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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 578/05 
 
Urteil vom 1. Februar 2006 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber Ackermann 
 
Parteien 
G.________, 1969, Beschwerdeführerin, vertreten 
durch Rechtsanwalt Philip Stolkin, Lausannegasse 18, 1700 Freiburg, 
 
gegen 
 
IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, Basel 
 
(Entscheid vom 7. Juni 2005) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Nach Vornahme erwerblicher und medizinischer Abklärungen (insbesondere Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle [MEDAS] vom 11. August 2003 mit vier Fachgutachten) lehnte die IV-Stelle Basel-Stadt mit Verfügung vom 29. September 2003 den Anspruch der G.________, geboren 1969, auf eine Invalidenrente ab, da in Anwendung der gemischten Bemessungsmethode ein rentenausschliessender Invaliditätsgrad von 27 % resultiere. Dies wurde durch Einspracheentscheid vom 1. September 2004 bestätigt. 
B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt mit Entscheid vom 7. Juni 2005 ab. 
C. 
G.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem materiellen Antrag, unter Aufhebung des kantonalen Entscheides sei die Sache zur weiteren Abklärung und zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Die Beschwerdeführerin verlangt die Durchführung eines zweiten Schriftenwechsels. Nach Art. 132 OG in Verbindung mit Art. 110 Abs. 4 OG findet ein zweiter Schriftenwechsel nur ausnahmsweise statt. Diese Bestimmungen dienen der Beschleunigung des Verfahrens; sie sollen verhindern, dass das bundesgerichtliche Verfahren durch wiederholte Stellungnahmen der Parteien, die jeweils den übrigen Beteiligten wieder zugestellt werden müssen, verzögert wird. Im Verwaltungsverfahren und im erstinstanzlichen Gerichtsverfahren hat sich die Versicherte bereits mehrfach geäussert. Weiter ist ihr mit Schreiben vom 6. September 2005 die kurze Eingabe der IV-Stelle zur Kenntnisnahme und allfälligen Stellungnahme zugestellt worden, so dass sie die Möglichkeit hatte, sich dazu zu äussern, worauf sie jedoch verzichtet hat. Eines zweiten Schriftenwechsels bedarf es deshalb nicht. 
1.2 Die Beschwerdeführerin beantragt weiter, sie sei anlässlich einer öffentlichen Verhandlung persönlich einzuvernehmen und ihr Rechtsvertreter sei zum Parteivortrag zuzulassen. 
 
Gemäss Art. 132 OG in Verbindung mit Art. 112 OG kann der Präsident des Eidgenössischen Versicherungsgerichts eine mündliche Parteiverhandlung anordnen. Die Parteien haben jedoch keinen Anspruch auf Parteivorträge (Art. 9 Abs. 2 des Reglements für das Eidgenössische Versicherungsgericht vom 16. November 1999). Ein Parteivortrag ist hier nicht erforderlich, da die Sach- und Rechtslage aufgrund des bisherigen Verfahrens hinreichend klar ist und keiner weiteren Erörterung bedarf. Die Versicherte konnte sich denn auch im vorinstanzlichen Verfahren zweimal ausführlich schriftlich und einmal mündlich durch ihren Rechtsvertreter äussern, während sie vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht nach erhobener Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf eine abschliessende Stellungnahme verzichtet hat. Der Antrag auf einen Parteivortrag ist deshalb abzuweisen. Über den weiter gestellten Beweisantrag auf persönliche Einvernahme ist im Rahmen der materiellen Erwägungen zu entscheiden (vgl. Erw. 4.2 hienach). 
 
Die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin stellt im Übrigen keinen Antrag auf eine öffentliche Urteilsberatung im Sinne des Art. 12 des Reglements des Eidgenössischen Versicherungsgerichts. Sie führt denn auch aus, dass "die genauen Umstände der Auffahrkollision alles andere als klar" seien und sie sich deshalb dazu müsse äussern können, wobei sich das für das Gericht auch die "Gelegenheit" ergebe, "sich aufgrund eines persönlichen Eindrucks ein Bild zu machen". Weiter wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebracht, nach der Praxis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte müsse die Öffentlichkeit "im Sinne einer aktiven Teilnahme, eines Äusserungsrechts der Beteiligten verstanden werden". Damit ist klar, dass hier eine Verhandlung zur Abnahme von Beweisen gemeint ist. 
2. 
In formeller Hinsicht rügt die Versicherte, ihr sei während der Parteibefragung durch das kantonale Gericht kein Übersetzer beigeordnet worden. 
Wie die Vorinstanz zu Recht erkannt hat, ist aufgrund der Akten erstellt (und hat sich anlässlich der vorinstanzlichen Verhandlung bestätigt), dass die Beschwerdeführerin genügend Deutsch versteht und spricht, um in einem Parteiverhör befragt zu werden, wobei zu beachten ist, dass die Versicherte von ihrem rechtskundigen Vertreter begleitet worden ist. Weiter ist darauf hinzuweisen, dass die Versicherte erst anlässlich der Verhandlung einen Dolmetscher beantragt hat. Der anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin oblag aber die Mitwirkungspflicht, frühzeitig einen Übersetzer zu beantragen. Entgegen der Auffassung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist in einem solchen Fall nicht einfach die Verhandlung zu vertagen. Wenn die Vorinstanz schliesslich den von der Beschwerdeführerin an die Verhandlung mitgenommenen Dolmetscher abgelehnt hat, ist dies nicht zu beanstanden, da nicht bekannt ist, in welcher Beziehung er zur Versicherten steht. 
3. 
3.1 Korrekt dargestellt hat die IV-Stelle in der Verfügung vom 29. September 2003 die Bestimmungen über den Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1 IVG in der bis Ende 2003 geltenden Fassung) sowie die Bemessung des Invaliditätsgrades bei Teilerwerbstätigen nach der gemischten Methode (Art. 27bis Abs. 1 IVV in der bis Ende 2003 geltenden Fassung in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 IVG und Art. 27 IVV sowie Art. 28 Abs. 2 IVG resp. Art. 16 ATSG; ab 1. Januar 2004: Art. 28 Abs. 2ter IVG). Darauf wird verwiesen. 
 
