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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 1/2} 
2C_59/2010 
 
Urteil vom 2. Juni 2010 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Zünd, Präsident, 
Bundesrichterin Aubry Girardin, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Gerichtsschreiber Hugi Yar. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Verein gegen Tierfabriken Schweiz VgT, Beschwerdeführer, handelnd durch seinen Präsidenten Erwin Kessler, 
 
gegen 
 
SRG SSR idée suisse Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft, Rechtsdienst, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unterlassene Berichterstattung (EGMR-Urteil vom 30. Juni 2009), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid vom 18. September 2009 der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI). 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Der Verein gegen Tierfabriken (VgT) beabsichtigte im Januar 1994 durch die AG für das Werbefernsehen (AGW; heute: publisuisse) einen Fernsehspot ausstrahlen zu lassen, der auf die "tierquälerische Nutztierhaltung" aufmerksam machen und für eine Reduktion des Fleischkonsums werben sollte. Im Zusammenhang mit der Weigerung der SRG SSR idée suisse (nachfolgend: SRG), den Werbespot auszustrahlen, verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Schweiz am 30. Juni 2009 wegen einer (weiteren) Verletzung von Art. 10 EMRK
 
B. 
Am 31. August 2009 gelangte der Verein gegen Tierfabriken mit dem Antrag an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI), es sei festzustellen, "dass das Schweizer Fernsehen durch Nichterwähnung (in den Nachrichtensendungen) des Urteils der Grossen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Zensur eines Tierschutz-Werbespots durch das Schweizer Fernsehen das Vielfaltsgebot verletzt habe". Das Schweizer Fernsehen habe dieses "wichtige Urteil" in seinen Nachrichtensendungen gezielt unterdrückt und mit keinem Wort erwähnt, was sich weder sachlich noch journalistisch rechtfertigen lasse. Die Unabhängige Beschwerdeinstanz trat am 18. September 2009 auf die Eingabe nicht ein: Die Nichterwähnung einer Information oder eines Ereignisses könne grundsätzlich nicht bei ihr beanstandet werden; mit der Zugangsbeschwerde sei es nicht möglich, eine bestimmte redaktionelle Bearbeitung eines Ereignisses zu erzwingen. 
 
C. 
Der Verein gegen Tierfabriken beantragt vor Bundesgericht, den Entscheid der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen aufzuheben: Alle Nachrichtensendungen des Schweizer Fernsehens hätten den Entscheid der Grossen Kammer des Europäischen Gerichtshofs vom 30. Juni 2009 "zur Zensur eines Tierschutz-Werbespots des VgT durch das Schweizer Fernsehen unterdrückt". 
Die SRG beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten bzw. sie abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Die Unabhängige Beschwerdeinstanz hat darauf verzichtet, konkrete Anträge zu stellen. Sie weist in ihren Ausführungen darauf hin, dass mit der Zugangsbeschwerde "regelmässig" das Durchsetzen eines Anspruchs auf Sendezeit, um eine Meinung zu äussern, und damit eine aktive Teilnahme der gesuchstellenden Person ("Recht auf Antenne") verbunden sei. Der Verein gegen Tierfabriken mache vorliegend keinen "eigentlichen Anspruch auf Zugang zum Programm geltend", sondern kritisiere die redaktionelle (Nicht-)Bearbeitung eines bestimmten Ereignisses in gewissen Sendungen. 
Der Verein gegen Tierfabriken hat an seinen Ausführungen festgehalten und darauf hingewiesen, dass die geltend gemachte Unterdrückung des EGMR-Urteils eine Fortführung der vom Schweizer Fernsehen ihm gegenüber praktizierten Diskriminierung bilde. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersuchte er darum, "die UBI vorsorglich aufzufordern, das aufgrund des BGE 2C_380/2009 wiederaufgenommene Verfahren bis zum Entscheid über seine vorliegende Beschwerde zu sistieren und bei einer Gutheissung die beiden Verfahren zusammenzulegen". 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Entscheide der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen über den Inhalt redaktioneller Sendungen sowie über den Zugang zum Programm können mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht angefochten werden (Art. 86 Abs. 1 lit. c BGG). Der Verein gegen Tierfabriken, dessen Beschwerde die UBI nicht an die Hand genommen hat, ist hierzu befugt. Verfahrensgegenstand bildet indessen ausschliesslich die Frage, ob der beanstandete Nichteintretensentscheid Bundesrecht verletzt; die von der SRG zur Diskussion gestellten materiellen Probleme sind gegebenenfalls durch die UBI erst noch zu prüfen. 
 
2. 
2.1 Das Bundesgericht hat sich im zur Publikation bestimmten Urteil 2C_380/2009 vom 10. Dezember 2009 im Lichte von Art. 17 und Art. 93 BV sowie Art. 10 EMRK eingehend mit der Frage der Zulässigkeit und der Abgrenzung der Programm- und der Zugangsbeschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen beschäftigt. Demnach besteht als Ausfluss der Medien-, Programm- und Informationsfreiheit grundsätzlich kein "Recht auf Antenne", d.h. kein Anspruch darauf, dass ein Veranstalter eine bestimmte Information oder Auffassung eines Dritten gegen seinen Willen bzw. entgegen seinem redaktionellen Konzept ausstrahlen muss. Nach Art. 6 des Bundesgesetzes vom 24. März 2006 über Radio und Fernsehen (RTVG; SR 784.40) sind die Programmveranstalter, soweit das Bundesrecht nichts anderes bestimmt, nicht an die Weisungen von eidgenössischen, kantonalen oder kommunalen Behörden gebunden (Abs. 1). Sie sind in der Gestaltung, und namentlich auch in der Wahl der Themen, der inhaltlichen Bearbeitung und der Darstellung ihrer Programme frei und tragen dafür die Verantwortung (Abs. 2). Niemand kann von einem Programmveranstalter die Verbreitung bestimmter Darbietungen und Informationen verlangen (Abs. 3). Dies gilt auch für die SRG, die heute zwar nach wie vor über eine Sonderstellung in der schweizerischen Rundfunklandschaft verfügt, jedoch nicht mehr als "Monopolmedium" gelten kann. Die neuen Technologieformen (Internet, Digitalfernsehen usw.) erlauben dem Publikum, sich aus den unterschiedlichsten Quellen zu informieren; gleichzeitig gestatten sie dem Einzelnen, sich im Rahmen einer Vielzahl von Medien über die private Kommunikation hinaus Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu verschaffen. Es kann deshalb zum Schutz vor Benachteiligung beim Kampf um die öffentliche Aufmerksamkeit nur ausnahmsweise in die Programmautonomie der Veranstalter eingegriffen und ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Zugang zu einem konkreten Radio- und Fernsehprogramm oder auf die Ausstrahlung einer bestimmten Meldung anerkannt werden. 
 
2.2 Es ist deshalb grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die UBI es abgelehnt hat, die Eingabe des Beschwerdeführers als Programmbeschwerde entgegenzunehmen: Die Beschwerdeinstanz ist in diesem Rahmen nur befugt, über die rundfunkrechtliche Zulässigkeit des Inhalts redaktioneller Sendungen zu befinden (Art. 83 Abs. 1 lit. a RTVG), was voraussetzt, dass die entsprechenden Sendungen konkret bezeichnet werden und das beanstandete Thema dort überhaupt Gegenstand einer journalistischen Bearbeitung gebildet hat (vgl. BGE 125 II 624 E. 3c). Das vom Beschwerdeführer angerufene Vielfaltsgebot bildet zwar Teil des Programmauftrags, es bezieht sich jedoch primär auf die Programme in ihrer Gesamtheit und ist diesbezüglich weitgehend programmatischer Natur (vgl. BGE 2C_380/2009 vom 10. Dezember 2009 E. 3.2.1 mit Hinweisen). Hierüber hinaus bildet die Einhaltung des Vielfaltsgebots allenfalls zeitlich beschränkt Prüfungsgegenstand der Zeitraumbeschwerde (vgl. BGE 2C_380/2009 vom 10. Dezember 2009 E. 3.2.2). Der VgT beanstandete vor der UBI, dass die SRG über das Urteil der Grossen Kammer gegen die Schweiz in ihren Nachrichtensendungen hätte berichten müssen. Die Beurteilung, ob und wie dies am Tag von dessen Verkündigung nötig bzw. möglich war, fiel in den redaktionellen Autonomiebereich der SRG. Sah sie von einer Berichterstattung ab, verletzte dies das Vielfaltsgebot nicht. Wie die UBI zu Recht festgestellt hat, mag zwar aus journalistischer Sicht erstaunen, dass SF 1 das Publikum in seinen Informationssendungen im Gegensatz zu Radio DRS 1 oder zu grossen schweizerischen Zeitungen (NZZ, Tages-Anzeiger usw.) über das die Schweiz betreffende Urteil nicht informiert hat; es bestanden für das Publikum indessen hinreichende andere Informationsmöglichkeiten, weshalb das Vielfaltsgebot - so oder anders - nicht als verletzt gelten kann. Der Beschwerdeführer übersieht bei seiner Argumentation, dass das rundfunkrechtliche Aufsichtsverfahren in erster Linie dem Schutz der Meinungsbildung des Publikums dient (vgl. BGE 134 II 260 ff.), nicht der Steigerung seines persönlichen Ansehens oder der Stärkung seiner Medienpräsenz. Er hat keinen (punktuellen) Anspruch darauf, dass anlässlich einer bestimmten Veranstaltung oder eines bestimmten Geschehens über ihn bzw. seine Aktivitäten in Nachrichtensendungen des Schweizer Fernsehens berichtet wird. 
2.3 
Unzulässig erscheint indessen der Nichteintretensentscheid, soweit die Eingabe des Beschwerdeführers als Zugangsbeschwerde zu verstehen war: Zwar ergibt sich aus dem RTVG selber kein Anspruch auf Zugang Dritter zum Programm, doch kann eine Verweigerung des Einbezugs in redaktionelle Gefässe oder eines Zugangs zum Werbefernsehen ausnahmsweise unter dem Blickwinkel der Verfassung (Wahl- und Abstimmungsfreiheit, Diskriminierungsverbot, Minderheitenschutz, Rechtsgleichheit, Willkürverbot usw.) oder der Europäischen Menschenrechtskonvention problematisch erscheinen. Dem wird mit der neuen Rügemöglichkeit der rechtswidrigen Verweigerung des Programmzugangs Rechnung getragen, wobei die "ablehnende Haltung des Programmveranstalters" jedoch nur "in seltenen Ausnahmefällen als rechtswidrig einzustufen sein" wird (so BBl 2003 1741). Anfechtungsgegenstand der Zugangsbeschwerde bildet zwar in der Regel die Ablehnung eines Begehrens um Zugang zum Programm (vgl. Art. 92 Abs. 1 RTVG), doch kann sich die entsprechende negative Haltung ausnahmsweise auch aus einem konkludenten Verhalten in seinem Gesamtzusammenhang bzw. aus der Vernehmlassung des Veranstalters zuhanden der Ombudsstelle ergeben. Das Bundesgericht hat im Urteil vom 10. Dezember 2009 festgestellt, dass aufgrund der vorliegenden Unterlagen die vom Beschwerdeführer behauptete verfassungs- und konventionswidrige Zugangsverweigerung nicht abschliessend beurteilt werden kann und eine systematische Diskriminierung nicht zum Vornherein ausgeschlossen erscheint, weshalb die UBI diese Frage inhaltlich umfassend zu prüfen habe. Kann im Zusammenhang mit dem Programmzugang - wie im vorliegenden Fall - aufgrund von Indizien eine Beeinträchtigung von verfassungs- und konventionsmässig geschützten Positionen Dritter nicht klar ausgeschlossen werden, muss die UBI eine entsprechende Beschwerde behandeln; sie darf nicht in einen überspitzten Formalismus verfallen (vgl. Art. 13 in Verbindung mit Art. 10 EMRK; BGE 2C_380/2009 vom 10. Dezember 2009 E. 3.2 und 3.3.). Der angefochtene Entscheid ist in diesem Punkt aufzuheben und die Sache zur Prüfung der angeblich verfassungs- bzw. konventionswidrigen systematischen Zugangsverweigerung an die UBI zurückzuweisen. Diese wird der Frage nachgehen müssen, ob die unterlassene Berichterstattung über das Urteil der Grossen Kammer des EGMR Teil einer verfassungsrechtlich unzulässigen Diskriminierung des Beschwerdeführers durch das Schweizer Fernsehen bildet. Dies wird sie sinnvollerweise im Zusammenhang mit der am 10. Dezember 2009 an sie zurückgewiesenen Angelegenheit tun, wobei das Bundesgericht der UBI jedoch - entgegen dem Antrag des Beschwerdeführers - keine entsprechenden Weisungen erteilen kann. Mit dem Entscheid in der Sache selber, wird der Antrag auf Anordnung vorsorglicher Massnahmen für die Dauer des vorliegenden Verfahrens gegenstandslos. 
 
3. 
Für das bundesgerichtliche Verfahren sind keine Kosten geschuldet und keine Entschädigungen zuzusprechen (vgl. BGE 2C_380/2009 vom 10. Dezember 2009 E. 4). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, der angefochtene Entscheid der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen vom 18. September 2009 wird aufgehoben und die Sache zu materiellem Entscheid im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben und keine Entschädigungen zugesprochen. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 2. Juni 2010 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Zünd Hugi Yar