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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
2C_64/2016  
   
   
 
 
 
Urteil vom 2. August 2016  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Seiler, Präsident, 
Bundesrichterin Aubry Girardin, 
Bundesrichter Haag, 
Gerichtsschreiber Fellmann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Remo Gilomen, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Einwohnergemeinde Bern, 
Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern. 
 
Gegenstand 
Widerruf der Niederlassungsbewilligung und Wegweisung infolge Straffälligkeit, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 14. Dezember 2015. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
A.________ ist tunesischer Staatsangehöriger und reiste im Februar 1994 im Alter von 32 Jahren in die Schweiz ein. Aufgrund einer ersten Ehe mit einer Schweizerin erhielt er zunächst eine Aufenthalts- und alsdann die Niederlassungsbewilligung. Die kinderlos gebliebene Ehe wurde am 15. September 2000 geschieden. Am 5. Juni 2014 verheiratete sich A.________ erneut mit einer Schweizerin, mit der er zuvor während rund zwölf Jahren im Konkubinat gelebt hatte. Für seinen Lebensunterhalt kommt A.________ als ungelernter Gebäudereiniger selber auf; Betreibungen oder Verlustscheine sind auf ihn nicht registriert. 
Strafrechtlich gab A.________ in der Schweiz verschiedentlich zu Klagen Anlass: 
 
- Das Strafamtsgericht Bern verurteilte A.________ am 4. Juli 1995 wegen Schändung zu einer Gefängnisstrafe von 14 Monaten und Landesverweisung von drei Jahren, beides bedingt bei einer Probezeit von zwei Jahren. Aufgrund dieser Verurteilung wurde A.________ am 24. Januar 1996 ausländerrechtlich verwarnt. 
- Am 5. November 2003 wurde A.________ vom Untersuchungsrichteramt III Bern-Mittelland wegen Tätlichkeiten und Drohung zu einer Busse von Fr. 300.-- verurteilt. 
- Wegen Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit sowie Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte verurteilte ihn das Untersuchungsrichteramt III Bern-Mittelland am 5. Dezember 2005 mit einer bedingt vollziehbaren Busse von Fr. 1'500.-- bei einer Probezeit von zwei Jahren. 
- Am 29. Januar 2014 wurde A.________ vom Regionalgericht Bern-Mittelland wegen versuchter schwerer Körperverletzung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt. 
Am 28. Juli 2014 widerrief die Einwohnergemeinde Bern die Niederlassungsbewilligung von A.________ und wies ihn aus der Schweiz weg. Die Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern bestätigte den Bewilligungswiderruf mit Entscheid vom 7. Mai 2015. Eine gegen diesen Entscheid geführte Beschwerde von A.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Urteil vom 14. Dezember 2015 kantonal letztinstanzlich ab. 
 
2.  
 
2.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 14. Dezember 2015 erweist sich als offensichtlich unbegründet. Sie ist mit summarischer Begründung im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 BGG und unter ergänzendem Hinweis auf die vorinstanzlichen Erwägungen abzuweisen:  
 
2.2. Wird eine ausländische Person zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt, kann ihre Niederlassungsbewilligung auch dann widerrufen werden, wenn sie sich seit mehr als 15 Jahren ununterbrochen und ordnungsgemäss in der Schweiz aufhält (Art. 63 Abs. 2 und Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 62 lit. b AuG [SR 142.20]). Nach der Rechtsprechung gilt jede Freiheitsstrafe als längerfristig, deren Dauer ein Jahr übersteigt (BGE 139 I 145 E. 2.1 S. 147; 139 I 31 E. 2.1 S. 32; Urteil 2C_536/2013 vom 30. Dezember 2013 E. 2.1 [nicht publiziert in: BGE 140 II 129]). Mit dem Urteil des Regionalgerichts Bern-Mittelland vom 29. Januar 2014 liegt ein Widerrufsgrund gemäss Art. 63 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 62 lit. b AuG vor, was der Beschwerdeführer nicht bestreitet. Jedoch rügt er namentlich eine rechtsfehlerhafte Interessenabwägung durch die Vorinstanz, die in einer Verletzung von Art. 63 Abs. 2 AuG und Art. 8 EMRK resultiere.  
 
2.3. Der Widerruf einer Niederlassungsbewilligung muss stets verhältnismässig sein, was aus Art. 5 Abs. 2 BV hervorgeht und im Anwendungsbereich des Ausländergesetzes von Art. 96 Abs. 1 AuG verdeutlicht wird. Greift ein Widerruf der Niederlassungsbewilligung in das von Art. 13 Abs. 1 BV und Art. 8 Ziff. 1 EMRK geschützte Privat- oder Familienleben ein, ergibt sich das Erfordernis einer Verhältnismässigkeitsprüfung zudem aus Art. 36 Abs. 3 BV und Art. 8 Ziff. 2 EMRK.  
Zur Beurteilung der Frage, ob ein Widerruf der Niederlassungsbewilligung verhältnismässig ist, stellen das Bundesgericht und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Praxis auf dieselben Aspekte ab (vgl. auch zum Folgenden BGE 139 I 31 E. 2.3.3 S. 34 f.; 139 I 16 E. 2.2.2 S. 20; Urteil 2C_519/2014 vom 15. Januar 2015 E. 3.2). Zu beachten sind zum einen Art und Schwere der vom Betroffenen begangenen Straftaten, wobei sich das migrationsrechtliche Verschulden - ausgehend von der verfahrensauslösenden Verurteilung - erst aus einer Gesamtbetrachtung des deliktischen Verhaltens bis zum angefochtenen Urteil ergibt. Dabei spielt das Alter der betroffenen Person bei der (jeweiligen) Tatbegehung ebenso eine Rolle wie die Art, Anzahl und Frequenz der Delikte (vgl. Urteile 2C_333/2015 vom 10. Februar 2016 E. 5.2; 2C_1046/2014 vom 5. November 2015 E. 4.1, je mit Hinweisen). Ins Gewicht fallen zum anderen die Dauer des Aufenthalts im Land, die seit der Tatbegehung verstrichene Zeit und das Verhalten des Betroffenen während dieser, die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Aufenthaltsstaat und zum Herkunftsland, der gesundheitliche Zustand des Betroffenen sowie die mit der aufenthaltsbeendenden Massnahme verbundene Dauer der Fernhaltung. 
 
2.4. Die Vorinstanz hat diese massgeblichen Gesichtspunkte zutreffend gewürdigt und im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung sorgfältig gegeneinander abgewogen (vgl. angefochtenes Urteil E. 3 - E. 5). Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, vermag nicht zu überzeugen:  
 
2.4.1. Fehl geht der Einwand des Beschwerdeführers, im Zusammenhang mit der verfahrensauslösenden Verurteilung könne sein migrationsrechtliches Verschulden nicht als erheblich eingestuft werden. Freilich bewegt sich die mit Urteil vom 29. Januar 2014 ausgefällte bedingte Freiheitsstrafe von zwei Jahren im unteren Bereich des Strafrahmens von Art. 122 StGB. Die Dauer von zwölf Monaten, die für die Möglichkeit zum Bewilligungswiderruf massgeblich ist (vgl. E. 2.2 hiervor), übersteigt die verhängte Strafe gleichwohl deutlich. Dies allein indiziert ein beträchtliches migrationsrechtliches Verschulden. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer während seiner nunmehr 22-jährigen Anwesenheit in der Schweiz mehrmals und in teilweise gravierender Weise straffällig wurde. Sämtliche Straftaten beging er im Erwachsenenalter, wobei ihn seine ansonsten weitgehend stabilen Lebensumstände nicht davon abhielten, gegen die hiesige Rechtsordnung zu verstossen. Angesichts dessen fällt nur wenig ins Gewicht, dass die jüngste Strafe bedingt und nicht unbedingt ausgesprochen wurde, zumal die Vollzugsart nur in geringem Mass Ausdruck des strafrechtlichen Verschuldens ist (vgl. dazu Urteil 2C_685/2014 vom 13. Februar 2015 E. 4.4.). Aufgrund der teilweise massiven Delinquenz des Beschwerdeführers muss eine selbst geringe Rückfallgefahr nicht in Kauf genommen werden. Mit der Vorinstanz ist daher von einem erheblichen migrationsrechtlichen Verschulden des Beschwerdeführers und einem gewichtigen öffentlichen Interesse am Entzug der Aufenthaltserlaubnis auszugehen.  
 
2.4.2. Die privaten Interessen des Beschwerdeführers und seiner schweizerischen Ehefrau an einer Weiterführung der Ehe in der Schweiz vermögen dieses nicht aufzuwiegen. Zwar ist aufgrund des langjährigen Konkubinats nicht entscheidend, dass die Heirat des Beschwerdeführers erst am 5. Juni 2014 und damit in einem Zeitpunkt stattfand, als die Ehegatten aufgrund des Strafurteils vom 29. Januar 2014 bereits mit ausländerrechtlichen Massnahmen rechnen mussten (vgl. Urteil 2C_702/2011 vom 23. Februar 2012 E. 3.1 [mit Hinweisen] zum Konkubinat als unter Umständen von Art. 8 EMRK und Art. 13 BV geschützte eheähnliche Beziehung; ferner BGE 139 I 145 E. 3.6 S. 153; 135 I 143 E. 3.1 S. 148 f.). Weiter trifft es zu, dass der schweizerischen Ehefrau des Beschwerdeführers kaum zugemutet werden kann, dauerhaft mit ihm nach Tunesien zurückzukehren. Die Aufenthaltsbeendigung macht die Weiterführung der ehelichen Beziehung jedoch nicht schlechterdings unmöglich: Einerseits erlauben elektronische Kommunikationsmittel einen immer intensiveren Austausch über grosse Entfernungen hinweg. Andererseits liegt Tunesien nur wenige Flugstunden von der Schweiz entfernt, sodass es durchaus möglich erscheint, die Beziehung zwischen den Ehegatten auch persönlich zu pflegen. Hinzu kommt, dass die Erteilung einer neuen Aufenthaltsbewilligung an den Beschwerdeführer nicht zwingend ein für allemal ausgeschlossen ist. Vielmehr kann der Beschwerdeführer um Neuerteilung einer Bewilligung nachsuchen, sofern sein grundsätzlicher Bewilligungsanspruch (Art. 42 Abs. 1 AuG bzw. Art. 13 BV und Art. 8 EMRK) fortbesteht, er sich in der Heimat bewährt hat und er keine Gefahr für die hiesige Sicherheit und Ordnung darstellt. Unter diesen Voraussetzungen kann nach einer angemessenen Bewährungsdauer im Heimatland eine Neubeurteilung durch die zuständigen Migrationsbehörden angezeigt sein (vgl. Urteile 2C_453/2015 vom 10. Dezember 2015 E. 5.4; 2C_1170/2012 vom 24. Mai 2013 E. 3.3 und E. 4, je mit Hinweisen).  
 
2.4.3. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht zu beanstanden sind schliesslich auch die Erwägungen der Vorinstanz zu seiner Integration in der Schweiz und zur Möglichkeit einer Wiedereingliederung in Tunesien: Dem Beschwerdeführer ist diesbezüglich zugute zu halten, dass er für seinen Lebensunterhalt in der Schweiz stets selber aufkam und keine Schulden aufweist. Seine Kenntnisse der deutschen Sprache können angesichts der langen Aufenthaltsdauer in der Schweiz vorausgesetzt werden; diesen ist im Rahmen der Interessenabwägung keine nennenswerte Bedeutung beizumessen. Ferner verfügt der Beschwerdeführer ausserhalb der Beziehung zu seiner Ehefrau und zu deren bereits erwachsenem Sohn soweit ersichtlich nicht über ein vertieftes soziales Umfeld. Deshalb und weil die Respektierung der rechtsstaatlichen Ordnung ebenfalls ein Element der Integration darstellt (vgl. Art. 4 Abs. 1 AuG und Art. 4 lit. a der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über die Integration von Ausländerinnen und Ausländern [VIntA; SR 142.205]), kann diese insgesamt nicht als gelungen bezeichnet werden.  
Eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Tunesien erscheint weiter zumutbar: Der Beschwerdeführer kam erst im Alter von 32 Jahren und damit relativ spät in die Schweiz, pflegt regelmässige Kontakte zu engen Verwandten in der Heimat und stattet diesen jährlich Besuche ab. Einer raschen sozialen Wiedereingliederung in der Heimat stehen damit keine hohen Hindernisse im Wege. An der Zumutbarkeit einer Rückkehr nach Tunesien ändert nichts, dass seine berufliche Reintegration mit Anstrengungen verbunden sein dürfte; unmöglich erscheint diese entgegen dem Beschwerdeführer keineswegs. 
 
3.  
Nach dem Dargelegten und unter zusätzlicher Verweisung auf die vorinstanzlichen Erwägungen erweist sich der Widerruf der Niederlassungsbewilligung als mit Bundes- und Konventionsrecht vereinbar. Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang trägt der Beschwerdeführer die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind keine geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 2. August 2016 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Seiler 
 
Der Gerichtsschreiber: Fellmann