Nach Art. 28 Abs. 1 IVG (in der ab Januar 2004 geltenden Fassung) hat der Versicherte Anspruch auf eine ganze Rente, wenn er mindestens zu 70 %, auf eine Dreiviertelsrente, wenn er mindestens zu 60 %, auf eine halbe Rente, wenn er mindestens zu 50 %, und auf eine Viertelsrente, wenn er mindestens zu 40 % invalid ist. Dies bleibt zu ergänzen, da die 4. IV-Revision hier anwendbar ist, denn der Einspracheentscheid datiert von September 2004 und die Versicherte macht auch für die Zeit nach dem 1. Januar 2004 einen Anspruch geltend, so dass der Sachverhalt teilweise unter den Normen der 4. IV-Revision zu beurteilen ist (RKUV 2001 Nr. U 419 S. 101 [= Urteil S. vom 29. Dezember 2000, U 170/00]; vgl. auch Erw. 3.2 hienach). 
3.2 Die Versicherte hat sich bereits im Mai 2000 bei der Invalidenversicherung angemeldet; damit ist teilweise ein rechtserheblicher Sachverhalt zu beurteilen, der sich vor dem In-Kraft-Treten des ATSG am 1. Januar 2003 und der 4. IV-Revision am 1. Januar 2004 verwirklicht hat. Nach BGE 130 V 329 kann in intertemporalrechtlicher Hinsicht aus Art. 82 Abs. 1 ATSG nicht etwa der Umkehrschluss gezogen werden, dass für die Anwendbarkeit materiellrechtlicher Bestimmungen des neuen Gesetzes bezüglich im Zeitpunkt seines In-Kraft-Tretens noch nicht festgesetzter Leistungen einzig der Verfügungszeitpunkt ausschlaggebend sei. Vielmehr sind - von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen - die übergangsrechtlichen Grundsätze massgebend, welche für den Fall einer Änderung der gesetzlichen Grundlagen die Ordnung anwendbar erklären, welche zur Zeit galt, als sich der zu Rechtsfolgen führende Sachverhalt verwirklicht hat. Im vorliegenden Fall ist daher bei der Bestimmung des streitigen Rentenanspruchs (für die Zeiträume bis 31. Dezember 2002 und 31. Dezember 2003) auf die damals geltenden Bestimmungen des IVG abzustellen (BGE 130 V 445); dies betrifft namentlich - bezüglich des Invaliditätsbegriffs - Art. 4 Abs. 1 IVG (in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung) und bezüglich des Umfangs eines allfälligen Rentenanspruchs - Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG (aufgehoben per 1. Januar 2004). Für den Verfahrensausgang ist dies indessen insofern von untergeordneter Bedeutung, als die im ATSG enthaltenen Umschreibungen der Arbeitsunfähigkeit (Art. 6 ATSG), der Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG) sowie der Invalidität (Art. 8 ATSG) den bisherigen von der Rechtsprechung im Invalidenversicherungsbereich entwickelten Begriffen und Grundsätzen entsprechen und daher mit dem In-Kraft-Treten des ATSG keine substanzielle Änderung der früheren Rechtslage verbunden war (BGE 130 V 343). Dasselbe gilt für die bisherige Praxis zur gemischten Methode (BGE 130 V 393). 
4. 
Streitig ist der Anspruch auf eine Invalidenrente. 
 
Hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit stellt das kantonale Gericht auf die Einschätzung der Gutachter der MEDAS ab. In Anwendung sowohl der gemischten Methode als auch des Einkommensvergleichs schliesst die Vorinstanz auf einen rentenausschliessenden Invaliditätsgrad von unter 40 %. 
4.1 Die Beschwerdeführerin bringt vor, sie habe sich nicht zur Person der Gutachter der MEDAS äussern und auch keine Ergänzungsfragen stellen können; dies stelle eine unheilbare Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. 
 
Der Rechtsvertreter der Versicherten ist mit Schreiben vom 17. Juni 2002 - d.h. ein Dreivierteljahr vor der Begutachtung im März/April 2003 - informiert und ausdrücklich aufgefordert worden "Einwendungen gegen die begutachtende Person oder die begutachtende Stelle und allfällige Gegenvorschläge ... unter Angabe der Gründe innert 10 Tagen" einzureichen. Dies hat die Versicherte jedoch nicht veranlasst, ebenso wenig wie sie verlangt hat, es seien den begutachtenden Ärzten bestimmte Fragen zu stellen. Von einer Verletzung des rechtlichen Gehörs kann deshalb nicht die Rede sein. 
4.2 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird weiter gerügt, auf die Expertise der MEDAS könne inhaltlich nicht abgestellt werden, da sie unvollständig, widersprüchlich und nicht nachvollziehbar sei. 
 
Mit ausführlicher und überzeugender Begründung, auf die verwiesen wird, hat das kantonale Gericht erkannt, dass keine Zweifel an den anlässlich einer interdisziplinären Konsenskonferenz gezogenen Schlussfolgerungen des Gutachtens der MEDAS vom 11. August 2003 bestehen. Zu ergänzen bleibt Folgendes: 
 
- Der Bericht vom 9. Mai 2003 über die im Rahmen der Begutachtung durchgeführte neuropsychologische Abklärung ist ebenfalls voll beweiskräftig (BGE 125 V 352 Erw. 3a). Der begutachtende Neuropsychologe erachtet die durchgeführten Tests aufgrund seiner Erfahrung sowie der Umstände als nicht valide, was er in seinem Bericht offen legt und begründet. In der Folge kann - entgegen der Auffassung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde - nicht auf diese Testergebnisse abgestellt werden und es können daraus keine schwereren Beeinträchtigungen als die angenommenen abgeleitet werden. Wenn der Experte zudem davon ausgeht, dass die aktuelle Arbeitsfähigkeit aus neuropsychologischer Sicht nicht beurteilt werden könne, können offensichtlich auch keine besser geeigneten Tests durchgeführt werden, da dies der Gutachter im Rahmen seines Auftrages ohnehin gemacht hätte, wenn es solche gäbe. 
 
- Der rheumatologische Experte schliesst in seinem Fachgutachten vom 9. April 2003 eine Fibromyalgie aus, weil auch die Kontrollpunkte positiv seien, und diagnostiziert stattdessen ein generalisiertes Schmerzsyndrom. Entgegen der Meinung der Versicherten ist dies zu Recht erfolgt, denn die Kontrollpunkte dürfen eben gerade nicht positiv auf Druck reagieren (andernfalls sie ihren Sinn verlören). 
 
- Der neurologische Experte geht in seinem Fachgutachten vom 1. April 2003 von einer Arbeitsfähigkeit von maximal 75 % in einer leidensangepassten Tätigkeit aus, was sich in etwa mit der Einschätzung im Hauptgutachten deckt (Arbeitsfähigkeit von 70 %). Wenn der Neurologe ausführt, aufgrund "der reduzierten Bewältigungsmöglichkeit bereits von einfachen Haushaltsaufgaben" sei "eine Erwerbstätigkeit ausser Haus kaum denkbar", liegt entgegen der Auffassung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde keine Widersprüchlichkeit vor, denn der Gutachter stützt sich für diese Aussage explizit nicht nur auf Krankheits-, sondern auch auf invaliditätsfremde Motivationsgründe. 
- Wenn in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesslich gerügt wird, die letzte "eingehende Untersuchung" sei anderthalb Jahre vor dem Einspracheentscheid erfolgt, ist darauf hinzuweisen, dass eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht einmal geltend gemacht - geschweige denn belegt - worden ist und sich aus den Akten auch keine diesbezüglichen Anhaltspunkte ergeben (BGE 110 V 53 Erw. 4a). Weitere Abklärungen sind nicht nötig. 
4.3 Hinsichtlich der Invaliditätsbemessung wird auf die überzeugenden vorinstanzlichen Erwägungen verwiesen, welche letztlich offen lassen, ob die gemischte Methode oder der Einkommensvergleich anwendbar ist, da in beiden Fällen ein rentenausschliessender Invaliditätsgrad resultiert. Es ist speziell darauf hinzuweisen, dass das kantonale Gericht vom Einkommen nach Eintritt des Gesundheitsschadens (Invalideneinkommen) einen Abzug von 23 % vorgenommen hat, weil die Versicherte bereits als Gesunde ein entsprechend unterdurchschnittliches Einkommen erzielt hat (vgl. dazu ZAK 1989 S. 458 Erw. 3b sowie Urteil S. vom 29. August 2002, I 97/00, Erw. 3.2 f., und auch BGE 129 V 225 Erw. 4.4). Von einer indirekten Diskriminierung durch die Verwendung von Tabellenlöhnen kann deshalb nicht die Rede sein. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, der Ausgleichskasse Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 1. Februar 2006 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: