zahl der zulässigen Lehrverhältnisse Aufschluss erteilen.
Jedenfalls konnte der Beschwerdeführer spätestens aus dem Schreiben der Lehrlingskommission vom 25. Mai 1961 ersehen, dass die in seinem Betrieb beschäftigten italienischen Arbeiter, bevor deren Berufsausbildung näher
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abgekärt war, nicht als gelernte Monteure mitgezählt werden durften und dass die Elektro-Radio Schmid AG nicht davon ausgehen durfte, sie sei berechtigt, vier oder fünf Lehrlinge zu halten. Der Beschwerdeführer liess es jedoch darauf ankommen, sandte weder damals noch auf die zweite behördliche Aufforderung vom 16. Juni 1961 hin die verlangten Unterlagen ein und traf auch sonst keine Anstalten, um die Lehrverhältnisse gesetzlich zu ordnen, so dass am 3. Juli 1961 gegen ihn Strafanzeige erstattet werden musste. Was den 5. Lehrling (Bürki) betrifft, war sich übrigens der Beschwerdeführer, wie das Obergericht verbindlich feststellt, von allem Anfang an bewusst, dass er ihn ohne Berechtigung hielt.

4. Der Beschwerdeführer hat vorsätzlich gehandelt, d.h. einen Teil der Lehrlinge mit Wissen und Willen unberechtigterweise ausgebildet. Diese Feststellung des Obergerichts ist in tatsächlicher Hinsicht für den Kassationshof verbindlich (Art. 273 Abs. 1 lit. b und 277 bis Abs. 1 BStP). Dass die Vorinstanz von einem rechtlich unzutreffenden Vorsatzbegriff ausgegangen sei, wird in der Beschwerde nicht geltend gemacht, offenbar mit Recht nicht. Der Straftatbestand des Art. 57 Abs. 1 lit. a BAG ist daher auch subjektiv erfüllt.

Dispositiv

Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 1 2 3 4

Dispositiv

Referenzen

BGE: 82 IV 45, 85 IV 97, 85 IV 70

Artikel: Art. 20 StGB