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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
I 595/06 
 
Urteil vom 1. Februar 2007 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Frésard, 
Gerichtsschreiber Wey. 
 
Parteien 
R.________, 1960, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin lic. iur. Ursula Reger-Wyttenbach, Weinbergstrasse 72, 8006 Zürich, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 23. Mai 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der 1960 geborene R.________ absolvierte ein Psychologiestudium und war nach erfolgreichem Abschluss im Jahr 1991 bis im März 2003 als selbstständiger Taxifahrer tätig. Anschliessend arbeitete er während einigen Monaten in der Buchhandlung L.________. Im Oktober 2004 begann der Versicherte aufgrund seiner psychischen Beschwerden (im Sinne einer Umschulung) mit dem Nachdiplomstudium Information und Dokumentation. 
Im August 2004 meldete sich R.________ zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung (Umschulung) an. Mit Verfügung vom 21. Februar 2005 und Einspracheentscheid vom 2. Mai 2005 verneinte die IV-Stelle des Kantons Zürich einen Anspruch auf Umschulung. 
B. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 23. Mai 2006 ab. 
C. 
R.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den (zum Teil sinngemässen) Anträgen auf Umschulung zum Dokumentalisten bzw. auf Vornahme der "zusätzlich notwendigen, medizinischen Abklärungen" sowie auf Zusprechung der unentgeltlichen Verbeiständung im vorinstanzlichen Verfahren. Ausserdem lässt er um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung im letztinstanzlichen Verfahren ersuchen. 
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Damit wurde das Eidgenössische Versicherungsgericht und das Bundesgericht in Lausanne zu einem einheitlichen Bundesgericht (an zwei Standorten) zusammengefügt (Seiler/von Werdt/Güngerich, Bundesgerichtsgesetz [BGG], Bern 2007, S. 10 Rz 75). Dieses Gesetz ist auf die nach seinem Inkrafttreten eingeleiteten Verfahren des Bundesgerichts anwendbar, auf ein Beschwerdeverfahren jedoch nur dann, wenn auch der angefochtene Entscheid nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ergangen ist (Art. 132 Abs. 1 BGG). Da der kantonale Gerichtsentscheid am 23. Mai 2006 und somit vor dem 1. Januar 2007 erlassen wurde, richtet sich das Verfahren nach dem bis 31. Dezember 2006 in Kraft gestandenen Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG) vom 16. Dezember 1943 (vgl. BGE 132 V [I 618/06] Erw. 1.2). 
2. 
Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Nach Art. 132 Abs. 1 OG in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG (in Kraft seit 1. Juli 2006) kann das Gericht in Verfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen in Abweichung von den Art. 104 und 105 OG auch die Unangemessenheit der angefochtenen Verfügung beurteilen und ist an die vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts nicht gebunden. Gemäss Art. 132 Abs. 2 OG gelten diese Abweichungen nicht, wenn der angefochtene Entscheid Leistungen der Invalidenversicherung betrifft. Nach Ziff. II lit. c des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 ist indessen bisheriges Recht auf die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung hängigen Beschwerden anwendbar. Da die hier zu beurteilende Beschwerde am 1. Juli 2006 beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängig war, richtet sich die Kognition noch nach der bis Ende Juni 2006 gültigen Fassung von Art. 132 OG, die dem neuen Abs. 1 entspricht. 
3. 
Streitig und zu prüfen ist, ob der Versicherte einen Anspruch auf Umschulung (Art. 17 Abs. 1 IVG) hat. 
 
3.1 Gemäss Art. 17 Abs. 1 IVG hat der Versicherte Anspruch auf Umschulung auf eine neue Erwerbstätigkeit, wenn die Umschulung infolge Invalidität notwendig ist und dadurch die Erwerbsfähigkeit voraussichtlich erhalten oder wesentlich verbessert werden kann. Als invalid in diesem Sinne gilt, wer nicht hinreichend eingegliedert ist, weil der Gesundheitsschaden eine Art und Schwere erreicht hat, welche die Ausübung der bisherigen Erwerbstätigkeit ganz oder teilweise unzumutbar macht. Dabei muss der Invaliditätsgrad ein bestimmtes erhebliches Mass erreicht haben; nach der Rechtsprechung ist dies der Fall, wenn der Versicherte in den ohne zusätzliche berufliche Ausbildung noch zumutbaren Erwerbstätigkeiten eine bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbseinbusse von etwa 20 % erleidet (BGE 124 V 110 Erw. 2b mit Hinweisen). 
3.2 Die Vorinstanz nimmt an, dass der Versicherte auf der Grundlage seiner Ausbildung als Psychologe ein Einkommen erwirtschaften kann, das mit dem bisher erzielten als Taxifahrer vergleichbar ist oder gar noch darüber hinausgeht. Ein Anspruch auf Umschulung scheitere deshalb bereits an den invaliditätsmässigen Voraussetzungen. Dieser Betrachtungsweise kann namentlich aus nachstehendem Grund nicht gefolgt werden: Entgegen der Auffassung der Vorinstanz bemisst sich die Erwerbseinbusse des Versicherten nicht am als Taxifahrer Verdienten, sondern am Erwerbseinkommen, das er ohne Gesundheitsschaden erzielen könnte (unveröffentlichtes Urteil A. vom 3. März 1992 [I 294/91], Erw. 1b mit Hinweisen). Da die diagnostizierten psychischen Beschwerden ("schwere Dysthymia" [ICD-10 F34.1]) bereits während des Studiums bestanden und dem Beschwerdeführer verunmöglichten, nach abgeschlossener Ausbildung als Psychchologe tätig zu werden, hat er - wie bereits zu Zeiten des Studiums - weiterhin als Taxifahrer gearbeitet (vgl. etwa die Berichte des behandelnden Psychiaters Dr. B.________ vom 20. September 2004 sowie vom 16. März 2005). Für einen rechtsgenüglichen Einkommensvergleich ist daher nicht der als Taxifahrer, sondern der im Gesundheitsfall, hier als Psychologe, erzielte Verdienst heranzuziehen. 
3.3 Im Übrigen stellt sich generell die Frage der subjektiven Eingliederungsfähigkeit des Versicherten. Im Bericht vom 20. September 2004 äusserte sich Dr. B.________ dahingehend, dass der Beschwerdeführer lediglich in einer Tätigkeit (zwischen 50 und 100 %) arbeitsfähig sei, in der weder Kundenbeziehungen vorausgesetzt sind, noch spezielle zwischenmenschliche Kontakte und Kompetenzen im Zentrum der Arbeit stehen. Vor diesem Hintergrund gilt es zu bedenken, dass auch die in Betracht gezogene Umschulungsmassnahme notgedrungen Umgang mit anderen Leuten mit sich bringt: So beinhaltet die angestrebte Tätigkeit des Dokumentalisten auch eine dienstleistende Komponente und überdies macht bereits die an der Hochschule C.________ im Klassenverband stattfindende Ausbildung eine beachtliche zwischenmenschliche Interaktion erforderlich. Aufgrund der derzeitigen Aktenlage kann die Frage der subjektiven Eingliederungsfähigkeit nicht schlüssig beurteilt werden. Hierzu wäre gegebenenfalls eine psychiatrische Begutachtung erforderlich. Die neuerliche Beurteilung des Umschulungsanspruchs hätte indessen mit Blick auf den massgebenden Beurteilungszeitpunkt zu erfolgen und dürfte einen allenfalls in der Zwischenzeit veränderten Gesundheitszustand nicht in die Betrachtung miteinbeziehen. 
4. 
Der angefochtene Entscheid ist daher zur Durchführung eines rechtsgenüglichen Einkommensvergleichs bzw. zur Klärung der (subjektiven) Eingliederungsfähigkeit des Versicherten an die Verwaltung zurückzuweisen. 
5. 
Da es im vorliegenden Fall um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine Gerichtskosten zu erheben. Dem Prozessausgang entsprechend ist dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 OG). Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung erweist sich somit als gegenstandslos. Dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses entsprechend wird die Vorinstanz über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren zu befinden haben. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 23. Mai 2006 und der Einspracheentscheid der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 2. Mai 2005 aufgehoben, und es wird die Sache an die Verwaltung zurückgewiesen, damit sie über den Anspruch des Beschwerdeführers auf Umschulung neu verfüge. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Die IV-Stelle des Kantons Zürich hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, dem Bundesamt für Sozialversicherungen und der Ausgleichskasse des Kantons Zürich zugestellt. 
Luzern, 1. Februar 2007 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: