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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_404/2011 
 
Urteil vom 2. März 2012 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Mathys, Präsident, 
Bundesrichter Schneider, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Bundesrichter Denys, 
Bundesrichter Schöbi, 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
X.________, alias früherer Name: Y.________, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Lorenz Erni, 
 
Gegenstand 
Änderung der Sanktion (Rückweisung), 
 
Beschwerde gegen den Zirkulationsbeschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, Revisionskammer, vom 22. November 2010 und die Beschlüsse des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 30. April 2011 und vom 10. September 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
A.a Das Geschworenengericht des Kantons Zürich verurteilte X.________ (ehemals Y.________) mit Urteilen vom 6./12. Mai 1993 und 4. Juli 1995 wegen Mordes, vorsätzlicher Tötung und weiterer Delikte zu 20 Jahren Zuchthaus. Von der Anordnung einer Verwahrung im Sinne von Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 aStGB sah es ausdrücklich ab, weil es den Zweck des Schutzes der Gesellschaft als durch den Vollzug der langen Freiheitsstrafe gewährleistet erachtete. Es stellte auf das Gutachten von PD Dr. med. A.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 16. Dezember 1992 ab. Der Sachverständige stufte X.________ wegen dessen Persönlichkeit unter Alkoholeinfluss als für Dritte gefährlich ein (Gutachten, S. 115). 
 
Das Ende der Strafe fiel (unter Einbezug weiterer Reststrafen aus drei früheren Urteilen) laut Vollzugsdaten des Amtes für Justizvollzug des Kantons Zürich auf den 8. Oktober 2010. Seither befindet sich X.________ gestützt auf Art. 58 der kantonalen Strafprozessordnung des Kantons Zürich (StPO/ZH) in Sicherheitshaft. 
 
A.b Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich stellte am 24. November 2009 beim Obergericht des Kantons Zürich das Gesuch, X.________ sei gestützt auf Art. 65 Abs. 2 StGB nachträglich zu verwahren. Laut dem Gutachten der Psychiatrischen Universitätsklinik (PUK) Zürich vom 13. Mai 2009 bestehe in Bezug auf X.________ ein ausserordentlich hohes Rückfallrisiko für schwere Gewalttaten. Das ergebe sich aus seiner Zuordnung zur zahlenmässig sehr kleinen Gruppe des forensisch-kriminologischen Konstrukts der Psychopathy (Gutachten, S. 73 ff., 85, 87). 
 
Die Revisionskammer des Obergerichts erachtete die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne von Art. 65 Abs. 2 StGB als gegeben und wies das Geschworenengericht am 29. März 2010 an, in Sachen X.________ über das Vorliegen der Voraussetzungen einer nachträglichen Verwahrung zu entscheiden. 
A.c Gegen diesen Entscheid wendete sich X.________ mit kantonaler Nichtigkeitsbeschwerde an das Kassationsgericht des Kantons Zürich, welches das Rechtsmittel am 10. September 2010 guthiess, den Beschluss der Revisionskammer des Obergerichts vom 29. März 2010 aufhob und die Sache im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückwies. 
 
Mit Beschluss vom 22. November 2010 wies die Revisionskammer des Obergerichts das Gesuch der Oberstaatsanwaltschaft um Verfahrenswiederaufnahme ab. Sie kam zum Schluss, die Voraussetzungen einer nachträglichen Verwahrung gemäss Art. 65 Abs. 2 StGB seien mangels revisionsrechtlich relevanter neuer Tatsachen nicht erfüllt. Die Anordnung einer nachträglichen Verwahrung falle ausser Betracht, weil bereits dem Geschworenengericht im Zeitpunkt der Verurteilung hinlänglich bekannt gewesen sei, dass die Voraussetzungen für eine Verwahrung nach Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 aStGB vorgelegen hätten. 
 
Die von der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen diesen obergerichtlichen Beschluss erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde wies das Kassationsgericht des Kantons Zürich mit Zirkulationsbeschluss vom 30. April 2011 ab, soweit es darauf eintrat. 
 
B. 
Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich wendet sich mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Sie beantragt im Wesentlichen die Aufhebung des Zirkulationsbeschlusses des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 30. April 2011, des Beschlusses der Revisionskammer des Obergerichts vom 22. November 2010 (Ziff. 1) sowie des Zirkulationsbeschlusses des Kassationsgerichts vom 10. September 2010 und die Rückweisung der Sache zur neuen Beurteilung an die gemäss Art. 453 Abs. 2 StPO bzw. § 212 Abs. 1 lit. a GOG/ZH zuständige Behörde (in casu das Obergericht) des Kantons Zürich. 
 
C. 
Das Kassationsgericht und die Revisionskammer des Obergerichts des Kantons Zürich verzichten auf eine Stellungnahme zur Beschwerde. X.________ beantragt in seiner Vernehmlassung, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Bei den angefochtenen Beschlüssen des Kassationsgerichts vom 30. April 2011 und der Revisionskammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 22. November 2010 handelt es sich um verfahrensabschliessende Entscheide letzter kantonaler Instanzen, gegen welche die Beschwerde in Strafsachen zulässig ist (Art. 78 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1, Art. 90 BGG). Der ebenfalls angefochtene Beschluss des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 10. September 2010 ist ein selbständig eröffneter Zwischenentscheid, gegen den die Beschwerde an das Bundesgericht nach Art. 93 Abs. 1 und 2 BGG an sich nicht zur Verfügung steht. Allerdings ist dieser Entscheid, soweit er sich auf den Inhalt des Endentscheids - hier den Beschluss der Revisionskammer des Obergerichts vom 22. November 2010 - auswirkt, zusammen mit diesem anfechtbar (Art. 93 Abs. 3 BGG). Die Oberstaatsanwaltschaft hat an den Verfahren vor dem Kassationsgericht und der Revisionskammer des Obergerichts teilgenommen. Sie ist zur Beschwerde befugt (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 3 BGG; s.a. BGE 134 IV 36 E. 1). Sie beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheide und die Rückweisung der Sache an die Revisionskammer des Obergerichts zur neuen Beurteilung, das heisst sinngemäss zur Verfahrenswiederaufnahme und Anordnung der nachträglichen Verwahrung. Damit erfüllt die Oberstaatsanwaltschaft das Erfordernis zur Antragstellung in der Sache (Art. 42 Abs. 1 BGG). Im Übrigen hat sie das Gesuch um Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne von Art. 65 Abs. 2 StGB am 24. November 2009 und damit noch während der Verbüssung der Strafe durch X.________ gestellt bzw. als sich dieser noch im ordentlichen Strafvollzug befand. Das Gesuch erweist sich damit in jedem Fall als rechtzeitig (vgl. BGE 137 IV 59 E. 3). Auf die Beschwerde der Oberstaatsanwaltschaft ist einzutreten. 
 
2. 
Zur Diskussion steht die Frage, ob die Voraussetzungen zur Verfahrenswiederaufnahme im Sinne von Art. 65 Abs. 2 StGB gegeben sind. Die Oberstaatsanwaltschaft (im Folgenden Beschwerdeführerin), welche im kantonalen Verfahren mit ihrem Gesuch nicht durchdrang, wirft den kantonalen Gerichtsinstanzen Willkür (Art. 9 BV) und einen Verstoss gegen die Begründungspflicht im Sinne des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) vor. Im Zentrum ihrer Vorbringen steht allerdings die Rüge der Verletzung von Art. 65 Abs. 2 StGB. Es ist daher zunächst diese die Anwendung von Bundesrecht beschlagende Frage zu klären. 
 
2.1 Gemäss Art. 65 Abs. 2 StGB kann das Gericht die Verwahrung nachträglich anordnen, wenn sich bei einem Verurteilten während des Vollzugs der Freiheitsstrafe aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel ergibt, dass die Voraussetzungen der Verwahrung gegeben sind und im Zeitpunkt der Verurteilung bereits bestanden haben, ohne dass das Gericht davon Kenntnis haben konnte. 
Mit Art. 65 Abs. 2 StGB besteht die prozessuale Möglichkeit, einen rechtskräftig beurteilten Fall wieder aufzunehmen, und zwar insofern, als im Nachgang zur Ausfällung einer Freiheitsstrafe eine Verwahrung geprüft und allenfalls angeordnet werden kann. Die "nachträgliche Verwahrung" ist eine Revision zu Ungunsten des Verurteilten (BGE 137 IV 59 E. 5). Sie ist möglich, sofern sich während des Strafvollzugs aufgrund von neuen Tatsachen oder Beweismitteln ergibt, dass die Voraussetzungen der Verwahrung schon im Verurteilungszeitpunkt vorgelegen haben, diese dem Gericht aber nicht bekannt sein konnten. Der Anwendungsbereich von Art. 65 Abs. 2 StGB zielt auf die seltenen Fälle, in denen die an sich zulässige Anordnung einer Verwahrung im Strafurteil unterblieben ist und sich der Verurteilte während des Strafvollzugs als hochgefährlich erweist (siehe Botschaft BBl 2005, S. 4714; MARIANNE HEER, Basler Kommentar, Strafrecht I, 2. Aufl., Basel 2007, Art. 65 N. 20 ff., DIES., Nachträgliche Verwahrung - ein gesetzgeberischer Irrläufer, AJP 2007, S. 1031 ff., 1033; FELIX BOMMER, Nachträgliche Verwahrung als Revision zulasten des Verurteilten, Zur Revisibilität von Prognoseentscheidungen, in: Festschrift für Franz Riklin, Basel 2007, S. 55 ff., S. 58 und 60; zum Zeitpunkt der Gesuchseinreichung FRANZ RIKLIN, Strafen und Massnahmen im Überblick, in: Die Revision des Strafgesetzbuches, Allgemeiner Teil, Zürich 2006, S. 73 ff., 98; DERS., Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches: Fragen des Übergangsrechts, in AJP 2006, S. 1471 ff., S. 1481/2). 
 
2.2 Die Revision im Sinne von Art. 65 Abs. 2 StGB ist an vier Voraussetzungen geknüpft: 
2.2.1 Die Revision zu Ungunsten des Verurteilten muss auf Tatsachen oder Beweismitteln beruhen. Unter Tatsachen sind Umstände zu verstehen, die im Rahmen des dem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalts von Bedeutung sind. Mit Beweismitteln wird der Nachweis von Tatsachen erbracht. Eine Meinung, eine persönliche Würdigung oder eine neue Rechtsauffassung vermögen die Revision nicht zu rechtfertigen (BGE 137 IV 59 E. 5.1.1). 
2.2.2 Die Tatsachen oder Beweismittel, welche die Feststellung erlauben, dass die Voraussetzungen für eine Verwahrung erfüllt sind, müssen neu sein. Revisionsrechtlich sind Tatsachen oder Beweismittel neu, wenn sie dem früher urteilenden Gericht nicht vorgelegen haben, auch nicht als Hypothesen (siehe die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 397 aStGB und Art. 385 StGB: BGE 130 IV 72 E. 1; vgl. auch BGE 116 IV 353 E. 3a; Urteil 6B_539/2008 vom 8. Oktober 2008 E. 1.2). Im Unterschied zu Art. 385 StGB resp. Art. 397 aStGB ist es bei Art. 65 Abs. 2 StGB von Bedeutung, weshalb das Gericht von der Tatsache oder dem Beweismittel keine Kenntnis hatte. Gemäss Art. 385 StGB resp. Art. 397 aStGB haben die Kantone die Wiederaufnahme des Verfahrens zu Gunsten des Verurteilten wegen Tatsachen oder Beweismitteln zu gestatten, die dem Gericht zur Zeit des früheren Verfahrens nicht bekannt waren. Art. 385 StGB resp. Art. 397 aStGB knüpft alleine an das tatsächliche Fehlen der Kenntnis an. Demgegenüber kommt die nachträgliche Verwahrung nach Art. 65 Abs. 2 StGB - restriktiver - ausschliesslich in Betracht aufgrund von Tatsachen oder Beweismitteln, die im Zeitpunkt der Verurteilung bereits bestanden haben, ohne dass das Gericht davon Kenntnis haben konnte. Als neu im Sinne der genannten Bestimmung gelten daher nur Tatsachen, die dem Gericht nicht bekannt waren und ihm nicht bekannt sein konnten, im Urteilszeitpunkt aber schon bestanden haben. Es geht um Fakten, die für das Gericht objektiv unmöglich erkennbar waren (BGE 137 IV 59 E. 5.1.2 mit Hinweisen; MARIANNE HEER, Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, Rz. 40 zu Art. 410 StPO; siehe auch BOMMER, a.a.O., S. 66). 
 
Ein neues Gutachten kann Anlass zur Wiederaufnahme geben, wenn es neue Tatsachen nachweist oder darzutun vermag, dass die tatsächlichen Annahmen im früheren Urteil ungenau oder falsch sind. Dabei kann es sich auch um ein Privatgutachten handeln. Ein neues Gutachten, das lediglich eine von einem früheren Gutachten abweichende Meinung vertritt bzw. zu einer andern Würdigung gelangt, stellt indessen nicht bereits einen Revisionsgrund dar. Es muss vielmehr mit überlegenen Gründen vom ersten Gutachten abweichen und klare Fehler des früheren Gutachtens aufzeigen, die geeignet sind, die Beweisgrundlage des ersten Urteils zu erschüttern (Urteile 6P.93/2004 vom 15. November 2004 E. 4; 6S.452/ 2004 vom 1. Oktober 2005 E. 2.2; 6B_539/2008 vom 8. Oktober 2008 E. 1.3). Ein Gutachten wird auch als neues Beweismittel betrachtet, wenn es sich auf neue Erkenntnisse stützt oder eine andere (überlegene) Methode anwendet (BGE 137 IV 59 E. 5.1.2). 
2.2.3 Die Voraussetzungen für die Verwahrung müssen schon im Zeitpunkt der Urteilsfällung erfüllt gewesen sein. Es kann nicht Aufgabe des Gerichts im Verfahren um Wiederaufnahme sein, ein rechtskräftiges Urteil einem seither veränderten Sachverhalt anzupassen. Es geht vielmehr um die Korrektur eines Fehlers im früheren Entscheid. Entwicklungen des Täters im Verlaufe des Strafvollzugs (beispielsweise Verweigerung der Therapie, Aggressivität sowie Drohungen mit künftigen Straftaten) können revisionsrechtlich nicht massgebend sein (BGE 137 IV 59 E. 5.1.3). 
2.2.4 Die neuen Tatsachen und Beweismittel müssen erheblich sein (BGE 122 IV 66 E. 2) und die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen so erschüttern, dass aufgrund des veränderten Sachverhalts eine Verwahrung wahrscheinlich erscheint (BGE 137 IV 59 E. 5.1.4). 
 
2.3 Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Revisionskammer des Obergerichts habe das neue Gutachten der Psychiatrischen Universitätsklinik (PUK) Zürich vom 13. Mai 2009 in Verletzung von Art. 65 Abs. 2 StGB nicht als neues Beweismittel anerkannt. Das ursprüngliche Gutachten sei grob fehlerhaft. Das neue Gutachten rechtfertige als neues Beweismittel die Wiederaufnahme des Verfahrens. Ausserdem habe die Revisionskammer mit Blick auf die damalige Vollzugspraxis von Verwahrungen das Vorliegen neuer Tatsachen zu Unrecht verneint (vgl. Beschwerde, S. 17 - 26, insbesondere S. 17 f., S. 21 f., S. 22 und 25). 
 
2.4 
2.4.1 Das Geschworenengericht stellte im Ersturteil in Bezug auf die Gefährlichkeitsbeurteilung des Beschwerdegegners auf das Gutachten von PD Dr. med. A.________ vom 16. Dezember 1992 ab. Darin werden dem Beschwerdegegner unter anderem die Diagnose einer hyperthym-erregbaren Persönlichkeitsstörung, einer Dissozialität sowie eines chronischen Alkoholismus bei Alkoholintoleranz (Gutachten, S. 114) gestellt. Der Geisteszustand des Beschwerdegegners sei nur schwer zu behandeln. Seine Alkoholsucht stehe (oft) im Zusammenhang mit den von ihm begangenen Straftaten. Er sei insbesondere unter Alkoholeinfluss unberechenbar (S. 111) und für Dritte gefährlich bzw. er gefährde die öffentliche Sicherheit in schwerwiegender Weise, weil er unter Alkoholeinfluss zu aggressiven Ausbrüchen und Tätlichkeiten neige (Gutachten, S. 110 f., 115). Aus psychiatrischer Sicht sei ihm deshalb absolute Alkoholabstinenz zu empfehlen bzw. benötige er dringend des ärztlichen Zuspruchs zur Alkoholabstinenz (S. 115). Es dürfe angenommen werden, dass der Beschwerdegegner aufgrund seiner langjährigen Inhaftierung und der damit verbundenen Alkoholabstinenz das Fortschreiten seines Alkoholismus in gewissen Grenzen habe halten können (S. 105). Eine Alkoholabstinenz lasse die Rückfallgefahr vermindern (S. 116). 
 
2.4.2 Diese gutachterliche Beurteilung impliziert, dass der Risikofaktor Alkohol/Alkoholkonsum hauptursächlich für die Gefährlichkeit des Beschwerdegegners ist bzw. Alkoholabstinenz zumindest zu einer Verminderung der Rückfallgefahr führt. Unter diesen Umständen und insbesondere angesichts dessen, dass Alkohol im Strafvollzug nicht zugänglich ist, bestand im Zeitpunkt des Ersturteils die berechtigte Erwartung, dass der Beschwerdegegner nach der Verbüssung einer langjährigen Freiheitsstrafe aufgrund der forcierten Alkoholabstinenz im Vollzug nicht mehr verwahrungsbegründend gefährlich sein werde, weil der die Gefährlichkeit begründende Risikofaktor Alkohol/Alkoholkonsum/Sucht mit dem Ablauf von vielen Jahren nicht mehr bestünde und die Grundlage für die Gefährlichkeit damit entsprechend dahingefallen sein werde. In Anbetracht dieser Gefährlichkeitsbeurteilung durch den Sachverständigen durfte das Geschworenengericht deshalb davon ausgehen, die Öffentlichkeit mit einer langen Freiheitsstrafe von 20 Jahren genügend vor dem Beschwerdegegner zu schützen. Das damalige bewusste Absehen von einer Verwahrung erscheint vor diesem Hintergrund als verständlich. 
 
2.5 
2.5.1 Am 13. Mai 2009 wurde ein neues Gutachten über den Beschwerdegegner erstellt. Dieses lässt die Gefährlichkeit des Beschwerdegegners in einem grundlegend anderen Licht und deren Beurteilung durch den früheren Sachverständigen als unzutreffend erscheinen. So werden darin die tatsächlichen Umstände bzw. die Befundtatsachen und Risikofaktoren (Alkohol) verworfen, die im ursprünglichen Gutachten die wesentliche Grundlage für die Gefährlichkeitsbeurteilung bildeten. Anhand einer eingehenden Analyse der Persönlichkeit des Beschwerdegegners und der begangenen Taten legt das neue Gutachten dar, dass der frühere Sachverständige - welcher sich nur unzureichend mit den Akten auseinandersetzte, indem er auf ein Aktenstudium weitgehend verzichtete (Gutachten PUK, S. 19) - von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausging (vgl. Gutachten PUK, S. 73 ff.). Bereits aus diesem Grund kommt dem neuen Gutachten die Qualität eines revisionsrechtlichen Novums zu. So lassen sich nach der Auffassung der Gutachterin keine Anhaltspunkte für eine Alkoholabhängigkeit des Beschwerdegegners finden. Psychopathologische Auffälligkeiten, die auf eine Alkoholintoxikation hinweisen würden, seien im Tatzeitraum ebenfalls nicht erkennbar (Gutachten PUK, S. 74-79). Schliesslich deute auch nichts darauf hin, dass sich der Beschwerdegegner unter Alkoholeinfluss von einem "Dr. Jekyll in einen Mr. Hyde" verwandelt hätte (Gutachten PUK, S. 76; so aber Gutachten vom 16. Dezember 1992, S. 103). Wiewohl der frühere Sachverständige seine diagnostische und forensische Einschätzung zentral auf "Alkoholabhängigkeit" und "Alkoholintoleranz" stütze, fehlten im Gutachten für die Diagnosestellung wesentliche Informationen. Der Sachverständige habe es unterlassen, nach klassischen Hinweisen auf eine Alkoholabhängigkeit ("Filmrisse", Entzugssymptome, morgendliches Zittern etc.) zu forschen, das Alkoholkonsumverhalten des Beschwerdegegners mit objektiven Befunden in den Akten abzugleichen und nach objektivierbaren Trunkenheitszeichen (Orientierungsstörungen, Personenverkennung etc.) bei der Exploration von Auskunftspersonen über das Alkoholkonsumverhalten des Beschwerdegegners zu fragen (Gutachten PUK, S. 73 f.). Die Diagnosestellung sei aus sachverständiger Sicht nicht nachvollziehbar. Im Gegenteil sprächen die verfügbaren Informationen explizit gegen eine solche Diagnose (Gutachten PUK, S. 75). Vor diesem Hintergrund müssen die Annahmen des früheren Gutachters hinsichtlich Alkoholkonsum und dessen Auswirkungen auf den Geisteszustand des Beschwerdegegners als ungesichert und die Grundlage seiner Beurteilung der Gefährlichkeit als unzutreffend bezeichnet werden. 
 
2.5.2 Die neue Gutachterin stützt sich bei ihrer Beurteilung des Gesundheitszustands und der Gefährlichkeit des Beschwerdegegners auf Diagnosemanuale (ICD-10), die Psychopathy-Checkliste von Hare (Gutachten PUK, S. 66 f., 71 f., S. 74) sowie den "Dittmann-Katalog" (Gutachten PUK, S. 87). Das neue Gutachten beruht damit zumindest zum Teil ("Dittmann-Katalog") auf wissenschaftlichen Grundlagen, die im Zeitpunkt der ursprünglichen Gutachtenerstellung und des Ersturteils noch nicht existierten. Dem neuen Gutachten kommt mithin auch unter diesem Gesichtspunkt die Qualität eines revisionsrechtlichen Novums zu (vgl. BGE 137 IV 59 E. 5.2). Die Gutachterin diagnostiziert beim Beschwerdegegner eine dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.2). Seine spezifische Persönlichkeitsausformung entspreche darüber hinaus dem forensisch-kriminologischen Konstrukt der Psychopathy in ausgesprochen markanter Weise, die in seinem Fall einer Behandlung nicht zugänglich sei. Mit Psychopathy werde eine Personengruppe erfasst, die sich durch einen hochgradig rücksichtslosen Lebensstil auszeichne, einen sehr geringen Grad an emotionalen Fähigkeiten, einschliesslich der Fähigkeit, Mitleid und Reue zu empfinden, habe und sich durch die fehlende Kompetenz charakterisiere, aus negativen Erfahrungen zu lernen. Das Rückfallrisiko hinsichtlich schwerer Gewaltdelinquenz sei in Bezug auf den Beschwerdegegner als ausserordentlich hoch einzuschätzen. 
 
2.5.3 Die Gutachterin vertritt damit gegenüber dem früheren Sachverständigen nicht lediglich eine abweichende diagnostische und prognostische Meinung. Sie zeigt anhand etablierter, im Jahre 1992 teilweise noch nicht existenter Analysemethoden vielmehr auf, dass seinerzeit von ungenügenden und gar unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen wurde. Im Ergebnis stellt sie die Gefährlichkeit des Beschwerdegegners auf eine andere Grundlage, und zwar sowohl in tatsächlicher als auch zeitlicher Hinsicht, indem sie aus der psychiatrischen Befunderhebung mit Diagnosestellung der Psychopathy neu eine vom Alkoholkonsum unabhängige, permanente sowie unveränderliche, ausserordentlich hohe Gefährlichkeit des Beschwerdegegners für Gewaltverbrechen ableitet. Diese Umstände, welche gemäss dem neuen Gutachten schon zum Zeitpunkt des Ersturteils bestanden haben und die tatsächlichen Annahmen der Gefährlichkeitsbeurteilung des früheren Sachverständigen als unrichtig umzustossen vermögen, waren dem Geschworenengericht im Urteilszeitpunkt nicht bekannt und konnten ihm auch nicht bekannt sein. Der neue massgebliche Sachverhalt, d.h. die neuen tatsächlichen Umstände in Bezug auf den Geisteszustand und die Gefährlichkeit des Beschwerdegegners, lassen eine Verwahrung (bei gegebenen Voraussetzungen) als wahrscheinlich erscheinen. Unter diesen Umständen verneinte die Revisionskammer des Obergerichts die Voraussetzungen zur Verfahrenswiederaufnahme zu Unrecht. Das Urteil verletzt Art. 65 Abs. 2 StGB
 
Auf die weiteren Rügen in der Beschwerde braucht nicht eingegangen zu werden. Der Vollständigkeit halber ist immerhin darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Frage der durchschnittlichen Dauer des Verwahrungsvollzugs in der Praxis im Zeitpunkt des Ersturteils nicht um eine revisionsrechtlich relevante Tatsache handelt. Die Beschwerdeführerin verkennt, dass es im Rahmen von Art. 65 Abs. 2 StGB alleine um solche Tatsachen geht, die sich auf die Voraussetzungen der Verwahrung im Sinne von Art. 64 StGB beziehen, d.h. um Tatsachen, die in der Person des Betroffenen liegen und verwahrungs- bzw. 
gefährlichkeitsbegründender Natur sind (vgl. HEER, a.a.O. AJP, S. 1035 f.; BOMMER, a.a.O., S. 65/66). Insoweit müssen neue Tatsachen oder Beweismittel vorliegen. 
 
3. 
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Die Revisionskammer des Obergerichts wird über die Voraussetzungen der Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne der vorstehenden Erwägungen zu entscheiden und anschliessend zu prüfen haben, ob die Verwahrungsvoraussetzungen sowohl im heutigen Zeitpunkt gegeben sind als auch bereits im damaligen Urteilszeitpunkt vorlagen. 
 
Der obsiegenden Beschwerdeführerin ist keine Entschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 3 BGG). Dem Beschwerdegegner wären die Gerichtskosten als unterliegende Partei grundsätzlich aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Er hat indessen um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ersucht. Das Gesuch ist gutzuheissen, da seine Bedürftigkeit erstellt ist und die Anträge nicht zum vornherein aussichtslos waren (Art. 64 Abs. 1 BGG). Damit sind keine Kosten zu erheben und ist der Rechtsvertreter des Beschwerdegegners aus der Bundesgerichtskasse zu entschädigen. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid der Revisionskammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 22. November 2010 sowie die angefochtenen Entscheide des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 10. September 2010 und vom 30. April 2011 werden aufgehoben. Die Sache wird an die Revisionskammer des Obergerichts zur Neubeurteilung zurückgewiesen. 
 
2. 
Das Gesuch des Beschwerdegegners um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen. Dem Beschwerdegegner wird Rechtsanwalt Dr. Lorenz Erni als unentgeltlicher Rechtsbeistand beigegeben. 
 
3. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
4. 
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdegegners, Rechtsanwalt Dr. Lorenz Erni, wird für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet. 
 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Zürich, Revisionskammer, dem Kassationsgericht des Kantons Zürich, dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, und dem Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich, Bewährungs- und Vollzugsdienste, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 2. März 2012 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Mathys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill