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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
H 179/01 
 
Urteil vom 2. Juli 2003 
II. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Schön; Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Frésard; Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke 
 
Parteien 
M.________, Beschwerdeführer, vertreten durch B.________, 
 
gegen 
 
Ausgleichskasse des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau 
 
(Entscheid vom 24. April 2001) 
 
Sachverhalt: 
A. 
M.________ war einzelzeichnungsberechtigter Gesellschafter und Geschäftsführer der seit 10. März 1998 im Handelsregister eingetragenen T.________ GmbH. Ebenfalls Gesellschafter, jedoch ohne Zeichnungsberechtigung, war A.________. Am 30. November 1998 wurde auf Grund einer Überschuldungsanzeige über die Gesellschaft der Konkurs eröffnet und am 12. Juli 1999 der Kollokationsplan aufgelegt. Mit Verfügung vom 28. Juli 1999 verpflichtete die Ausgleichskasse des Kantons Aargau (nachfolgend: Ausgleichskasse) M.________ zur Bezahlung von Schadenersatz gemäss Art. 52 AHVG für entgangene Sozialversicherungsbeiträge (einschliesslich Verwaltungskostenbeiträge, Verzugszinsen, Mahngebühren und Betreibungskosten) im Betrag von Fr. 12'569.-. Dagegen erhob M.________ Einspruch. 
B. 
Die von der Ausgleichskasse gegen M.________ erhobene Klage im verfügten Umfang hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 24. April 2001 gut. 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt M.________ beantragen, die Schadenersatzklage sei abzuweisen. 
 
Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine Vernehmlassung. 
D. 
Nachdem ihn das Eidgenössische Versicherungsgericht zur Leistung eines Kostenvorschusses in Höhe von Fr. 1200.- aufgefordert hatte, liess M.________ um unentgeltliche Prozessführung ersuchen. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
2. 
Die Vorinstanz hat die in materiellrechtlicher Hinsicht massgebenden Normen (Art. 52 AHVG, Art. 14 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV) und die Rechtsprechung zur subsidiären Haftbarkeit der Organe, insbesondere die auf die GmbH analog anwendbare (AHI 2000 S. 220) Rechtsprechung zur Aktiengesellschaft (BGE 123 V 15 Erw. 5b), zur Haftungsvoraussetzung des qualifizierten Verschuldens (BGE 108 V 186 Erw. 1b, 193 Erw. 2b) sowie bezüglich dem dabei zu berücksichtigenden - differenzierten - Sorgfaltsmassstab (BGE 108 V 202 Erw. 3a; vgl. auch Thomas Nussbaumer, Die Haftung des Verwaltungsrates nach Art. 52 AHVG, in: AJP 9/96, S. 1081) zutreffend wiedergegeben. Darauf kann verwiesen werden. 
 
Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist. Nach dem massgebenden Zeitpunkt des Entscheides über die Schadenersatzklage (hier: 24. April 2001) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen haben unberücksichtigt zu bleiben. 
3. 
3.1 Wie das kantonale Gericht verbindlich festgestellt hat (vgl. Erw. 1 hievor), setzt sich die Schadenersatzforderung aus den vom 1. März bis 30. November 1998 aufgelaufenen AHV/IV/EO/ALV-Beiträgen nebst FAK-Beiträgen sowie Verwaltungs- und Folgekosten (Mahngebühren und Betreibungskosten) in der Höhe von Fr. 19'232.25 zusammen, wovon die FAK-Beiträge von Fr. 1597.25 sowie die Zahlungen des Beschwerdeführers von Fr. 5066.- in Abzug gebracht wurden. Gemäss Kontoauszug vom 18. August 1999 stellte die Ausgleichskasse der GmbH als beitragspflichtige Arbeitgeberin für die Dauer deren Anschlusses- und damit auch für die gesamte Dauer deren Bestehens - folgende Beitragsrechnungen: 
- Rechnung vom 10. Juni 1998 für das 2. Quartal über Fr. 5009.10 
- Rechnung vom 10. September 1998 für das 3. Quartal über Fr. 3773.60 
- Rechnung vom 10. Dezember 1998 für das 4. Quartal über Fr. 3780.60 
- Rechnung vom 7. Januar 1999 Jahresschluss 1998 über Fr. 6612.05 
 
Die erste Beitragsrechnung vom 10. Juni 1998 beglich die Gesellschaft fristgerecht am 3. Juli 1998. Die zweite Beitragsrechnung vom 10. September 1998 musste gemahnt werden und wurde am 8. Dezember 1998, also in einem Zeitpunkt, als der Konkurs bereits eröffnet war, in Betreibung gesetzt, und blieb infolgedessen unbezahlt. Die dritte Beitragsrechnung erging am 10. Dezember 1998, also ebenfalls nach Konkurseröffnung und blieb, wie auch die Jahresschlussrechnung vom 7. Januar 1999, unbezahlt. Damit verstiess die Gesellschaft gegen die - in masslicher Hinsicht unbestrittene - Beitragszahlungspflicht gemäss Art. 14 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV in der bis Ende 2000 gültig gewesenen Fassung und missachtete damit Vorschriften im Sinne von Art. 52 AHVG
3.2 Zu prüfen ist, ob dieses Verschulden der Arbeitgeberin dem Beschwerdeführer, seines Zeichens Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH, als grobfahrlässiges Verhalten angerechnet werden kann. 
 
Die Vorinstanz hat dazu erwogen, die für die 2. Quartalspauschale 1998 geforderten Sozialversicherungsbeiträge seien bereits unbeglichen geblieben, allein die fehlenden Mittel genügten indes nicht als Rechtfertigungsgrund. Die Gesellschaft habe sich schon ab 16. März 1998, zunehmend ab September 1998 in Zahlungsschwierigkeiten befunden, es hätte deshalb nur noch soviel Lohn ausbezahlt werden dürfen, als die darauf entstehenden Beitragsforderungen gedeckt gewesen wären. Der Beschwerdeführer hätte also bereits Ende Sommer 1998 einen Teil der Angestellten entlassen müssen, er habe hingegen im August 1998 vier neue Mitarbeiter angestellt. Er hätte auf Grund seiner Funktion in der Gesellschaft bezüglich der angestellten Personen und der gesetzlichen Pflicht zur Leistung von Sozialversicherungsbeiträgen handeln können und müssen, habe als verantwortliche Person aber nicht rechtzeitig dafür gesorgt, dass die Beitragszahlungspflicht erfüllt werde. 
3.3 Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Die Nichtabrechnung oder - was auf den vorliegenden Fall zutrifft - die Nichtbezahlung der Beiträge darf als solche nicht einem qualifizierten Verschulden gleichgesetzt werden, weil dies auf eine nach Gesetz und Rechtsprechung unzulässige, da in Art. 52 AHVG gerade nicht vorgesehene Kausalhaftung hinausliefe (vgl. ZAK 1985 S. 51 Erw. 2a mit Hinweisen), sondern es sind die gesamten Umstände zu würdigen. Nach ständiger Rechtsprechung ist nicht jede Verletzung der öffentlich-rechtlichen Aufgaben der Arbeitgeberin als Institution der Versicherungsdurchführung ohne weiteres als qualifiziertes Verschulden ihrer Organe im Sinne von Art. 52 AHVG zu werten. Das absichtliche oder grobfahrlässige Missachten von Vorschriften verlangt vielmehr einen Normverstoss von einer gewissen Schwere. Dagegen kann beispielsweise die relativ kurze Dauer des Beitragsausstandes sprechen, wobei aber immer eine Würdigung sämtlicher konkreten Umstände des Einzelfalles Platz zu greifen hat. Die Frage der Dauer des Normverstosses ist somit ein Beurteilungskriterium, welches im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen ist und im Sinne der Rechtsprechung zu den Entlastungsgründen (BGE 108 V 186 f. Erw. 1b, 200 f. Erw. 1) zur Verneinung der Schadenersatzpflicht führen kann (BGE 121 V 244 Erw. 4b mit Hinweis). 
 
Zunächst ist festzuhalten, dass es zwar zutrifft, dass die Gesellschaft bereits die zweite von der Ausgleichskasse am 10. September 1998 gestellte Pauschalrechnung betreffend das 3. Quartal nicht mehr bezahlte. Indes muss gesagt werden, dass dies gleichzeitig auch die letzte Rechnung war, die vor Konkurseröffnung erging und deren Bezahlung damit überhaupt noch in der Verfügungsgewalt der Gesellschaft lag, fällt doch das Ende der Einflussmöglichkeit der Organe einer Gesellschaft mit dem Zeitpunkt der Konkurseröffnung zusammen und verliert die Arbeitgeberin als Schuldnerin mit der Konkurseröffnung grundsätzlich das Recht, über ihr Vermögen zu verfügen (vgl. Art. 204 SchKG, BGE 114 III 61). Die dritte Rechnung für das 4. Quartal erfolgte am 10. Dezember 1998, also bereits nach Konkurseröffnung. Da der Beklagte in diesem Zeitpunkt nicht mehr über die finanziellen Mittel der GmbH verfügen durfte, kann der Betrag für diese Rechnung nicht mehr gefordert werden (AHI 1994 S. 36 Erw. 6b). 
 
Sodann ist zu berücksichtigen, dass rund die Hälfte der Schadenersatzforderung aus der Jahresschlussabrechnung 1998 resultiert. Im Rahmen des Pauschalverfahrens berechtigt die Differenz zwischen der Summe der geleisteten Akontozahlungen und den für das Kalenderjahr tatsächlich geschuldeten Beiträgen nicht zum Vorwurf an den Arbeitgeber, er habe schwerwiegend gegen seine Obliegenheiten verstossen, indem er nicht für eine bei der Endabrechnung verfügbare Rückstellung gesorgt habe (in SVR 1999 AHV Nr. 13 S. 38 veröffentlichte Erw. 2 von BGE 124 V 253; AHI 1993 S. 163, ZAK 1992 S. 247 Erw. 3b), es sei denn, er leiste eindeutig zu niedrige Akontozahlungen mit dem Ziel, die Fälligkeit der Beitragsschuld möglichst hinauszuschieben, und im Wissen, dass er anlässlich der Schlussabrechnung möglicherweise nicht in der Lage sein werde, die Restschuld zu begleichen (ZAK 1992 S. 247 Erw. 3b). Vorliegend sind aus den Akten keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich - und werden im Übrigen von der Ausgleichskasse auch nicht geltend gemacht, dass der Beschwerdeführer zu Beginn der Abrechnungspflicht im März 1998 absichtlich eine zu tiefe Pauschallohnsumme angegeben hätte. Zwar berechtigt eine Differenz auf Grund der Pauschalabrechnung nur dann nicht zu einem Vorwurf an den Arbeitgeber, wenn die in Rechnung gestellten Pauschalbeiträge vorher immer korrekt bezahlt wurden (Urteil A. vom 16. Mai 2002, H 44/01). Davon ist indes auch im vorliegenden Fall, auch wenn eine von zwei Pauschalrechnungen nicht bezahlt wurde, gerade mit Blick auf die kurze Dauer der Abrechnungspflicht der Gesellschaft auszugehen. 
 
Schliesslich ist auch von Bedeutung, dass der Konkurs über die Gesellschaft nicht auf Grund einer vorgängigen Betreibung, sondern durch Benachrichtigung des Richters (Bilanzdeponie gemäss Art. 817 in Verbindung mit Art. 725a OR) eröffnet wurde, wie sich dies aus der Publikation der Konkurseröffnung im Amtsblatt vom 14. Dezember 1998 unter Hinweis auf die Überschuldungsanzeige ergibt. Der Beschwerdeführer als Geschäftsführer und Gesellschafter der GmbH beabsichtigte also nicht, die Gesellschaft auf Kosten der AHV weiterzuführen, wenn knapp neun Monate nach der Gründung der Gesellschaft der Betrieb wieder eingestellt wurde. Vielmehr wurde durch die Bilanzdeponie der Schaden in Grenzen gehalten und es ist nicht ersichtlich, was der Beschwerdeführer in der kurzen Zeit des Bestehens der GmbH sonst hätte vorkehren können, hätte doch vorliegend die so kurzfristige Entlassung der Mitarbeiter nicht zu einer Verminderung des Schadens beigetragen, wie der Beschwerdeführer zu Recht einwendet. 
 
Unter diesen Umständen kann nicht mehr gesagt werden, dass der Beschwerdeführer als Organ der Gesellschaft das ausser Acht gelassen hat, was jedem verständigen Menschen in gleicher Lage und unter gleichen Umständen als beachtlich hätte einleuchten müssen (BGE 112 V 159 Erw. 4 mit Hinweisen). Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die Nichtabrechnung als solche einem qualifizierten Verschulden gleichgesetzt wird, was auf eine - in Art. 52 AHVG gerade nicht vorgesehene - Kausalhaftung hinausliefe. Damit fällt ein haftungsbegründendes qualifiziertes Verschulden, wie es Art. 52 AHVG für die Schadenersatzverpflichtung verlangt, im vorliegenden Fall ausser Betracht. 
4. 
Im vorliegenden Verfahren geht es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen, weshalb Kosten zu erheben sind (Art. 134 OG e contrario). Entsprechend dem Verfahrensausgang werden die Kosten der Ausgleichskasse auferlegt (Art. 135 in Verbindung mit Art. 156 OG), womit das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Prozessführung gegenstandslos wird. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 24. April 2001 aufgehoben und die Klage der Ausgleichskasse des Kantons Aargau abgewiesen. 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1200.- werden der Ausgleichskasse auferlegt. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 2. Juli 2003 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der II. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: